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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57Leitsatz
Verletzung im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Abweisung des Asylantrags eines iranischen Staatsangehörigen; keine hinreichende Klärung des Sachverhalts hinsichtlich der entscheidungswesentlichen Frage der Glaubwürdigkeit des FluchtvorbringensSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art47 Abs2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 28. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.1. In der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 25. November 2015 gab der Beschwerdeführer eine falsche Identität an. Er habe mit seiner Familie im Alter von rund zwei bis drei Jahren Afghanistan verlassen und seitdem im Iran gelebt. Als Fluchtgrund gab er sowohl an, dass er mangels Bleiberechts im Iran zwangsrekrutiert hätte werden sollen, als auch, dass er zum Christentum konvertiert sei; seine Mutter sei Iranerin und Christin, müsse aber aus diesem Grund jeden zweiten oder dritten Monat mehrere hundert USD Strafe an die Behörden zahlen. Bei Rückkehr befürchte der Beschwerdeführer Verfolgung aufgrund seiner Konversion. Er legte eine Kopie einer afghanischen Tazkira, die in der Niederschrift als "unkenntliches Foto" beschrieben wurde, sowie eine Kopie einer afghanischen Tazkira seines Vaters vor.
1.2. In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28. Juli 2017 gab der Beschwerdeführer auf die Frage, ob er Dokumente oder Beweismittel habe, seine richtige Nationalität an und legte identitätsbezeugende Dokumente vor. Er sei nicht in Afghanistan gewesen, sondern stamme aus dem Iran. Der Schlepper habe ihm empfohlen, sich als Afghane vorzustellen; erst als er sich sicher gefühlt hätte, habe er sich getraut, seine richtige Nationalität anzugeben.
Befragt nach seiner Religion gab der Beschwerdeführer "Christ", auf Nachfrage "Protestant" an. Befragt nach seinen Fluchtgründen gab er an, dass er während seines Wehrdienstes einen Kameraden christlichen Glaubens kennengelernt habe, mit dem er über die Liebe Jesus Christus gesprochen habe. Der Kamerad habe ihn später – nachdem der Beschwerdeführer seinen Wehrdienst bereits beendet hatte – mit einer Gruppe von Gläubigen bekannt gemacht. Nach drei Besuchen in Hauskirchen hätten Unbekannte seinen Vater telefonisch kontaktiert und gesagt, dass sie wüssten, wo sein Sohn (der Beschwerdeführer) in die Kirche gehe; daraufhin habe der Beschwerdeführer beschlossen, das Land zu verlassen. Befragt, warum seine Mutter als Christin im Iran leben könne, der Beschwerdeführer aber nicht, gab er an, dass niemand wusste, dass seine Mutter Christin gewesen sei, aber er sich in diesem Bereich entwickeln und das Christentum besser kennen lernen habe wollen. Seine Mutter sei einmal in einer Hauskirche gewesen, woraufhin die Polizei sie aufgesucht hätte; sein Vater habe die Beamten bestochen, damit sie in Ruhe gelassen werde. Gefragt wie der Beschwerdeführer seinen Glauben nun praktizierte, gab er an, die Bibel zu lesen und in der Kirche zu beten. Er besuche alle zwei Wochen einen Kurs in der Kirche und jeden Sonntag die Messe. Befragt zu seinem Wissen über das Christentum (zur Liebe Jesus Christus, zur Dreifaltigkeit, zu den Offenbarungen von Johannes, zur Taufe Jesus, zu den Jüngern von Jesus, u.v.a.) gab der Beschwerdeführer Auskunft. Die korrekte Wiedergabe des Gebets Vater Unser durch den Beschwerdeführer ist protokolliert.
2. Mit Bescheid vom 9. August 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch eines subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.). Es erteilte einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht, erließ eine Rückkehrentscheidung und sprach aus, dass die Abschiebung in den Iran zulässig ist (Spruchpunkt III.). Es besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).
Begründend führt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, dass trotz des Wissens über einige grundlegende christliche Inhalte und des Besuchs des Gottesdienstes in regelmäßigen Abständen sowie der vorgelegten Tauf- und Mitgliedschaftsbescheinigung des Pastors der Persischen Christen Gemeinde Wien, von einer Scheinkonversion auszugehen sei. Diese diene dem alleinigen Zweck, in Österreich Asyl zu erhalten. Der Beschwerdeführer habe nämlich die Behörde in der Ersteinvernahme über seine wahre Identität und Herkunft getäuscht, gefälschte Unterlagen vorgelegt und keine konkreten Angaben zur Verfolgung im Iran machen können; im Gegenteil sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer keiner staatlichen Verfolgung im Iran ausgesetzt gewesen sei, weil er sich u.a. einen Reisepass hatte ausstellen lassen können.
3. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht brachte der Beschwerdeführer vor, dass er aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Christentum seinen Heimatstaat verlassen habe. Er habe alle ihm gestellten Fragen über das Christentum korrekt beantworten können und auch gezeigt, dass er sich mit dem Christentum identifizieren könne. In der Beschwerde wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht beantragt. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Erkenntnis vom 31. August 2017 ab.
3.1. Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, dass aus der Berichtslage zweifellos ableitbar sei, dass es im Iran nur in eingeschränktem Maße eine bestehende Religions- und Glaubensfreiheit gebe. So sei beispielsweise Apostasie (Abtrünnigkeit vom Islam) im Iran verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht. Stark eingeschränkt sei das Recht, eine Religion zu wählen oder zu wechseln, sowie das Recht, für einen Glauben oder eine Religion frei zu werben. Ehemals muslimischen Konvertiten drohe Verfolgung und Bestrafung.
Es könne jedoch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer "innerlich überzeugter Christ" sei. Die Behörde habe in einer schlüssigen Art und Weise dargelegt, warum von einer Scheinkonversion auszugehen sei. Sie habe darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer im Zuge der Erstbefragung vorsätzlich falsche Angaben gemacht habe, gefälschte Dokumente vorgelegt habe und über keine Kenntnis seiner Verfolger verfüge; im Gegenteil habe der Beschwerdeführer keine Verfolgung durch iranische Behörden zu befürchten. Bei der Beurteilung, ob eine Konversion bewusst erfolgt sei, sei auf "den inneren Entschluss einer Person abzustellen". Es sei vor allem auf die vorgelegten Unterlagen zum Glaubenswechsel, die Religionsausübung und das Aussageverhalten des Beschwerdeführers in einer Gesamtbetrachtung abzustellen.
Die Behörde habe ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Die Protokolle der Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl würden den Eindruck vermitteln, dass der Organwalter den Beschwerdeführer ausführlich und objektiv zu seinem behaupteten Herkunftsstaat und seinem Fluchtvorbringen befragt und mit entscheidungswesentlichen Fragen konfrontiert habe.
3.2. Unter Verweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt das Bundesverwaltungsgericht weiters aus, dass zur Frage der Verfolgungsgefahr bei Iranern, die vom Islam zum Christentum konvertiert seien, maßgeblich sei, ob Asylwerber bei weiterer Ausführung des behaupteten inneren Entschlusses nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssen, aus diesem Grunde mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass nach islamischem Verständnis der Abfall vom Islam einen hochverratsähnlichen Angriff auf das Staats- und Gesellschaftssystem bedeute und nicht auszuschließen sei, dass der Beschwerdeführer bei der Rückkehr in den Iran dort Verfolgungshandlungen bis hin zu Todesstrafe ausgesetzt sei. Aus einer zum Schein erfolgten Konversion zum christlichen Glauben, ohne dass exponierte Tätigkeiten wie missionarische Aktivitäten vorlägen, resultiere jedoch keine asylrechtlich relevante Gefährdung.
Die Verfolgung könne gemäß §3 Abs2 AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen habe (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt habe, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Dass die Konversion des Beschwerdeführers in Österreich auf einer bereits bestehenden Überzeugung beruhe, sei im Verfahren nicht hervor gekommen; es sei auch nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei Rückkehr das Bedürfnis oder die Fähigkeit habe, die christliche Religion zu praktizieren, nach außen zu tragen oder missionarisch tätig zu sein. Dass dem Beschwerdeführer der "Formalakt der Taufe" in Österreich bei Rückkehr in asylrelevanter Weise zum Nachteil gereichen werde, sei nicht ersichtlich; Repressionen würden vor allem missionierende Christen betreffen und christliche Konvertiten sich aufgrund der Ausübung ihres Glaubens willkürlichen Festnahmen und Verhaftungen ausgesetzt sehen.
3.3. Das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung begründet das Bundesverwaltungsgericht unter Verweis auf §21 Abs7 BFA-VG damit, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt sei.
4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der eine Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichte Aufhebung des Erkenntnisses beantragt wird.
5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und das Bundesverwaltungsgericht haben die Verwaltungs- bzw. Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift bzw. Äußerung jedoch abgesehen.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht regelt §21 Abs7 BFA-VG den Entfall der mündlichen Verhandlung. Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung steht – sofern zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde – jedenfalls in jenen Fällen im Einklang mit Art47 Abs2 GRC, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist (vgl. VfSlg 19.632/2012).
Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung, wenn diese zur Gewährleistung einer, den Anforderungen des Art47 Abs2 GRC an ein faires Verfahren entsprechenden Entscheidung des erkennenden Gerichtes geboten ist, stellt aber eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art47 Abs2 GRC dar (VfGH 13.3.2013, U1175/12 ua.; 26.6.2013, U1257/2012; 22.9.2014, U2529/2013).
2. Eine solche Verletzung von Art47 Abs2 GRC ist dem Bundesverwaltungsgericht hier anzulasten:
Das Bundesverwaltungsgericht leitet die mangelnde innere Überzeugung des Beschwerdeführers, Christ sein zu wollen, und damit seine Auffassung, hier sei von einer Scheinkonversion auszugehen, aus den widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bezüglich seiner Herkunft und Identität ab. Infolge dieser Widersprüche und lediglich oberflächlicher Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Verfolgern im Herkunftsstaat sei er auch hinsichtlich seiner Konversion nicht glaubwürdig. An dieser Stelle lässt das Bundesverwaltungsgericht bereits unberücksichtigt, dass der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seine widersprüchlichen Angaben in der Ersteinvernahme von sich aus begründet erklärt. Das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner im Iran erfolgten Konversion ist hingegen im gesamten Verfahren konsistent geblieben. In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl konnte der Beschwerdeführer im Zuge einer umfassenden Befragung detailliert Auskunft zu seiner Religion geben (vgl. in diesem Zusammenhang VfSlg 19.837/2013; VwGH 2.9.2015, Ra 2015/19/0091).
Für die Beurteilung, ob es sich bei der Konversion des Beschwerdeführers um eine Scheinkonversion handelt, kommt – wie das Bundesverwaltungsgericht selbst ausführt – der Frage der inneren (Glaubens-)Überzeugung des Beschwerdeführers maßgebliche Bedeutung zu (vgl. VfSlg 19.837/2013; VfGH 12.6.2013, U2087/2012; 22.9.2014, U2193/2013; VwGH 2.9.2015, Ra 2015/19/0091; 23.5.2017, Ra 2017/18/0028). Für diese Beurteilung ist insbesondere der persönliche Eindruck des Beschwerdeführers wesentlich. Einen solchen vermag vor dem Hintergrund des Falles aber nur eine Einvernahme in einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu vermitteln.
3. Im vorliegenden Fall, in dem die Entscheidung über das Vorliegen eines Asylgrundes wesentlich von der Glaubwürdigkeit des Asylwerbers in Bezug auf seine innere Einstellung, nämlich hier seine religiöse Überzeugung, abhängt, für deren Beurteilung der persönliche Eindruck maßgeblich ist, verlangt Art47 Abs2 GRC, dass sich das erkennende Gericht selbst unmittelbar in einer mündlichen Verhandlung diesen Eindruck verschafft (vgl. in diesem Zusammenhang EGMR 29.10.1991, Fall Helmers, Appl. 11.826/85, Z37, zum Gebot der öffentlichen mündlichen Verhandlung im Rechtsmittelverfahren; weiters mwN VfSlg 19.632/2012). Unterlässt dies das erkennende Gericht, unterstellt es §21 Abs7 BFA-VG einen mit Art47 Abs2 GRC nicht zu vereinbarenden Inhalt und verletzt damit den Beschwerdeführer in seinem durch diese Bestimmung verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art47 Abs2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Verhandlung mündliche, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, EU-RechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:E3296.2017Zuletzt aktualisiert am
02.03.2018