TE Bvwg Erkenntnis 2018/2/27 W124 2139787-1

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Veröffentlicht am 27.02.2018
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Entscheidungsdatum

27.02.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W124 2139787-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (nunmehr BF) reiste illegal in das Bundesgebiet und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. In der niederschriftlichen Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gab er an, aus XXXX im Bundesstaat XXXX , Indien zu kommen, ledig zu sein und der Religionsgemeinschaft der Sikh und der Volksgruppe der Punjabi anzugehören. Er habe in XXXX 12 Jahre lang die Schule besucht und spreche neben Punjabi auch Hindi und Englisch.

Der BF habe sein Land am XXXX schlepperunterstützt mittels Flugzeug nach XXXX verlassen und reiste von dort am Landweg bis Österreich.

Zu seinem Fluchtgrund befragt, gab der BF zu Protokoll, dass es einen Ackerlandstreit zwischen seiner Familie und einer anderen Familie aus dem Dorf gegeben habe und es deshalb zu mehreren Auseinandersetzungen gekommen sei. Er sei mehrmals von dieser Familie attackiert und verletzt worden. Im XXXX sei sein Bruder von dieser Familie ermordet worden. Seine Eltern seien auch geflüchtet, doch wisse der BF nicht wohin. Die gegnerische Familie sei reich und habe viele Kontakte. Der BF habe Angst um sein Leben bekommen und deshalb sein Heimatland verlassen.

3. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor BFA am XXXX gab der BF an, gesund zu sein und keine Medikamente einzunehmen. Er gehöre der Volksgruppe der Rajput und der Religion der Sikh an.

In Österreich lebe er mit zwei weiteren Landsleuten in einer Gemeinschaftswohnung in XXXX . Er sei ledig und habe keine minderjährigen Kinder oder sonstige Obsorgepflichten.

Im Heimatland würden seine Eltern leben. Sein Bruder sei Anfang 2015 gestorben. In Österreich verfüge er über keine Familienangehörigen.

In Indien habe er in XXXX , Kreis XXXX im Bezirk XXXX gelebt und habe seinen Lebensunterhalt als Landwirt bestritten. Er habe 10 Jahre lang die Grundschule und 2 Jahre lang das College besucht.

In Österreich habe er keinen Deutschkurs besucht. Seine Miete betrage EUR 160,- und bezahle er diese durch seine Tätigkeit als Zeitungsverteiler, wobei er seit einem Monat arbeitslos sei. Zuvor habe er ca. EUR 500,- monatlich verdient.

Befragt nach seinem Tagesablauf in Österreich gab der BF an, immer zu Hause zu sein. Er habe keine österreichischen Freunde.

Er habe sein Heimatland am XXXX verlassen. Er habe die Reise durch Ersparnisse und Grundstücksverkäufe finanziert und mit Hilfe eines Schleppers organisiert.

Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, dass im Nachbarsdorf XXXX , welches ca. 1 km entfernt vom Dorf des BF liege, ein Landwirt namens XXXX gewohnt habe. Dieser habe einen Teil ihrer Landwirtschaft gewaltsam wegzunehmen versucht und habe es einige Male Streit gegeben. Einmal habe der Dorfvorsteher mit mehreren Leuten interveniert und gemeint, dass die Entscheidung ungefähr ein Monat dauere. XXXX habe aber gleich eine Entscheidung gewollt und habe mit dem BF gestritten und ihn geschlagen. Der BF habe dadurch eine kleine Narbe an seiner linken Gesichtshälfte neben dem Auge davongetragen. Der BF habe sodann Anzeige bei der Polizei in der Dienststelle XXXX erstattet. XXXX sei mit dem Oberkommissar befreundet gewesen und habe die Polizei daher nichts unternommen. Die Polizei habe den BF sogar beschuldigt, dass er am Streit selber schuld gewesen sei. Der BF sei einmal im XXXX festgenommen und von der Polizei geschlagen worden. Im XXXX hätten sie seinen Bruder schwer verletzt und sei dieser durch diese Verletzungen XXXX gestorben. Der BF habe sich zu dieser Zeit in XXXX aufgehalten und habe dort auch den Schlepper getroffen, der die Reise organisiert habe.

Der BF habe vor zwei Monaten telefonischen Kontakt zu seiner Familie gehabt. Es gehe ihnen gut und rufe er nur selten an, da sie nur ein "Fixtelefon" zu Hause hätten und die Telefontermine mit dem Nachbarn zu vereinbaren seien.

Der BF sei nie aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder Religion verfolgt oder bedroht worden. Er sei niemals festgenommen worden oder in Haft gewesen.

Auf Vorhalt angegeben zu haben, von der Polizei verhaftet worden zu sein, gab der BF an, dass die Polizei, nämlich zwei Männer, damals zu seiner Landwirtschaft gekommen seien und ihn dort geschlagen hätten. Er habe diese Männer nicht gekannt.

Der BF sei in seiner Heimat nicht politisch tätig gewesen. Er habe sich mit seinen Problemen nie an eine Behörde oder eine Hilfsorganisation gewandt.

Das streitgegenständliche Grundstück habe die Größe von 6 Kanal, wobei ein Fußballfeld ca. 10 - 12 Kanal groß sei.

Im Falle einer Rückkehr in seine Heimat habe er Angst, von XXXX umgebracht zu werden. Er habe auch Angst vor der Polizei, weil der Nachbar gute Beziehungen habe.

Sein Heimatdorf habe ungefähr 4.000 Einwohner und liege das Grundstück ca. 500 m vom Dorfzentrum entfernt.

Befragt zu dem Vorfall, bei dem die Polizei gekommen sei, gab der BF an, dass es Abend gewesen sei und er auf seiner Landwirtschaft gearbeitet habe. Die Polizisten seien mit einem Motorrad gekommen, hätten nach seinem Namen gefragt und ob er XXXX kenne. Sie hätten gefragt, welches Grundstück dem BF und welches XXXX gehöre und warum es Streit gebe. Der BF habe geantwortet, dass XXXX das ganze Landstück wegnehmen wolle. Die Polizei habe ihm vorgeworfen, dass das Grundstück den Großeltern von XXXX gehöre und gemeint, dass der BF illegal auf dem Grundstück arbeite. Während dieses Gesprächs sei XXXX mit seinen Leuten und einem Traktor gekommen und habe begonnen, auf dem strittigen Grundstücksteil zu arbeiten. Der BF habe versucht den Traktor zu stoppen, indem er sich vor den Traktor gelegt habe und habe ihn die Polizei von dort weg gezogen und geschlagen. Danach sei der BF nach Hause gelaufen. Im Dorf hätten ihn die Leute dann aufgefordert, das Dorf zu verlassen und sei der BF nach 10 Tagen nach XXXX gegangen.

In Indien gebe es zwar ein Grundbuch, doch XXXX gehöre zur XXXX -Partei und sei sehr einflussreich. Alle Ämter hätten ihn unterstützt. Der BF habe sich bei keinem Vermessungsamt beschwert, sondern sei nur bei der Polizei gewesen. Befragt, warum der BF keinen Auszug aus dem Grundbuch geholt habe und damit zur Polizei gegangen sei, gab er an, dass der Dorfvorsteher zwar gesagt habe, dass das Grundstück immer im Besitz der Eltern des BF gewesen sei, jedoch habe die Polizei XXXX unterstützt. Der BF habe die Besitzurkunde bei der Polizei vorgelegt, doch sei diese nicht akzeptiert worden.

Befragt zur Verletzung des Bruders gab der BF an, dass dieser im XXXX oder XXXX im Dorf unterwegs gewesen sei und von 2-3 Leuten von XXXX attackiert worden sei. Der Bruder habe innere Verletzungen erlitten und sei ein Monat später im Spital gestorben. Nachgefragt gab der BF an, dass der Bruder im XXXX gestorben sei. Der Bruder sei in der XXXX Klinik in XXXX behandelt worden und wisse der BF von Erzählungen von XXXX und XXXX , dass die Angreifer von XXXX gekommen seien. Die beiden Erzähler würden nur ein paar Häuser weiter von ihrem Haus wohnen und hätten dem BF erzählt, dass der dort bekannte XXXX mit einem Auto und ein paar Leuten gekommen sei und den Bruder geschlagen habe.

Befragt gab der BF an, dass die Polizei nur ein einziges Mal zu ihm gekommen sei. Die Misshandlung des Bruders sei in der Dienststelle in XXXX angezeigt worden, aufgrund dessen zwei Personen verhaftet worden seien und zwei bis drei Monate in Untersuchungshaft geblieben seien.

Der BF wisse nicht, ob das Krankenhaus die Polizei verständigt habe. Der Bruder sei gleich danach beerdigt worden, wobei er sich nicht an das Monat erinnern könne. Der BF habe durch seine Eltern am Telefon vom Tod des Bruders erfahren. Diese hätten nur gesagt, dass die Heilung der Verletzungen nicht mehr möglich gewesen sei.

Der BF habe sich zu diesem Zeitpunkt für ca. ein Monat in XXXX aufgehalten. Dies sei im XXXX oder XXXX Monat des Jahres XXXX gewesen.

Auf Vorhalt gesagt zu haben, dass sein Bruder XXXX gestorben sei und sich zu dieser Zeit in XXXX aufgehalten zu haben, gab der BF an, sich vielleicht geirrt zu haben.

Auf Vorhalt weiters gesagt zu haben, im XXXX von der Polizei geschlagen worden zu sein und nach 10 Tagen dann nach XXXX gegangen zu sein, gab der BF an, dass er sich in den Jahren geirrt habe.

Der BF verzichtete auf die Einsicht ins Länderinformationsblatt und eine Stellungnahme.

Auf Vorhalt in der Erstbefragung angegeben zu haben, dass sein Bruder XXXX ermordet worden sei, gab der BF an, dass er sich damals schon geirrt habe.

Der BF habe bei der Misshandlung des Bruders eine schriftliche Anzeige erstattet und befinde sich die Anzeige zu Hause. Befragt, ob er diese nachreichen könne, gab der BF an, dass sie zu Hause renoviert hätten und nicht wisse, ob es die Anzeige noch gebe.

4. Mit dem nun angefochtenen Bescheid des BFA vom XXXX wurde der Antrag des BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 tagen festgesetzt. (Spruchpunkt IV.).

Das BFA stellte fest, dass das die vom BF angegebenen Gründe für das Verlassen des Heimatlandes nicht glaubhaft seien. Eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Indien würde keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen. Der BF habe in Österreich keine Familienangehörigen und verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte in Indien. Den überwiegenden Teil seines Lebens habe er in Indien verbracht. Er habe keine anderen Gründe namhaft gemacht, die für eine Integration in Österreich sprechen würden.

Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass dem Vorbringen des BF kein Glauben geschenkt werde. Sein Fluchtvorbringen beziehe sich primär auf das Schicksal seines Bruders. Der BF habe sich dabei wiederholt in zeitliche Widersprüche verwickelt und komme die Behörde zu dem Schluss, dass weder die chronologische noch die inhaltliche Schilderung der diesbezüglichen Ereignisse als glaubwürdig gewertet werden könnten. Weiters habe der BF zunächst angegeben, von der Polizei festgenommen und geschlagen worden zu sein, welches sich im XXXX ereignet haben solle. Danach habe er widersprüchlich angegeben, nie festgenommen und verhaftet worden zu sein. Auf Vorhalt der zeitlichen Widersprüche habe der BF lediglich gemeint, sich vielleicht geirrt zu haben.

In der Ersteinvernahme habe der BF außerdem angegeben, dass seine Eltern geflüchtet seien und er nicht wisse wohin, während er bei der Einvernahme am XXXX angegeben habe, dass er vor zwei Monaten, via Festnetztelefonie, zuletzt Kontakt zu seinen Eltern gehabt habe. Ein Anruf am Festnetz setze die Kenntnis des Aufenthaltsortes der Angerufenen voraus und sei ein Hinweis darauf, dass seine Eltern, trotz allfällig bestehender Diskrepanzen mit XXXX , in seinem Heimatdorf aufhältig seien. Den Angaben des BF zufolge, gehe es ihnen dort gut.

Zudem existiere in Indien kein Meldewesen und stünde es dem BF frei, an einem anderen Ort innerhalb Indiens Aufenthalt zu nehmen.

Aus seiner Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit ergebe sich keine Gefahr einer systematischen, landesweiten, staatlich geduldeten asylrelevanten Verfolgung.

Zur Rückkehrentscheidung wurde rechtlich ausgeführt, dass der BF in Österreich über kein Familienleben verfüge. Er gehe keiner legalen Arbeit nach und spreche kein Deutsch. Auch sonstige private Bindungen habe er nicht dargetan. Der BF befinde sich erst seit kurzer Zeit im Bundesgebiet.

5. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF gemäß § 52 BFA-VG der XXXX amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Mit fristgerecht eingebrachter Beschwerde wurde der angefochtene Bescheid zur Gänze aufgrund inhaltlich falscher Entscheidung und mangelhafter Verfahrensführung angefochten.

Das BFA habe keine konkreten Recherchen zum Vorbringen des BF angestellt.

Der BF habe sich in Österreich sozial und beruflich intergiert. Er arbeite als Zeitungszusteller, bekomme monatlich ca. EUR 500,- und bezahle für die Miete EUR 160,-. Er habe sich in Österreich nichts zu Schulden kommen lassen und nehme keine sozialen Geldhilfen in Anspruch.

Grundstücksstreitigkeiten kämen in Indien häufig vor und gebe es keine ausreichende Regelung zur Beilegung dieser Probleme. Die generellen Länderfeststellungen hätten keinen besonderen Bezug zu Situation und Vorbringen des BF.

Der BF habe eine Fülle von persönlichen Details geliefert.

Die Beweiswürdigung der Behörde sei unbrauchbar. Das Vorbringen des BF bringe einen erheblichen Mangel der Schutzwilligkeit der Heimatbehörde zum Ausdruck. Die Feinde im Grundstücksstreit seien politisch einflussreich gewesen. Trotz der Bestätigung des Dorfvorstehers, dass das Grundstück den Eltern des BF gehöre, habe die Polizei einen Schutz verweigert.

Die Behörde habe sich nicht mit der persönlichen Situation des BF und den Bindungen zu Österreich auseinandergesetzt. Der BF sei ein arbeitsamer, freundlicher und integrationswilliger Mensch, der seine Chancen in Österreich nutzen wolle. Er sei als Zeitungszusteller tätig und darin so erfolgreich, dass er keine sozialen Geldaushilfen oder Grundversorgung in Anspruch nehme. Er könne vom selbst verdienten Geld leben und teile eine ortsübliche Unterkunft mit Freunden. Der BF könne sich auch in der deutschen Sprache verständigen.

Es werde beantragt, die bekämpfte Entscheidung zu beheben, festzustellen, dass die Abweisung des Antrags hinsichtlich Asyl und subsidiärer Schutz, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Indien nicht rechtmäßig seien, die Sache zur nochmaligen Bearbeitung an das BFA zurückzuverweisen und vor einer inhaltlichen Entscheidung durch die Kontrollinstanz eine mündliche Verhandlung anzuberaumen und schließlich festzustellen, dass Asyl oder in eventu subsidiärer Schutz zu gewähren sei, jedenfalls ein Aufenthaltstitel zu gewähren sei und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet auf Dauer unzulässig sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Der BF ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger von Indien, gehört der Volksgruppe der Rajput und der Religionsgemeinschaft der Sikhs an und stammt aus XXXX , Kreis XXXX , Bezirk XXXX im Bundesstaat XXXX in Indien.

1.2. Der BF stellte am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit dem nun angefochtenen Bescheid des BFA vom XXXX abgewiesen wurde.

1.3. Das Vorbringen des BF zu seinen Fluchtgründen ist nicht glaubhaft. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oder zu einer sozialen Gruppe von staatlicher Seite oder von privaten Dritten verfolgt wird. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass dem BF in Indien eine individuelle Verfolgung aufgrund von Grundstückstreitigkeiten droht.

1.4. Es kann nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des BF nach Indien eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Der BF ist gesund, arbeitsfähig und verfügt über eine zwölfjährige Schulbildung sowie über familiären Anschluss im Heimatstaat. Der BF hat zudem Arbeitserfahrung durch seine im Heimatstaat ausgeübte Tätigkeit als Landwirt.

1.5. Der BF verfügt in Österreich bzw. der EU über keine Familienangehörigen. Er ist strafgerichtlich unbescholten und hat keine nennenswerten Deutschkenntnisse. Der BF geht laut eigenen Angaben einer Tätigkeit als Zeitungszusteller nach und verdient damit EUR 500,- monatlich. Es können keine Anhaltspunkte für die Annahme einer außergewöhnlichen Integration des BF in Österreich in sprachlicher, sozialer und beruflicher Sicht festgestellt werden.

1.6. Zur Situation im Herkunftsstaat wird von den zutreffenden Feststellungen des BFA im angefochtenen Bescheid ausgegangen. Die Situation im Herkunftsland hat sich seit dem Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung im gegenständlich relevanten Punkten nicht entscheidungswesentlich verändert, wie sich das Bundesverwaltungsgericht durch Einsicht in das Länderinformationsblatt vom 09.01.2017 vergewissert hat.

Politische Lage

Indien ist mit über 1,2 Milliarden Menschen der bevölkerungsreichste demokratische Staat der Welt (CIA Factbook 28.10.2015; vgl. AA 24.4.2015). Mit seinen vielen Sprachen ist Indien besonders vielfältig, was sich auch in seinem föderalen politischen System reflektiert, in welchem die Macht von der Zentralregierung und den Bundesstaaten geteilt wird (BBC 28.10.2015). Indien hat seit dem 2.6.2014 29 Bundesstaaten und sieben Unionsstaaten (CIA Factbook 28.10.2015; vgl. AA 10.2015a). Es ist laut Verfassung eine säkulare, demokratische und föderale Republik. Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus. Die Zentralregierung hat deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten und kann im Fall interner Probleme einen Bundesstaat für einen begrenzten Zeitraum unter direkte zentralstaatliche Verwaltung stellen (AA 10.2015a).

Indien hat nach der Unabhängigkeit von Großbritannien (1947) den Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative durchgesetzt. Die Entscheidungen der staatlichen Verwaltung (Bürokratie, Militär, Polizei) unterliegen überdies der Kontrolle durch die freie Presse des Landes, die nicht nur in den landesweiten Amtssprachen Hindi und Englisch, sondern auch in vielen der Regionalsprachen publiziert wird. Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft, die mit vielfältigen Initiativen an der Gestaltung der Politik mitwirkt (AA 10.2015a). Seit Juli 2012 ist Präsident Pranab Kumar Mukherjee indisches Staatsoberhaupt (AA 10.2015a). Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 25.6.2015). Das Amt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse (AA 10.2015a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister, der seit 26.5.2014 Narendra Modi heißt (GIZ 11.2015).

Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 25.6.2015). Die Legislative besteht aus einer Volkskammer (Lok Sabha) und einer Staatenkammer (Rajya Sabha). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene. Das oberste Gericht in New Delhi steht an der Spitze der Judikative (GIZ 11.2015; vgl. AA 24.4.2015).

Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster. In Indien gibt es eine verfassungsmäßig garantierte, unabhängige Gerichtsbarkeit mit dreistufigem Instanzenzug (AA 24.4.2015).

In den letzten Jahrzehnten erlebte Indien einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung, der zur Bildung einer neuen Mittelschicht führte. Doch das uralte Kastensystem Indiens, eine marode Infrastruktur auf dem Land, die starke Umweltverschmutzung und religiöse Konflikte zwischen Hindus und Muslimen stellen das Land weiterhin vor große Probleme (FAZ 16.5.2014). Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 8.2015).

Wahlen 2014:

Die letzten landesweiten Wahlen fanden im April/Mai 2014 statt (AA 24.4.2015). Am 7.4.2014 begann die Wahl zur 16. Lok Sabha, dem indischen Unterhaus (GIZ 11.2015). 814 Millionen Wählerinnen und Wähler waren aufgerufen, an mehr als 930.000 Wahlurnen und 1,5 Millionen elektronischen Wahlmaschinen ihre Stimmen abzugeben (Eurasisches Magazin 24.5.2014), darunter etwa 120 Millionen Erstwähler (GIZ 11.2015).

Bei der Wahl standen sich drei große Parteienbündnisse gegenüber:

Die United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der BJP und die so genannte Dritte Front, die aus elf Regional- und Linksparteien besteht. Mit besonderem Interesse wurde das Abschneiden der aus einem Teil der India-Against-Corruption-Bewegung hervorgegangenen Aam Aadmi Party (AAP) begleitet. Der AAP gelang es 2013 bei der Wahl in Delhi 28 von 70 Sitzen zu erringen. Das Ergebnis 2014: Landesweit errang die AAP nur vier Sitze (GIZ 11.2015; vgl. FAZ 16.5.2014).

Seit dem 16.5.2014 steht der Wahlsieger offiziell fest: Narendra Modi von der Oppositionspartei Bharatiya Janata Party (BJP), die sich mit 282 von 543 Mandaten eine absolute Mehrheit sichern konnte. Hohe Verluste hingegen für die seit 2004 regierende Kongress-geführte Koalition unter Manmohan Singh. Sonia Gandhi und Sohn Rahul rücken nun auf die Oppositionsbank (Eurasisches Magazin 24.5.2014; vgl. FAZ 16.5.2014, GIZ 11.2015). Neuer Regierungschef ist der bisherige Chief Minister des Bundesstaates Gujarat, Narendra Modi. Damit erhält auch die Angst vor einem Aufflammen des Kommunalismus neue Nahrung (GIZ 11.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

-

AA - Auswärtiges Amt (10.2015a): Indien, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_AC539C62A8F3AE6159C84F7909652AC5/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 9.11.2015

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BBC - British Broadcasting Corporation (28.10.2015): India country profile - Overview,

http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 9.11.2015

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CIA - Central Intelligence Agency(28.10.2015): The World Factbook

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India,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 9.11.2015

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Eurasisches Magazin (24.5.2014): Wohin geht die größte Demokratie der Erde?,

http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Indien-nach-den-Wahlen-eine-Analyse/14017, Zugriff 9.11.2015

-

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.5.2014): Modi ist Mann der Stunde,

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fruehaufsteher/wahlentscheid-in-indien-modi-ist-der-mann-der-stunde-12941572.html, Zugriff 9.11.2015

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2015): Indien,

http://liportal.giz.de/indien/geschichte-staat.html, Zugriff 9.11.2015

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmBH (8.2015): Indien, Wirtschaftssystem und Wirtschaftspolitik, http://liportal.giz.de/indien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 9.11.2015

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USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - India, http://www.ecoi.net/local_link/306292/443589_de.html, Zugriff 9.11.2015

Sicherheitslage

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven. Widersprüche, Gegensätze oder Konflikte entladen sich in den gesellschaftlichen Arenen und werden von der Politik aufgegriffen, verarbeitet und teilweise instrumentalisiert (GIZ 11.2015). Blutige Terroranschläge haben in den vergangenen Jahren in Indiens Millionen-Metropolen wiederholt Todesopfer gefordert (Eurasisches Magazin 24.5.2014). Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 11.2015). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 24.4.2015).

Indien ist mit einer Reihe von Sicherheitsproblemen konfrontiert. Es gibt landesweit mehrere linksorientierte bewaffnete Gruppen (Maoisten). Nach einem Anstieg der Aktivitäten von aufständischen Gruppen in den Jahren 2003 bis 2010 nahmen diese Aktivitäten aufgrund von internen Machtkämpfen, einer eingeschränkten Unterstützung in den Stammesgemeinden und von effektiven Operationen gegen deren Führerschaft durch die Sicherheitskräfte ab. Im Jahr 2013 haben etwa 76 der mehr als 600 Bezirke Indiens irgendeine Art maoistischer Gewalt erfahren. Aufständische Gruppen aus Pakistan haben ihre Fähigkeit gezeigt, Angriffe (über das von Indien administrierte Kaschmir,) im Zentrum von Indien, durchzuführen. Erwähnenswert sind die Angriffe im Dezember 2001 auf das indische Parlament und die Angriffe in Mumbai im Juli 2006 und November 2008. Pakistanische Gruppen dürften bei den Angriffen im Jahr 2006 indischen Terrorzellen Unterstützung geboten haben. Die Angriffe im Jahr 2008 waren aus Pakistan geplant, unterstützt und geführt. Einheimische Rebellengruppen - sowohl hinduistische als auch islamistische - waren in eine Serie terroristischer Angriffe auf indische Schlüsselstädte verwickelt. Die Sicherheitslage in den Gegenden Kaschmir, Nordosten und speziell in Assam ist labil und es kommt immer wieder zu Aufständen. Ein weiteres Sicherheitsproblem ist die kommunale Gewalt zwischen der hinduistischen Mehrheit und der muslimischen Minderheit. Darüber hinaus ist das organisierte Verbrechen in den Hauptstädten ein Problem, allerdings nicht für ausländische Firmen. Es gibt Entführungen mit Lösegeldforderungen, aber diese sind auf die lokale Bevölkerung begrenzt. Die schlechte Straßensicherheit im Land ist ein signifikantes Problem. Die größte unmittelbare externe Sicherheitsbedrohung ist Pakistan, speziell in Bezug auf den langjährigen Kaschmirdisput (IHS- Jane's Sentinel Security 1.7.2014).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor, insbesondere sobald die innere Sicherheit als gefährdet angesehen wird. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, ist die Regierung in der Regel zu Verhandlungen über ihre Forderungen bereit. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 24.4.2015). Trotz zahlreicher und zum Teil dramatischer Erfolge durch Indiens Sicherheits- und Geheimdienstbehörden, die immer wieder unter starken Ressourcenproblem zu leiden haben, ist es in der Realität so, dass der Sicherheitsapparat weiterhin leicht angreifbar ist (South Asia Terrorism Portal 30.10.2015).

Pakistan und Indien

Die Beziehungen zum gleichfalls nuklear gerüsteten Nachbarn Pakistan bleiben kompliziert. Phasen des Dialogs und Spannungen bis hin zur kriegerischen Auseinandersetzung haben einander in den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit abgelöst (AA 10.2015c). Größtes Hindernis für eine Verbesserung der Beziehungen ist weiterhin das Kaschmirproblem (AA 10.2015c). Seit 1947 gab es bereits drei Kriege, davon zwei aufgrund des umstrittenen Kaschmirgebiets. Friedensgespräche, die 2004 begannen, wurden trotz Spannungen wegen der Kaschmirregion und sich immer wieder ereignenden schweren Bombenaschlägen bis zu den von Islamisten durchgeführten Anschlägen in Mumbai 2008, fortgesetzt (BBC 28.10.2015). Indien wirft Pakistan vor, Infiltrationen von Terroristen auf indisches Staatsgebiet zumindest zu dulden, wenn nicht zu befördern (AA 10.2015c).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2011 1.073 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt, für das Jahr 2012 803, für das Jahr 2013 885, für das Jahr 2014 976 und für das Jahr 2015 (bis 25.10.2015) 608 [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (South Asia Terrorism Portal 30.10.2015).

2013 kam es zu weiteren schweren Zwischenfällen an der "Line of Control". Bei einem Treffen in New York Ende September 2013 vereinbarten die Premierminister Singh und Sharif lediglich, den Waffenstillstand künftig besser einhalten zu wollen (GIZ 11.2015). Auch in jüngster Zeit gab es immer wieder Schusswechsel zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Grenzlinie zwischen beiden Teilen Kaschmirs und nach indischen Angaben auch vereitelte Eindringungsversuche von extremistischen Kämpfern auf indisches Territorium (AA 10.2015c).

Bei den beiderseitigen Versuchen, das bilaterale Verhältnis dauerhaft auf eine gemeinsame politische Grundlage zu stellen, konnte noch kein Durchbruch erzielt werden (AA 10.2015c). Bei seiner Amtseinführung lud Modi alle benachbarten Staatsoberhäupter - einschließlich Pakistans - ein, um sein Engagement, engere Beziehungen in der Region aufzubauen, anzuzeigen (HRW 29.1.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

-

AA - Auswärtiges Amt (10.2015c): Indien - Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Aussenpolitik_node.html#doc346922bodyText3, Zugriff 9.11.2015

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BBC - British Broadcasting Corporation (28.10.2015): India profile

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Overview, http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 9.11.2015

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Eurasisches Magazin (24.5.2014): Wohin geht die größte Demokratie der Erde?,

http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Indien-nach-den-Wahlen-eine-Analyse/14017, Zugriff 9.11.2015

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2015): Indien,

http://liportal.giz.de/indien/geschichte-staat.html, Zugriff 9.11.2015

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HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/295494/430526_de.html, Zugriff 9.11.2015

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IHS - Jane's Sentinel Security (1.7.2014): Jane's Sentinel Security Assessment - South Asia - executive summary, India

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South Asia Terrorism Portal (30.10.2015): India Assessment - 2014, http://www.satp.org/satporgtp/countries/india/index.html, Zugriff 9.11.2015

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South Asia Terrorism Portal (30.10.2015): Data Sheet - India Fatalities: 1994-2015,

http://www.satp.org/satporgtp/countries/india/database/indiafatalities.htm, Zugriff 9.11.2015

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USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - India, http://www.ecoi.net/local_link/306292/443589_de.html, Zugriff 9.11.2015

Rechtsschutz/Justizwesen

In Indien gibt es eine verfassungsmäßig garantierte, unabhängige Gerichtsbarkeit mit dreistufigem Instanzenzug (AA 24.4.2015). Das Gesetz garantiert ein unabhängiges Gerichtswesen, aber Korruption war im Gerichtswesen weit verbreitet (USDOS 25.6.2015).

Die Gerichte führen Strafprozesse in richterlicher Unabhängigkeit. Eine generell diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Der frühere Chief Justice Katju hatte mit einer Äußerung im Herbst 2014 eine öffentlich ausgetragene Kontroverse ausgelöst, als er Korruption unter den Richtern öffentlich machte und außerdem in einem Fall staatliche Einflussnahme auf eine Richterbenennung offenlegte (AA 24.4.2015).

Das Gerichtswesen war auch weiterhin überlastet und der Rückstau bei Gericht führte zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung (USDOS 25.6.2015). Im August 2013 gab der Justizminister bekannt, dass im Supreme Court drei und in den hohen Gerichten 275 Positionen zu besetzen seien. Alarmierend war auch die Zahl der offenen Position in den untergeordneten Richterschaften, mit mehr als 3.700 Positionen, die zu besetzen waren. Der Justizminister führte langwierige Verspätungen in den Gerichten auf die offenen Stellen zurück (USDOS 27.2.2014). Eine Analyse des Justizministeriums ergab mit 1.8.2014 eine Vakanz von 34% der Richter an den Obergerichten (USDOS 25.6.2015).

Sehr problematisch ist die sehr lange Verfahrensdauer. Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahren. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 24.4.2015).

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt. Richter zeigten einen beträchtlichen Einsatz in der Bearbeitung von "Public Interest Litigation" (Klagen im öffentlichen Interesse). Jedoch eröffneten in den letzten Jahren auch Richter Verfahren wegen ungebührlichem Verhalten vor Gericht gegen Aktivisten und Journalisten, die gegen Korruption in der Richterschaft vorgingen oder Urteile anzweifelten. In den unteren Ebenen des Gerichtswesens ist Berichten zufolge Korruption weit verbreitet. Viele Bürger haben Schwierigkeiten, Recht durch die Gerichte durchzusetzen (FH 28.1.2015). Das System hat einen starken Arbeitsrückstand und ist unterbesetzt. Dies führt häufig zu einer überlangen Untersuchungshaft für viele Verdächtige, die oft länger dauert als der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 28.1.2015; vgl. FH 19.5.2014). Die Errichtung von verschiedenen Fast-Track-Gerichten zwecks Abarbeitung anhängiger Gerichtsfälle führte dazu, dass das Recht auf ein faires Verfahren in einigen Fällen nicht eingehalten wird (FH 19.5.2014).

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, Art. 21) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 24.4.2015). Die Untersuchungshaft dauert sehr lang. Außer bei von Todstrafe bedrohten Delikten soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung anordnen und eine Freilassung auf Kaution anordnen Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70% aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 24.4.2015).

Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt. Alle gegen einen Angeklagten vorgebrachten Beweise müssen diesem zugänglich sein und Verurteilungen veröffentlicht werden (USDOS 25.6.2015). Das Gesetz erlaubt den Angeklagten in den meisten Zivil- und Kriminalfällen den Zugang zu relevanten Regierungsbeweisen, aber die Regierung behält sich das Recht vor, Informationen zurückzuhalten und tut dies auch in Fällen, die sie für heikel erachtet. Die Angeklagten haben das Recht Zeugen zu befragen, unterprivilegierte Angeklagte genießen aufgrund des Mangels von ordentlicher Rechtsvertretung manchmal dieses Recht nicht. Das Gericht ist verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz (USDOS 25.6.2015).

Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten (FH 28.1.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

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FH - Freedom House (28.1.2015): Freedom in the World 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/296800/433144_de.html, Zugriff 9.11.2015

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FH - Freedom House (19.5.2014): Freedom in the World 2014 - India, http://www.refworld.org/docid/5379d1d710.html, Zugriff 9.11.2015

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USDOS - US Department of State (27.2.2014): India, Country Report on Human Rights Practices 2013 - India, http://www.ecoi.net/local_link/270728/400811_de.html, Zugriff 9.11.2015

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USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - India, http://www.ecoi.net/local_link/306292/443589_de.html, Zugriff 9.11.2015

Sicherheitsbehörden

Die Polizei handelt aufgrund von Polizeigesetzen der einzelnen Bundesstaaten (AA 24.4.2015). Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde. Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten sind zwar dezentral organisiert, haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der oben beschrieben zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus (BICC 6.2015). Daneben bestehen zum Großteil dem Innenministerium unterstehende paramilitärische Einheiten (AA 24.4.2015).

Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die "Beschützerin der Nation", aber nur im militärischen Sinne (BICC 6.2015). Auch das Militär kann im Inland tätig werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 24.4.2015; vgl. BICC 6.2015), wie etwa beim Kampf gegen bewaffnete Aufständische, der Unterstützung der Polizei und der paramilitärischen Einheiten sowie dem Einsatz bei Naturkatastrophen (BICC 6.2015).

Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter und außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 6.2015; vgl. USDOS 25.6.2015; vgl. HRW 29.1.2015). Der Polizei werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, wie außergerichtliche Tötungen, Folter und Vergewaltigungen (USDOS 25.6.2015). Die Polizei bleibt weiterhin überlastet, unterbezahlt und politischem Druck ausgesetzt. Politische Forderungen, Täter möglichst schnell nach Terrorangriffen und Vergewaltigungen zu ermitteln, führt oft zu widerrechtlichen Verhaftungen (USDOS 25.6.2015).

Die Grenzspezialkräfte ("Special Frontier Force)" unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sog. Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten der Grenze zu China eingesetzt werden. Auch für das Handeln der Geheimdienste, das sog. Aufklärungsbüro ("Intelligence Bureau" - Inlandsgeheimdienst) und den Forschungs- und Analyseflügel ("Research and Analysis Wing" - Auslandsgeheimdienst), bestehen gesetzliche Grundlagen. Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der "Armed Forces Special Powers Act" (AFSPA) herangezogen. Der AFSPA gibt den Streitkräften weitgehende Befugnisse zum Gebrauch tödlicher Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl. Bei ihren Aktionen genießen die Handelnden der Streitkräfte weitgehend Immunität vor Strafverfolgung. Der AFSPA kommt zur Anwendung, nachdem Regierungen der Bundesstaaten ihre Bundesstaaten oder nur Teile davon auf der Basis des "Disturbed Areas Act" zu "Unruhegebieten" erklären. Als Unruhegebiete gelten zurzeit der Bundesstaat Jammu und Kaschmir und die nordöstlichen Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Assam, Meghalaya, Manipur, Mizoram, Nagaland und Tripura (AA 24.4.2015 vgl. USDOS 25.6.2015).

Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 Mumbai, September 2011 New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 Chennai und Dezember 2014 Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt. Der "Unlawful Activities (Prevention) Act" (UAPA) wurde verschärft. Die Änderungen beinhalten u.a. eine erweiterte Terrorismusdefinition und in Fällen mit Bezug zu Terrorismus die Möglichkeit zur Ausweitung der Untersuchungshaft ohne Anklage von 90 auf 180 Tage und erleichterte Regeln für den Beweis der Täterschaft eines Angeklagten (die faktisch einer Beweislastumkehr nahekommen) (AA 24.4.2015).

Es gab auch weiterhin Berichte über Vergewaltigungen von Häftlingen durch die Polizei. Manche Vergewaltigungsopfer hatten Angst, aufgrund des drohenden sozialen Stigmas und möglichen Vergeltungshandlungen, sich zu melden und das Verbrechen anzuzeigen, speziell dann, wenn der Täter ein Polizist oder ein anderer Beamter war. Die Nationale Menschenrechtskommission (NHRC) hat das Mandat Vergewaltigungsfälle in denen Polizisten involviert sind zu untersuchen. Die NHRC ist gesetzlich befugt, Informationen über Mitglieder des Militärs und den paramilitärischen Streitkräften zu verlangen, jedoch hat sie kein Mandant, um Fälle zu untersuchen in denen diese Einheiten verwickelt sind (USDOS 25.6.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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