RS Vfgh 2016/12/1 E2176/2015 ua

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Veröffentlicht am 01.12.2016
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60/02 Arbeitnehmerschutz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ArbeitnehmerInnenschutzG §2 Abs3, §130
ArbeitsinspektionsG §9, §14, §15, §23 Abs1
VStG §9 Abs1, Abs2
V des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die Aufsichtsbezirke und den Wirkungsbereich der Arbeitsinspektorate §3

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Bestrafung der gesetzlichen Vertreter der ein Reinigungsunternehmen betreibenden Gesellschaft wegen Verstoßes gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften trotz Vorliegens einer wirksamen Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten im Sinne des VStG; keine Unwirksamkeit der vorgenommenen Meldung des verantwortlichen Beauftragten an das allgemeine Arbeitsinspektorat des Aufsichtsbezirkes trotz Einschreitens des für Bauarbeiten zuständigen Arbeitsinspektorats; Gleichheitswidrigkeit der dahingehenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtes

Rechtssatz

Da sich die Verletzung der Arbeitnehmerschutzvorschriften (die einen Arbeitsunfall zur Folge hatte) bei Reinigungsarbeiten nach Abschluss von Bauarbeiten ereignet hat (weshalb die Reinigungsarbeiten in dieser Konstellation arbeitnehmerschutzrechtlich gemäß §2 ArbeitnehmerInnenschutzG - ASchG noch als Bauarbeiten gelten) und das für Bauarbeiten zuständige Arbeitsinspektorat eingeschritten ist (dh die Anzeige erstattet und am Verwaltungsstrafverfahren als Partei teilgenommen hat), vertritt das Verwaltungsgericht Wien die Auffassung, dass die Mitteilung über die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten (auch) an das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten als das "zuständige Arbeitsinspektorat" iSd §23 Abs1 ArbeitsinspektionsG - ArbIG zu richten gewesen wäre. Da bei diesem Arbeitsinspektorat keine solche Meldung erstattet worden sei, seien die gesetzlichen Vertreter verwaltungsstrafrechtlich verantwortlich.

Die potenzielle Konkurrenz zweier Arbeitsinspektorate beim Einschreiten im Falle der Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften besteht auf Baustellen in Wien zwischen dem allgemeinen Arbeitsinspektorat und dem mit dem gemäß § 14 ArbIG eingerichteten besonderen Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten, aber darüber hinaus generell immer dann, wenn ein Unternehmen Arbeitsstellen außerhalb jenes Aufsichtsbezirkes unterhält, in dem sich seine Betriebsstätte bzw - bei mehreren Betriebsstätten bzw Arbeitsstellen - die Betriebsleitung befindet.

Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtes Wien, dass die Meldung des verantwortlichen Beauftragten an das - für das Unternehmen unstrittig zuständige - Arbeitsinspektorat für den 1. Aufsichtsbezirk in Wien nach §23 Abs1 ArbIG für das vorliegende Verwaltungsstrafverfahren der Sache nach deshalb unwirksam sei, weil im Verwaltungsstrafverfahren das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten eingeschritten ist, verletzt die Beschwerdeführer in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz.

Bei Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung würde es von der Zufälligkeit des (jeweils rechtlich zulässigen) Einschreitens des allgemeinen oder des besonderen Arbeitsinspektorates abhängen, ob eine Bestrafung der gesetzlichen Vertreter nach §9 Abs1 VStG oder des verantwortlichen Beauftragten iSd §9 Abs2 VStG zu erfolgen hätte.

Daraus folgt aber nicht die Verfassungswidrigkeit des §15 Abs5 ArbIG und des §3 Abs5 der Verordnung über die Aufsichtsbezirke, die das alternative Einschreiten verschiedener Arbeitsinspektorate zulassen, denn es erweist sich das Auslegungsergebnis des Verwaltungsgerichtes betreffend §23 ArbIG als verfehlt.

§23 Abs1 ArbIG sieht für die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten vor, dass diese "erst rechtswirksam [wird], nachdem beim zuständigen Arbeitsinspektorat eine schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt einem Nachweis der Zustimmung des/der Bestellten eingelangt ist". Schon die Einzahl im Wortlaut der Norm lässt also "die Meldung" an ein Arbeitsinspektorat (nämlich das "zuständige") genügen.

Das zuständige Arbeitsinspektorat ist gemäß §15 Abs1 ArbIG jenes, das für die Betriebsstätte oder für die Arbeitsstelle des Unternehmens örtlich zuständig ist. Aus §15 Abs2 ArbIG ergibt sich sodann, dass bei einer Tätigkeit des Unternehmens, die die Grenzen eines Aufsichtsbezirkes überschreitet, jedenfalls nur ein Arbeitsinspektorat für ein Unternehmen "örtlich zuständig" sein soll, nämlich jenes, in dessen Aufsichtsbezirk sich die Leitung dieser Betriebsstätte oder Arbeitsstelle befindet, sofern es nicht um spezifische Angelegenheiten geht, die in §15 Abs3 ff ArbIG abweichend geregelt sind.

Es ist nicht erkennbar, dass demgegenüber der Begriff des "zuständigen Arbeitsinspektorates" in §23 Abs1 ArbIG einen im Falle des Bestehens wechselnder Arbeitsstellen von §15 Abs1 und Abs2 ArbIG abweichenden, jeweils wechselnden Begriffsinhalt hätte, geht es doch bei §23 ArbIG - wie die Materialien zeigen - nur darum, sicherzustellen, dass die Bestellung nach §9 Abs2 VStG für die Behörden nachvollziehbar und manipulationssicher vor allfälligen Straftaten erfolgt. Diesem Anliegen trägt bei Unternehmen mit zahlreichen Arbeitsstellen die (eine) Verständigung an das für den Sitz der Unternehmensleitung zuständige Arbeitsinspektorat auf eine für jedes andere Arbeitsinspektorat - aber auch für jede Strafbehörde - im Nachhinein jederzeit leicht feststellbare und nachvollziehbare Weise Rechnung.

Nur diese Interpretation stellt aber auch sicher, dass in Konstellationen wie der hier vorliegenden potenzielle Adressaten von Strafnormen des Arbeitnehmerschutzes nicht nach Maßgabe des Verwaltungshandelns der Arbeitsinspektorate jeweils verschiedene sein können; eine Konsequenz, die andernfalls zur Unsachlichkeit der Norm führen würde.

Entscheidungstexte

  • E2176/2015 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 01.12.2016 E2176/2015 ua

Schlagworte

Arbeitsrecht, Arbeitnehmerschutz, Verwaltungsstrafrecht, Arbeitsinspektion, Verantwortlichkeit Organe, Behördenzuständigkeit, Auslegung eines Gesetzes

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2016:E2176.2015

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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