Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und Hon.-Prof. Dr. Brenn als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen D***** K*****, geboren am ***** 2007, wegen Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 2 JN, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 25. Oktober 2017, GZ 5 Ps 161/17f-27, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung dieser Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Linz wird gemäß § 111 Abs 2 JN genehmigt.
Text
Begründung:
Der Minderjährige zog im September 2016 gemeinsam mit seiner Mutter von Innsbruck nach Linz. Der Aufenthalt ist auf Dauer angelegt.
Das Amt für Kinder- und Jugendhilfe des Stadtmagistrats Innsbruck hatte im August 2016 den Antrag beim Bezirksgericht Innsbruck gestellt, der Mutter die Obsorge für den Minderjährigen zu entziehen. Das Bezirksgericht Innsbruck holte daraufhin Stellungnahmen sämtlicher Beteiligter ein und gab Sachverständigengutachten in Auftrag. Einvernahme wurde keine durchgeführt. Am 4. 5. 2017 teilte das Amt für Kinder- und Jugendhilfe des Stadtmagistrats Innsbruck mit, den Obsorgeentziehungsantrag aufrecht zu erhalten, weil es aufgrund des Ortswechsels der Familie die Situation nicht ausreichend einschätzen könne.
Das Bezirksgericht Innsbruck übertrug unter Hinweis auf den nunmehrigen Wohnsitz des Minderjährigen mit inzwischen rechtskräftigem Übertragungsbeschluss vom 25. 10. 2017 die Zuständigkeit zur Besorgung dieser Pflegschaftssache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Linz.
Das Bezirksgericht Linz lehnte die Übernahme der Pflegschaftssache mit der Begründung ab, das Bezirksgericht Innsbruck habe bereits eingehende Kenntnisse über die Verhältnisse der Beteiligten und erscheine daher besser geeignet, den noch offenen Antrag zu erledigen.
Das Bezirksgericht Innsbruck legte den Akt am 5. 1. 2018 dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN vor.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Bezirksgericht Innsbruck verfügte Übertragung der Zuständigkeit ist gerechtfertigt.
Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird.
Ausschlaggebendes Kriterium einer Zuständigkeitsübertragung nach § 111 Abs 1 JN ist stets das Kindeswohl (RIS-Justiz RS0047074). Dabei ist in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung; im Allgemeinen ist daher das Gericht am besten geeignet, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder (gewöhnlichen) Aufenthalt hat (8 Ob 115/12p mwN).
Offene Anträge sind kein grundsätzliches Übertragungshindernis (RIS-Justiz RS0046895; RS0047027 [T8]; RS0047074; RS0046929; RS0049144), sondern es hängt von den Umständen des einzelnen Falls ab, ob eine Entscheidung darüber durch das bisherige Gericht zweckmäßiger ist, etwa weil dieses zur Erledigung effizienter geeignet wäre (Fucik in Fasching/Konecny³ § 111 JN Rz 5; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 111 JN Rz 16; Mayr in Rechberger, ZPO4 § 111 JN Rz 4).
Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob und wie lange sich das bisher zuständige Gericht um die Ermittlung von Sachverhaltsgrundlagen bemüht hat, sondern ausschließlich darauf, welches Gericht eher in der Lage ist, die aktuelle Lebenssituation aller Beteiligten zu erforschen (5 Nc 103/02w). Eine Entscheidung über einen Obsorgeantrag durch das bisher zuständige Gericht ist nur dann sinnvoll, wenn dieses bereits über entsprechende Sachkenntnisse verfügt oder jedenfalls in der Lage ist, sich diese Kenntnisse leichter zu verschaffen als das andere Gericht; nur dann ist es für den Pflegebefohlenen von Vorteil, dass das bisher zuständige Gericht über den Obsorgeantrag entscheidet (RIS-Justiz RS0047027 [T3]).
Im vorliegenden Fall hat das Bezirksgericht Innsbruck aufgrund des Obsorgeentziehungsantrags lediglich schriftliche Stellungnahmen und Gutachten eingeholt. Diese können im Bezirksgericht Linz ebenso gelesen werden wie im Bezirksgericht Innsbruck. Sonstige „eingehende Kenntnisse“ des Bezirksgerichts Innsbruck über die „Verhältnisse der Beteiligten“ sind nicht aktenkundig.
Es hat daher bei der allgemeinen Regel zu bleiben, dass das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung und daher jenes Gericht besser geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat (vgl 4 Nc 25/17i).
Wegen der Verlegung des ständigen Aufenthalts des Minderjährigen nach Linz entspricht die Übertragung der Zuständigkeit dem Kindeswohl. Der entsprechende Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck ist daher zu genehmigen.
Schlagworte
none;Textnummer
E120674European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0040NC00002.18H.0116.000Im RIS seit
04.03.2018Zuletzt aktualisiert am
04.03.2018