TE Vfgh Erkenntnis 2016/11/29 E847/2016

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Veröffentlicht am 29.11.2016
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §57
FremdenpolizeiG 2005 §46a, §125 Abs28 idF BGBl I 70/2015

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" wegen Nichterfüllung der Voraussetzung des Ablaufs der Jahresfrist seit Ausstellung der Karte für Geduldete; ex lege eingetretene Duldung nach der vor Inkrafttreten des FremdenrechtsänderungsG 2015 geltenden Rechtslage mit Blick auf eine Übergangsbestimmung zu berücksichtigen; Willkür mangels Auseinandersetzung mit der Frage einer ex lege eingetretenen Duldung

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 26. Februar 2014 einen Antrag auf Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß §57 Abs1 Z1 AsylG 2005. Dem Beschwerdeführer wurde am 3. September 2015 eine Karte für Geduldete ausgefolgt; sein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10. Februar 2016 abgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 21. März 2016 abgewiesen.

Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass sich die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 19.935/2014 getroffene Feststellung, wonach eine Duldung gemäß §46a Abs1a FPG idF BGBl I 38/2011 bereits ex lege mit dem Vorliegen der tatsächlichen Unmöglichkeit der Abschiebung und nicht erst mit der behördlichen Feststellung eintrete, nur "in Zusammenhang mit der damals geltenden Rechtslage zu betrachten" sei. Mit dem am 20. Juli 2015 in Kraft getretenen §46a Abs6 FPG idF BGBl I 70/2015 habe der Gesetzgeber klargestellt, dass der Aufenthalt eines Fremden ab Ausfolgung der Karte bzw. ab dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Feststellung der Duldung als geduldet gelte. Dem Beschwerdeführer sei die Karte am 3. September 2015 ausgefolgt worden, weshalb er ab diesem Zeitpunkt als im Bundesgebiet geduldet anzusehen sei.

Eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" sei im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen gemäß §57 Abs1 Z1 AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß §46a Abs1 Z1 oder Z3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet sei und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorlägen. Der Beschwerdeführer sei noch nicht seit einem Jahr im Bundesgebiet geduldet, weshalb die Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nicht gegeben seien.

2.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Die Duldung des Beschwerdeführers sei nach der vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 19.935/2014 vertretenen Rechtsansicht zu dem bis 31. Dezember 2013 in Geltung stehenden §46a Abs1a FPG idF BGBl I 38/2011 bereits ex lege mit der tatsächlichen Unmöglichkeit seiner Abschiebung und nicht erst mit der behördlichen Feststellung durch Ausstellung der Karte eingetreten. §46a FPG sei erst durch das am 20. Juli 2015 in Kraft getretene Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015, BGBl I 70, dahingehend novelliert worden, dass der Aufenthalt von Fremden nunmehr ab der Ausfolgung der Karte bzw. dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Feststellung der Duldung als geduldet gelte.

3.       Das Bundesverwaltungsgericht sowie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl haben die Gerichts- bzw. Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II.      Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1.       Der durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015, BGBl I 70, novellierte und am 20. Juli 2015 in Kraft getretene §46a FPG lautet:

"Duldung

§46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist zu dulden, solange

1. deren Abschiebung gemäß §§50, 51 oder 52 Abs9 unzulässig ist, vorausgesetzt die Abschiebung ist nicht in einen anderen Staat zulässig;

2. deren Abschiebung gemäß §§8 Abs3a und 9 Abs2 AsylG 2005 unzulässig ist;

3. deren Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenen Gründen unmöglich erscheint oder

4. die Rückkehrentscheidung im Sinne des §9 Abs1 bis 3 BFA-VG vorübergehend unzulässig ist;

es sei denn, es besteht nach einer Entscheidung gemäß §61 weiterhin die Zuständigkeit eines anderen Staates oder dieser erkennt sie weiterhin oder neuerlich an.

(2) Die Duldung gemäß Abs1 Z3 kann vom Bundesamt mit Auflagen verbunden werden; sie endet jedenfalls mit Wegfall der Hinderungsgründe. Die festgesetzten Auflagen sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§7 Abs1 VwGVG) während des anhängigen Verfahrens mitzuteilen; über sie ist insbesondere hinsichtlich ihrer Fortdauer im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen. §56 gilt sinngemäß.

(3) Vom Fremden zu vertretende Gründe liegen jedenfalls vor, wenn er

1. seine Identität verschleiert,

2. einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder

3. an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.

(4) Bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs1 hat das Bundesamt von Amts wegen oder auf Antrag eine Karte für Geduldete auszustellen. Im Antrag ist der Grund der Duldung gemäß Abs1 Z1, 2, 3 oder 4 zu bezeichnen. Die Karte dient dem Nachweis der Identität des Fremden im Verfahren vor dem Bundesamt und hat insbesondere die Bezeichnungen 'Republik Österreich' und 'Karte für Geduldete', weiters Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Lichtbild und Unterschrift des Geduldeten sowie die Bezeichnung der Behörde, Datum der Ausstellung und Namen des Genehmigenden zu enthalten. Die nähere Gestaltung der Karte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest.

(5) Die Karte für Geduldete gilt ein Jahr beginnend mit dem Ausstellungsdatum und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs1 über Antrag des Fremden für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Die Karte ist zu entziehen, wenn

1. deren Gültigkeitsdauer abgelaufen ist;

2. die Voraussetzungen der Duldung im Sinne des Abs1 nicht oder nicht mehr vorliegen;

3. das Lichtbild auf der Karte den Inhaber nicht mehr zweifelsfrei erkennen lässt oder

4. andere amtliche Eintragungen auf der Karte unlesbar geworden sind.

Der Fremde hat die Karte unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen, wenn die Karte entzogen wurde oder Umstände vorliegen, die eine Entziehung rechtfertigen würden. Wurde die Karte entzogen oder ist diese vorzulegen, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und das Bundesamt ermächtigt, die Karte abzunehmen. Von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes abgenommene Karten sind unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen.

(6) Der Aufenthalt des Fremden gilt mit Ausfolgung der Karte als geduldet, es sei denn das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs1 wurde bereits zu einem früheren Zeitpunkt rechtskräftig festgestellt. Diesfalls gilt der Aufenthalt ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Feststellung als geduldet."

2.       Die Übergangsbestimmung des §125 Abs28 FPG idF BGBl I 70/2015 lautet:

"Übergangsbestimmungen

§125. (28) Ein vor dem 20. Juli 2015 geduldeter Aufenthalt gilt im Falle des

1. §46a Abs1 Z1 als Duldung gemäß §46a Abs1 Z1,

2. §46a Abs1 Z2 als Duldung gemäß §46a Abs1 Z2,

3. §46a Abs1a als Duldung gemäß §46a Abs1 Z3 und

4. §46a Abs1c als Duldung gemäß §46a Abs1 Z4

in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 70/2015."

3.       Der ebenfalls mit Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 novellierte §57 AsylG 2005 idF BGBl I 70/2015 lautet:

"'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz'

§57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine 'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß §46a Abs1 Z1 oder Z3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des §73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§382b oder 382e EO, RGBl. Nr 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der 'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs1 Z2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der 'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs3 und §73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs1 Z2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs1 Z3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."

4.       Der bis zum 31. Dezember 2013 in Geltung stehende §46a FPG idF BGBl I 38/2011 lautete:

"Duldung

§46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist geduldet, solange deren Abschiebung gemäß

1. §§50 und 51 oder

2. §§8 Abs3a und 9 Abs2 AsylG 2005 unzulässig ist.

(1a) Darüber hinaus ist der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet geduldet, wenn die Behörde von Amts wegen feststellt, dass die Abschiebung des Betroffenen aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich ist, es sei denn, dass nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §5 AsylG 2005 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt. Diese Duldung kann von der Behörde mit Auflagen verbunden werden, sie endet jedenfalls mit Wegfall der Hinderungsgründe. Die festgesetzten Auflagen sind dem Fremden von der Behörde mit Verfahrensanordnung (§63 Abs2 AVG) mitzuteilen. §56 gilt sinngemäß.

(1b) Vom Fremden zu vertretende Gründe liegen jedenfalls vor, wenn er

1. seine Identität verschleiert,

2. einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder

3. an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.

(2) Die Behörde hat Fremden, deren Aufenthalt im Bundesgebiet geduldet ist, eine Karte für Geduldete auszustellen. Die Karte dient dem Nachweis der Identität des Fremden im Verfahren nach diesem Bundesgesetz oder nach Abschluss eines Verfahrens nach dem AsylG 2005 und hat insbesondere die Bezeichnungen 'Republik Österreich' und 'Karte für Geduldete', weiters Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Lichtbild und Unterschrift des Geduldeten sowie die Bezeichnung der Behörde, Datum der Ausstellung und Namen des Genehmigenden zu enthalten. Die nähere Gestaltung der Karte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest.

(3) Die Karte für Geduldete gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs1 über Antrag des Fremden für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Die Gültigkeit der Karte für Geduldete gemäß Abs1a endet mit dem Ende der Duldung. Die Karte ist zu entziehen, wenn

1. deren Gültigkeitsdauer abgelaufen ist;

2. eine Duldung im Sinne des Abs1 nicht oder nicht mehr vorliegt;

3. das Lichtbild auf der Karte den Inhaber nicht mehr zweifelsfrei erkennen lässt oder

4. andere amtliche Eintragungen auf der Karte unlesbar geworden sind.

Der Fremde hat die Karte unverzüglich der Behörde vorzulegen, wenn die Karte entzogen wurde oder Umstände vorliegen, die eine Entziehung rechtfertigen würden. Wurde die Karte entzogen oder ist diese vorzulegen, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und die Behörde ermächtigt, die Karte abzunehmen. Abgenommene Karten sind unverzüglich der Behörde vorzulegen, in deren örtlichen Wirkungsbereich das Organ eingeschritten ist. Diese hat die Karte an die zuständige Behörde weiterzuleiten."

III.    Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.    Gemäß §57 Abs1 Z1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß §46a Abs1 Z1 oder Z3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§17 StGB) rechtskräftig verurteilt.

2.2.    Mit dem am 20. Juli 2015 durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015, BGBl I 70, in Kraft gesetzten §46a Abs6 FPG wurde der Beginn der Duldung insoweit verändert, als der Aufenthalt eines Fremden nunmehr – soweit das Vorliegen der Voraussetzungen nach §46a Abs1 FPG nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt rechtskräftig festgestellt wurde – mit Ausfolgung der Karte als geduldet gilt. Demgegenüber trat die Duldung nach der bis dahin geltenden Rechtslage bereits ex lege mit dem Zeitpunkt ein, in dem feststand, dass die Gründe für die Unmöglichkeit der Abschiebung auf Dauer gegeben waren (vgl. VfSlg 19.935/2014 sowie die Erläut. zur RV 582 25. GP, 20). Der Ausstellung der Karte für Geduldete kommt nunmehr grundsätzlich konstitutive Wirkung zu (vgl. zu dem durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 bewirkten "Systemwechsel" Hinterberger/Klammer, Das Rechtsinstitut der fremdenpolizeilichen Duldung, migraLex 2015, 73 [80 f.]). Die Übergangsbestimmung des §125 Abs28 Z3 FPG idF BGBl I 70/2015 normiert jedoch, dass ein vor dem 20. Juli 2015 geduldeter Aufenthalt im Falle des §46a Abs1a FPG als Duldung gemäß §46a Abs1 Z3 FPG idF BGBl I 70/2015 gilt.

2.3.    Das Bundesverwaltungsgericht geht in dem mit der vorliegenden Beschwerde angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass der Aufenthalt von Fremden nach §46a Abs6 FPG idF BGBl I 70/2015 jedenfalls erst mit Ausfolgung der Karte (bzw. dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Feststellung der Duldung) als geduldet gilt. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes beginnt die in §57 Abs1 Z1 AsylG 2005 vorgesehene Frist für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" demzufolge auch in jenen Fällen, in denen ein Fremder bereits nach der vor dem Inkrafttreten des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2015 bestehenden Rechtslage mit dem Vorliegen der tatsächlichen Unmöglichkeit der Abschiebung ex lege als geduldet galt, mit Ausstellung der Karte (neu) zu laufen.

2.4.    Damit hat das Bundesverwaltungsgericht §57 Abs1 Z1 AsylG 2005 iVm der Übergangsbestimmung des §125 Abs28 FPG idF BGBl I 70/2015 einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt. Mit der Übergangsbestimmung des §125 Abs28 Z3 FPG idF BGBl I 70/2015 hat der Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt, dass ein vor dem 20. Juli 2015 gemäß §46a Abs1a FPG geduldeter Aufenthalt als Duldung gemäß §46a Abs1 Z3 FPG idF BGBl I 70/2015 zu betrachten ist (vgl. die Erläut. zur RV 582 25. GP, 25). War ein Fremder bereits ex lege geduldet, beginnt für ihn die für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" nach §57 Abs1 Z1 AsylG 2005 notwendige Anwartschaft durch die Ausstellung der Karte für Geduldete nach §46a FPG idF BGBl I 70/2015 – entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes – sohin nicht von Neuem zu laufen. Zur Beurteilung, ob der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß §46a Abs1 Z1 oder Z3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, ist die nach der bis zum 20. Juli 2015 geltenden Rechtslage ex lege eingetretene Duldung mit Blick auf die Übergangsvorschrift des §125 Abs28 FPG idF BGBl I 70/2015 zu berücksichtigen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat jede Auseinandersetzung mit der Frage unterlassen, ob bzw. seit wann der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet bereits vor dem 20. Juli 2015 ex lege geduldet war und hat damit die angefochtene Entscheidung mit Willkür belastet.

IV.      Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2.       Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Fremdenrecht, Fremdenpolizei, Duldung, Aufenthaltsrecht, Übergangsbestimmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2016:E847.2016

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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