RS Vfgh 2016/10/14 E552/2016 ua

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Veröffentlicht am 14.10.2016
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Index

L4000 Anstandsverletzung, Bettelei, Ehrenkränkung, Lärmerregung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art118 Abs6
EMRK Art6, Art10
Vlbg Landes-SicherheitsG §7 Abs3
Dornbirner BettelverbotsV vom 12.11.2016

Leitsatz

Keine Bedenken gegen die Dornbirner Bettelverbots-Verordnung betreffend ein Verbot des stillen Bettelns während der Abhaltung von bestimmten Märkten; kein Verstoß gegen die - verfassungsrechtlich unbedenkliche - landesgesetzliche Ermächtigung zur Erlassung eines solchen Bettelverbotes wegen Vorliegens eines die Benützung eines öffentlichen Ortes durch andere Personen erschwerenden, spezifischen Missstandes

Rechtssatz

Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §7 Abs3 Vlbg Landes-SicherheitsG.

Die landesgesetzliche Ermächtigung in §7 Abs3 Vlbg Landes-SicherheitsG sieht vor, dass die Gemeinden ein Bettelverbot an bestimmten öffentlichen Orten erlassen dürfen, wenn "aufgrund der dort zu erwartenden Anzahl an bettelnden Personen und der örtlichen Verhältnisse zu befürchten ist, dass die Benützung des öffentlichen Orts durch andere Personen erschwert wird, oder durch solches Betteln sonst ein das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstand bereits besteht oder unmittelbar zu erwarten ist". §7 Abs3 Vlbg Landes-SicherheitsG stellt damit - im Einklang mit VfSlg 19662/2012 - auf einen schon bestehenden oder unmittelbar bevorstehenden Missstand ab. Da sich die Bettelei zwar stets nur in einer Gemeinde iS des Art118 Abs6 B-VG als Missstand manifestieren kann, jedoch das Verbot des stillen Bettelns in einer Gemeinde sich in Form der Verlagerung der Bettelei auf andere Gemeinden auswirken könnte, ist es unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden, dass es der Landesgesetzgeber - hier durch die Ermächtigung in Abs3 leg cit - den Gemeinden ausnahmsweise ermöglicht, auch stilles Betteln als in Betracht kommenden Missstand rechtlich einzuordnen, indem er sie zu einem Verbot des stillen Bettelns ermächtigt, wenn dafür unter den besonderen Umständen der spezifischen örtlichen Gegebenheiten ein öffentliches Interesse besteht.

Der Landesgesetzgeber geht im Sinne des verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmens dabei davon aus, dass die "Erschwernis" der Benützung des öffentlichen Raumes einer gewissen Erheblichkeit iS eines Missstandes bedarf. Die Anwendung des §7 Abs3 Vlbg Landes-SicherheitsG setzt freilich voraus, dass die verfassungsrechtlichen Grenzen eingehalten werden.

Die Dornbirner Bettelverbots-V (betr ein Verbot des stillen Bettelns während der Abhaltung von bestimmten Märkten [Wochen-, Martini-, Christkindlemarkt, Kunsthandwerks- und Gelegenheitsmärkte] in einem der Verordnung beiliegenden Lageplan ausgewiesenen Gebiet) entspricht der landesgesetzlichen Ermächtigung des §7 Abs3 Vlbg Landes-SicherheitsG.

Offenkundiges Vergreifen des Verordnungsgebers im Ausdruck durch Nennung des Abs2 des §7 Vlbg Landes-SicherheitsG statt Abs1 leg cit, wie in §7 Abs3 leg cit vorgesehen.

Der Amtsbericht der städtischen Abteilung für Recht und öffentliche Sicherheit an die Stadtvertretung der Stadt Dornbirn dokumentiert - in einer für den VfGH für die Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung notwendigen nachvollziehbaren Weise - einen spezifischen Missstand an Marktplätzen durch bettelnde Personen, der durch das Vlbg Landes-SicherheitsG nicht hinreichend abgewehrt werden kann. Es wird belegt, dass auf Grund der spezifischen örtlichen Gegebenheiten, von denen der Verordnungsgeber ausgeht, durch bettelnde Personen die bestimmungsgemäße Benützung dieser öffentlichen Orte, an denen zu den Marktzeiten nachweislich dichtes Gedränge herrscht, derart erschwert wird, dass ein das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstand vorliegt. Der Bericht macht weiters deutlich, dass ein Freihalten der Zu- und Abgänge zu bzw von den einzelnen Marktplätzen wegen der dort bettelnden Personen nicht möglich ist. Damit ist auch die Festlegung der Verbotszone nicht zu beanstanden. Das Verbot des Bettelns ist zur spezifischen Nutzung dieser öffentlichen Orte als Marktplätze örtlich beschränkt und zeitlich begrenzt, indem es sich nur auf das Marktumfeld bezieht und im Wesentlichen nur solange dauert wie der Marktbetrieb selbst. Außerhalb dieses zeitlichen Verbotes ist Betteln auch an diesen öffentlichen Plätzen weiterhin erlaubt. Die Dornbirner Bettelverbots-V erweist sich demnach nicht als unsachlich.

Auch ist durch den der Dornbirner Bettelverbots-V beiliegenden Lageplan, der Bestandteil der Verordnung ist, die Verbotszone klar festgelegt. Die Märkte, auf denen das Betteln verboten ist, müssen sich alle innerhalb dieser Zone befinden, um ein Zuwiderhandeln als Verwaltungsübertretung zu bestrafen.

Dem Vorbingen, dass andere Nutzungsformen wie etwa das Sammeln von Spenden durch gemeinnützige Organisationen auf öffentlichen Plätzen erlaubt ist, ist entgegenzuhalten, dass von diesen Nutzungen keine Störung des örtlichen Gemeinschaftslebens ausgeht. Solche Aktionen sind - wie die Äußerung der Stadtvertretung der Stadt Dornbirn darlegt - klaren Regelungen unterworfen.

Abweisung der Beschwerden gegen die verhängten Geldstrafen; keine Willkür, keine Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren nach Art6 EMRK.

Entscheidungstexte

  • E552/2016 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 14.10.2016 E552/2016 ua

Schlagworte

Bettelverbot, Sicherheitspolizei örtliche, Gemeinderecht, Wirkungsbereich eigener, Verordnungserlassung, Meinungsäußerungsfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2016:E552.2016

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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