Index
L9480 Bestattung, Friedhof, Leichenbestattung, TotenbeschauNorm
B-VG Art140 Abs1 Z1 litcLeitsatz
Abweisung des - zulässigen - Individualantrags eines privaten Bestatters auf Aufhebung von Bestimmungen des Wr Leichen- und BestattungsG über die verpflichtende Unterbringung von Leichen in der Leichenkammer einer Bestattungsanlage sowie den Aufbahrungsort für die Dauer der Trauerzeremonie; kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und die Erwerbsausübungsfreiheit; Regelungen im öffentlichen Interesse gelegen; keine Überschreitung des rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers; Zurückweisung des Antrags hinsichtlich von Bestimmungen betreffend die Errichtung und Gestaltung von BestattungsanlagenRechtssatz
Zulässigkeit des Individualantrags des Betreibers eines privaten Bestattungsunternehmens auf Aufhebung von Teilen des §10 Wr Leichen- und BestattungsG - WLBG.
Unmittelbarer Eingriff in die Rechtssphäre des Antragsteller als Bestatter iSd §94 Z6 GewO 1994.
Aus dem Gebot des §10 Abs1 WLBG, dass Leichen unverzüglich in einer Leichenkammer einer Bestattungsanlage unterzubringen sind, erschließt sich in Zusammenschau mit den Vorschriften betr den Leichenwaschraum und die thanatopraktische Behandlung der Leichen (§22 Abs4 WLBG), die zu treffenden hygienischen Maßnahmen bzw den Hygieneplan (§33 WLBG) und die Aufsicht des Magistrats (§26 WLBG), zweifelsfrei, dass die Tätigkeiten der Bestatter (insbes Reinigen und Ankleiden der Toten, Einsargen, Verschließen des Sarges und Thanatopraxie gem §1 Abs2 Z2 Bestatter-Verordnung) ausschließlich in Räumlichkeiten einer Bestattungsanlage durchzuführen sind. Das bedeutet, dass Bestatter diese Tätigkeiten an anderen Orten - beispielsweise in ihren eigenen Räumlichkeiten - nicht ausüben dürfen. Die Wortfolge "einer Bestattungsanlage" des §10 Abs1 WLBG greift daher - hinsichtlich dieser Tätigkeiten - unmittelbar in die Rechtssphäre des Antragstellers als Bestatter iSd §94 Z6 GewO 1994 ein.
Auch §10 Abs2 und Abs3 WLBG greifen unmittelbar in die Rechtssphäre des Antragstellers ein: Bestatter sind zur Organisation und Durchführung von Totenfeierlichkeiten gemäß §1 Abs2 Z3 Bestatter-Verordnung berechtigt. In die dadurch geschaffene Rechtssphäre wird durch die in §10 Abs2 und Abs3 WLBG gesetzlich festgelegten Beschränkungen des möglichen Aufbahrungsorts von Leichen für die Dauer der Trauerzeremonie (ein Aufbahrungsraum einer Bestattungsanlage, unter bestimmten Voraussetzungen eine Kirche oder ein anderer Sakralbau sowie im Fall einer Ehrenaufbahrung ein anderer Ort - in der Regel der Ort des Wirkens des Verstorbenen -, aber nicht eine sonstige Räumlichkeit [eines Bestatters] außerhalb einer Bestattungsanlage) unmittelbar eingegriffen.
§10 Abs3 bis Abs6 WLBG stehen im Regelungszusammenhang mit den bekämpften Teilen des §10 Abs1 und Abs2 WLBG, die den Hauptsitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragstellers bilden. Sie enthalten Ausnahmen zu dem vom Antragsteller als verfassungswidrig erachteten Regelungsgehalt. Es ist nicht von vornherein auszuschließen, dass ihre Aufhebung im Falle des Zutreffens der Bedenken des Antragstellers erforderlich sein könnte; ihre Anfechtung ist daher nicht unzulässig.
Zurückweisung des Antrags hinsichtlich der angefochtenen Teile des §22 Abs5 bis Abs7 WLBG (betr die Errichtung und Ausgestaltung von Bestattungsanlagen); kein untrennbarer Zusammenhang zwischen den angefochtenen Bestimmungen des §10 und denen des §22 WLBG.
Abweisung des Antrags, soweit er sich gegen die Wortfolge "einer Bestattungsanlage" in §10 Abs1, gegen die Wortfolge "einer Bestattungsanlage" im ersten Satz des §10 Abs2 und gegen den zweiten Satz des Abs2 sowie gegen §10 Abs3 bis Abs6 WLBG, jeweils in der Stammfassung LGBl 38/2004, richtet.
Kein Verstoß gegen das Gleichheitsrecht und die Erwerbsausübungsfreiheit.
Es ist den Angehörigen eines Verstorbenen in der Zeit unmittelbar nach Feststellung des Todes durch die Totenbeschau bis zum Abtransport des Verstorbenen nicht zumutbar, sich für eines von konkurrierenden Bestattungsunternehmen entscheiden zu müssen (vgl VfSlg 11503/1987). In vielen Fällen ist - als einziger Anhaltspunkt - absehbar, dass eine Erdbestattung in einer Grabstelle, beispielsweise in einem Familiengrab, in einer konkreten Bestattungsanlage mit hoher Wahrscheinlichkeit vorgenommen werden wird. Eine Regelung, die die Unterbringung des Verstorbenen in der Leichenkammer dieser Bestattungsanlage vorsieht, ist daher nicht unsachlich. Dass fallweise - etwa, wenn die Bestattungsanlage noch nicht feststeht, wenn die mögliche Bestattungsanlage über keine Kühlanlage verfügt oder außerhalb von Wien liegt oder wenn den Angehörigen eine Urne übergeben werden soll - diese Annahme nicht zutrifft, vermag daran nichts zu ändern, dass bei einer Durchschnittsbetrachtung und der darauf aufbauenden Beurteilung der Sachlichkeit die gesetzliche Regelung die Verfolgung der dargestellten öffentlichen Interessen zu unterstützen vermag.
Es ist nicht unsachlich, wenn der Gesetzgeber, dem angesichts der mit einem geordneten Leichen- und Bestattungswesen verbundenen öffentlichen Interessen ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt (vgl VfSlg 19904/2014), anordnet, dass zur Vornahme der Tätigkeiten, die einem Bestatter vorbehalten sind, nicht die Leiche zum Bestatter verbracht wird, sondern der Bestatter sich dafür in die Räumlichkeiten einer Bestattungsanlage begibt, zumal dadurch auch zusätzliche Leichentransporte vermieden werden.
Die Unterbringung in der Leichenkammer einer Bestattungsanlage liegt im öffentlichen Interesse eines geordneten Leichenwesens, sie ist, da die Leichenkammern von Bestattungsanlagen gemäß §22 Abs6 WLBG über eine Kühlanlage verfügen müssen und auch der gesundheitlichen Aufsicht der Behörde unterliegen, zur Zielerreichung - das primäre Ziel der Bestimmung ist, den von Leichen ausgehenden Infektionsgefahren zu begegnen - geeignet. Die (nur) die Ausübung (und nicht den Antritt) einer Erwerbstätigkeit mittelbar beeinträchtigende Vorschrift ist adäquat und nicht unsachlich. Sie liegt im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und verletzt daher auch nicht das Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung.
Durch die Aufbahrung Verstorbener in Aufbahrungshallen von Bestattungsanlagen, die gemäß §22 WLBG den Anforderungen der Pietät zu entsprechen haben, wird nicht nur die ungewollte "Begegnung mit dem Tod" von Passanten durch im öffentlichen Raum lozierte Aufbahrungsräumlichkeiten abgewendet und werden Totentransporte im öffentlichen Straßenbild tendenziell reduziert, sondern auch - möglicherweise pietätlos ablaufende - Konfliktsituationen, etwa mit benachbarten Einrichtungen (zB Inhabern von Geschäftslokalen), von vornherein ausgeschlossen. Diese Überlegungen treffen auch für den Fall des §10 Abs2 zweiter Satz WLBG zu, wenn also ausnahmsweise die Aufbahrung in der nächstgelegenen Kirche oder in einem anderen Sakralbau erfolgt, weil auch diese Anlagen traditionell ua für das Totengedenken bestimmt sind und der Gesetzgeber insofern von gesellschaftlichen Erwartungshaltungen ausgehen konnte.
Auch keine Unsachlichkeit der Ausnahmeregelungen betreffend Ehrenaufbahrungen (§10 Abs3 bis 6 WLBG) - gewöhnlich im Stephansdom, in sonstigen Kirchen, im Parlament, Rathaus, Burgtheater und an ähnlichen Orten (spezielle Genehmigung erforderlich, unter Erteilung von Aufträgen nach gesundheitlichen Anforderungen).
Die mit den in §10 Abs2 bis Abs6 WLBG getroffenen Regelungen hinsichtlich des Aufbahrungsorts für die Dauer der Trauerzeremonie verbundene Beschränkung der Freiheit der Erwerbsausübung privater Bestatter ist nicht so gravierend, dass dadurch der rechtspolitische Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers überschritten wäre. Diese Beschränkung ist im öffentlichen Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet, adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen.
Schlagworte
Leichen- und Bestattungswesen, Gewerberecht, Erwerbsausübungsfreiheit, Ausnahmeregelung - Regel, VfGH / Individualantrag, VfGH / PrüfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2016:G105.2015Zuletzt aktualisiert am
01.03.2018