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L6500 Jagd, WildNorm
B-VG Art140 Abs1 / PrüfungsumfangLeitsatz
Keine Verfassungswidrigkeit der Regelungen über die Jagdfreistellung von Grundstücken im Kärntner JagdG 2000; spezifisches öffentliches Interesse in Österreich und im Besonderen in Kärnten an einer flächendeckenden Jagdbewirtschaftung zur Hintanhaltung von Wildschäden im Wald angesichts der im europäischen Vergleich höchsten Schalenwilddichte; kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Eigentumsrecht eines die Jagd aus ethischen Gründen ablehnenden Grundeigentümers durch die Verpflichtung zur Duldung der Jagdausübung; Erfordernis einer Umzäunung des Grundstücks für ein "Ruhen der Jagd" nicht unverhältnismäßigRechtssatz
Zulässigkeit des von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens im Umfang des §15 Abs2 und Abs3 Krnt JagdG 2000 (K-JG).
Denkmögliche Anwendung des §15 Abs2 K-JG im Anlassfall (betr Abweisung des Antrags des Beschwerdeführers, seine Grundstücke für jagdfrei zu erklären, unter anderem mit der Begründung, dass die Grundstücke nicht eingefriedet seien); untrennbarer Zusammenhang des §15 Abs3 K-JG mit §15 Abs2 K-JG.
Im Übrigen Einstellung des Verfahrens.
Keine Präjudizialität des §15 Abs4 K-JG und kein untrennbarer Zusammenhang zu §15 Abs2 K-JG.
§15 Abs2 und Abs3 K-JG werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben.
Die dem Eigentümer eines Grundstückes gesetzlich auferlegte Verpflichtung zur Duldung der Ausübung der Jagd stellt eine Nutzungsregelung iSd Art1 Abs2 1. ZPEMRK dar. Solche Nutzungsregelungen sind hoheitliche Maßnahmen, die einen bestimmten Gebrauch des Eigentums gebieten oder untersagen; dies grundsätzlich unabhängig davon, ob die Maßnahme mit den ethischen Überzeugungen des Grundeigentümers vereinbar ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in den Fällen Chassagnou ua gegen Frankreich, Schneider gegen Luxemburg und Herrmann gegen Deutschland die ethischen Überzeugungen des Grundeigentümers jedoch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt und dahingehend festgehalten, dass die Verpflichtung eines Grundeigentümers zur Duldung einer von ihm ethisch abgelehnten Tätigkeit geeignet ist, den zwischen dem Schutz des Eigentumsrechts und den Erfordernissen des Allgemeininteresses herbeizuführenden gerechten Ausgleich zu stören und dem betroffenen Grundeigentümer eine unverhältnismäßige Last aufzubürden, die mit Art1 des 1. ZPEMRK unvereinbar ist.
Die Situation in Kärnten unterscheidet sich aber in wesentlichen Punkten von der Sach- und Rechtslage, die den vom EGMR entschiedenen Fällen zugrunde lag.
In Österreich - und im Besonderen in Kärnten - besteht ein spezifisches Interesse an einer flächendeckenden Jagdbewirtschaftung.
Nach den Ergebnissen des Gesetzesprüfungsverfahrens ist die Schalenwilddichte und Diversität in Österreich im europäischen Vergleich am höchsten. Die Rotwildbestände hinterlassen deutliche Spuren im Waldbewuchs durch Verbiss und Schälung; dies vor allem bei jungen Bäumen. Bei rund der Hälfte der österreichischen Waldflächen ist die notwendige Verjüngung nicht gegeben. Dies ist überwiegend auf Wildverbiss zurückzuführen.
Für die Erhaltung des Waldes und aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es daher notwendig, die Wildbestände grundsätzlich zu kontrollieren und zu reduzieren. Um Wild aus Gebieten, die besonders von Schäden betroffen sind, fernzuhalten, bedarf es zudem der Ausübung eines permanenten Jagddruckes.
Der permanente Jagddruck - und die damit verbundene Lenkung des Wildes - ist auch zur Hintanhaltung von Wildunfällen notwendig.
In der alpinen biogeographischen Region - darunter fällt das gesamte Kärntner Landesgebiet - besteht überdies ein besonderes öffentliches Interesse am Schutz des Waldes vor Wildschäden. Wegen der im alpinen Raum bestehenden Gefährdung des Standorts durch die abtragenden Kräfte (Erosion) ist der Schutzwaldanteil in Kärnten entsprechend hoch.
Dazu kommt die völkerrechtliche Verpflichtung Österreichs zur Setzung von Maßnahmen zum Schutz des Waldes im alpinen Gebiet (vgl die Protokolle zur Durchführung der Alpenkonvention im Bereich Berglandwirtschaft, BGBl III 231/2002, und im Bereich Bergwald, BGBl III 233/2002).
Die Erfüllung der öffentlichen Interessen insbesondere an der Hintanhaltung von Wildschäden im Wald sowie an der planmäßigen Jagdbewirtschaftung des gesamten Landesgebietes (vgl §55a ff K-JG) kann anders als durch flächendeckende - also grundsätzlich ausnahmslose - Bejagung und die damit einhergehende Verpflichtung der Grundstückseigentümer im Gemeindejagdgebiet zur Duldung der Jagdausübung auf ihren Grundstücken nicht adäquat erreicht werden.
Die Gefährdung des Waldes durch Wild kann nur durch eine Reduzierung der Wildbestände erreicht werden, zumal Sanierungsmaßnahmen im Wald eine erhebliche volkswirtschaftliche Bedeutung zukommt. Trotz der in §71 K-JG vorgeschriebenen Maßnahmen - etwa die Vorschreibung der Errichtung von Wildzäunen oder die Fütterungen zur Lenkung des Rotwildes in bestimmte Zonen - ist die flächendeckende Bejagung zur Erfüllung der bestehenden öffentlichen Interessen daher erforderlich.
Der Wegfall der Einfriedungen iSd §15 Abs2 und Abs3 K-JG zur Isolierung von nicht bejagten Flächen unabhängig von Beschaffenheit und Lage dieser Flächen hätte zudem zur Folge, dass die mit der wildökologischen Raumplanung gemäß §55a ff K-JG verfolgten Ziele einer planmäßigen Steuerung der Wildbestände im Kärntner Landesgebiet vereitelt werden würden. Insbesondere könnten auf nicht umfriedeten Grundstücken, auf denen die Jagd ruht, keine geeigneten Maßnahmen zur Erhaltung eines gesunden Wildbestandes, dh zur Bestandskontrolle oder zum Schutz vor Wildkrankheiten, gesetzt werden. Abschussnotwendiges Wild könnte nicht erlegt und Maßnahmen zum Schutz vor Raubwild und vor wildernden Hunden und Katzen nicht getroffen werden. Denn "Ruhen der Jagd" bedeutet nicht nur, dass das Wild nicht beschossen werden darf, sondern auch, dass es untersagt ist, das Wild aufzusuchen, zu treiben oder anderswie zu verfolgen oder zu fangen. Ferner darf auf Grundstücken, auf denen die Jagd ruht, weder die Jagd im engeren Sinn noch der Jagd- und Wildschutz ausgeübt werden.
Daher ist es nicht unverhältnismäßig, wenn der Gesetzgeber für die Jagdfreistellung eines Grundstückes iSd §15 Abs2 K-JG dessen Umzäunung verlangt. Diese Regelung kann auch von jemandem, der die Jagd aus ethischen Gründen ablehnt, in Anspruch genommen werden.
(Anlassfall E1354/2015, B v 15.10.2016, Ablehnung der Behandlung der Beschwerde).
Schlagworte
Jagdrecht, Eigentumseingriff, Wildschaden, Völkerrecht, VfGH / PrüfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2016:G7.2016Zuletzt aktualisiert am
01.03.2018