TE Vfgh Erkenntnis 2016/10/11 G331/2015

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Veröffentlicht am 11.10.2016
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Index

22/02 Zivilprozessordnung

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
ZPO §21 Abs1, Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit der - vom Obersten Gerichtshof in seiner Rechtsprechung angenommenen - Bindungswirkung zivilgerichtlicher Urteile nach Streitverkündung; Möglichkeit von Nebenintervenienten zur Geltendmachung ihrer Rechte im Vorprozess; kein Verstoß gegen den Grundsatz der Waffengleichheit

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag wird begehrt, §21 Abs1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO), in eventu §21 ZPO zur Gänze, in der Stammfassung, RGBl. 113/1895, als verfassungswidrig aufzuheben.

II.      Rechtslage

1.       Die maßgeblichen Bestimmungen des Gesetzes vom 1. August 1895, über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung - ZPO), RGBl. 113/1895 idF BGBl I 30/2009, lauten (die angefochtenen Gesetzesbestimmungen sind hervorgehoben):

"Nebenintervention.

§17. (1) Wer ein rechtliches Interesse daran hat, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreite die eine Person obsiege, kann dieser Partei im Rechtsstreite beitreten (Nebenintervention).

(2) Zu solchem Beitritte sind ferner alle Personen befugt, welchen durch gesetzliche Vorschriften die Berechtigung zur Nebenintervention eingeräumt ist.

§18. (1) Die Nebenintervention kann in jeder Lage des Rechtsstreites bis zu dessen rechtskräftiger Entscheidung durch Zustellung eines Schriftsatzes an beide Parteien erfolgen. Der Intervenient hat das Interesse, welches er am Siege einer der Processparteien hat, bestimmt anzugeben.

(2) Über den von einer der Processparteien gestellten Antrag auf Zurückweisung des Nebenintervenienten ist nach vorhergehender mündlicher Verhandlung zwischen dem Bestreitenden und dem Intervenienten durch Beschluss zu entscheiden. Hiedurch wird der Fortgang des Hauptverfahrens nicht gehemmt.

(3) Solange dem Zurückweisungsantrage nicht rechtskräftig stattgegeben ist, muss der Intervenient dem Hauptverfahren zugezogen werden und können Processhandlungen desselben nicht ausgeschlossen werden.

(Anm.: Abs4 aufgehoben durch BGBl I Nr 30/2009)

§19. (1) Der Intervenient muss den Rechtsstreit in der Lage annehmen, in welcher sich derselbe zur Zeit seines Beitrittes befindet. Er ist berechtigt, zur Unterstützung derjenigen Partei, an deren Sieg er ein rechtliches Interesse hat (Hauptpartei), Angriffs- und Vertheidigungsmittel geltend zu machen, Beweise anzubieten und alle sonstigen Processhandlungen vorzunehmen. Seine Processhandlungen sind insoweit für die Hauptpartei rechtlich wirksam, als sie nicht mit deren eigenen Processhandlungen im Widerspruche stehen.

(2) Mit Einwilligung beider Processparteien kann der Intervenient auch an Stelle desjenigen, dem er beigetreten ist, in den Rechtsstreit als Partei eintreten.

§20. Wenn das in einem Processe ergehende Urteil kraft der Beschaffenheit des streitigen Rechtsverhältnisses oder kraft gesetzlicher Vorschrift auch in Bezug auf das Rechtsverhältnis des Intervenienten zum Gegner der Hauptpartei rechtlich wirksam ist, kommt dem Intervenienten die Stellung eines Streitgenossen zu (§14).

Streitverkündigung.

§21. (1) Wer behufs Begründung civilrechtlicher Wirkungen einen Dritten von einem Rechtsstreite zu benachrichtigen hat (Streitverkündung), kann dies durch Zustellung eines Schriftsatzes bewirken, in welchem auch der Grund der Benachrichtigung anzugeben und die Lage des Rechtsstreites, falls derselbe bereits begonnen hat, kurz zu bezeichnen ist.

(2) Mit einer solchen Benachrichtigung kann eine in den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes begründete Aufforderung zur Leistung der Vertretung im bereits anhängigen oder erst einzuleitenden Rechtsstreite (Nebenintervention) verbunden werden.

(3) Die Streitverkündigung gibt der benachrichtigenden Partei nicht das Recht, die Unterbrechung des anhängigen Rechtsstreites, die Erstreckung von Fristen oder die Verlegung einer zur Verhandlung bestimmten Tagsatzung zu begehren."

2.       Die maßgeblichen Bestimmungen des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 16. September 1988, BGBl 448/1996, lauten:

"Artikel 6

Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann auch verklagt werden,

1. wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht, in dessen Bezirk einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat;

2. wenn es sich um eine Klage auf Gewährleistung oder um eine Interventionsklage handelt, vor dem Gericht des Hauptprozesses, es sei denn, daß diese Klage nur erhoben worden ist, um diese Person dem für sie zuständigen Gericht zu entziehen;

3. wenn es sich um eine Widerklage handelt, die auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage selbst gestützt wird, vor dem Gericht, bei dem die Klage selbst anhängig ist;

4. wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden und die Klage mit einer Klage wegen dinglicher Rechte an unbeweglichen Sachen gegen denselben Beklagten verbunden werden kann, vor dem Gericht des Vertragsstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist.

[…]

Artikel 10

Bei der Haftpflichtversicherung kann der Versicherer auch vor das Gericht, bei dem die Klage des Geschädigten gegen den Versicherten anhängig ist, geladen werden, sofern dies nach dem Recht des angerufenen Gerichts zulässig ist. Auf eine Klage, die der Verletzte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt, sind die Artikel 7 bis 9 anzuwenden, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist. Sieht das für die unmittelbare Klage maßgebliche Recht die Streitverkündung gegen den Versicherungsnehmer oder den Versicherten vor, so ist dasselbe Gericht auch für diese Personen zuständig."

3.       Österreich hat zu Art6 Nr 2 und Art10 Übereinkommen von Lugano einen Vorbehalt in Artikel V Protokoll Nr 1 über bestimmte Zuständigkeits-, Verfahrens- und Vollstreckungsfragen, BGBl 448/1996, erklärt. Der Vorbehalt hat folgenden Wortlaut:

"Die in Artikel 6 Nummer 2 und Artikel 10 für eine Gewährleistungs- oder Interventionsklage vorgesehene Zuständigkeit kann in der Bundesrepublik Deutschland, in Spanien, in Österreich und in der Schweiz nicht geltend gemacht werden. Jede Person, die ihren Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat hat, kann vor Gericht geladen werden

- in der Bundesrepublik Deutschland nach den §§68 und 72 bis 74 der Zivil-prozeßordnung, die für die Streitverkündung gelten,

- in Spanien nach Artikel 1482 des Zivilgesetzbuches,

- in Österreich nach §21 der Zivilprozeßordnung, der für die Streitverkündung gilt,

- in der Schweiz nach den einschlägigen Vorschriften der kantonalen Zivilprozeßordnungen über die Streitverkündung (litis denuntiatio).

Entscheidungen, die in den anderen Vertragsstaaten auf Grund des Artikels 6 Nummer 2 und des Artikels 10 ergangen sind, werden in der Bundesrepublik Deutschland, in Spanien, in Österreich und in der Schweiz nach Titel III anerkannt und vollstreckt. Die Wirkungen, welche die in diesen Staaten ergangenen Entscheidungen nach Absatz 1 gegenüber Dritten haben, werden auch in den anderen Vertragsstaaten anerkannt."

4.       Im Gegensatz zu Deutschland (§§68, 74 Abs3 deutsche ZPO) und der Schweiz (Art77, 80 Schweizerische ZPO) gibt es im österreichischen Recht keine ausdrückliche Regelung über die Bindungswirkung von Entscheidungen im Vorprozess. §21 Abs1 ZPO trifft ausdrückliche Regelungen nur für das Verfahren im Zusammenhang mit der Streitverkündung, nicht aber für ihre Wirkungen, sondern er knüpft an den Zweck der "Begründung zivilrechtlicher Wirkungen" an.

5.       Der Oberste Gerichtshof geht in nunmehr ständiger Rechtsprechung, die in ihrer heutigen Ausprägung auf die Entscheidung eines verstärkten Senates aus dem Jahr 1997 zurückgeht, von einer grundsätzlichen Bindungswirkung im Fall einer einfachen Nebenintervention aus (OGH 8.4.1997, 1 Ob 2123/96d). Die Bindungswirkung wird mit Hilfe einer Rechtsanalogie begründet. Wörtlich führt der Oberste Gerichtshof aus:

"Die Wirkungen eines materiell rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils erstrecken sich soweit auf den einfachen Nebenintervenienten und denjenigen, der sich am Verfahren trotz Streitverkündung nicht beteiligte, als diese Personen als Parteien eines als Regreßprozeß geführten Folgeprozesses keine rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einreden erheben dürfen, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung des Vorprozesses in Widerspruch stehen. In diesem Rahmen sind sie daher an die ihre Rechtsposition belastenden Tatsachenfeststellungen im Urteil des Vorprozesses gebunden, sofern ihnen in jenem Verfahren soweit unbeschränktes rechtliches Gehör zustand. Das gilt jedoch nicht auch für denjenigen, der sich am Vorprozeß nicht beteiligte, dem aber auch gar nicht der Streit verkündet worden war."

6.       Im Folgenden stützt der Oberste Gerichtshof die Begründung auf einen u.a. von Österreich (und auch von Deutschland und der Schweiz) erklärten Vorbehalt zum Übereinkommen von Lugano (ArtV Protokoll Nr 1 über bestimmte Zuständigkeits-, Verfahrens- und Vollstreckungsfragen, BGBl 448/1996) zu der im Übereinkommen von Lugano vorgesehenen Interventions- und Gewährleistungsklage (Art6 Nr 2 und Art10, BGBl 448/1996). Danach sei eine Interventionsklage ausgeschlossen, aber Urteile aus anderen Staaten würden auf dieser Grundlage dennoch anerkannt werden. Im Gegenzug würden die anderen Staaten die Wirkung, welche einer Streitverkündung in Deutschland, Österreich und der Schweiz zukomme, anerkennen. Daraus leitet der Oberste Gerichtshof die Vorstellung des Gesetzgebers ab, dass die Streitverkündung eine vergleichbare Bindungswirkung wie in Deutschland und der Schweiz mit sich bringe, da dem Gesetzgeber nicht zu unterstellen sei, dass er ein dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung "zuwiderlaufendes österreichisches Partikularrecht" beabsichtigt habe. Da in Deutschland und in der Schweiz eine Bindungswirkung gelte, müsse das auch für Österreich gelten.

III.    Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.       Die Antragstellerin bringt vor, sie sei als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt. Sie beantragt gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG die Aufhebung von §21 Abs1 und 2 ZPO.

1.1.    Mit Urteil des Bezirksgerichtes Braunau am Inn vom 5. Juni 2015, Z 5 C 565/14y-24, zugestellt am 8. Juni 2015, wurde dem Klagebegehren der beteiligten Partei stattgegeben und die Antragstellerin verpflichtet, der beteiligten Partei € 3.201,18 samt 4% Zinsen und € 1.271,– an Nebenforderungen zu bezahlen sowie die Prozesskosten zu ersetzen.

1.2.    Zum zugrunde liegenden Sachverhalt führt die Antragstellerin im Wesentlichen Folgendes aus:

1.2.1.  Die Antragstellerin sei von der beteiligten Partei mit der Reinigung eines Veranstaltungsraumes beauftragt worden, die von dieser durchgeführt worden sei. Zuvor war der Saal an einen Dritten für dessen Geburtstagsfeier vermietet und dabei großflächig verschmutzt worden. Der Raum sei von der Antragstellerin gereinigt worden und habe zudem beschichtet werden müssen. Der beteiligten Partei sei eine Rechnung in Höhe von brutto € 4.705,98 gelegt worden, die von der beteiligten Partei zur Gänze bezahlt worden sei.

1.2.2.  Die beteiligte Partei habe die Rechnung der Antragstellerin an den Dritten weiterverrechnet. Da dieser sich geweigert habe zu zahlen, habe die beteiligte Partei diesen auf Zahlung des Rechnungsbetrages geklagt. Im Verfahren vor dem Bezirksgericht Mattighofen sei der Antragstellerin der Streit verkündet worden. Die Antragstellerin sei dem Streit jedoch nicht sofort als Nebenintervenientin beigetreten. Ein Sachverständiger habe festgestellt, dass die Kosten für die Reinigung zu hoch berechnet worden und nur € 1.594,80 zu verrechnen gewesen seien. Im Anschluss an das Einlangen des Gutachtens sei eine weitere Verhandlung am Bezirksgericht Mattighofen abgehalten worden, dabei sei die Antragstellerin als Zeugin einvernommen worden. Bis zu dieser Verhandlung sei der Antragstellerin das Institut der Nebenintervention nicht klar gewesen. Danach sei die Verhandlung geschlossen und das Urteil verkündet worden. Der beteiligten Partei sei dabei nur ein Betrag in Höhe von € 967,72 zugesprochen worden, da die gelegte Rechnung der Antragstellerin überhöht gewesen sei.

1.2.3.  Nach der Verhandlung habe die Antragstellerin ihren Beitritt als Nebenintervenientin erklärt und habe gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Mattighofen Berufung erhoben. Der Berufung sei durch das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis nicht Folge gegeben worden.

1.2.4.  Mit Klage vom 27. Mai 2014 habe die beteiligte Partei von der Antragstellerin € 3.201,18 begehrt. Dieser Betrag habe sich aus der Überbezahlung der Rechnung von € 4.705,98 abzüglich des aus der Sicht des Sachverständigen gerechtfertigten Entgelts von insgesamt € 1.594,80 ergeben. Als Nebenforderung habe die beteiligte Partei Sachverständigenkosten in Höhe von € 1.272,– begehrt. Die Antragstellerin habe das Begehren bestritten und Klagsabweisung beantragt. Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens sei von der Antragstellerin beantragt worden, da der Sachverständige im vorangegangen Verfahren (Vorprozess) befangen gewesen sei. Dies folge daraus, dass der Gutachter jahrelang Lieferant der Antragstellerin gewesen, dann aber in Insolvenz gegangen sei. Im Rahmen dieses Insolvenzverfahrens habe er behauptet, dass die Antragstellerin offene Rechnungen nicht bezahlt habe. Die Antragstellerin habe nachweisen können, dass die offenen Rechnungen bezahlt worden seien.

1.2.5.  Die Verhandlung sei allerdings ohne ein Gutachten geschlossen worden. Im Urteil des Bezirksgerichtes Braunau am Inn vom 5. Juni 2015, Z 5 C565/14y-24, ist dem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben worden. In den Feststellungen und der Beweiswürdigung seien die Feststellungen des Bezirksgerichtes Mattighofen zitiert worden, da sich die Wirkungen des Urteiles auch auf denjenigen erstrecken würden, der sich am Verfahren trotz Streitverkündung nicht beteiligt habe. Die Parteien seien an die ihre Rechtspositionen belastenden Tatsachenfeststellungen gebunden, sofern ihnen in jenem Verfahren unbeschränktes rechtliches Gehör zugestanden sei. Es könne nicht sein, dass mangels frühzeitigen Beitritts als Nebenintervenient trotz Streitverkündung durch Neueinholung eines Gutachtens die Bindungswirkung an Ergebnisse aus dem Vorverfahren umgangen werden könne. Weiters sei die Bindungswirkung weder in der Verlesung des Aktes des Bezirksgerichtes Mattighofen noch die Zurückweisung des Beweisantrages gerügt worden.

1.3.    Zur Zulässigkeit ihres Antrages bringt die Antragstellerin vor, sie sei als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache (Urteil des Bezirksgerichtes Braunau am Inn vom 5. Juni 2015, Z 5 C565/14y-24) wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt. Sie stellt den Antrag aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Gleichzeitig mit dem Antrag sei die Berufung an das Landesgericht Ried im Innkreis eingebracht worden.

Aus §21 Abs1 und 2 ZPO, in eventu aus dem gesamten §21 ZPO, habe der Oberste Gerichtshof das Institut der Bindungswirkung der Streitverkündung abgeleitet. Diese Rechtsprechungslinie sei auch von einem verstärkten Senat des Obersten Gerichtshofes (8.4.1997, 1 Ob 2123/96d) bestätigt worden. Die Antragstellerin werde durch die gefestigte gerichtliche Rechtsprechung zur Bindungswirkung, die sich aus §21 Abs1 und 2 ZPO, hilfsweise aus §21 ZPO zur Gänze ergebe, belastet. Die Bindungswirkung betreffe auch Tatsachenfeststellungen, womit die Antragstellerin belastet werde, da sie kein ordnungsgemäßes Gutachten einholen könne, um damit darzulegen, dass die Reinigungskosten nicht überhöht gewesen seien. Zwar ergebe sich die Bindungswirkung nicht unmittelbar aus dem Gesetzestext, jedoch würde §21 ZPO dahingehend durch den Obersten Gerichtshof ausgelegt. Sollte eine solche Rechtsprechungslinie – ohne dass es der Wortlaut des Gesetzes zwingend verlange – verfassungswidrig sein, stelle sich die Frage, ob diese gefestigte Rechtsprechung die Möglichkeit einer verfassungskonformen Interpretation einenge.

1.4.    In der Sache bringt die Antragstellerin vor, dass §21 Abs1 und 2 ZPO, in eventu §21 ZPO zur Gänze, verfassungswidrig sei. Die Bestimmung verstoße gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf rechtliches Gehör und das Recht auf Waffengleichheit nach Art6 EMRK sowie Art47 GRC.

1.4.1.  Das Recht auf rechtliches Gehör erfordere, dass dem Betreffenden die Möglichkeit eingeräumt werde, Stellung zu beziehen und diese vom Gericht auch berücksichtigt werde. Der Grundsatz der Waffengleichheit verlange, dass jeder Partei ermöglicht werde, ihren Standpunkt sowie ihre Beweise vorzutragen.

1.4.2.  Bereits im Vorprozess vor dem Bezirksgericht Mattighofen sei das rechtliche Gehör eingeschränkt gewesen. Der Antragstellerin sei zu keinem Zeitpunkt das Institut der Nebenintervention dargestellt worden. Das Sachverständigengutachten weise Fehler auf. Das Verfahren wurde allerdings nach der Zeugenaussage der Antragstellerin geschlossen, ohne auf die umfangreichen Beweisanträge einzugehen.

1.4.3.  Im Verfahren vor dem Bezirksgericht Braunau am Inn sei zunächst ein zweiter Gutachter bestellt worden, da das Erstgutachten nicht schlüssig gewesen sei. Das Verfahren sei aber ohne Einholung eines Gutachtens geschlossen worden. Dies sei mit der Bindungswirkung der Tatsachenfeststellung des Erstgerichts begründet worden.

1.4.4.  Die Antragstellerin habe deshalb im gesamten Verfahren zu keinem Zeitpunkt ihre Rechtsposition ausreichend darlegen können, indem ein Lokalaugenschein durchgeführt oder ein weiteres Gutachten eingeholt worden wäre.

1.4.5.  Der Antragstellerin zufolge würde die Auslegung des §21 ZPO im Hinblick auf die Bindungswirkung dazu führen, dass Art6 EMRK und Art47 GRC verletzt werden. Daher sei §21 Abs1 und 2 ZPO, in eventu §21 ZPO zur Gänze, als verfassungswidrig aufzuheben.

2.       Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken entgegentritt.

2.1.    Zur Zulässigkeit bringt die Bundesregierung wörtlich Folgendes vor:

"1. Mit einem Parteiantrag auf Normenkontrolle gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG kann die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen geltend gemacht werden. Der Verfassungsgerichtshof ist auf Grund eines Parteiantrags auf Normenkontrolle daher nur dazu berufen, Gesetze, die von einem (ordentlichen) Gericht in einem anhängigen Verfahren anzuwenden und damit Voraussetzung für die dortige Entscheidung (gewesen) sind, auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfen und im Falle ihrer Verfassungswidrigkeit aufzuheben. Gegenstand eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG ist damit ausschließlich die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen, nicht jedoch die gerichtliche Entscheidung und die in dieser Entscheidung zum Ausdruck kommende Rechtsauslegung. Der Verfassungsgerichtshof ist daher aufgrund von Art140 Abs1 Z1 litd B-VG nicht für die Korrektur von Vollzugsfehlern der ordentlichen Gerichte zuständig, selbst wenn diese in die Verfassungssphäre reichen sollten. Diesbezüglich ist der Rechtsschutz auf der Ebene des gerichtlichen Rechtsmittelverfahrens geblieben (VfGH 3.7.2015, G46/2015).

2. Zunächst weist die Bundesregierung darauf hin, dass die Bindungswirkung zivilgerichtlicher Urteile nach erfolgter Streitverkündigung für einfache Nebenintervenienten und Personen, die sich am Rechtsstreit trotz erfolgter Streitverkündigung nicht beteiligt haben, in der geltenden Rechtsordnung nicht ausdrücklich angeordnet ist, sondern sich aus der Judikatur des Obersten Gerichtshofes ergibt (ausgehend vom Rechtssatz zu 1 Ob 2123/96d). Auch diese Judikatur beruht aber – entgegen der Auffassung der Antragstellerin – nicht auf einer Auslegung der von ihr angefochtenen Bestimmung, sondern stellt lediglich eine Folgewirkung der in der angefochtenen Bestimmung geregelten Streitverkündigung dar. Der vorliegende Antrag erweist sich daher schon deshalb als unzulässig, weil die Antragstellerin einerseits den Sitz der behaupteten Verfassungswidrigkeit verkannt hat, die Judikatur des Obersten Gerichtshofes bzw. der ordentlichen Gerichte aber andererseits kein zulässiger Prüfungsgegenstand eines Parteiantrages auf Normenkontrolle ist.

3. Abgesehen davon bringt die Antragstellerin keine Bedenken gegen die angefochtene Bestimmung vor, sondern wendet sich lediglich gegen die konkrete Anwendung der gefestigten Judikatur des Obersten Gerichtshofes durch das Bezirksgericht Braunau am Inn. So hält die Antragstellerin zunächst fest, dass die Bindung des Nebenintervenienten nach der Judikatur nur insoweit besteht, als dem Nebenintervenienten im Vorprozess unbeschränktes rechtliches Gehör zustand (Seite 9 des Antrages). Sie legt in weiterer Folge aber nicht dar, dass und inwieweit trotz dieses Erfordernisses eine verfassungswidrige Rechtsschutzlücke bestehen würde. Vielmehr macht sie lediglich geltend, dass ihr rechtliches Gehör im Rahmen der durchgeführten Gerichtsverfahren verfassungswidrig eingeschränkt worden sei (s. die umfassenden Ausführungen auf den Seiten 12 und 13 des Antrages). Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Antragstellerin richten sich somit im Ergebnis nur gegen das Urteil des Bezirksgerichts Braunau am Inn. Dies wird auch durch die Ausführungen auf Seite 12 des Antrages, wonach 'eine Überprüfung der Entscheidung des BG Mattighofen im Vorverfahren … durch den Verfassungsgerichtshof noch nicht möglich war, da diese Entscheidung vor dem 01.01.2015 gefällt wurde' [...] bestätigt. Die Antragstellerin macht damit aber lediglich Vollzugsmängel geltend, welche kein zulässiges Bedenken in einem Gesetzesprüfungsverfahren darstellen (vgl. VfGH 2.7.2015, G145/2015). Der Antrag erweist sich auch aus diesem Grund als unzulässig.

4. Die Bundesregierung ist vor diesem Hintergrund der Auffassung, dass der vorliegende Parteiantrag auf Normenkontrolle als unzulässig zurückzuweisen ist."

2.2.    Zur Nebenintervention bringt die Bundesregierung zunächst allgemein Folgendes vor:

"4.1. Das prozessuale Institut der Nebenintervention ist in den §§17 bis 20 ZPO geregelt. Nebenintervenient ist jeder Dritte, der – ohne selbst Partei zu sein – sich an einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit zur Unterstützung einer Partei ('Hauptpartei') beteiligt, an deren Obsiegen er ein rechtliches Interesse hat (§17 ZPO). Als Nebenintervenienten kommen Personen in Betracht, gegen die wegen der Führung des konkreten Rechtsstreites zivilrechtliche Wirkungen begründet werden sollen (Schubert in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 §21 ZPO Rz 3). Der Nebenintervenient muss den Rechtsstreit in der Lage annehmen, in welcher sich derselbe zur Zeit seines Beitritts befindet (§19 ZPO).

Je nach dem, auf wen sich die Urteilswirkungen erstrecken, ist zwischen einfacher Nebenintervention oder streitgenössischer Nebenintervention zu unterscheiden. Eine einfache Nebenintervention liegt vor, wenn die Urteilswirkungen unmittelbar nur die Partei, nicht aber auch den Nebenintervenienten erfassen. Eine streitgenössische Nebenintervention liegt vor, wenn das Urteil entweder kraft der Beschaffenheit des streitigen Rechtsverhältnisses oder kraft gesetzlicher Vorschrift unmittelbar auch für das Rechtsverhältnis des Nebenintervenienten zum Gegner der Partei wirksam ist (§20 ZPO). Sie ist also insbesondere dann gegeben, wenn bei gemeinsamer Klage eine wirkungsgebundene Streitgenossenschaft entstanden wäre.

4.2. Der Beitritt des Nebenintervenienten auf Seiten einer der Parteien des Rechtsstreites wird durch eine Streitverkündigung der Hauptpartei gemäß §21 Abs1 ZPO veranlasst. Dabei handelt es sich um die förmliche Benachrichtigung eines Dritten von einem bevorstehenden oder bereits anhängigen Rechtsstreit durch eine Partei dieses Rechtsstreites. Grund für die Benachrichtigung kann sein, dass der Streitverkünder allfällige Schadenersatz- oder Regressansprüche des Benachrichtigten abwehren oder dass er im Hinblick auf beabsichtigte Regressansprüche dessen Hilfeleistung begehren will (Schubert aaO, Rz 11). Mit der Benachrichtigung kann daher gemäß §21 Abs2 ZPO auch eine ausdrückliche Aufforderung zum Beitritt in den laufenden Rechtsstreit als Nebenintervenient verbunden werden. Weitere prozessrechtliche Wirkungen knüpfen sich nicht an die Streitverkündigung. Insbesondere ist der Benachrichtigte nicht verpflichtet, in den Rechtsstreit einzutreten; es soll ihm durch die Benachrichtigung nur die Gelegenheit hierzu geboten werden (Schubert aaO, Rz 1, 11). Die Streitverkündigung ist bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Rechtsstreits zulässig (vgl. Schubert aaO, Rz 1).

4.3. Will der Benachrichtigte dem Rechtsstreit als Nebenintervenient beitreten, muss er dem Gericht einen Schriftsatz zustellen, in dem er sein Interesse am Obsiegen einer Partei 'bestimmt' angeben muss. Stellt das Gericht nach einer formellen Prüfung fest, dass ein rechtliches Interesse des Nebenintervenienten gegeben ist und dass auch die sonstigen Voraussetzungen für eine Nebenintervention vorliegen, wird der Schriftsatz beiden Parteien zugestellt, womit die Nebenintervention wirksam wird (§18 Abs1 ZPO). Anderenfalls wird die Nebenintervention mit Beschluss zurückgewiesen."

2.3.    Zur Bindungswirkung rechtskräftiger Urteile für Nebenintervenienten und Personen, die trotz Streitverkündung am Vorverfahren nicht teilgenommen haben, äußert sich die Bundesregierung folgendermaßen:

"5.1. Die Bindungswirkung ist grundsätzlich ein Aspekt der materiellen Rechtskraft eines Zivilurteiles. Liegt über eine privatrechtliche Vorfrage ein rechtskräftiges Urteil eines (anderen) Zivilgerichts vor, so ist das Zivilgericht an diese Beurteilung gebunden ('Bindungswirkung'). Die materielle Rechtskraft entfaltet grundsätzlich nur Wirkungen für die Hauptparteien des Verfahrens. Dass und inwieweit sich die Rechtswirkungen eines Urteils auch auf Nebenintervenienten erstreckt, ist nicht ausdrücklich angeordnet (im Gegensatz etwa zur Rechtslage in Deutschland, vgl. §§68, 74 Abs3 dZPO), sondern ergibt sich seit dem Rechtssatz eines verstärkten Senates des Obersten Gerichtshofes vom 8. April 1997 zu 1 Ob 2123/96d aus dessen ständiger Judikatur (ausführlich zu Inhalt und Grenzen der seither angenommenen 'Interventionswirkung' Trenker, Interventionswirkung bei Streitverkündung und Nebenintervention, ÖJZ 2015/18, 103 ff). Der Oberste Gerichtshof leitet insbesondere aus dem Vorbehalt Österreichs zu Art6 Abs2 des Übereinkommens von Lugano (BGBl III Nr 32/2011) implizit die Vorstellung der Gesetzgebung ab, dass die Streitverkündung gemäß §21 ZPO eine vergleichbare Bindungswirkung wie in Deutschland und der Schweiz mit sich bringe (s. OGH 8.4.1997, 1 Ob 2123/96d, 69 f.; s. dazu Schubert aaO, Rz 2 mwN). Der Rechtssatz des OGH lautet wie folgt:

'Die Wirkungen eines materiell rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils erstrecken sich soweit auf den einfachen Nebenintervenienten und denjenigen, der sich am Verfahren trotz Streitverkündung nicht beteiligte, als diese Personen als Parteien eines als Regressprozess geführten Folgeprozesses keine rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einreden erheben dürfen, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung des Vorprozesses in Widerspruch stehen. In diesem Rahmen sind sie daher an die ihre Rechtsposition belastenden Tatsachenfeststellungen im Urteil des Vorprozesses gebunden, sofern ihnen in jenem Verfahren soweit unbeschränktes rechtliches Gehör zustand. Das gilt jedoch nicht auch für denjenigen, der sich am Vorprozess nicht beteiligte, dem aber auch gar nicht der Streit verkündet worden war.'

5.2. Nach ständiger Judikatur des Obersten Gerichtshofes besteht daher eine Bindungswirkung eines rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils in einem Vorprozess für den einfachen Nebenintervenienten sowie für denjenigen, der sich am Vorprozess trotz Streitverkündigung nicht beteiligte (RIS-Justiz RS0107338). Diese Bindungswirkung setzt daher eine Streitverkündigung gemäß §21 Abs1 ZPO voraus. Sie gilt nicht für denjenigen, der sich am Vorprozess nicht beteiligte, dem aber auch gar nicht der Streit verkündet worden war. Aber auch gegenüber einfachen Nebenintervenienten und Personen, die sich am Verfahren trotz Streitverkündung nicht beteiligt haben, gilt die Bindungswirkung nur insoweit, als ihnen in jenem Verfahren unbeschränktes rechtliches Gehör zustand. Somit kann auch nur hinsichtlich jener Entscheidungselemente eine Bindung eintreten, hinsichtlich derer der Nebenintervenient alle Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorbringen konnte (Trenker, aaO, 197; RIS-Justiz RS0107338 T18, T27). Diese Einschränkung ergibt sich zum einen daraus, dass ein Nebenintervenient den Zeitpunkt seines Beitritts nicht in allen Fällen frei bestimmen kann, aber das Verfahren stets in jener Lage annehmen muss, in der es sich bei seinem Beitritt bereits befindet (§19 Abs1 ZPO). Zum anderen bleiben die prozessualen Rechte des einfachen Nebenintervenienten (vgl. §19 Abs1 ZPO) hinter denen einer Hauptpartei zurück, sodass dessen Einflussnahmemöglichkeit auf das Verfahren geringer ist.

5.3. Aufgrund dieser Bindungswirkung dürfen Nebenintervenienten oder Personen, die sich an einem Vorprozess trotz Streitverkündigung nicht beteiligt haben, in einem allfälligen Folgeprozess keine Einreden erheben, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung des Vorprozesses in Widerspruch stehen. Zwar ist von der materiellen Rechtskraft zivilgerichtlicher Urteile grundsätzlich nur der Spruch eines Urteils umfasst, für die Individualisierung des Anspruches und dessen Tragweite sind jedoch – soweit erforderlich – auch die Entscheidungsgründe heranzuziehen. Die Bindungswirkung betreffend einfache Nebenintervenienten oder Personen, die sich an einem Vorprozess trotz Streitverkündigung nicht beteiligt haben, erfasst daher auch allfällige, die Rechtsposition dieser Personen belastende Tatsachenfeststellungen im Urteil des Vorprozesses."

2.4.    Zu den einzelnen Bedenken der Antragstellerin äußert sich die Bundesregierung wörtlich folgendermaßen:

"2. Die Antragstellerin bringt vor, dass es ihr aufgrund der Anwendung der gefestigten gerichtlichen Rechtsprechung zur Bindungswirkung durch die Bezirksgerichte und das Landesgericht nicht möglich gewesen sei, die Annahmen des Erstgerichts durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu widerlegen und damit darzulegen, dass die Regressansprüche der klagenden Partei zu Unrecht erhoben worden seien. Zwar ergebe sich die Bindungswirkung und damit die nachteilige Wirkung im gegenständlichen Fall nicht unmittelbar aus §21 ZPO, die Antragstellerin werde aber durch dessen Auslegung durch den Obersten Gerichtshof in ihrem Recht auf rechtliches Gehör, das Recht auf Zugang zum Gericht und das Recht auf ein faires Verfahren im Sinne der Waffengleichheit beschränkt. Art47 Abs2 GRC und Art6 EMRK würden verlangen, dass jede Partei ihren Standpunkt sowie ihre Beweise unter Bedingungen vortragen kann, die sie nicht in eine gegenüber ihrem Gegner deutlich nachteilige Position versetzen. Dies bewirke eine 'verfassungsgesetzliche Ungleichbehandlung'.

3. Die Bedenken sind nach Auffassung der Bundesregierung nicht begründet:

3.1. Zum Vorbringen eines Verstoßes gegen Art47 GRC weist die Bundesregierung zunächst darauf hin, dass die Charta der Grundrechte der Europäischen Union gemäß ihrem Art51 Abs1 für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung, dh. im Anwendungsbereich des Unionsrechts gilt (VfSlg 19.492/2011), der hier allerdings nicht eröffnet ist.

3.2. Worin die vorgebrachte 'verfassungsgesetzliche Ungleichbehandlung' zu sehen sein sollte, wird von der Antragstellerin nicht näher ausgeführt, sodass sich ein Eingehen darauf schon aus diesem Grund erübrigt. Dies gilt auch für den Fall, dass sich die Antragstellerin damit auf den Grundsatz der Waffengleichheit beziehen möchte, da dem Antrag jede Darlegung, welche Rechtspositionen miteinander verglichen werden sollten, fehlt. Eine Ungleichbehandlung der Antragstellerin ist auch nicht erkennbar, da sie im Hinblick auf ihre Stellung als Nebenintervenientin im Vorverfahren gerade in keiner 'deutlich nachteiligen' Position gegenüber der klagenden Partei stand.

3.3. Das Vorbringen eines Verstoßes gegen das Recht auf rechtliches Gehör durch die Bindungswirkung von zivilgerichtlichen Urteilen für Nebenintervenienten oder Personen, die sich am Verfahren trotz Streitverkündigung nicht beteiligt haben, geht schon deshalb ins Leere, weil diese Bindungswirkung nach der Judikatur gerade nur insoweit gilt, als diesen Personen im Vorverfahren unbeschränktes rechtliches Gehör zustand. Zudem gilt die Bindungswirkung nicht für denjenigen, der sich am Vorprozess nicht beteiligte, dem aber auch gar nicht der Streit verkündet worden war (RIS-Justiz RS0107338).

3.4. Die Antragstellerin legt auch nicht näher dar, inwieweit durch die angefochtene Bestimmung das Recht auf Zugang zu einem Gericht gemäß Art6 EMRK verletzt sein sollte, sodass sich ein Eingehen darauf bereits aus diesem Grund erübrigt. Der Vollständigkeit halber hält die Bundesregierung jedoch fest, dass aus Art6 EMRK kein Recht folgt, gerichtliche Entscheidungen mehrfach überprüfen lassen zu können. Nach der Judikatur des EGMR zu Art6 EMRK müssen gerichtliche Entscheidungen vielmehr im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit grundsätzlich bindend sein (vgl. EGMR vom 28. Oktober 1999, Brumarescu gegen Rumänien, Appl. 28342/95 Z61). Insbesondere dürfen danach auch außerordentliche, die Rechtskraft durchbrechende Rechtsbehelfe nur unter engen Voraussetzungen zur Aufhebung einer endgültigen Gerichtsentscheidung führen und insbesondere keine bloße weitere Überprüfung der Sache ermöglichen (EGMR vom 24. Juli 2003, Ryabykh gegen Russland, Appl. 52854/99, Z52). Im Übrigen würde es gerade zu einer Ungleichbehandlung führen, wenn (nur) Nebenintervenienten ein Recht auf Nachprüfung einer endgültig entschiedenen Rechtssache (das im Ergebnis zum Zweck der 'Nachholung' einer im Vorprozess unterlassenen Rechtsverfolgung oder -verteidigung genutzt werden könnte) zustehen würde.

4. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die angefochtenen Bestimmungen nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig sind."

2.5.    Die Bundesregierung beantragt, den Antrag als unzulässig zurückzuweisen, in eventu den Antrag abzulehnen, weil er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe, in eventu auszusprechen, dass die angefochtene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufgehoben werde.

IV.      Erwägungen

1.       Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1.    Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG kann eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

Voraussetzung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle ist sohin – entsprechend der Formulierung des Art140 Abs1 Z1 litd B-VG – die Einbringung eines Rechtsmittels in einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache", also eines Rechtsmittels gegen eine die Rechtssache erledigende Entscheidung erster Instanz. Außerdem muss der Parteiantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG "aus Anlass" der Erhebung eines Rechtsmittels gestellt werden.

1.2.    Dem Erfordernis der Einbringung aus Anlass eines Rechtsmittels hat die Antragstellerin jedenfalls dadurch Rechnung getragen, dass sie den vorliegenden Parteiantrag und die Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Braunau am Inn vom vom 5. Juni 2015, Z 5 C565/14y-24, am selben Tag erhoben und eingebracht hat (vgl. VfGH 3.7.2015, G46/2015; 8.10.2015, G264/2015; 26.11.2015, G197/2015).

1.3.    Die Bundesregierung zieht in ihrer Äußerung die Zulässigkeit des Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG in Zweifel. Die Antragstellerin habe den Sitz der behaupteten Verfassungswidrigkeit verkannt, weil die angefochtene Bestimmung die als verfassungswidrig angesehene Bindungswirkung nicht beinhalte. Des Weiteren sei die Judikatur des Obersten Gerichtshofes bzw. der ordentlichen Gerichte kein zulässiger Prüfungsgegenstand des Verfassungsgerichtshofes.

1.4.    Die Antragstellerin bezieht sich in ihrem Antrag auf die Judikatur zur Bindungswirkung von Vorprozessen (insbesondere im Hinblick auf die Tatsachenfeststellungen) nach einer Streitverkündung gemäß §21 ZPO (s. Rz 6).

Eine Bindungswirkung zivilgerichtlicher Urteile nach erfolgter Streitverkündung für einfache Nebenintervenienten und Personen, die sich am Rechtsstreit trotz erfolgter Streitverkündung nicht beteiligt haben, ist in der geltenden österreichischen Rechtsordnung (im Gegensatz zu Deutschland und der Schweiz) nicht ausdrücklich angeordnet, sondern wurde vom verstärkten Senat des Obersten Gerichtshofes aus einem Vorbehalt zum Übereinkommen von Lugano, BGBl 448/1996, abgeleitet.

1.5.    Die Antragstellerin wendet sich der Sache nach nicht gegen die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, sondern gegen die gesetzlichen Vorschriften, aus denen sich in der Auslegung derselben durch den Obersten Gerichtshof die Bindungswirkung ergibt. Der Bundesregierung ist zuzugestehen, dass Vollzugsfehler des Gerichtes nicht Prüfungsgegenstand eines Verfahrens nach Art140 Abs1 Z1 litd B-VG sind (vgl. VfGH 2.7.2015, G145/2015; 26.2.2016, G179/2015 ua.). Dem Verfassungsgerichtshof obliegt aber in diesem Zusammenhang die Kontrolle, ob die Rechtsfolge der Streitverkündung, nämlich die Bindungswirkung des Vorprozesses, verfassungskonform ist. Da die Rechtsprechung von einer unechten Regelungslücke ausgeht, welche in der Regelung des §21 ZPO besteht und vom Obersten Gerichtshof im Wege der Rechtsanalogie geschlossen wird, beschränkt die Antragstellerin ihren Antrag zu Recht auf §21 ZPO.

1.6.    Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag daher als zulässig.

2.       In der Sache

Der Antrag ist indes nicht begründet.

2.1.    Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.2.    Die Antragstellerin bringt vor, die Bindungswirkung als Rechtsfolge der Streitverkündung gemäß §21 ZPO verstoße gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf rechtliches Gehör und das Recht auf Waffengleichheit nach Art6 EMRK sowie Art47 GRC. Weder im Verfahren vor dem Bezirkgsgericht Mattighofen (dh. im Vorprozess) noch im Verfahren vor dem Bezirksgericht Braunau am Inn habe die Antragstellerin ihre Rechtsposition ausreichend darlegen können. Insbesondere sei ihr unter Hinweis auf die Bindungswirkung der Nebenintervention die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens verwehrt worden. Ohne die Bindungswirkung hätte die Antragstellerin mittels Gutachten nachweisen können, dass die durchgeführten Reinigungsarbeiten einen derartigen Umfang hatten, dass der Rechnungsbetrag in voller Höhe gerechtfertigt war. Dem zweiten Sachverständigen hätten sachorientierte Fragen gestellt werden können, sodass ausreichend rechtliches Gehör und Waffengleichheit für die Antragstellerin gegeben gewesen wäre.

2.3.    Die Antragstellerin wendet sich gegen die Bindungswirkung von Vorprozessen nach einer Streitverkündung gemäß §21 ZPO. Der Oberste Gerichtshof hat in einem verstärkten Senat den bereits zitierten Rechtssatz gebildet, wonach sich die Wirkung eines materiell rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils auf einfache Nebenintervenienten und solche Dritte, welche dem Verfahren trotz Streitverkündung nicht beigetreten sind, erstreckt, wobei diese Personen insbesondere auch an die ihre Rechtsposition belastenden Tatsachenfeststellungen im Urteil des Vorprozesses gebunden sind (OGH 8.4.1997, 1 Ob 2123/96d; s. Rz 6).

2.4.    Der Grundsatz der Waffengleichheit ist zentraler Bestandteil des Art6 Abs1 EMRK. Diesem Grundsatz zufolge muss jeder Partei Gelegenheit gegeben werden, ihren Fall einschließlich ihrer Beweise zu präsentieren und zwar unter Bedingungen, die keinen wesentlichen Nachteil gegenüber dem Gegner darstellen (EGMR 27.10.1993, Fall Dombo Beheer B.V., Appl. 14448/88). Auf Grund der Garantie der Gewährung rechtlichen Gehörs muss den Parteien ausreichend Gelegenheit gegeben werden, ihren Fall vorzutragen (Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 [2016] §24 Rz. 72 mwN).

2.5.    Art6 EMRK steht einer Bindungswirkung nach Streitverkündung – wie sie der Oberste Gerichtshof in einer Rechtsanalogie als dem §21 Abs1 ZPO zugrunde liegend annimmt (OGH 8.4.1997, 1 Ob 2123/96d) – nicht entgegen. Nach Art6 EMRK muss der Betroffene seine Rechte effektiv vertreten können. Tritt ein Dritter nach erfolgter Streitverkündung dem Rechtsstreit als Nebenintervenient bei, kann dieser seine Rechte in diesem Verfahren geltend machen. Die Bindungswirkung in solchen Fällen wird vom Obersten Gerichtshof dahingehend eingeschränkt, dass sich die Bindungswirkung nicht auf jene Personen erstreckt, denen der Streit nicht verkündet wurde und die damit nicht am Rechtsstreit teilnehmen konnten. Eine Bindungswirkung für Dritte, denen der Streit nicht verkündet wurde bzw. die nicht am Prozess beteiligt waren, wäre nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht mit Art6 EMRK vereinbar (s. VfSlg 12.504/1990). Der Oberste Gerichtshof verneint eine Bindungswirkung in Fällen, in denen der Nebenintervenient von der Hauptpartei gehindert wurde, seine Rechte zu wahren (zB wenn die Hauptpartei Vorbringen außer Streit gestellt hat [OGH 20.12.2011, 4 Ob 137/11t]). Soweit der Nebenintervenient die Möglichkeit hat, auf Grund einer Nebenintervention am Prozess unter Bedingungen der Waffengleichheit teilzunehmen, ist eine entsprechende Bindungswirkung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Im Übrigen lässt das Gesetz Spielraum für eine verfassungskonforme Interpretation.

2.6.    Bei diesem Verständnis des §21 ZPO bestehen die von der Antragstellerin geltend gemachten Bedenken nicht. Nebenintervenienten wie die Antragstellerin können ihre Bedenken (insbesondere bei Befangenheit eines Sachverständigen) angesichts rechtzeitiger Streitverkündung und ausreichender Einwendungsmöglichkeiten bereits im Vorprozess geltend machen.

2.7.    Auf die Bedenken im Hinblick auf Art47 Abs2 GRC, der die gleiche Tragweite und Bedeutung wie Art6 EMRK hat, und insbesondere auf die Frage, ob die Charta der Grundrechte anwendbar ist, ist nicht einzugehen (vgl. VfSlg 19.492/2011).

V.       Ergebnis

1.       Die von der Antragstellerin ob der Verfassungsmäßigkeit des §21 Abs1 und Abs2 ZPO, in eventu des §21 ZPO zur Gänze, erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag ist daher abzuweisen.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Zivilprozess, Bindung (der Gerichte), rechtliches Gehör, Auslegung eines Gesetzes, Auslegung verfassungskonforme, VfGH / Parteiantrag, VfGH / Prüfungsgegenstand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2016:G331.2015

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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