Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber und Mag. Susanne Haslinger in der Sozialrechtssache der klagenden Partei D***** R*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei IEF-Service GmbH, Geschäftsstelle Graz, Europaplatz 12, 8020 Graz, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19,
wegen Insolvenz-Entgelt (742 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 28. September 2017, GZ 6 Rs 21/17f-9, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Satz 3 des auf den vorliegenden Fall noch anzuwendenden § 3a Abs 1 IESG in der Fassung BGBl I 2010/29 (Insolvenzrechtsänderungsgesetz [IRÄG] 2010) lautete: „Insolvenz-Entgelt für Ansprüche aus nicht ausgeglichenen Zeitguthaben gebührt nur dann, wenn die abzugeltenden Arbeitsstunden in den im ersten Satz genannten Zeiträumen geleistet wurden, es sei denn, dass im Rahmen von Altersteilzeitregelungen oder auf Grund einer gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Regelung oder einer Betriebsvereinbarung längere Durchrechnungszeiträume vorgesehen sind.“
Die Klägerin begehrt die Abgeltung von Arbeitsstunden, welche sie unstrittig außerhalb der in § 3a Abs 1 Satz 1 IESG (in der genannten Fassung) genannten Zeiträume leistete. Sie stützt sich darauf, dass ihr individueller Arbeitsvertrag eine Gleitzeitvereinbarung mit einem einjährigen und damit längeren Durchrechnungszeitraum enthalte.
Die Vorinstanzen wiesen die Klage mit der Begründung ab, nach der zitierten Gesetzesvorschrift müsse der längere Durchrechnungszeitraum in einer gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Regelung oder einer Betriebsvereinbarung vorgesehen sein, was hier gerade nicht der Fall sei.
Die Klägerin releviert in der außerordentlichen Revision als erhebliche Rechtsfrage, ob der Ausnahmekatalog der zitierten Gesetzesvorschrift tatsächlich taxativ sei; dazu fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung. Selbst wenn die Aufzählung in der Gesetzesvorschrift taxativ sein sollte, wäre hier „auf Grund einer gesetzlichen ... Regelung“ ein längerer Durchrechnungszeitraum vorgesehen, da nach § 4b AZG die gleitende Arbeitszeit in Betrieben, in denen kein Betriebsrat errichtet ist, durch schriftliche Vereinbarung geregelt werden müsse. Ansonsten wäre auch ein Dienstnehmer in einem Betrieb ohne Betriebsrat, wo nach § 4b AZG auf eine individualrechtliche Vereinbarung zurückgegriffen werden müsse, gegenüber einem Dienstnehmer in einem Betrieb, wo aufgrund des Bestehens eines Betriebsrates eine Betriebsvereinbarung mit einem längeren Durchrechnungszeitraum geschlossen werden könne, grundlos IESG-rechtlich schlechter gestellt.
Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RIS-Justiz RS0042656; RS0107348), so wenn die relevierte Rechtsfrage sich unmittelbar aufgrund des Gesetzes und seiner Materialien zweifelsfrei lösen lässt (RIS-
Justiz RS0042656 [T54]). Dies ist hier – im Sinne der bereits von den Vorinstanzen vorgenommenen Auslegung – der Fall:
Der Wortlaut der in Rede stehenden Fassung des § 3a Abs 1 IESG geht auf das Budgetbegleitgesetz 2001, BGBl I 2000/142, zurück (Art 45 Z 3). Die gesamte Bestimmung des § 3a IESG wurde zwar im IRÄG 2010 neu verlautbart, ohne dabei aber am Wortlaut von Abs 1 eine Änderung vorzunehmen (siehe ErläutRV 612 BlgNR 24. GP 40).
Während die Regierungsvorlage des Budgetbegleitgesetzes 2001 als Rechtsgrundlage eines längeren Durchrechnungszeitraums allein Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen vorsah (§ 3a Abs 1 IESG idF Art 45 Z 3 der RV 311 BlgNR 21. GP), änderte der Budgetausschluss den Gesetzesvorschlag im Sinne der letztlich vom Gesetzgeber beschlossenen Fassung ab. Es wurde „berücksichtigt, dass längere Durchrechnungszeiträume auch gesetzlich vorgesehen sein können“ (AB 369 BlgNR 21. GP 14). Dies kann nur bedeuten, dass die Verlängerung im Gesetz, im Kollektivvertrag oder in der Betriebsvereinbarung selbst enthalten sein muss.
Individualverträge als Grundlage eines längeren Durchrechnungszeitraums wurden vom Budgetausschuss nicht in den Gesetzestext aufgenommen. In einem Minderheitsbericht wurde die vom Budgetausschuss mehrheitlich angenommene und letztlich Gesetz gewordene Fassung des § 3a IESG unter anderem dahingehend kritisiert, dass sie „im Widerspruch zur Ausrichtung des Arbeitszeitgesetzes“ stehe. Die betroffenen Arbeitnehmer müssten in vielen Fällen mit dem Verlust ihrer Ansprüche rechnen, wenn der Arbeitgeber insolvent werde (369 BlgNR 21. GP 198). Bei der Verabschiedung des Gesetzes war sich der Gesetzgeber daher Abweichungen des Regelungsregimes des AZG vom IESG grundsätzlich bewusst.
Aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 3a Abs 1 Satz 3 IESG in der hier anzuwendenden Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2001 bzw – unverändert – des IRÄG 2010 ergibt sich daher klar, dass ein in einem individuellen Arbeitsvertrag enthaltener längerer Durchrechnungszeitraum für den Anspruch auf Insolvenz-Entgelt unbeachtlich ist.
Textnummer
E120803European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBS00011.17A.0126.000Im RIS seit
07.03.2018Zuletzt aktualisiert am
07.03.2019