RS Vfgh 2016/12/13 G248/2016 ua

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Veröffentlicht am 13.12.2016
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18
VwGVG §32 Abs1, Abs2

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung des VwGVG betreffend eine (Prozess-)Voraussetzung für die Wiederaufnahme des durch Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts abgeschlossenen Verfahrens; Zulässigkeit einer Revision beim VwGH als Hinderungsgrund für eine Wiederaufnahme weder mit dem Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes vereinbar noch sachlich gerechtfertigt

Rechtssatz

Aufhebung der Wortfolge "eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis nicht mehr zulässig ist und" in §32 Abs1 VwGVG, BGBl I 33/2013.

Geht man davon aus, dass die angefochtene Wortfolge in §32 Abs1 VwGVG eine Prozessvoraussetzung für einen Antrag auf Wiederaufnahme eines Verfahrens statuiert, steht diese Regelung in einem nicht auflösbaren Konflikt mit der in §32 Abs2 erster Satz VwGVG festgelegten Frist für die Stellung eines Wiederaufnahmeantrages. Hat der Wiederaufnahmswerber das Verstreichen der Revisionsfrist oder die Entscheidung des VwGH über die Revision abzuwarten, wird in vielen Fällen die - gemäß §32 Abs2 VwGVG als Prozessvoraussetzung normierte - zweiwöchige (subjektive) Frist für die Einbringung eines Wiederaufnahmsantrages bereits abgelaufen sein.

Auch eine Auslegung des §32 Abs1 iVm §32 Abs2 VwGVG, wonach das Verwaltungsgericht den Eintritt der Bewilligungsvoraussetzung des §32 Abs1 zweiter Halbsatz VwGVG abzuwarten habe, scheidet aus. Es ist nämlich unsachlich und auch nicht mit dem Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes vereinbar, mit der Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag solange zuwarten zu müssen, bis der VwGH über die Revision entschieden hat, zumal diese Entscheidung im Regelfall erst nach längerer Zeit ergehen wird.

Die angefochtene Wortfolge in §32 Abs1 VwGVG erweist sich aber auch als solche (dh unabhängig von der Regelung der [subjektiven] Frist des §32 Abs2 VwGVG) als unsachlich und in Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip:

Der Ausschluss der Wiederaufnahme eines Verfahrens (insbesondere beim Wiederaufnahmetatbestand des §32 Abs1 Z2 VwGVG) ist nur dann und solange gerechtfertigt, wenn bzw bis der Wiederaufnahmswerber neue Tatsachen oder neue Beweise im laufenden Verfahren (mit welchem Rechtsmittel auch immer) noch geltend machen kann. Da zum Ersten eine Revision an den VwGH nicht in jedem Fall, sondern nur in näher geregelten Fällen zulässig ist (vgl Art133 Abs4 B-VG), und zum Zweiten im Verfahren vor dem VwGH grundsätzlich ein Neuerungsverbot (§41 VwGG) gilt, womit die Geltendmachung neuer Tatsachen und Beweise im Verfahren vor dem VwGH weitgehend ausscheidet, ist es verfassungswidrig, die Wiederaufnahme gemäß §32 Abs1 VwGVG davon abhängig zu machen, dass eine Revision beim VwGH gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes nicht mehr zulässig ist.

Entscheidungstexte

  • G248/2016 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 13.12.2016 G248/2016 ua

Schlagworte

Verwaltungsgerichtsverfahren, Wiederaufnahme, Verwaltungsgerichtshof Revision, Rechtsschutz, Neuerungsverbot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2016:G248.2016

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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