Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Februar 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Zach, LL.M. (WU) als Schriftführerin in der Strafsache gegen Florian K***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 9 U 71/15f des Bezirksgerichts Thalgau, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 24. Februar 2017, AZ 43 Bl 82/16w (ON 26), ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Staatsanwalt Dr. Hubmer, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 24. Februar 2017, AZ 43 Bl 82/16w, verletzt §§ 467 Abs 2 und 470 Z 1 StPO.
Dieser Beschluss, der im Übrigen unberührt bleibt, wird im Umfang der Zurückweisung der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe aufgehoben und es wird dem Landesgericht Salzburg aufgetragen, insoweit über die Berufung des Angeklagten meritorisch zu entscheiden.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichts Thalgau vom 28. April 2016, GZ 9 U 71/15f-23, wurde der nicht durch einen Verteidiger vertretene Florian K***** des am 5. Juli 2015 begangenen Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB idF BGBl 1996/762 (vgl aber RIS-Justiz RS0131471) schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe verurteilt.
Mit Eingabe vom 29. April 2016 meldete der Angeklagte „gegen das“ am Vortag „verkündete Gerichtsurteil das Rechtsmittel der Berufung“ an (ON 24). Eine Ausführung der Gründe seiner Berufung (§ 467 Abs 1 StPO) überreichte er in weiterer Folge nicht.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 24. Februar 2017 wies das Landesgericht Salzburg als Berufungsgericht die Berufung als unzulässig zurück. Begründend führte es aus, der Angeklagte habe der Bezeichnungspflicht nach § 467 Abs 2 StPO nicht entsprochen. Seine Prozesserklärung (anlässlich der Berufungsanmeldung) lasse – „ungeachtet seines im Schlussantrag vorgebrachten Begehrens um Freispruch“ – keine Deutung „als Bezeichnung des Berufungspunktes gemäß § 464 Z 2 erster Fall StPO“ zu, komme „es doch laufend vor, dass auf Freispruch antragende Angeklagte nach Verkündung der wesentlichen Entscheidungsgründe“ und „Bedenkzeit“ den „Schuldspruch akzeptieren und (nur) Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe (§ 464 Z 2 zweiter Fall StPO) ergreifen“ (ON 26 S 2).
Rechtliche Beurteilung
Dieser Beschluss steht – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht in Einklang.
Grundsätzlich hat der Berufungswerber entweder bei der Anmeldung der Berufung oder in der Berufungsschrift ausdrücklich zu erklären, durch welchen Ausspruch (§ 464 StPO) er sich beschwert erachtet. § 467 Abs 2 StPO enthält für das bezirksgerichtliche Verfahren (gegenüber § 294 Abs 2 vierter Satz StPO) eine Erleichterung nur dahin, als er bei mehreren Strafen oder Unrechtsfolgen insoweit keine nähere Präzisierung verlangt (Ratz, WK-StPO § 467 Rz 2 ff).
Ob dieser Bezeichnungspflicht entsprochen wurde, ist – insbesondere bei schriftlich unausgeführt gebliebenen Berufungen – anhand einer Auslegung der Erklärung der Rechtsmittelanmeldung in ihrem Sinnzusammenhang (unter Berücksichtigung des Prozessverhaltens des Berufungswerbers) zu ermitteln. Dabei legt die Rechtsprechung bei nicht durch einen Verteidiger vertretenen Angeklagten insofern einen großzügigen Maßstab an, als eine Berufungsanmeldung ohne Einschränkung auf bestimmte Berufungspunkte, insbesondere dann, wenn der Angeklagte – wie hier – sich nicht geständig verantwortet und einen Freispruch beantragt hat (ON 17 S 2 und ON 22 S 5), regelmäßig als Urteilsanfechtung (zumindest) wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe gewertet wird (9 Os 144/85 = SSt 56/69; 13 Os 106/05w; 14 Os 135/13d; vgl RIS-Justiz RS0101920, RS0101767, RS0099951).
Die Erwägungen des Landesgerichts Salzburg für die Nichtannahme eines hinreichend deutlichen Anfechtungswillens erweisen sich angesichts fehlender Einschränkung der Anmeldung als spekulativ und lassen deren Erklärungszusammenhang weitgehend unberücksichtigt, weshalb die Zurückweisungsentscheidung – wie die Generalprokuratur richtig aufzeigt – schon infolge fehlerhafter Begründung der Sachverhaltsgrundlage §§ 467 Abs 2 und 470 Z 1 StPO verletzt.
Da nicht auszuschließen ist, dass diese Gesetzesverletzung zum Nachteil des Verurteilten wirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO). Da eine meritorische Entscheidung über die Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe mangels deren deutlicher und bestimmter Bezeichnung nicht in Betracht kommt, war es – ungeachtet des Fehlens einer § 285d Abs 2 StPO vergleichbaren Bestimmung im Berufungsverfahren (vgl Ratz, WK-StPO § 464 Rz 4) – nicht erforderlich, den angefochtenen Beschluss auch insoweit aufzuheben.
Schlagworte
Strafrecht;Textnummer
E120784European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0140OS00119.17G.0213.000Im RIS seit
06.03.2018Zuletzt aktualisiert am
06.03.2018