RS Vfgh 2016/10/15 E560/2016

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 15.10.2016
beobachten
merken

Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art130 Abs1 Z1, Abs2 Z1
EMRK Art3, Art13
Richtlinie 2013/33/EU zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Aufnahme-RL) Art17, Art18, Art20, Art26
EU-Grundrechte-Charta Art47
Wr GrundversorgungsG §1, §2, §3

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Zurückweisung der Verhaltensbeschwerde eines iranischen Asylwerbers wegen unzureichender Grundversorgung; keine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes Wien zur Entscheidung infolge Fehlens einer einfachgesetzlichen Grundlage; auch im Fall von nicht oder nicht im begehrten Ausmaß gewährten, von der Aufnahme-RL garantierten Grundversorgungsleistungen Verpflichtung zur bescheidmäßigen Erledigung eines diesbezüglichen Antrags; unionsrechtlich gebotener Rechtsschutz damit gewährleistet

Rechtssatz

Eine einfachgesetzliche Grundlage, die gemäß Art130 Abs2 Z1 B-VG die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes Wien zur Entscheidung über die eingebrachte Verhaltensbeschwerde begründen würde, liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht Wien hat die Beschwerde daher zu Recht zurückgewiesen.

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Das Wr GrundversorgungsG (WGVG) enthält keine den Rechtsschutz regelnden Bestimmungen. Mit der Umsetzung der Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Wien wurde mit Beschluss des Wiener Gemeinderates der Fonds Soziales Wien betraut, der mit keinen hoheitlichen Befugnissen ausgestattet ist; Leistungen nach dem WGVG werden also grundsätzlich im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährt.

Das WGVG fällt in einem Teilbereich - nämlich soweit Personen davon betroffen sind, die einen Antrag auf internationalen Schutz (§1 Abs3 Z1 WGVG; §2 Abs1 Z13 AsylG 2005) gestellt haben - in den Anwendungsbereich der Aufnahme-RL. Insoweit sind daher die Bestimmungen der Aufnahme-RL zu berücksichtigen und die Bestimmungen des WGVG im Lichte der Richtlinie auszulegen.

Nach Art20 Abs5 der Aufnahme-RL setzt die Einschränkung bzw der Entzug von Grundversorgungsleistungen eine im Einzelfall begründete Entscheidung voraus; diese Entscheidung muss im Rahmen eines in der nationalen Rechtsordnung vorgesehenen Rechtsweges bekämpfbar sein (Art26 Aufnahme-RL). Nun ist es aus unionsrechtlicher Sicht unerheblich, ob staatliche Leistungen durch Vertrag oder hoheitlichen Verwaltungsakt gewährt werden. Die Verfassung stellt es dem einfachen Gesetzgeber ebenso weithin frei, eine Angelegenheit entweder dem Bereich hoheitlicher oder dem Bereich privatwirtschaftlicher Vollziehung zuzuweisen.

Die Leistungen gemäß der Aufnahme-RL sind den Asylwerbern bei Vorliegen der Voraussetzungen grundsätzlich unmittelbar, ohne dass es einer weiteren Antragstellung bedarf, zu gewähren. Sofern solche Leistungen nicht gewährt werden, ist es nach dem österreichischen Rechtsschutzsystem erforderlich, dass darüber eine behördliche Entscheidung ergeht, damit die in Art26 Aufnahme-RL enthaltenen Anforderungen an den Rechtsschutz in einer dem Effizienzgebot entsprechenden Weise erfüllt werden (vgl A15/2015, B v 15.10.2016).

Es hat daher nicht nur, wie der VfGH bereits in VfSlg 18447/2008 ausgesprochen hat, im Falle von Einschränkungen bzw Entziehung von Leistungen, die von der Aufnahme-RL garantiert werden, eine bescheidmäßige Erledigung zu erfolgen, sondern stets dann, wenn Leistungen nach der Aufnahme-RL nicht oder nicht in dem vom betreffenden Asylwerber begehrten Ausmaß gewährt werden. Sofern eine Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, keine oder ihrer Auffassung nach unzureichende Leistungen gemäß der die Aufnahme-RL umsetzenden gesetzlichen Bestimmungen (hier: §3 WGVG) erhält, hat sie die Möglichkeit, mit einem Antrag derartige Leistungen bzw. solche Leistungen in der von ihr als gesetzmäßig erachteten Weise zu begehren; über diesen Antrag ist mit Bescheid abzusprechen. In der Folge besteht der - Art26 Aufnahme-RL entsprechende - Rechtsschutz gemäß Art130 Abs1 Z1 B-VG, wonach gegen einen solchen Bescheid die Landesverwaltungsgerichte und anschließend die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts anrufbar sind.

Zuständig zur Erlassung eines derartigen Bescheides ist, da es sich um Landesvollziehung handelt und keine andere Behörde dazu gesetzlich berufen ist, gemäß §107 Wr Stadtverfassung der Magistrat als Bezirksverwaltungsbehörde.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Grundversorgung, Rechtsschutz, Verwaltungsgericht Zuständigkeit, Privatwirtschaftsverwaltung, EU-Recht Richtlinie, Auslegung eines Gesetzes

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2016:E560.2016

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten