RS Vfgh 2016/10/12 G673/2015 ua, V25/2016 ua

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 12.10.2016
beobachten
merken

Index

20/05 Wohn- und Mietrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art139 Abs1 Z4
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
MietrechtsG §16 Abs4, Abs7
RichtwertG §2 Abs3, §5
StGG Art2, Art5, Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
EMRK 1. ZP Art1

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung des RichtwertG über das Verbot der Vereinbarung eines Lagezuschlags für Mietwohnungen in Gründerzeitvierteln; keine Gleichheitswidrigkeit dieser an einen architekturhistorischen städtebaulichen Tatbestand anknüpfenden und Veränderungen der Wohnumgebung berücksichtigenden Regelung; keine unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkung angesichts der vom Gesetzgeber verfolgten wohnungs-, sozial- und stadtentwicklungspolitischen Interessen; kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot; keine Unsachlichkeit des im MietrechtsG normierten pauschalen Befristungsabschlags für befristete Mietverhältnisse; vorgenommener Ausgleich zwischen den Interessen des Vermieters an einer erhöhten Verfügbarkeit der Wohnung und den Interessen des Mieters an einem gesicherten Bestandrecht innerhalb des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers; Abweisung der Parteianträge; teils Zurückweisung der Anträge, auch hinsichtlich von Richtwertverordnungen, wegen zu eng gefassten Anfechtungsumfanges

Rechtssatz

Abweisung der Parteianträge, soweit sie sich gegen §2 Abs3 RichtwertG (RichtWG), BGBl 800/1993, und gegen §16 Abs7 MietrechtsG (MRG), BGBl 520/1981 idF BGBl I 100/2014, richten.

Im Übrigen Zurückweisung der Anträge.

Unzulässigkeit der Anträge auf (teilweise) Aufhebung des §5 RichtWG in unterschiedlichen Fassungen bzw unterschiedlicher Fassungen der Kundmachungen der Änderungen der Richtwerte sowie von Richtwertverordnungen als zu eng gefasst.

Einführung des Richtwertsystems durch das 3. WohnrechtsänderungsG, BGBl 800/1993; Festlegung der Richtwerte für jedes Bundesland zunächst durch Verordnung des Bundesministers für Justiz; seit 2008 (Mietrechtliches InflationslinderungsG) Festlegung der Richtwerte für einen bestimmten Zeitraum in §5 Abs1 RichtWG; gesetzliche Ermächtigung gem §5 Abs2 zur Kundmachung der Änderung (Erhöhung) der Richtwerte; Verordnungscharakter dieser Kundmachungen.

Unrichtiger Anfechtungsumfang angesichts des Zieles der Beseitigung des Richtwertes im zugrunde liegenden Verfahren.

Untrennbarer Zusammenhang zwischen den Richtwerten in ihren unterschiedlichen Höhen; untrennbarer Zusammenhang von §5 Abs1 und Abs2 RichtWG.

Keine Gleichheitswidrigkeit des §2 Abs3 RichtWG.

Der VfGH geht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte davon aus, dass der Gesetzgeber bei der Gestaltung des Mietrechts über einen erheblichen Gestaltungsspielraum verfügt (s etwa EGMR 19.12.1989, Fall Mellacher, Appl 10522/83; 11011/84; 11070/84). Bei der Regelung des Mietrechts, insbesondere bei der Regelung des Mietzinses, muss der Gesetzgeber teils widerstreitende wohnungs-, sozial- und stadtentwicklungspolitische Interessen zum Ausgleich bringen. Dabei kommt dem Ziel, Wohnen in zentrumsnaher städtischer Lage zu Preisen zu ermöglichen, die es auch Personen mit mittlerem und niedrigem Einkommen erlauben, ihren Wohnbedarf in dieser Lage angemessen zu decken, besonderes Gewicht zu. Dieses besteht sowohl im Anliegen des Mieterschutzes als auch in den Auswirkungen, die mietzinsbegrenzende Vorschriften auf den Wohnungsmarkt insgesamt entfalten.

§2 Abs3 zweiter Halbsatz RichtWG bedingt, dass ein Lagezuschlag in "Gründerzeitvierteln" grundsätzlich nicht in Ansatz gebracht werden kann, nämlich bei einer Lage (Wohnumgebung) mit einem überwiegenden Gebäudebestand, der in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurde und im Zeitpunkt der Errichtung überwiegend kleine, mangelhaft ausgestattete Wohnungen (der Kategorie D) aufgewiesen hat.

Die Regelung schließt nicht zwingend und in jedem Fall - ausgehend von einer Normwohnung mit durchschnittlicher Lage (Wohnumgebung) - einen Lagezuschlag aus. Vielmehr ist ein solcher dann zulässig, wenn im Sinne der Rechtsprechung des OGH ein ursprüngliches "Gründerzeitviertel" in der Umschreibung des §2 Abs3 zweiter Halbsatz RichtWG zu einer Wohnumgebung geworden ist, auf die die Beschränkung des §2 Abs3 RichtWG hinsichtlich des Lagezuschlags nicht mehr zutrifft. Unter Zugrundelegung der Erläuterungen zum Ausschussbericht zum 3. WohnrechtsänderungsG (AB 1268 BlgNR 18. GP, 19) ist ein Lagezuschlag daher in Gründerzeitvierteln nicht ausgeschlossen, wenn sich die Wohnumgebung des fraglichen Hauses zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages bereits entsprechend geändert hat.

Der VfGH kann nicht finden, dass der Gesetzgeber mit der Regelung, die an einen architekturhistorischen städtebaulichen Tatbestand anknüpft und Veränderungen der Wohnumgebung berücksichtigt, den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum mit der Konsequenz überschritten hätte, dass die Bestimmung gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen würde.

Kein Verstoß gegen das Recht auf die Unversehrtheit des Eigentums.

Regelungen, welche Richtwerte für Mietzinse bestimmter Wohnungen festlegen, beschränken die Autonomie der Vertragspartner von Mietverträgen. Indem sie an die Festlegung eines höheren als des gesetzlich zulässigen Mietzinses die Rechtsfolge der Ungültigkeit der Mietzinsvereinbarung knüpfen, beschränken sie die Autonomie des Vermieters, einen bestimmten Mietzins zu verlangen. Die Regelung des §2 Abs3 RichtWG beschränkt den Eigentümer eines bestimmten Mietobjekts in der Gestaltung des Preises bei Abschluss eines Mietvertrages. Als Teil des Richtwertsystems und als Spezialbestimmung für eine bestimmte Art von Mietwohnungen wird durch sie die Verrechnung eines Lagezuschlages ausgeschlossen und sohin die Freiheit zur Gestaltung des Inhalts von Mietverträgen beschränkt. Die Regelung greift daher in die Privatautonomie ein und bildet einen Eingriff in das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums nach Art5 StGG bzw Art1 1. ZPEMRK. Dieser Eingriff ist als Eigentumsbeschränkung zu qualifizieren.

Der VfGH hat keinen Zweifel, dass die Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Interesse liegt und weder den Wesensgehalt des Grundrechts berührt noch in anderer Weise gegen einen bindenden Verfassungsgrundsatz verstößt.

Der Gesetzgeber hat bei Normierung von im öffentlichen Interesse gelegenen Eigentumsbeschränkungen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Im Rahmen der gebotenen Abwägung sind insbesondere die durch den Gesetzgeber verfolgten gewichtigen wohnungs-, sozial- und stadtentwicklungspolitischen Interessen zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund liegt keine unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkung vor, wenn der Gesetzgeber auf den Zustand von Gebäuden eines Gebiets zum Zeitpunkt ihrer Errichtung abstellt.

Kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot (Art18 B-VG).

Der Klammerausdruck "Wohnumgebung" in §2 Abs3 RichtWG konkretisiert den Begriff der "Lage" nach §16 Abs4 MRG. Bereits aus dem allgemeinen Begriffsverständnis des Wortes "Wohnumgebung" ergibt sich, dass damit nicht eine bestimmte, von vornherein festgelegte Verwaltungseinheit (wie etwa ein Bezirk) gemeint sein kann, sondern dass auf die faktische Umgebung der konkreten Liegenschaft im Sinne der Gegend rund um die Wohnliegenschaft abgestellt wird. Im Hinblick auf den Zweck der Regelung geht es dabei um jene Gegend, die für die Beurteilung der Wohnqualität von Relevanz ist. Insofern stellt die Lage (Wohnumgebung) eine kleinere räumliche Einheit als einen politischen Bezirk oder einen Stadtteil dar, geht aber über einen einzelnen Gebäudeblock hinaus.

Die Formulierung "Lage (Wohnumgebung)" lässt ausreichend Spielraum, um auf die Besonderheiten des Einzelfalls Bedacht zu nehmen, ist aber andererseits hinreichend klar, um die Ausübung dieses Spielraums im konkreten Einzelfall einer Überprüfung zu unterziehen.

Keine Gleichheitswidrigkeit des §16 Abs7 MRG idF BGBl I 100/2014.

Die gesetzliche Regelung eines pauschalen Befristungsabschlages von 25% überschreitet die Grenze des Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers nicht.

§16 Abs7 MRG hat nicht zum Ziel, Aufwendungen auszugleichen, sondern das sozial- bzw wohnungspolitische Ziel, einen (finanziellen) Anreiz für Vermieter zu schaffen, anstatt eines befristeten ein unbefristetes Mietverhältnis abzuschließen. Wenn daher der Gesetzgeber im Interesse des Mieters, der durch eine Befristung Nachteile in Kauf zu nehmen hat, eine Regelung schafft, die dem Vermieter einen Anreiz dafür bieten soll, unbefristet zu vermieten, liegt darin keine unsachliche Ungleichbehandlung.

Im Hinblick auf diesen Zweck der angefochtenen Bestimmung erweist sich das Vorbringen des Antragstellers, dass der Befristungsabschlag mangels degressiver Gestaltung zu einer Ungleichbehandlung zwischen kurz und lang befristeten Mietverträgen führen würde, von vornherein als unbegründet.

Auch der Umstand, dass der Befristungsabschlag vor Einführung der angefochtenen Bestimmung degressiv nach der Befristungsdauer gestaffelt war, führt nicht zur Unsachlichkeit der angefochtenen Bestimmung.

Der damit vom Gesetzgeber vorgenommene Ausgleich zwischen den Interessen des Vermieters an einer erhöhten Verfügbarkeit und den Interessen des Mieters an einem gesicherten Bestandrecht liegt innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers und ist nicht verfassungswidrig.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Mietenrecht, Richtwert, Eigentumsbeschränkung, Legalitätsprinzip, Determinierungsgebot, VfGH / Parteiantrag, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2016:G673.2015

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten