TE Bvwg Beschluss 2018/2/21 W208 1428233-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.02.2018
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Entscheidungsdatum

21.02.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W208 1428233-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerde von XXXX , geboren XXXX , Staatsangehörigkeit AFGHANISTAN, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. XXXX , gegen den Bescheid des BUNDESAMTES FÜR FREMDENWESEN UND ASYL, Regionaldirektion Steiermark vom 15.01.2018, Zl. 811532601-151957475, beschlossen:

A)

Der Bescheid wird gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und zur neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die männliche beschwerdeführende Partei (im Folgenden: bP) hat nach schlepperunterstützter und unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 20.12.2011 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), gestellt.

2. Am 20.12.2011 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Befragung der bP statt, bei der sie in der Sprache URDU zum Fluchtweg und ihrem Fluchtgrund befragt wurde. Verständigungsprobleme lagen nach Angabe der bP nicht vor.

Die bP gab dabei an, dass sie Paschtune sei, PAKISTAN vor fünf Monaten verlassen habe und in den IRAN gereist sei. Von dort sei sie weiter über die Türkei und Griechenland bis nach Österreich gereist. Auf die Frage, warum sie ihren Herkunftsstaat verlassen habe (Fluchtgrund), gab die bP an, dass sie in Pakistan von den Taliban aufgefordert worden sei, am heiligen Krieg teilzunehmen. Da sie dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, sei sie mit dem Umbringen bedroht worden. Zweimal hätten die Taliban versucht, sie zu erschießen. Befragt, was sie im Falle einer Rückkehr in ihre Heimat zu befürchten hätte, gab sie an, dass sie Angst hätte, von den Taliban getötet zu werden.

3. Bei ihrer Einvernahme am 19.04.2012 gab die bP vor dem Bundesasylamt (im Folgenden: BAA), im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache PASCHTU an, dass ihre bisherigen Angaben im Verfahren der Wahrheit entsprächen und machte folgende nähere Ausführungen zu ihrer Herkunft und zu den Gründen ihrer Flucht (BS Angaben beziehen sich auf die Seiten im Bescheid vom 12.07.2012).

Er sei in Afghanistan geboren, im Jahr 1976 im Alter von zwölf Jahren gemeinsam mit seiner Familie nach Pakistan gegangen und habe in der Folge dort illegal gelebt (BS 3). Er habe schließlich 1987 in Pakistan geheiratet und eine Familie gegründet. Seine Frau, seine 8 Kinder und seine Geschwister würden nach wie vor in Pakistan (Provinz: SAWABI, Distrikt: XXXX , Stadt: XXXX leben. Im Mai 2008 sei er einmal für zehn Tage nach Afghanistan zurückgekehrt. Er habe dann jedoch beschlossen, wieder nach Pakistan zu gehen. Zu Verwandten in Afghanistan befragt, führte er aus, dass die Cousins seines Vaters nach wie vor in XXXX , in der Provinz Kunar - dem Heimatort der bP - leben würden. Sie würden dort eigenen Besitz haben und eine Landwirtschaft betreiben und er habe ein hervorragendes Verhältnis zu ihnen und sie öfter (zuletzt 2008) besucht (BS 4). Er habe in Pakistan zwölf Jahre die Schule besucht, in der Landwirtschaft, auf Baustellen und als Installateur gearbeitet (BS 3-4).

Zum Grund für das Verlassen seines Herkunftsstaates befragt, führte er aus, dass sein Vater eine Feindschaft in Afghanistan gehabt habe. Genaueres wisse er dazu nicht. Aus diesem Grund habe die Familie Afghanistan 1976 verlassen und sei nach Pakistan gezogen. Erst im Jahr 2008 sei er nach Afghanistan zurückgekehrt. Er sei damals von Pakistan nach Afghanistan geflüchtet, weil sein Vater in Pakistan von den Taliban erschossen worden sei. Nach dem Tod des Vaters hätten diese Leute auch auf ihn geschossen. Am 20.02.2011 sei dann abermals in Pakistan auf ihn geschossen worden, woraufhin er nach Europa geflüchtet sei. Auf die Frage, ob er im Jahr 2008 aus dem Grund, weil sein Vater umgebracht worden sei, von Pakistan nach Afghanistan geflüchtet sei, führte er aus, dass die Taliban schon vorher hinter ihm her gewesen seien. Er brachte vor, dass ihm im Mai oder April 2007 ein Kollege einen gut bezahlten Job vermitteln habe wollen und ihn mit unbekannten Leuten bekannt gemacht habe. Diese hätten ihn beauftragt, Ölbehälter in eine Schule zu tragen. Er habe dabei einen terroristischen Hintergrund vermutet und habe abgelehnt. Einige Zeit später seien diese Leute von der pakistanischen Armee angegriffen worden und sei ihm in der Folge unterstellt worden, sie verraten zu haben. Diese Leute hätten ihn zuhause aufgespürt und auf ihn geschossen. Dabei sei sein Vater ums Leben gekommen. Vier Monate später - im Mai 2008 - sei er dann nach Afghanistan geflüchtet. Als er in seinem Heimatort in Afghanistan angekommen sei, sei er aufgefordert worden, mit den Taliban zusammenzuarbeiten. Die Taliban hätten behauptet, dass sich sein Vater durch seine einstige Flucht aus Afghanistan dieser Verpflichtung entzogen habe und hätten sie im Zuge einer Dschirga entschieden, dass er nunmehr an dessen Stelle eintreten solle. Er habe dies alles von seinen Cousins erfahren, persönlichen Kontakt mit den Taliban habe er in Afghanistan nicht gehabt. Seine Cousins hätten ihm zudem gesagt, dass er gar nicht in Afghanistan einreisen dürfe, falls er dies doch tue, müsse er zehn Mal 100.000.- Afghani Strafe zahlen, andernfalls die Taliban ihn innerhalb von drei Tagen töten würden. Befragt, ob er in Afghanistan bei der Polizei Anzeige erstattet habe, gab er an, dass er das nicht getan habe, da sich die Angriffe in Pakistan ereignet hätten. Aufgefordert, konkreter zu schildern, was wann und wo passiert sei, führte er aus, dass er schließlich aus Afghanistan geflüchtet sei um sein Leben zu retten. Am 20.02.2011 sei er in Pakistan abermals angegriffen worden und in der Folge nach Europa geflüchtet.

Die bP legte im Zuge dieser Einvernahme folgende Unterlagen vor:

-

Eine Anzeige vom 23.04.2007 bzw. 12.01.2008 an eine Polizeistation in Gouvernement PESHAWAR; Polizeistation XXXX (AS 63).

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Eine Anzeige vom 20.02.2011 an dieselbe Polizeistation (AS 67).

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Einen Obduktionsbericht betreffend Masal XXXX vom 12.01.2008 (AS 75)

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Eine Taskira der bP (44 Jahre alt 2008) geboren in KUNAR, XXXX ausgestellt 01.05.2008.

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Einen Drohbrief der pakistanischen Taliban vom 24.12.1434, wo die bP und ihre Familie bedroht werden, wenn sie nicht zu ihnen komme.

Verständigungsprobleme lagen nach Angabe der bP auch bei dieser Befragung nicht vor.

4. Das BAA hat mit Bescheid vom 12.07.2012, den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 wurde die bP aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen.

Im Bescheid des BAA wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass nicht festgestellt habe werden können, dass die bP ihr Herkunftsland aus wohlbegründeter Furcht verlassen habe. Die von ihr vorgebrachten Fluchtgründe seien nicht glaubhaft.

5. Dagegen bracht die bP am 26.07.2012 Beschwerde beim BAA ein.

In der Beschwerde wurde eingangs ausgeführt, dass der Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten werde. Er habe seine Heimat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung seitens der Taliban verlassen und sei er daher Flüchtling im Sinne der GFK. Auch im Asylverfahren würden die AVG-Prinzipien der amtswegigen Erforschung des maßgeblichen Sachverhalts und der Wahrung des Parteiengehörs gelten. Diesen Anforderungen habe die belangte Behörde nicht genügt. Die Art und Weise, in welcher die belangte Behörde ihm die Glaubwürdigkeit abgesprochen habe, entspreche nicht den Anforderungen der amtswegigen Ermittlungspflicht. Er wolle in der Folge die behauptete mangelnde Glaubwürdigkeit seines Vorbringens und den Vorwurf der fehlenden Verfolgungsgründe entkräften. Zum Vorwurf, er habe seine Fluchtgeschichte gesteigert, sei zu sagen, dass er bei der Erstbefragung aufgefordert worden sei, sich kurz zu halten. Betreffend die Urkunden, die er vorgelegt habe, könne bei der ausstellenden Polizeistation in Pakistan verifiziert werden, dass es sich um Originale handle und seine Angaben der Wahrheit entsprechen würden. Nicht nachvollziehbar sei weiters, warum ihm nicht geglaubt werde, dass sein Vater getötet worden sei. Der vorgelegte Obduktionsbericht sei echt und richtig und lasse sich in Pakistan erheben, dass der Vater getötet worden sei. Auch wenn die Verfolgung durch die Taliban nicht von staatlicher Seite ausgehe, sei darauf zu verweisen, dass die Behörden nicht in der Lage seien, ihn zu schützen, weshalb der Verfolgung von Seiten der Taliban Asylrelevanz zukomme. Er führte weiters aus, dass zwischen der Verfolgung durch die Taliban in Pakistan und jener in Afghanistan sehr wohl ein Zusammenhang bestehe. Die Taliban seien eine äußerst gut vernetzte Einheit. Er verweise dazu auf den von ihm vorgelegten Drohbrief, welchen die Familie nach seiner Ausreise aus Pakistan erhalten habe. Er habe seine Heimat aufgrund der drohenden Verfolgung verlassen. Die Taliban würden von ihm eine Million Afghani fordern um ihn freizukaufen, doch er habe nicht so viel Geld. Wenn er nach Afghanistan zurückkehre und diese Summe nicht aufbringen könne, würde er umgebracht werden.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (Nichtgewährung von subsidiärem Schutz) werde vorgebracht, dass er bereits als Kind Afghanistan verlassen habe. Er habe kaum Kontakt mit seinen Angehörigen in der Heimat. Die wirtschaftliche Lage in Afghanistan sei angespannt und könnten ihm die dort lebenden Cousins seines Vaters keine wirtschaftliche Unterstützung bieten. Er verfüge über keinerlei sonstige soziale Kontakte und wäre ihm daher im Falle der Rückkehr die Lebensgrundlage entzogen. Er verwies abschließend auf diverse Berichte zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan.

6. Mit rechtskräftigem Erkenntnis des BVwG vom 19.08.2014, W145 1428233-1, wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. als unbegründet abgewiesen, weil die bP eine konkrete Verfolgung nicht habe glaubhaft machen können. Hinsichtlich Spruchpunkt II. wurde der Beschwerde, aufgrund der damals aktuellen Länderfeststellungen und der individuellen Situation der bP, Berechtigung zuerkannt und der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Mit Spruchpunkt III. wurde ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 19.08.2015 zuerkannt. Ein Antrag auf Verlängerung ist dem vorgelegten Akt nicht zu entnehmen.

7. In der Folge wurde die bP am 18.06.2015 wegen diverser Delikte nach dem Suchmittelgesetz (Verbrechen des Suchtgifthandels) vom Landesgericht für Strafsachen zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren verurteilt, welche später (14.10.2015) im Berufungsverfahren vom Oberlandesgericht GRAZ auf 5 Jahre herabgesetzt wurde.

Dem Urteil ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass die bP im Zeitraum von Mai bis Juni und von Oktober bis Dezember 2014 aus Tschechien erhebliche Mengen Cannabiskraut (im hohen Kilogrammbereich) nach Österreich verbracht und dort einem Komplizen überlassen, der es gewinnbringend weiterveräußert hat. Auch die bP selbst hat im Dezember 2014 Cannabiskraut (das 15-fache der Grenzmenge) besessen, um es zu veräußern. Dies tat sie um ihre finanzielle Lage (sie arbeitete als Prospektverteiler, verdiente rund € 500,-- im Monat und bekam von der Caritas zusätzlich € 150,--) zu verbessern.

8. Aufgrund dieser Straftat wurde der bP, die sich noch bis voraussichtlich 06.12.2019 (mögliche bedingte Entlassung 06.04.2018) in Strafhaft befindet, mit rechtskräftigem Bescheid vom 03.11.2015 des nunmehrigen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA), der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 Z 3 AsylG 2005 aberkannt (Spruchpunkt I.), die vom BVwG erteilte Aufenthaltsberechtigung wurde entzogen (Spruchpunkt II.), ausgesprochen, dass eine Zurückweisung oder Abschiebung nach Afghanistan unzulässig sei (Spruchpunkt III.) und eine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde (Spruchpunkt IV.).

Spruchpunkt III. wurde damit begründet, dass die bP derzeit noch einer realen Gefahr der Verletzung von Art 2, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur Konvention ausgesetzt wäre.

Zu Spruchpunkt IV. wurde ausgeführt, dass keiner der in § 57 AsylG angeführten Gründe aktenkundig sei, im konkreten Fall keine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen werde und daher eine Prüfung von vornherein nicht in Betracht komme. Die bP werde gemäß § 46a Abs 1 Z 2 FPG geduldet.

9. Aufgrund des Inkrafttretens des FrÄG 2017 und der Beabsichtigung der Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm mit einem Einreisverbot, wurde die bP vom BFA am 23.11.2017 einer neuerlichen niederschriftlichen Befragung unterzogen. Die Einvernahme wurde in Paschtu durchgeführt, Verständigungsprobleme gab es keine. Die bP gab zusammengefasst das Folgende an:

Er habe in Österreich nur einmal einen Fehler gemacht und bereits als Prospektverteiler gearbeitet. Er sei ein alter Mensch er habe nicht mit den Taliban zusammenarbeiten wollen und sei deshalb aus Pakistan geflüchtet. Die Taliban hätten zweimal auf ihn einen Mordanschlag durchgeführt und er habe dies bei der pakistanischen Polizei auch angezeigt. Wenn er nach Afghanistan zurückkehre, müsse er entweder mit den Taliban zusammenarbeiten, was er nicht wolle, oder er werde geduldet. Er habe keine Familienangehörigen in Österreich, jedoch habe er zahlreiche Freunde und Bekannte. In Afghanistan habe er das letzte Mal 2008 seine Verwandten besucht. Dabei sei er von einem Mann, dessen Namen er nicht nennen werde, aufgefordert worden Afghanistan binnen 3 Tagen zu verlassen, ansonsten hätte er eine Strafzahlung zu leisten. In Pakistan sei er anerkannter Flüchtling und habe dort 40 Jahre seines Lebens verbracht. In Afghanistan werde er bedroht und müsse getrennt von seiner Familie leben.

10. Mit Bescheid vom 15.01.2018 wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt I.) erlassen; festgestellt, dass die Abschiebung der bP gemäß § 52 Abs 9 FPG iVm § 46 FPG nach Afghanistan und Pakistan zulässig sei (Spruchpunkt II.); gemäß § 53 Abs 3 Z 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.) und die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 einer Beschwerde aberkannt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass von der bP aufgrund ihrer Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von fünf Jahren eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit gemäß § 53 Abs 3 FPG ausgehe, die Identität der bP nicht eindeutig feststehe, die Familie der bP in Pakistan lebe, sie noch Verwandte in Afghanistan habe, sie in Österreich keine familiären, wirtschaftlichen beruflichen oder sonstigen Anbindungen habe (kein schützenwertes Privat- und Familienleben), die Deutschkenntnisse nur so seien, dass sie sich einigermaßen verständigen könne und sie seit 08.12.2014 in Haft sei. Gesundheitliche Probleme würden nicht vorliegen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan läge keine Gefahr einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit (Art 2, Art 3 und Protokolle 6 und 13 EMRK) vor. Während der Zeit in Freiheit habe die bP nicht gearbeitet und sei im Rahmen der Grundversorgung kranken- und sozialversichert gewesen und habe nur in Asylunterkünften gewohnt.

Zum Einreiseverbot sei festzustellen, dass durch die schwerwiegenden Verbrechen gegen das Suchtmittelgesetz (§ 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3, § 28a Abs 4 SMG) in besonders geschützte Rechtsgüter, nämlich die Gesundheit und körperliche Unversehrtheit, eingegriffen worden sei. Die bP habe damit ihre negative Einstellung zur österreichischen Rechtsordnung dokumentiert und stelle eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

Den Feststellungen wurden die Länderinformationen der Staatendokumentation zu Afghanistan (Stand 25.09.2017) und jene zu Pakistan (Stand 02.08.2017) zugrunde gelegt.

11. Mit Verfahrensanordnung vom 15.01.2018 wurde der bP der Verein Menschenrechte als Rechtsberater zur Seite gestellt.

12. Gegen den oa. Bescheid der ihr am 23.01.2018 zugestellt wurde, brachte die bP über ihren Rechtsanwalt am 12.02.2018 Beschwerde ein. Sie beantragte die ersatzlose Behebung des Bescheides und begründete dies zusammengefasst wie folgt:

Sie sei nicht mehr jung (55) und leide altersbedingt bereits unter mehrfachen Leiden wie Rückenschmerzen. Zudem sei sie Opfer einer Autobombenexplosion geworden und habe nicht nur eine posttraumatische Belastungsstörung, sondern leide regelmäßig an Kopfschmerzen. Eine Reintegration in Afghanistan sei nicht möglich, weil sie dort zweimal ganz konkret bedroht worden sei und das Land habe verlassen müssen, weil sie das Schutzgeld nicht habe bezahlen können.

Sie habe zwar keine Familie in Österreich, habe aber die deutsche Sprache erlernt, sei einer Arbeit als Austräger für Zeitungen und Werbematerial nachgegangen und nur aufgrund widriger Umstände auf die schiefe Bahn geraten, was sie bereue. Sie habe soziale Kontakte geknüpft und sei in die Gesellschaft integriert.

Die Sicherheitslage in Afghanistan und im Grenzgebiet zu Pakistan habe sich nicht verbessert, die Taliban seien dort aktiv, was zahlreiche Berichte belegen würden.

13. Mit Schreiben vom 15.02.2018 (eingelangt am 16.02.2018) wurde die Beschwerde vom BFA dem BVwG vorgelegt und angeführt, dass auf die Durchführung und Teilnahme an einer Beschwerdeverhandlung verzichtet werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Zulässigkeit und Verfahren

Die Beschwerden wurde gemäß § 7 Abs 4 VwGVG innerhalb der gesetzlichen Frist bei der Behörde eingebracht. Anhaltspunkte für eine Unzulässigkeit der Beschwerden sind nicht hervorgekommen.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

§ 28 VwGVG lautet (Auszug, Hervorhebungen durch BVwG):

"(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

Gemäß § 31 Abs 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 24 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Im Falle der Stattgabe einer Beschwerde, anders als bei einer Abänderung, kann damit eine mündliche Verhandlung entfallen (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren 2013, § 24 VwGVG, Anm 8). Letzteres ist hier der Fall.

Zu A)

2. Gesetzliche Grundlagen und Judikatur

2.1. Wie bereits oben dargestellt, kann gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

2.2. Der VwGH hat dazu ua. folgende einschlägige Aussagen getroffen:

Angesichts des in § 28 VwGVG 2014 insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs 3 VwGVG 2014 verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG 2014 insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; 10.09.2014, Ra 2014/08/0005).

2.3. Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

2.4. § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG lauten:

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

2.5. Gemäß § 18 Abs 1 AsylG 2005 hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

2.6. Nach der höchstgerichtlichen Judikatur erfordert die Beurteilung dieser Fragen die Feststellung der aktuellen persönlichen, sozialen und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privat- und Familienleben eines jeden Menschen konstitutiv sind (intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand), und kommen der Frage nach dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Auch der zeitlichen Komponente kommt eine zentrale Rolle zu, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl VfGH 29. 09. 2007, B 1150/07; 12. 06. 2007, B 2126/06; VwGH 26. 6. 2007, 2007/01/479; 26. 1. 20006, 2002/20/0423; 17. 12. 2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 20053, 282ff).

2.7. Nach § 50 Abs 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 der EMRK oder das Protokoll Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Nach § 50 Abs 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

Nach § 50 Abs 3 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Für die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art 2 oder 3 EMRK setzt die Rechtsprechung des VwGH eine Einzelfallprüfung voraus. In diesem Zusammenhang sind konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063; 19.06.2017, Ra 2017/19/0095; 18.10.2017/19/0157mwN).

Grundsätzlich liegt die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person grundsätzlich bei dieser (EGMR 23.08.2016, Nr 59166/12, J.K. u. a./Schweden, RNr 91 und 96). In diesem Zusammenhang sind aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert ist, in Betracht zu ziehen. Bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von anderen Personen im Herkunftsstaat unterscheidet (vgl RNr 94), ist im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden (aaO, RNr 97).

3. Beurteilung des konkreten Sachverhaltes

Vorauszuschicken ist, dass die von der bP behauptete individuelle Bedrohung durch die Taliban in Afghanistan bereits 2014 im Zuge ihrer Beschwerde vom BVwG geprüft und für nicht glaubhaft erachtet wurde (W145 1428233-1 vom 19.08.2014). Diese Entscheidung ist rechtskräftig und liegt somit eine entschiedene Sache vor. Die diesbezüglichen Vorbringen in der Beschwerde gehen daher ins Leere.

Weiters wurde der bP mit rechtskräftigem Bescheid vom 03.11.2015 der subsidiäre Schutz - wegen der über sie verhängten Strafe von fünf Jahren wegen schwerer Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz - gemäß § 9 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 Z 3 AsylG aberkannt.

Dennoch hat iZm der oben dargestellten Gesetzeslage und Judikatur vor Erlassung einer Rückkehrentscheidung eine (neuerliche) Prüfung zu erfolgen, ob die bP bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat einer reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung vorliegen würde und eine allfällige innerstaatliche Fluchtalternative gemäß Art 11 AsylG 2005 zumutbar ist.

Im konkreten Fall fand eine persönliche Befragung der bP zu ihrer individuellen persönlichen Situation weder 2014 durch das BVwG noch 2015 durch das BFA statt und wurden die Feststellungen im Kern aufgrund der Angaben der bP anlässlich seiner Einvernahme vom 19.04.2012 getroffen.

Erst vor Erlassung des nunmehr bekämpften Bescheides, am 23.11.2017, erfolgte eine Einvernahme, die sich jedoch im Wesentlichen wieder auf den Vorhalt der Ermittlungsergebnisse von 2012 beschränkte und ansonsten weitwendige Ausführungen zur Rechtslage enthält.

Festzustellen ist, dass die Fragen zum Teil viel zu abstrakt und unter Verwendung rechtlicher Formulierungen gestellt wurden, als dass sie die bP ihrem Sinn nach erfassen und beantworten hätte können.

Konkrete Fragen zur aktuellen familiären Lage, zum Aufenthalt und Einkommen der Familienmitglieder und Verwandten - und damit allenfalls vorhandenen Unterstützungsmöglichkeiten - sind unterblieben. Die bP wurde auch nicht zu ihrer gesundheitlichen Situation und zu Art und Intensität der sozialen Kontakte in Österreich befragt, wenngleich im bekämpften Bescheid festgestellt wurde, dass sie an keinen schweren psychischen oder physischen, akut lebensbedrohenden Erkrankungen oder Störung leide (Seite 92) und gesund und arbeitsfähig sei (Seite 100). Dazu wird angemerkt, dass die "Haftfähigkeit" nichts über die Arbeitsfähigkeit aussagt, wie die belangte Behörde offenbar vermeint (Seite 12). Weiters hat sich die belangte Behörde beispielsweise mit der Aussage, sie habe zahlreiche Freunde und Bekannte in Österreich zufrieden gegeben, ohne nachzufragen, in welcher konkreten Beziehung die bP zu diesen steht und welcher Art diese Kontakte sind, etwa ob sie diese in der Haftanstalt besuchen oder sie mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt wohnhaft war, sie sie unterstützen etc.. Im Dunkeln bleibt auch die berufliche Tätigkeit und allfälligen Integrationsbemühungen der bP in Österreich. So führt die bP aus als Zeitungszusteller gearbeitet zu haben, die Behörde stellt in ihrem Bescheid demgegenüber fest, dass die bP "nicht gearbeitet habe" (Seite 13).

Im vorliegenden Fall treffen die oa Voraussetzungen für eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zu. Die Verwaltungsbehörde hat trotz konkreter Anhaltspunkte erforderliche Ermittlungstätigkeiten unterlassen bzw bloß ansatzweise ermittelt.

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt als mangelhaft, wobei zu betonen ist, dass das Einkopieren des kompletten Einvernahmeprotokolls vom 23.11.2017 weder hinreichend noch notwendig war und gerade keine übersichtliche Feststellung des ermittelten Sachverhaltes und der Beweiswürdigung darstellt (vgl Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, AVG § 60, insb Rz 35ff mwN).

Es kann bei einer Gesamtbetrachtung der vorliegenden gravierenden Mängel des behördlichen Verfahrens nicht gesagt werden, dass die unmittelbare Beweisaufnahme durch das BVwG zu einer - erheblichen - Ersparnis an Zeit und Kosten führen würde. Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das BVwG in Wien würde die nochmalige Einvernahme der bP bedingen, die aus der Justizanstalt in Graz vorgeführt werden müsste und die Überprüfung deren Angaben, insbesondere zu ihrer gesundheitlichen Situation und Arbeitsfähigkeit, durch Ermittlungen in der Haftanstalt.

Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das BFA als Spezialbehörde für die Ermittlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist, dass eine ernsthafte Prüfung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes erst beim BVwG beginnen und zugleich enden soll.

Folgende Ermittlungen werden jedenfalls noch zu tätigen bzw zu aktualisieren sein, um den Anforderungen der Rsp (vgl zB VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, 23.03.2017, Ra 2017/21/0004; EGMR 13.12.2016, Paposhvilli gg. Belgien, 41738/10) entsprechend klären zu können, ob eine Abschiebung ohne Verletzung des Art 2 und 3 EMRK (keine reale Gefahr im Hinblick auf die konkrete Situation der bP) bzw des § 11 AsylG (Zumutbarkeit der IFA) vorliegt.

Wo befindet sich die Kernfamilie und wo die erweiterte Familie (Verwandten)?

Wie ist deren wirtschaftliche Situation?

Wie ist der Gesundheitszustand des bP ist sie arbeitsfähig?

Welcher Art und Intensität sind die sozialen Kontakte der bP in Österreich?

Welche konkreten Integrationsbemühungen hat sie seit ihrem Eintreffen in Österreich gesetzt, was davon kann bescheinigt werden?

Auf welche Unterstützungsmöglichkeiten (in Österreich und Anfghanistan) kann sie nach einer (vorzeitigen) Entlassung zurückgreifen?

Dass eine unmittelbare Beweisaufnahme durch das BVwG im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des § 28 Abs 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen und der Effizienzkriterien des § 39 Abs 2 AVG war daher von der Möglichkeit des Vorgehens nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG Gebrauch zu machen und der angefochtene Bescheid an die belangte Behörde zur Durchführung der genannten Ermittlungen und Erlassung eines neuen Bescheides zurückzuverweisen.

Für die weitere Bearbeitung durch das BFA, bleibt abschließend noch anzumerken dass eine Abschiebung nach Pakistan, schon deshalb nicht in Frage komme, weil die bP und ihre Familie dort illegal aufhältig war bzw ist (Einvernahmeprotokoll vom 19.04.2012).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Auf die dargestellte Judikatur darf verwiesen werden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W208.1428233.2.00

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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