Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Februar 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Albu als Schriftführer in der Strafsache gegen Yasin A***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Rachid E***** und Mohamed E***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 30. August 2017, GZ 42 Hv 7/17y-213, weiters über die Beschwerden des Angeklagten Mohamed E***** und der Staatsanwaltschaft gegen den zugleich gefassten Beschluss gemäß § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Den Angeklagten Rachid E***** und Mohamed E***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Yasin A***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (A./), des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (B./1.) und der Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 1, 224, 12 zweiter Fall StGB (C./I./ und C./II./), Rachid E***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG und Abs 4 Z 1 und 3 SMG (A./), des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (B./3./) und der Vergehen der mittelbaren unrichtigen Beurkundung nach § 228 Abs 2 StGB (D./) sowie Mohamed E*****des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1, Abs 4 Z 1 und 3 SMG (A./) und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (B./2./) schuldig erkannt.
Danach haben Yasin A*****, Rachid E***** und Mohamed E*****in W*****, B*****, F*****, S*****, W***** und an anderen Orten Österreichs
A./ in oftmals wiederholten Angriffen vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Delta-9-THC- und THCA-hältiges Cannabis mit einem Reinheitsgehalt des Cannabiskrauts von 9,896 % THCA und 0,75 % Delta-9-THC und des Cannabisharzes von 13,582 % THCA und 1,045 % Delta-9-THC, im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) anderen überwiegend durch gewinnbringenden Verkauf und in Einzelfällen durch unentgeltliche Übergabe überlassen, zumindest zwischen Jänner 2016 bis zu ihrer Festnahme im Jänner 2017, zumeist im Bereich von öffentlichen Bahnhöfen, sohin an allgemein zugänglichen Orten öffentlich, und zwar an:
a1) Daniel L***** zumindest ca
1.500 Gramm (teilweise auf Kommissionsbasis
übergeben),
a2) Patrick B***** zumindest 75 Gramm sowie
4 Gramm Cannabisharz,
a3) Michael Be***** zumindest 170 Gramm,
a4) Patrick K***** zumindest 50 Gramm,
a5) Milana V***** zumindest 10 Gramm,
a6) Mehmedalija L***** zumindest 10 Gramm,
a7) Martina R***** zumindest 5 Gramm,
a8) Ovidiu-Dorin F***** zumindest 20 Gramm,
a9) Kathrin Fü*****, zumindest 12 Gramm,
a10) Thomas H*****, geboren am 3. März 1999,
zumindest 10 Gramm,
a11) Peter Ro***** zumindest 1 Gramm,
a12) Tanja Fi***** zumindest 12 Gramm,
a13) Andreas G***** zumindest 30 Gramm,
a14) Matthias S***** zumindest 32 Gramm,
a15) Daniel Rö*****, zumindest 5 Gramm,
a16) Michael Ge***** zumindest 50 Gramm,
a17) Atilla Se***** zumindest 5 Gramm,
a18) Djelloul C***** eine nicht mehr
festzustellende Menge sowie zumindest
3.000 Gramm Cannabisharz,
a19) Emanuel-Dumitru D***** zumindest
20 Gramm,
a20) Lizica Si***** zumindest 5 Gramm,
a21) Eren As***** zumindest 30 Gramm,
a22) Sandra Bi***** zumindest 60 Gramm,
a23) Manuel P***** zumindest 2 Gramm,
a24) Kristijan M***** zumindest 7 Gramm,
a25) Manuel Br***** zumindest 25 Gramm,
a26) Mücahit Ha***** zumindest 85 Gramm,
a27) Elena I***** zumindest 5 Gramm,
a28) Sarah W***** zumindest 5 Gramm,
a29) Melanie Bru***** zumindest 20 Gramm,
a30) Vahdet He***** eine nicht mehr
festzustellende Menge, zumindest 25 Gramm (ca
0,5 Gramm für einen Joint; zumindest 50 Joints),
a31) Lisa Gr***** zumindest 2 Gramm,
a32) Hayri Y***** zumindest 6 Gramm,
a33) Samir Yo***** zumindest 1 Gramm,
a34) Daniel Ri*****, geboren am
27. September 1999, zumindest 10 Gramm,
a35) Daniel Bie*****, geboren am 1. Dezember 1998
zumindest 2 Gramm,
a36) Filip Ma*****, geboren am
17. Oktober 1998, zumindest 4 Gramm,
a37) Aykut Kö***** zumindest 2 Gramm,
a38) Orhan Ke***** zumindest 15 Gramm,
a39) Petya Sl***** zumindest 12 Gramm,
a40) Jacqueline Fr***** zumindest 1 Gramm,
a41) Robert Gj***** zumindest 15 Gramm,
a42) Mihai-Andrei D***** zumindest 5 Gramm,
a43) Michael Co***** zumindest 4 Gramm,
a44) Dominik Ra***** zumindest 80 Gramm,
a45) Dursun Ki*****, zumindest 6 Gramm;
b) eine Vielzahl weiterer unbekannter Suchtmittelabnehmer zumindest 4.749 Gramm,
wobei sie die Straftat nach § 28a Abs 1 SMG als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, in Bezug auf Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge sowie überdies Rachid E***** und Mohamed E***** gewerbsmäßig begingen und schon einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt wurden;
B./ vorschriftswidrig Suchtgift erworben und besessen, und zwar
1.) Yasin A***** ab einem nicht mehr festzustellenden Zeitraum bis Jänner 2017 Delta-9-THC- und THCA-hältiges Cannabis(-kraut) und Cannabisharz in einer nicht mehr festzustellenden Menge;
2.) Mohamed E***** ab einem nicht festzustellenden Zeitraum bis Jänner 2017 Delta-9-THC- und THCA-hältiges Cannabis, Cannabisharz und cocainhältiges Kokain in zumindest Straßenqualität in einer nicht mehr festzustellenden Menge;
3.) Rachid E***** ab einem nicht mehr festzustellenden Zeitraum bis 13. Jänner 2017 Delta-9-THC- und THCA-hältiges Cannabis in einer nicht mehr festzustellenden Menge, jedenfalls das im Zuge der Durchsuchung am 13. Jänner 2017 aufgefundene und in Baggies abgepackte Cannabiskraut (72 g) sowie weitere 3 Baggies mit Cannabiskraut sowie 2,4 Gramm Cannabisharz;
C./ Yasin A***** im Oktober 2016 einen bislang unbekannten Täter zur Ausführung einer strafbaren Handlung, nämlich der Fälschung besonders geschützter Urkunden, dadurch begangen, dass er eine falsche Urkunde mit dem Vorsatz, dass er im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde, herstellte, bestimmt, und zwar
I.) indem er die Anfertigung eines mit dem Lichtbild und den Daten des Yasin A***** versehenen nachgemachten französischen Reisepasses, der im Zuge der Festnahme bei ihm vorgefunden wurde, in Auftrag gab;
II.) indem er die Anfertigung der im Zuge der Durchsuchung vorgefundenen nachgemachten spanischen Identitätskarte in Auftrag gab,
wobei er eine der in § 223 StGB mit Strafe bedrohten Handlungen in Beziehung auf eine ausländische öffentliche Urkunde, die durch Gesetz inländischen öffentlichen Urkunden gleichgestellt ist, beging;
D./ Rachid E***** zwischen November 2011 und 13. Jänner 2017 an nicht mehr festzustellenden Orten mehrmals eine gutgläubig hergestellte unrichtige inländische öffentliche Urkunde, deren Richtigkeit von ihm vorsätzlich bewirkt wurde, nämlich die über seine Veranlassung ausgestellte Verfahrenskarte nach § 50 Asylgesetz 2005 durch Beamte des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl mit den von ihm vorgebrachten unrichtigen Daten „Amine Kh*****“ sowie „geboren am 4. August 1994 in Algerien“ im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht, indem er sich bei Personenkontrollen durch Polizeibeamte mit ihr auswies, um seine Identität nachzuweisen.
Dieses Urteil bekämpfen der Angeklagte Rachid E***** mit auf Z 5 und 5a und der Angeklagte Mohamed E***** mit auf Z 2, 3, 4, 5, 5a und 10 jeweils des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Rachid E*****:
Die nicht zwischen den geltend gemachten Nichtigkeitsgründen der Z 5 und der Z 5a unterscheidende (RIS-Justiz RS0115902, RS0100183) Beschwerde zeigt weder einen Begründungsmangel (Z 5) auf, noch weckt sie beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (Z 5a), sondern übt – nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung – bloß Kritik an der Beweiswürdigung des Erstgerichts.
Sie kritisiert zusammengefasst die Feststellungen zum Zusammenschluss der drei Angeklagten Ende 2015, zur Tätigkeit des Beschwerdeführers „im Drogenverkauf in Wien im ersten Halbjahr 2016“, zu dessen Umzug in die (in W***** gelegene) Wohnung des Angeklagten Mohamed E***** Mitte 2016 und zum gegenseitigen Wissen der Angeklagten um die Suchtmittelübergaben der Mitangeklagten als „unrichtig“, weil dafür nach Ansicht des Beschwerdeführers „keinerlei Beweisergebnisse“ vorliegen würden. Ein Urteilsmangel im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 StPO (Undeutlichkeit, Unvollständigkeit, Widerspruch, keine oder offenbar unzureichende Begründung, Aktenwidrigkeit; vgl RIS-Justiz RS0117995, RS0118316, RS0119089, RS0099413, RS0099547) wird damit nicht dargetan.
Zudem vernachlässigt das Rechtsmittel, dass dem Beschwerdeführer nach den Annahmen des Erstgerichts im ersten Halbjahr 2016 bloß ein (gewöhnlicher) Aufenthalt (Wohnort) in Wien unterstellt wird, er sich nach den weiteren Feststellungen aber dennoch regelmäßig bei seinem Bruder in W***** aufhielt und von dort aus seine (Mit-)Tätigkeit im Drogenhandel entfaltete (US 13).
Ob der Beschwerdeführer – wie behauptet – erst im „Oktober, November 2016“ in die Wohnung seines Bruders nach W***** zog oder – wie festgestellt – schon Mitte 2016, betrifft mit Blick auf die davon unabhängigen Annahmen der Tatrichter zu regelmäßigen Aufenthalten in W***** schon vor diesem Wohnortwechsel und die bereits damit einhergehende Mitwirkung am Drogenhandel der Mitangeklagten keinen in Bezug auf entscheidende Tatsachen (RIS-Justiz RS0117264) erheblichen Umstand (RIS-Justiz RS0116877). Dass der Nichtigkeitswerber eben nicht – wie die Mitangeklagten – während des gesamten Tatzeitraums in W***** wohnte, haben die Tatrichter bei ihren Überlegungen zu seiner Involvierung in den Suchtgifthandel ohnehin miterwogen (US 20). Der darauf bezogene Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) geht somit ins Leere.
Die Annahmen zur arbeitsteiligen (und in gegenseitiger Kenntnis erfolgten) Abwicklung der Suchtgiftgeschäfte und zum Zusammenwirken der Angeklagten im Rahmen einer kriminellen Vereinigung stützte der Schöffensenat auf die teilweise geständigen Verantwortungen der Angeklagten, auf die Angaben zahlreicher Abnehmer und insbesondere auf die Depositionen der damaligen Lebensgefährtin des Angeklagten Mohamed E*****, Iman Bo*****, (US 16 f, 20).
Die Einlassung des Beschwerdeführers, er sei bei den Suchtgiftübergaben bloß aus Langeweile (ohne jegliche Tatförderung) mitgegangen, wurde dabei erörtert, im Hinblick auf bei ihm vorgefundenes abgepacktes Cannabiskraut, auf aus Sicht der Tatrichter szenetypisches arbeitsteiliges Vorgehen beim Suchtgiftverkauf (Anwesenheit weiterer Täter zur Absicherung der konkreten Übergabe durch einen der Täter), insbesondere aber auf die Belastungen durch Bo***** und zahlreiche Abnehmer als unglaubwürdig beurteilt (US 16 f, 20).
Im Hinblick auf die Feststellungen zum arbeitsteiligen Vorgehen der Angeklagten (gemeinsames Verpacken in verkaufsfertige Portionen, telefonischer Kontakt mit den Abnehmern primär über Mohamed E*****, danach Übergabe durch die Angeklagten am zuvor telefonisch vereinbarten Ort in wechselnder Zusammensetzung allein, zu zweit oder zu dritt; US 11 f) waren auch die Angaben des Daniel L*****, wonach der Nichtigkeitswerber seiner Wahrnehmung (als Wohnungsvermieter und zugleich Abnehmer) nach „erstmals bei Übergaben [...] ab Oktober, November“ dabei gewesen sei (ON 114 S 11), nicht gesondert erörterungsbedürftig (Z 5 zweiter Fall), weil sie den dargestellten Annahmen nicht entgegenstehen.
Auch den Nichtigkeitswerber nicht belastende Teile der Angaben des Mitangeklagten Yasin A***** (ON 114 S 13 f) wurden bei der Beurteilung der Tatbeteiligung des Beschwerdeführers erkennbar miterwogen, insoweit aber als unglaubwürdig eingestuft (US 16 f). Dem Gebot zur gedrängten Darstellung in den Entscheidungsgründen folgend waren die Tatrichter dabei nicht verpflichtet, den vollständigen Inhalt dieser Aussage in jedem Detail zu erörtern (RIS-Justiz RS0098778).
Dies gilt ebenso für die Angaben des Mitangeklagten Mohamed E*****, wonach der Beschwerdeführer mit den Suchtgiftgeschäften – bis auf gelegentliche Übersetzungstätigkeit im Bedarfsfall – nichts zu tun gehabt habe (ON 114 S 21 f). Abgesehen davon, dass diese Aussage den Angeklagten Rachid E***** keineswegs bloß entlastet, wurde auch sie, dem Gebot gedrängter Darstellung in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend, anlässlich der Berücksichtigung der als wenig glaubwürdig beurteilten Verantwortung des Angeklagten Mohamed E***** erkennbar erwogen (US 16 f). Den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen wie überhaupt sämtliche Verfahrensergebnisse im Einzelnen zu erörtern sind die Tatrichter ebenso wenig verpflichtet, wie sich mit Beweisergebnissen in Richtung aller denkbarer Schlussfolgerungen auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0098377).
Weshalb die (teils aus ihrem Gesamtzusammenhang gelösten) Zeugenangaben der Denise Bu*****, wonach sie Rachid E***** nicht oft und nur in der Wohnung in W***** gesehen hätte und überdies nicht wisse, ob dieser etwas mit Suchtgift zu tun hätte (ON 114 S 34), des Stefan Ba*****, der den Genannten ebenfalls nicht oft gesehen hätte und ebenfalls nicht wisse, wer was gemacht hätte (ON 114 S 39), des Thomas H***** (A./a10./), der Rachid E***** nicht gesehen hätte (ON 115 S 6), des Kristijan M***** (A./a24./), der den Genannten „ein paar Mal gesehen“ hätte, welcher ihm nichts übergeben hätte, jedoch „dabei gestanden“ wäre (ON 115 S 11), des Manuel Br***** (A./a25./), der sich nicht sicher war, ob er auch von Rachid E***** Suchtgift angekauft habe (ON 115 S 13), des Dumitru D***** (Schuldspruch A./a19./), der alle drei Angeklagten erkannte und angab, dass diese meistens zu zweit, manchmal auch zu dritt aufgetreten wären, alleine ihm jedoch nie jemand etwas verkauft hätte und er nicht sagen könne, ob ihm Rachid E***** direkt Suchtgift übergeben hätte (ON 212 S 4) und schließlich des Dursun Ki**********(Schuldspruch A./a45./), wonach Rachid E***** und Mohamed E***** bis auf einmal bei den zeitlich nicht mehr exakt einordenbaren Suchtgiftübergaben immer zusammen auftraten, wobei er nicht wisse, ob der jeweils dabeistehende Beschwerdeführer eine bestimmte Funktion wahrnahm (ON 212 S 5), erhebliche, gegen die bereits dargestellten Konstatierungen zur arbeitsteiligen Beteiligung des Beschwerdeführers am Suchtgifthandel sprechende und damit gesondert erörterungsbedürftige Umstände bilden sollen, ist nicht zu erkennen.
Dem Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) zuwider hat das Erstgericht seine (auch die Qualifikation nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG tragenden) Mengenberechnungen nicht ausschließlich aus den Beobachtungen der Zeugin Bo***** abgeleitet. Vielmehr ist es – infolge Anstellung einer Hochrechnung („auf das Jahr 2016“) zur Plausibilisierung von (aus Sicht der Tatrichter unglaubwürdig bloß) seine Mitangeklagten belastenden Angaben des Beschwerdeführers (US 16, 18 f iVm ON 28 S 125) – erkennbar davon ausgegangen, dass diese nur temporäre Wahrnehmungen machte, und hat seine grundsätzlich zulässigen Schlüsse (RIS-Justiz RS0098471, RS0098314) mit nachvollziehbarer Begründung und ohne Verstoß gegen die Kriterien logischen Denkens und grundlegende Erfahrungen auch aus weiteren Umständen gezogen (US 19 f).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Mohamed E*****:
Die Verfahrensrüge (Z 2) wendet ein, trotz Widerspruchs dieses Angeklagten seien ihn belastende Angaben seines im Ermittlungsverfahren – als Beschuldigter –vernommenen Bruders und Mitangeklagten Rachid E***** (ON 28 S 125 ff) verlesen worden (ON 212 S 8 f), obwohl der Genannte damals nicht ausreichend „nach den Bestimmungen der §§ 156 ff StPO“ belehrt worden sei. Nichtigkeit im angesprochenen Sinn liegt allerdings nicht vor, weil das in den Blick genommene Recht auf Aussagebefreiung in Bezug auf Angehörige nur Zeugen (§ 156 Abs 1 Z 1, § 159 Abs 3 StPO), nicht aber (Mit-)Beschuldigten (§§ 49, 164 StPO) zukommt (12 Os 76/11k, 11 Os 117/16i, 13 Os 94/13t, 15 Os 42/10f jeweils mwN). Das Zeugnisverweigerungsrecht bei Angehörigenbezichtigungsgefahr (§ 157 Abs 1 Z 1 StPO) wiederum ist nach dem Gesetz (§ 159 Abs 3 zweiter Satz StPO) nicht einmal mit Nichtigkeit bewehrt (siehe dazu auch Ratz, WK-StPO § 281 Rz 176).
Aus denselben Gründen bewirkt auch die ohne die eingeforderte Belehrung erfolgte Vernehmung des erwähnten Mitangeklagten in der Hauptverhandlung (ON 114 S 28 ff) keine Nichtigkeit (Z 3 iVm § 159 Abs 3 StPO).
Die auf einer – wie dargestellt – unzutreffenden Prämisse aufbauende Kritik (Z 3) an (vermeintlich) unzulässiger Umgehung der erwähnten Rechte durch zeugenschaftliche Vernehmung der Polizeibeamten Man***** und Sc***** als Verhörspersonen in der Hauptverhandlung kann daher auf sich beruhen. Abgesehen davon betrifft das in § 157 Abs 2 StPO normierte Umgehungsverbot bloß die (hier nicht in Rede stehenden) Rechte nach § 157 Abs 1 Z 2 bis 5 StPO (RIS-Justiz RS0124907).
Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage zieht auch eine Verwertung von Aussagen des im Angehörigenverhältnis stehenden Mitangeklagten und der erwähnten Verhörspersonen im Urteil keine Nichtigkeit (Z 5 vierter Fall) nach sich. Auf Depositionen der Letztgenannten nimmt das Urteil im Übrigen nicht einmal Bezug.
Soweit das Vorbringen zu Z 2 und Z 3 „aus advokatorischer Vorsicht“ auch „zu Z 4 erhoben“ wird, entspricht die Beschwerde nicht dem Gebot deutlicher und bestimmter Bezeichnung von Nichtigkeitsgründen (RIS-Justiz RS0115902).
Dass Rachid E***** vor seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren etwa – zu Umgehungszwecken –willkürlich eine falsche Prozessrolle zugeschrieben worden wäre, behauptet der Beschwerdeführer nicht einmal (zur Definition von Zeugen vgl § 154 Abs 1 StPO, zu jener von Beschuldigten vgl § 48 Abs 1 Z 2 StPO; siehe auch Kirchbacher, WK-StPO § 151 Rz 1 f, § 154 Rz 11).
Mit der bloßen Behauptung, die Feststellungen zu B./ (US 15) seien durch keinerlei Beweisergebnisse gedeckt, wird ein formaler Begründungsmangel im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht prozessordnungskonform aufgezeigt.
Ebenso wenig blieb – wie schon zur Nichtigkeitsbeschwerde des Rachid E***** dargelegt – im Gesamtkontext der Hochrechnung der im gesamten Tatzeitraum überlassenen Suchtgiftmengen der Umstand unberücksichtigt (Z 5 zweiter Fall), dass die Zeugin Bo***** selbst nur zeitlich begrenzte Wahrnehmungen zum Suchtgifthandel hatte.
Erhebliche Bedenken (Z 5a) gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen vermag Mohamed E***** mit bloß pauschalem Verweis auf sein zur Mängelrüge (Z 5) erstattetes Vorbringen nicht zu wecken.
Die Subsumtionsrüge (Z 10) bleibt mit der bloßen Behauptung eines Rechtsfehlers mangels Feststellungen zur subjektiven Tatseite „nach § 28a Abs 4 Z 1 SMG“ unverständlich, zumal sie offen lässt, weshalb die Annahme dieser Qualifikation überhaupt die Feststellung einer entsprechenden „Absicht“ erfordern soll. Sollte mit der Bezugnahme auf die „neue Definition der Gewerbsmäßigkeit“ der Sache nach die Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG angesprochen werden, legt die Beschwerde zudem nicht dar, weshalb die in diesem Kontext gebrauchte Wendung „kam es darauf an“ (US 14) dem Gesetz nicht genügen sollte (vgl im Übrigen § 5 Abs 2 StGB und US 21).
Die Nichtigkeitsbeschwerden waren somit
– großteils in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Bleibt mit Blick auf die im November 2017 ergangene Entscheidung eines verstärkten Senats des Obersten Gerichtshofs (12 Os 21/17f) auf einen – von den Nichtigkeitswerbern nicht geltend gemachten – Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 10) in Bezug auf die bei Rachid E***** und Mohamed E***** angenommene Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG zu A./ hinzuweisen.
Das Urteil lässt nämlich nicht erkennen, ob die Überschreitung der Grenzmenge nach § 28b SMG (insbesondere auch zu A./a1, A./a18./ und A./b./) schon aus einzelnen Angriffen („solchen Taten“ im Sinn des § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB) resultiert, oder erst aus einer Zusammenrechnung von für sich gesehen unter der Grenzmenge gebliebenen Einzelakten.
Weiters haben alle drei Angeklagte nach den Feststellungen des Ersturteils zu B./1., B/2./ und B./3./ mit einem Teil des Erlöses der Suchtgiftverkäufe ihren Eigenkonsum finanziert (US 12) und die „im Spruch genannten Mengen an Suchtgift“ – mit entsprechendem Vorsatz – erworben und besessen (US 4 f, 15). Da nach diesen Feststellungen die Straftaten nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG ausschließlich zum persönlichen Gebrauch der Angeklagten begangen wurden, unterblieb rechtsirrig eine Unterstellung dieser Taten (auch) unter die Privilegierung nach § 27 Abs 2 SMG.
Diese für die Angeklagten im Hinblick auf die jeweils nach § 28a Abs 4 SMG vorzunehmende Strafbemessung ohne nachteilige Wirkung gebliebenen Subsumtionsfehler (Z 10) bedurften keiner amtswegigen Wahrnehmung durch den Obersten Gerichtshof (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO). Aufgrund dieses Hinweises ist das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung auch nicht an den Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO gebunden (RIS-Justiz RS0118870).
Sollte das Berufungsgericht, welches an die in den Rechtsmittelschriften vorgetragenen Berufungsgründe nicht gebunden ist, in Stattgebung der Berufungen der Angeklagten Rachid und Mohamed E***** mit Blick auf die privilegierte Tatbegehung zu B./2./ bzw B./3./ die über diese Angeklagten verhängten Strafen herabsetzen, wäre ohnehin auch beim Mitangeklagten Yasin A***** nach § 295 Abs 1 zweiter Satz StPO vorzugehen (12 Os 124/10t).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E120817European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00140.17B.0214.000Im RIS seit
08.03.2018Zuletzt aktualisiert am
13.02.2019