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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Abweisung des Individualantrags einer Tabakgroßhändlerin auf Aufhebung von Bestimmungen betreffend das Verbot des Inverkehrbringens von Kautabak; kein Verstoß gegen das Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung im Hinblick auf das im öffentlichen Interesse liegende Ziel des Schutzes der menschlichen Gesundheit; kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz; sachliche und verhältnismäßige Beschränkung der unternehmerischen Disposition durch die Übergangsvorschrift betreffend ein Verbot der Abgabe durch Großhändler an TabaktrafikantenRechtssatz
Abweisung des Antrags auf Aufhebung der Wortfolge "oder 3. Kautabak" in §2 Abs1 Z2 und 3, sowie der §§17 Abs9 (3. Satz) und 18 Abs12 des Tabak- und Nichtraucherinnen- bzw NichtraucherschutzG - TNRSG idF BGBl I 22/2016.
Zulässigkeit des Individualantrags.
Die antragstellende Gesellschaft war bereits im Zeitpunkt der Einbringung des Antrages aktuell von den angefochtenen Regelungen betroffen. §2 Abs1 TNRSG tritt zwar erst zu einem Zeitpunkt nach Stellung des Antrages beim VfGH, nämlich am 20.05.2017, in Kraft. Ungeachtet dessen zeitigt die Bestimmung jedoch Vorwirkungen dergestalt, dass die antragstellende Gesellschaft bereits ab Kundmachung entsprechende Maßnahmen (zB müssen Vertragsverhältnisse gekündigt bzw modifiziert werden) vorzunehmen hat.
Untrennbarer Zusammenhang der angefochtenen Wortfolge in §2 Abs1 Z2 und Z3 TNRSG iVm §17 Abs9 (Inkrafttretensbestimmung) mit §18 Abs12 TNRSG.
Der durch die angefochtenen Bestimmungen bewirkte Eingriff in die Freiheit der Erwerbsbetätigung bildet weder eine Antritts- noch eine bloße Ausübungsbeschränkung, vielmehr wird damit das Ende einer bisher rechtmäßig ausgeübten Tätigkeit angeordnet. Ein solcher Eingriff wiegt schwerer als eine Ausübungsbeschränkung, die bloß einzelne Modalitäten der Erwerbsausübung regelt und modifiziert, nicht aber die grundsätzliche Zulässigkeit berührt. Die Anordnung der Beendigung einer gewerblichen Tätigkeit kommt in ihren nachteiligen Konsequenzen einer Antrittsbeschränkung jedenfalls gleich und wird sie in manchen Konstellationen übertreffen. Der Gesetzgeber ist daher am selben strengen Maßstab zu messen, wie er für Erwerbsantrittsschranken herangezogen wird. Dass die angefochtenen Regelungen nicht den Handel mit Tabakprodukten insgesamt, sondern nur mit einem bestimmten Produkt verbieten, vermag daran nichts zu ändern.
Die angefochtenen Bestimmungen verfolgen ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel, nämlich den Schutz der menschlichen Gesundheit.
Wenn der Gesetzgeber ausweislich der Materialien gesundheitliche Bedenken im Hinblick auf bestimmte mögliche Inhaltsstoffe und das Risiko der Erkrankung an bestimmten Karzinomen zum Anlass für ein generelles Verbot nimmt (RV 1056 BlgNR 25. GP, 2), so verfolgt er ein Ziel von erheblichem Gewicht. Auch der Umstand, dass Kautabak wegen der unterschiedlichen Darreichungsformen von Tabak zum oralen Gebrauch von diesem sowohl für die Behörden als auch für die Konsumenten in der Praxis oft schwer zu unterscheiden ist, vermag zur Rechtfertigung des Verbots beizutragen, dient es doch damit auch der besseren Durchsetzbarkeit des unionsrechtlichen Verbots von Tabak zu oralem Gebrauch (Art17 der Richtlinie RL 2014/40/EU). Auch dient das Verbot dem Jugendschutz.
Das Gewicht dieser gesundheitspolitischen Zielsetzungen verbunden mit Aspekten der Verwaltungsökonomie und des Konsumentenschutzes (Unterscheidbarkeit von Tabak zum oralen Gebrauch) überwiegt die Schwere des Eingriffs in die Rechte von Großhändlern und Trafikanten, die bereits seit längerem - im Einklang mit dem Unionsrecht und dem Verfassungsrecht - Einschränkungen im Bereich des Tabaks zum oralen Gebrauch hinnehmen mussten und daher auch schon bisher ihre wirtschaftliche Existenz und Tätigkeit nicht alleine auf das in der Darreichungsform und in Gesundheitsrisiken verwandte Produkt des Kautabaks gründen konnten und dies, jedenfalls im Fall der Trafiken, auch faktisch nicht getan haben. Der Eingriff erweist sich daher als verhältnismäßig.
Auch eine Prüfung des Verbots des Inverkehrbringens von Kautabak an sich am Maßstab des Gleichheitssatzes erbringt kein abweichendes Ergebnis.
Der Gesetzgeber handelt nicht unsachlich, wenn er gesundheitliche Risiken von Kautabak und die mangelnde Unterscheidbarkeit von Tabak zu oralem Gebrauch, der auch nach Unionsrecht nicht in Verkehr gebracht werden darf, zum Anlass nimmt, ein generelles Verbot des Inverkehrbringens von Kautabak zu verfügen, und dieses Verbot auch auf den Großhandel mit Tabakwaren erstreckt.
Der Zeitraum von einem Jahr zwischen der Kundmachung der das Verbot des Inverkehrbringens von Kautabak verfügenden Bestimmung des §2 Abs1 Z3 TNRSG und ihrem Inkrafttreten am 20.05.2017 erscheint angesichts der gesundheitspolitischen Zielsetzungen angemessen und gibt sowohl Tabaktrafikanten als auch Großhändlern hinreichend Zeit, um Lagerbestände abzuverkaufen und sonstige Dispositionen im Hinblick auf Kautabak zu treffen, mit denen wirtschaftlicher Schaden vermieden wird.
Die in §18 Abs12 Z1 TNRSG verfügte Frist von drei Monaten zwischen der Kundmachung der Novelle und dem Wirksamwerden des Verbotes für die Abgabe von bestimmten Tabakerzeugnissen einschließlich Kautabak durch Großhändler an Tabaktrafikanten (bis 31.08.2016) erweist sich als sachliche und verhältnismäßige Beschränkung der unternehmerischen Disposition und verstößt weder gegen den Gleichheitsgrundsatz noch verletzt es die antragstellende Gesellschaft in ihrem Grundrecht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung (nur vor dem 20.05.2016 gemäß dem TabakG idF BGBl I 120/2008 hergestellte oder in Verkehr gebrachte Tabakerzeugnisse betroffen; begrenzte Haltbarkeit von Kautabak von höchstens sechs Monaten; vergleichsweise geringe nachteilige Auswirkungen des Verbotes auf Großhändler).
Schlagworte
Gesundheitswesen, Tabak, Erwerbsausübungsfreiheit, EU-Recht Richtlinie, Fristen, Übergangsbestimmung, VfGH / Individualantrag, VfGH / PrüfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2016:G159.2016Zuletzt aktualisiert am
01.03.2018