RS Vfgh 2016/10/12 G431/2015

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Veröffentlicht am 12.10.2016
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Index

60/02 Arbeitnehmerschutz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
Väter-KarenzG §7 Abs3, §8f
VfGG §62 Abs1

Leitsatz

Abweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des Väter-KarenzG betreffend einen besonderen Entlassungsschutz bei Inanspruchnahme einer Teilzeitbeschäftigung; Erfordernis der gerichtlichen Zustimmung zur Entlassung sachlich gerechtfertigt im Hinblick auf das Ziel des Schutzes des Bestandes des Beschäftigungsverhältnisses; keine Gleichheitswidrigkeit und kein Verstoß gegen das Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung

Rechtssatz

Abweisung des - zulässigen - Parteiantrags auf Aufhebung einer Wortfolge in der Überschrift zu §8f, in §8f Abs1 Satz 1 und in §8f Satz 3 sowie der Sätze 2 und 3 des §7 Abs3 Väter-KarenzG.

Die Bedenken der antragstellenden Gesellschaft richten sich im Kern dagegen, dass das Väter-KarenzG neben einem besonderen Kündigungsschutz auch einen besonderen Entlassungsschutz für jene Väter, die mit dem Arbeitgeber eine Teilzeitvereinbarung getroffen haben, vorsehe. Nach Ansicht der antragstellenden Gesellschaft seien die angefochtenen Bestimmungen verfassungswidrig, weil sie die Wirkung hätten, dass eine durch den Arbeitgeber ausgesprochene Entlassung bis zur gerichtlichen Zustimmung schwebend unwirksam sei. Ein Arbeitnehmer, der einen Entlassungsgrund gesetzt habe, sei jedoch weniger schützenswert als sein Arbeitgeber. Mit diesem Vorbringen trägt die antragstellende Gesellschaft hinreichend deutlich Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen vor. Dass die antragstellende Gesellschaft durch anderes Verhalten Rechtsfolgen hätte abwenden können, ändert an der Zulässigkeit des Antrags nichts.

Angesichts des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Erlassung von Regelungen über den Kündigungs- bzw Entlassungsschutz zugunsten von als im öffentlichen Interesse besonders schützenswert angesehenen Gruppen von Arbeitnehmern begegnen die angefochtenen Bestimmungen keinen Bedenken.

Die Zielsetzung der Regelungen über den Kündigungs- und Entlassungsschutz nach dem Väter-KarenzG bzw dem MutterschutzG sowie dem ArbVG (ArbeitsverfassungsG; für Betriebsräte) einerseits und jener über den Kündigungs- und Entlassungsschutz für begünstigte Behinderte andererseits unterscheiden sich unter dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes wesentlich voneinander. Die Tatsache, dass eine Entlassung nach dem MutterschutzG wie nach dem Väter-KarenzG bis zur Erteilung der Zustimmung schwebend unwirksam ist, soll den Bestand des Beschäftigungsverhältnisses schützen und eine Umgehung des Kündigungsschutzes vermeiden. Angesichts dieser Ziele erweist sich das Erfordernis der gerichtlichen Zustimmung zur Entlassung als Voraussetzung ihrer Wirksamkeit als sachlich gerechtfertigt.

Auch der Vergleich mit den Bestimmungen des BEinstG (BehinderteneinstellungsG) vermag keine Gleichheitswidrigkeit zu begründen. Während der besondere Kündigungs- und Entlassungsschutz nach dem Väter-KarenzG bzw nach dem MutterschutzG (und in vergleichbarer Weise auch jener nach dem ArbVG) das Ziel verfolgt, dass der jeweils geschützte Personenkreis im Interesse anderer zeitlich befristet eine Betreuungs- bzw Vertretungsaufgabe wahrnehmen kann, ohne um den Bestand des Dienstverhältnisses fürchten zu müssen, liegt dem im BEinstG normierten besonderen (bloßen) Kündigungsschutz die Zielsetzung zugrunde, jene Nachteile, die begünstigte Behinderte auf Grund ihrer Behinderung auf dem Arbeitsmarkt erfahren, auszugleichen. Die Tatsache, dass beide Entlassungsregime ähnliche Ziele verfolgen, verpflichtet den Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraumes nicht dazu, identische Systeme zum Schutz des Bestandes von Beschäftigungsverhältnissen, die durch in der Person des Beschäftigten gelegene Gründe als solche als in besonderem Maße schutzbedürftig angesehen werden, vorzusehen.

Berücksichtigung der Interessen des Arbeitgebers an einer sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses einerseits durch Beschränkung des besonderen Entlassungsschutzes auf die Phase der intensivsten Betreuung in den ersten vier Lebensjahren des Kindes und andererseits durch die Möglichkeit, die Entlassung in Fällen besonders schwerwiegender Verfehlungen durch den Dienstnehmer auch gegen nachträgliche Zustimmung durch das Gericht auszusprechen.

Keine Verletzung im Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung.

Mit der Regelung des qualifizierten Kündigungs- und Entlassungsschutzes für dem Väter-KarenzG (bzw dem MutterschutzG) unterliegende Arbeitnehmer verfolgt der Gesetzgeber ein im öffentlichen Interesse gelegenes Ziel, nämlich den Schutz vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Zeiten, in denen Väter (gleich Müttern, für die das MutterschutzG entsprechende Regelungen vorsieht) Teile ihrer verfügbaren Zeit (und damit auch der sonst für die Berufstätigkeit verwendeten Zeit, dies unter Inkaufnahme von Einkommenseinbußen) der Kindererziehung widmen. Die angefochtenen Regelungen sind zur Zielerreichung geeignet.

Die angefochtenen Regelungen sind auch verhältnismäßig.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Arbeitsrecht, Arbeitnehmerschutz, Väterkarenz, Kündigungs- und Entlassungsschutz, Mutterschutz, Behinderteneinstellung, Erwerbsausübungsfreiheit, VfGH / Parteiantrag, VfGH / Legitimation, VfGH / Bedenken

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2016:G431.2015

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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