TE Vfgh Erkenntnis 2016/10/14 V11/2016

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Veröffentlicht am 14.10.2016
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Index

L5750 Camping, Mobilheim

Norm

B-VG Art18 Abs2
Vlbg CampingplatzG §14 Abs1, Abs2
Camping-V der Marktgemeinde Nenzing vom 10.12.2010 §2
VfGG §57 Abs1

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit des in einer Verordnung der Marktgemeinde Nenzing normierten Verbotes des Campierens auf privaten Grundstücken außerhalb von Campingplätzen mangels Erkennbarkeit bzw Nachvollziehbarkeit des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Verordnungserlassung

Spruch

I. §2 der Verordnung der Marktgemeinde Nenzing über die Regelung des Campierens auf dem Gemeindegebiet von Nenzing außerhalb von Campingplätzen vom 10. Dezember 2010, Zlen. 013 und 771-5, von der Gemeindevertretung beschlossen am 9. Dezember 2010 und verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 13. Dezember 2010 bis zum 3. Jänner 2011, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Vorarlberger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für das Land Vorarlberg verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Antrag

1.       Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z6 B-VG iVm Art148i B-VG sowie Art60 Abs2 Vorarlberger Landesverfassung, LGBl 9/1999 idF LGBl 89/2012, gestützten Antrag begehrt der Landesvolksanwalt von Vorarlberg die Aufhebung des §2 der Verordnung der Marktgemeinde Nenzing über die Regelung des Campierens auf dem Gemeindegebiet von Nenzing außerhalb von Campingplätzen vom 10. Dezember 2010 (im Folgenden: Camping-Verordnung), Zlen. 013 und 771-5, von der Gemeindevertretung beschlossen am 9. Dezember 2010 und verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 13. Dezember 2010 bis zum 3. Jänner 2011 zur Gänze, in eventu die Aufhebung näher bestimmter einzelner Wortfolgen der genannten Bestimmung.

II.      Rechtslage

1.       Das Vorarlberger Gesetz über die Errichtung und den Betrieb von Campingplätzen (Vbg. Campingplatzgesetz), LGBl 34/1981 idF LGBl 44/2013, lautet (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen) auszugsweise wie folgt:

"1. Abschnitt

Allgemeine Bestimmungen

§1

(1) Dieses Gesetz regelt die Errichtung und den Betrieb von Campingplätzen sowie das Kampieren außerhalb von Campingplätzen.

(2)–(4) […]

[…]

4. Abschnitt

Kampieren außerhalb von Campingplätzen

§14[…]

(1) Die Aufstellung von Zelten, Wohnwagen und ähnlichen beweglichen Unterkünften außerhalb von Campingplätzen ist vom Bürgermeister mit Bescheid zu untersagen, wenn Interessen der Sicherheit, der Gesundheit, des Schutzes der örtlichen Gemeinschaft, der Landwirtschaft, der Fremdenverkehrswirtschaft oder des Schutzes des Naturhaushaltes sowie des Landschafts- und Ortsbildes gröblich verletzt werden.

(2) Die Gemeindevertretung kann aus den im Abs1 genannten Gründen durch Verordnung bestimmen, dass Zelte, Wohnwagen und ähnliche bewegliche Unterkünfte außerhalb von Campingplätzen nur an bestimmten Orten oder an bestimmten Orten nicht aufgestellt werden dürfen.

[…]"

2.       Die Verordnung der Marktgemeinde Nenzing über die Regelung des Campierens auf dem Gemeindegebiet von Nenzing außerhalb von Campingplätzen vom 10. Dezember 2010, Zlen. 013 und 771-5, von der Gemeindevertretung beschlossen am 9. Dezember 2010, verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 13. Dezember 2010 bis zum 3. Jänner 2011, in Kraft getreten am 14. Dezember 2010, abrufbar auf der Homepage der Marktgemeinde Nenzing, lautet (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen, wobei die angefochtene Bestimmung hervorgehoben ist) auszugsweise wie folgt:

"Gemäß §14 Abs2 des Gesetzes über die Errichtung und den Betrieb von Campingplätzen (Campingsplatzgesetz), LGBlNr 34/1981, i.d.g.F., und dem Beschluss der Gemeindevertretung vom 9. Dezember 2010 wird im Interesse der Sicherheit, der Gesundheit, des Schutzes der örtlichen Gemeinschaft, der Fremdenverkehrswirtschaft und des Landschafts- und Ortsbildes verordnet:

§1

Zelte, Wohnwagen und ähnliche bewegliche Unterkünfte dürfen im Gemeindegebiet von Nenzing außerhalb von Campingplätzen auf öffentlichen Straßen und Plätzen nicht aufgestellt werden.

§2

Auf sonstigen Liegenschaften, die nicht zu einem Campingplatz gehören, dürfen Zelte, Wohnwagen und ähnliche bewegliche Unterkünfte bis zu einem Monat nur dann aufgestellt werden, wenn hygienisch einwandfreie sanitäre Anlagen im Nahbereich verfügbar und für die Bewohner dieser Unterkünfte nachweislich jederzeit zugänglich sind und die Abfallentsorgung gesichert ist.

§3

Das Nichtbefolgen der Bestimmungen dieser Verordnung wird von der Bezirksverwaltungsbehörde als Verwaltungsübertretung geahndet.

§4

[…]"

III.    Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.       Gegen die angefochtene Bestimmung hegt der Landesvolksanwalt von Vorarlberg im Wesentlichen die Bedenken, dass jene unverhältnismäßig in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Eigentum eingreife, keine Deckung in der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage (§14 Abs2 Vbg. Campingplatzgesetz) finde, gegen die Rücksichtnahmepflicht des Normgebers verstoße sowie unzureichend determiniert sei. Wörtlich bringt der Landesvolksanwalt von Vorarlberg u.a. Folgendes vor:

"Durch §2 der Verordnung der Marktgemeinde Nenzing über die Regelung des Campierens auf dem Gemeindegebiet von Nenzing außerhalb von Campingplätzen wird unverhältnismäßig ohne Vorliegen eines öffentlichen Interesses in das verfassungsrechtlich gewährleistet[e] Recht auf Eigentum gemäß Art5 StGG und Art1 1. ZP-MRK eingegriffen.

[…] Die Bestimmung normiert nicht nur eine vorübergehende Eigentumsbeschränkung. Eigentumsbeschränkungen sind ua zulässig[,] wenn sie im öffentlichen Interesse liegen und nicht unverhältnismäßig und unsachlich sind. Liegt eine gesetzliche Regelung vor, die als Eingriff in ein Freiheitsrecht mit Gesetzesvorbehalt zu werten ist, so ist zu prüfen, ob dieser ein öffentliches Interesse verfolgt. Dabei ist zu ermitteln, ob Ziel der Regelung der Schutz der Allgemeinheit oder einer durch Gattungsmerkmale definierte andere Personengruppe und ihre Rechte ist. Dem Protokoll der Gemeindevertretungssitzung am 09.12.2010 kann entnommen werden, dass es in der Marktgemeinde Nenzing zu Beschwerden über illegales Campieren auf öffentlichen Plätzen gekommen ist. Während der Gemeindevertretungssitzung wurde demnach lediglich die Problematik des Campierens auf öffentlichen Plätzen thematisiert. Ausführungen hinsichtlich der sonstigen Liegenschaften, die nicht zu einem Campingplatz gehören, können dem Protokoll nicht entnommen werden.

Die Stellungnahme der Marktgemeinde Nenzing vom 09.12.2015 geht ebenfalls nicht näher auf diese Thematik (Campieren auf sonstigen Liegenschaften) ein. Es wird lediglich dargelegt, dass im Gemeindegebiet von Nenzing immer wieder 'fahrende Völker' campieren. Weiters wurde mitgeteilt, dass es in diesem Zusammenhang zu massiven Belästigungen und hygienischen Missständen gekommen ist. Nähere Angaben wurden seitens der Marktgemeinde Nenzing dazu nicht getätigt.

In der Verordnung der Marktgemeinde Nenzing wurden im Ermächtigungsvermerk lediglich die im Gesetz angeführten Interessen zitiert[,] ohne[…] dass dem Protokoll zur Sitzung der Gemeindevertretung am 09.12.2010 bzw der Stellung[n]ahme der Marktgemeinde Nenzing vom 09.12.2015, Zl: 020-.9/15, detailliertere Ausführungen entnommen werden können[,] inwiefern die Regelung in §2 der gegenständlichen Verordnung dem Schutz der Allgemeinheit, einer sonst näher definierten Personengruppe oder der im Campingplatzgesetz normierten öffentlichen Interessen dient.

§2 der vorliegenden Verordnung dient (ausschließlich) dazu[,] privates Grundeigentum vor Eingriffen Dritter zu schützen und allfällige Eigentumseingriffe, die der Grundeigentümer jedenfalls mit privatrechtlichen Mitteln zu verfolgen hat, auf die öffentlich-rechtliche Ebene zu heben. Ein besonderes öffentliches Interesse, aus welchem Grund das Campieren auf privaten Liegenschaften als öffentlich-rechtliches Strafdelikt normiert werden muss, kann seitens des Landesvolksanwaltes nicht erkannt werden und wurde auch von der Marktgemeinde Nenzing […] nicht vorgebracht. […]

Die Eigentumsbeschränkung hat aber zur Folge, dass Grundstückseigentümer Dritten nicht mehr erlauben können, auf der eigenen Liegenschaft zu campieren, wenn die Auflagen, wie hygienisch einwandfreie sanitäre Anlagen, etc nicht zur Gänze erfüllt sind bzw werden. Selbst wenn die geforderten Auflagen erfüllt sind, kann das Campieren nicht länger als ein[en] Monat gestattet werden. Auch ist das reine Aufstellen von Zelten, und dazu zählen auch die inzwischen so beliebten Partyzelte, auch ohne die Absicht des Campierens auf privaten Liegenschaften für einen Zeitraum von mehr als einem Monat nicht mehr gestattet.

Für eine solche generelle Eigentumsbeschränkung ohne Abwägung der Verhältnismäßigkeit zwischen der uneingeschränkten privaten Nutzung (Stichwort: Freiheit des Eigentums) und den öffentlichen Interessen, wie beispielsweise der Sicherheit, der Gesundheit, des Schutzes der örtlichen Gemeinschaft, etc, fehlt ein klar nachgewiesenes öffentliches Interesse.

[…]

§14 Abs1 Campingplatzgesetz ermöglicht es auch Missstände eines Einzelfalles mittels Bescheid unter Abwägung der Verhältnismäßigkeit zu beseitigen. Die durchgeführte Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne einer Rechtsgüterabwägung zwischen privaten Freiheitsrechten und öffentlichen Interessen, wie der Sicherheit, der Gesundheit, des Schutzes der örtlichen Gemeinschaft, der Landwirtschaft, der Fremdenverkehrswirtschaft oder des Schutzes des Naturhaushaltes sowie des Landschafts- und Ortsbildes kann somit im Einzelfall im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens überprüft werden.

[…]

Festgehalten wird in diesem Zusammenhang zudem, dass der Halbsatz 'wenn hygienisch einwandfreie sanitäre Anlagen im Nahbereich verfügbar und für die Bewohner dieser Unterkünfte nachweislich jederzeit zugänglich sind' keinesfalls verhältnismäßig insbesondere im Hinblick auf die Verletzung des Determinierungsgebotes (siehe Pkt 'Unzureichende Determinierung') ist. Das Campingplatzgesetz selbst kennt keine Auflagen. Eine derartige Regelung ist daher unverhältnismäßig und überschießend, da für das Campieren auf privaten Liegenschaften strengere Anforderungen bestehen, als bei genehmigten Campingplätzen.

Ein gelinderes Mittel im Vergleich zu den in der Verordnung normierten unverhältnismäßigen Auflagen, wäre eine in der Verordnung geregelte Verpflichtung zum Aufstellen eines (Trocken-)WC, wenn das Campieren von Personen über eine bestimmte Dauer hinausgehen soll. Das Abstellen auf tatsächliches Campieren von Personen wäre auch ein erheblich geringer[er] Eingriff in das Eigentum, da das Aufstellen von Zelten ungehindert (nach Maßgabe der Bestimmungen des Baugesetzes) möglich bliebe.

Das Problem des illegalen Campieren[s] auf öffentlichen Plätzen und privaten Grundstücken könnte ebenfalls durch ein gelinderes Mittel beseitigt werden, nämlich durch eine in der Verordnung geregelte Verpflichtung, dass Campieren nur mit Zustimmung des Grundeigentümers der Liegenschaft erfolgen darf.

[…]

Eine Verordnung darf bloß präzisieren, was in den wesentlichen Konturen bereits im Gesetz selbst vorgezeichnet wurde. Soll ein Gesetz mit Durchführungsverordnung vollziehbar sein, müssen daraus also alle wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung ersehen werden können (Prinzip der Vorausbestimmung des Verordnungsinhaltes durch das Gesetz; VfGH 06.10.1988, G240/87, V146/87).

§14 Abs2 Campingplatzgesetz normiert ausdrücklich, dass die Gemeindevertretung im Interesse der Sicherheit, der Gesundheit, des Schutzes der örtlichen Gemeinschaft, der Landwirtschaft, der Fremdenverkehrswirtschaft oder des Schutzes des Naturhaushaltes sowie des Landschafts- und Ortsbildes durch Verordnung bestimmen kann, dass Zelte, Wohnwagen und ähnliche bewegliche Unterkünfte außerhalb von Campingplätzen nur an bestimmten Orten oder an bestimmten Orten nicht aufgestellt werden dürfen.

Die Gemeinde wird durch §14 Abs2 Campingplatzgesetz ermächtigt das Campieren außerhalb von Campingplätzen an bestimmten Orten zu erlauben bzw zu verbieten. Die Gesetzesstelle verbietet es dem Verordnungsgeber grundsätzlich im gesamten Ortsgebiet das Campieren außerhalb von Campingplätzen zu untersagen.

Wie bereits oben erwähnt hat die Gemeindevertretung der Marktgemeinde Nenzing auf Grundlage des §14 Abs2 Campingplatzgesetzes am 09.12.2010 die Verordnung über die Regelung des Campierens auf dem Gemeindegebiet von Nenzing außerhalb von Campingplätzen beschlossen.

[…]

Ergänzend dazu wird noch angeführt, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes eine Verwaltungsbehörde das Vorliegen der vom Gesetz geforderten Voraussetzungen und Umstände[,] unter denen die Erlassung von Verordnung[en] zulässig ist, umfassend und objektiv nachvollziehbar zu ermittel[n] hat (vgl ua VfSlg 9591, 9871).

[…]

Im Ermächtigungsvermerk der Verordnung der Marktgemeinde Nenzing wird zwar ausgeführt, dass die Erlassung der Verordnung über die Regelung des Campierens außerhalb von Campingplätzen im Interesse der Sicherheit, der Gesundheit, des Schutzes der örtlichen Gemeinschaft, der Fremdenverkehrswirtschaft und des Landschafts- und Ortsbildes liegt, jedoch muss, nachdem dem Landesvolksanwalt keine Ermittlungsergebnisse bekannt gegeben wurden, kein Amtsbericht übermittelt wurde und auch dem Protokoll zur Gemeindevertretungssitzung am 09.12.2010 keine Ermittlungsergebnisse entnommen werden können, davon ausgegangen werden, dass die Marktgemeinde Nenzing hinsichtlich der oben angeführten Interessen keine umfassenden und objektiv nachvollziehbaren Ermittlungen durchgeführt hat."

2.       Die Marktgemeinde Nenzing legte die Akten zur Erlassung der bekämpften Verordnung vor und erstattete eine Äußerung, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken wörtlich wie folgt entgegentritt:

"Vor der Erlassung der Verordnung der Marktgemeinde Nenzing über die Regelung des Campierens auf dem Gemeindegebiet von Nenzing außerhalb von Campingplätzen haben in regelmäßigen Abständen 'fahrende Völker' bis zu ca. zwei Wochen in Nenzing campiert. Die Wohnwagen und Autos haben sie dabei abwechselnd auf zwei öffentlichen Plätzen abgestellt. Allerdings gab es auch Anfragen für Privatgrundstücke.

Während den Aufenthalten dieser 'fahrenden Völker' kam es jedes Mal zu massiven Belästigungen der Bevölkerung und zu hygienischen Missständen, da diese Leute ihre Notdurft auf den öffentlichen Plätzen und auf den angrenzenden Privatgrundstücken verrichteten. Auch der anfallende Müll wurde nicht ordnungsgemäß entsorgt, sondern einfach weggeworfen.

Es wurden daher die Interessen der Sicherheit, der Gesundheit und des Landschafts- und Ortsbildes gröblich verletzt, sodass die Erlassung dieser Verordnung notwendig war.

Im Jahr 2015 kam es im Gemeindegebiet von Nenzing dann auch zu massiven Missständen durch bettelnde Roma. Bis zu 60 Personen haben sich auf mehreren Privatgrundstücken niedergelassen und dort ihre Zelte aufgestellt. Die Aufforderungen der Grundstückseigentümer, die Liegenschaften zu verlassen, haben diese Personen schlicht ignoriert. Diese Personen haben ohne jegliche sanitäre Einrichtungen auf den Privatgrundstücken campiert. Mehrere Hundert Quadratmeter Grundfläche waren durch menschlichen Kot und Abfälle verunreinigt. Durch Bauhofmitarbeiter der Marktgemeinde Nenzing mussten ca. 2,5 Tonnen illegal abgelagerten Müll abgeholt und entsorgt werden. Im Nahbereich dieser Liegenschaften verlaufende Spazierwege konnten zeitweise aufgrund des herum-liegenden Kots und der Geruchsbelästigung kaum mehr benutzt werden.

Zwecks Wahrung der Interessen der Sicherheit, der Gesundheit, des Schutzes der örtlichen Gemeinschaft, der Landwirtschaft, der Fremdenverkehrswirtschaft und des Landschafts- und Ortsbildes war die Verordnung der Marktgemeinde Nenzing über die Regelung des Campierens auf dem Gemeindegebiet von Nenzing außerhalb von Campingplätzen vom 9.12.2010 dringend notwendig."

3.       Die Vorarlberger Landesregierung erstattete ebenfalls eine Äußerung, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken wörtlich u.a. wie folgt entgegentritt:

"Was die Zulässigkeit des Hauptantrages und der Eventualanträge anbelangt, ist anzumerken, dass der Landesvolksanwalt […] seine Bedenken darlegt, ohne dabei zwischen dem Hauptantrag und den Eventualanträgen bzw. den einzelnen Eventualanträgen untereinander zu differenzieren, weshalb nicht ersichtlich ist, wogegen sich die vorgebrachten Bedenken im Einzelnen richten.

Wenn mehrere Bedenken vorgetragen werden und verschiedene Verordnungsstellen bekämpft werden, ist es jedoch Sache des Antragstellers, die jeweiligen Bedenken den verschiedenen Aufhebungsbegehren zuzuordnen.

Der Landesvolksanwalt hat dies verabsäumt, was die Unzulässigkeit des Hauptantrages sowie der Eventualanträge zur Folge hat.

[…]

Die gegenständliche Verordnung – und somit auch §2 – dient dem Interesse der Sicherheit, der Gesundheit, des Schutzes der örtlichen Gemeinschaft, der Fremdenverkehrswirtschaft und des Landschafts- und Ortbildes und ist somit im öffentlichen Interesse gelegen. Weiters ist §2 der gegenständlichen Verordnung geeignet, den Schutz der genannten öffentlichen Interessen sicherzustellen und ist hiezu auch erforderlich, wie ein Blick auf die Situation vor der Verordnungserlassung zeigt: So ist dem Schreiben der Marktgemeinde Nenzing vom 09.12.2015 zu entnehmen, dass vor der Verordnungserlassung immer wieder Personen im Gemeindegebiet von Nenzing campiert haben und es in diesem Zusammenhang zu Belästigungen und hygienischen Missständen gekommen ist (und zwar nicht nur wie vom Landesvolksanwalt behauptet auf öffentlichen Straßen und Plätzen), was die Gemeinde sodann zur Erlassung der gegenständlichen Verordnung veranlasst hat.

[…]

Aus dem Protokoll der Gemeindevertretungssitzung vom 09.12.2010 (Punkt 10) sowie dem Schreiben der Marktgemeinde Nenzing vom 09.12.2015 ergibt sich auch, dass die Verordnung nur darum beschlossen wurde, um konkret vorgefallene, massive Missstände, welche im Besonderen das öffentliche Interesse der Sicherheit, der Gesundheit und des Schutzes der örtlichen Gemeinschaft verletzt hatten, zu verhindern.

Dass es bereits konkrete Missstände gegeben hat, lässt solche auch für die Zukunft befürchten. Die Marktgemeinde Nenzing ist daher vertretbar davon ausgegangen, dass die Voraussetzung für die Verordnungserlassung gemäß §14 Abs2 iVm Abs1 Campingplatzgesetz vorlag."

IV.      Erwägungen

1.       Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1.    Gemäß Art139 Abs1 Z6 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof auf Antrag einer Einrichtung gemäß Art148i Abs2 B-VG über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen einer Landesbehörde. Gemäß Art148i Abs2 B-VG kann durch Landesverfassungsgesetz eine dem Art148f B-VG entsprechende Regelung geschaffen werden, wenn die Länder für den Bereich der Landesverwaltung Einrichtungen mit gleichartigen Aufgaben wie die Volksanwaltschaft schaffen. Gemäß Art60 Abs2 Vorarlberger Landesverfassung, LGBl 9/1999 idF LGBl 89/2012, erkennt der Verfassungsgerichtshof auf Antrag des Landesvolksanwaltes über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen, die im Bereich der Verwaltung des Landes ergangen sind.

1.2.    Gemäß §57 Abs1 VfGG hat der auf Art139 B–VG gestützte Antrag die gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Die Gründe der behaupteten Gesetzwidrigkeit sind präzise zu umschreiben, die Bedenken sind schlüssig und überprüfbar darzulegen. Dem Antrag muss mit hinreichender Deutlichkeit entnehmbar sein, zu welcher Rechtsvorschrift die zur Aufhebung beantragte Norm in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese These sprechen (vgl. VfSlg 19.825/2013 zum vergleichbaren §62 Abs1 VfGG).

1.2.1.   Die Vorarlberger Landesregierung bringt in ihrer Äußerung u.a. vor, dass den Ausführungen des Landesvolksanwaltes im Einzelnen nicht zu entnehmen sei, gegen welche Bestimmungen sich die jeweiligen Bedenken richten würden, da der Landesvolksanwalt hiebei nicht zwischen Haupt- und Eventualanträgen differenziere. Dem ist entgegenzuhalten, dass sich sämtliche geäußerten Bedenken offenkundig jedenfalls (auch) gegen die angefochtene Bestimmung zur Gänze richten und in den Ausführungen auch auf spezifische Bedenken hinsichtlich einzelner Wortfolgen eingegangen wird. Die Bedenken sind damit nicht pauschal vorgetragen, sondern im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zuordenbar (vgl. zB VfGH 13.9.2013, G61/2013 mwN).

1.2.2.  Vor diesem Hintergrund hält der Verfassungsgerichtshof den Antrag des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg für präzise umschrieben und hinreichend bestimmt.

1.3.    Da auch sonst keine gegen die Zulässigkeit sprechenden Umstände hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag insgesamt als zulässig.

2.       In der Sache

2.1.    Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl. VfSlg 11.580/1987, 13.335/1993, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2.    Der Antrag ist begründet:

2.2.1.  Auf das Wesentliche zusammengefasst behauptet der Landesvolksanwalt insbesondere einen unverhältnismäßigen Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Eigentum mit dem Argument, dass §2 Camping-Verordnung eine "nicht nur vorübergehende" Eigentumsbeschränkung "ohne Abwägung der Verhältnismäßigkeit zwischen der uneingeschränkten privaten Nutzung (Stichwort: Freiheit des Eigentums) und den öffentlichen Interessen" normiere. Auch bringt der Landesvolksanwalt vor, dass – nach dem ihm zugänglichen Kenntnisstand – davon ausgegangen werden müsse, dass hinsichtlich der Erlassung der Camping-Verordnung notwendige Abwägungen bezogen auf die gesetzliche Grundlage fehlten, die im Übrigen verbiete, "grundsätzlich im gesamten Ortsgebiet" das Kampieren zu untersagen.

2.2.2.  Demgegenüber wiesen die Marktgemeinde Nenzing wie auch die Vorarlberger Landesregierung darauf hin, dass es in der Vergangenheit auf öffentlichen Plätzen aber auch auf angrenzenden privaten Grundstücken – gegen den Willen der Grundstückseigentümer – des Öfteren zu Belästigungen der Bevölkerung insbesondere auf Grund hygienischer Missstände durch Verrichten der Notdurft in der Öffentlichkeit und achtlosen Wegwerfens von Müll gekommen sei.

2.2.3.  Zutreffend ist, so die Auffassung des Verfassungsgerichtshofes, dass §2 Camping-Verordnung, so nicht näher bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden, das Campieren auf privaten Grundstücken außerhalb von Campingplätzen verbietet. Damit ist der Landesvolksanwalt im Ergebnis im Recht:

2.2.4.  Der Verfassungsgerichtshof bezweifelt nicht, dass durch wildes Campieren Zustände eintreten könnten, die den öffentlichen Interessen widersprechen würden. Zeichnen sich das örtliche Gemeinschaftsleben beeinträchtigende Zustände, allenfalls sogar ein Missstand ab, der durch Erlassung von Bescheiden gemäß §14 Abs1 des Vbg. Campingplatzgesetzes nicht abgestellt werden kann, steht es der Gemeinde auch frei, eine Verordnung zu erlassen, die die Sicherheit und Gesundheit der örtlichen Gemeinschaft zu schützen geeignet ist. Insofern bestehen grundsätzlich keine Bedenken, wenn die Gemeindevertretung von der vom Landesgesetzgeber eingeräumten Ermächtigung, eine Verordnung zu erlassen, Gebrauch macht, da das intendierte Ziel der Hintanhaltung der das örtliche Zusammenleben störenden Verhaltensweisen durch die Erlassung von Bescheiden (vgl. §14 Abs1 Vbg. Campingplatzgesetz) anscheinend nicht erreicht werden kann. In solchen Fällen kann eine Verordnung erlassen werden (vgl. §14 Abs2 Vbg. Campingplatzgesetz), die das Campieren an bestimmten Orten aus den in Abs1 leg.cit. genannten Gründen (Schutzzwecken) erlaubt oder verbietet.

2.2.5.  Allerdings ist für den Verfassungsgerichtshof – selbst unter Berücksichtigung des ihm vorliegenden Sitzungsprotokolls der Gemeindevertretung vom 9. Dezember 2010 – weder erkennbar noch nachvollziehbar, dass die Voraussetzungen für die Erlassung des §2 der angefochtenen Camping-Verordnung überhaupt vorliegen. Die im Verfahren vorgebrachten Argumente der Marktgemeinde Nenzing sowie der beteiligten Landesregierung ersetzen die Notwendigkeit des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung nicht.

V.       Ergebnis

1.       §2 der Camping-Verordnung ist daher schon deshalb als gesetzwidrig aufzuheben.

2.       Die Verpflichtung der Vorarlberger Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 litf des Vorarlberger Gesetzes über die Kundmachung von Rechtsvorschriften der Organe des Landes (Vbg. Kundmachungsgesetz).

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Campingplätze, Verordnungserlassung, VfGH / Bedenken, VfGH / Formerfordernisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2016:V11.2016

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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