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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)Norm
ABGB §188 Abs2Leitsatz
Abweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung einer Bestimmung über die beschränkte Antragslegitimation Dritter im Verfahren zur Regelung der dem Kindeswohl dienenden persönlichen Kontakte eines minderjährigen Kindes mit einem hiezu bereiten Dritten; kein Verstoß gegen das Recht des angeblichen leiblichen Vaters auf Achtung des Privat- und Familienlebens angesichts der maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte; Einräumung eines Rechts des behaupteten biologischen Vaters auf Feststellung der Vaterschaft in Fällen rechtlicher Vaterschaft auf Grund der Ehe der Eltern im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gelegenRechtssatz
Abweisung des - zulässigen - Parteiantrags auf Aufhebung der Wortfolge "sofern dieser zu dem Kind in einem besonderen persönlichen oder familiären Verhältnis steht oder gestanden ist" in §188 Abs2 ABGB (idF des Kindschafts- und Namensrechts-ÄnderungsG 2013 - KindNamRÄG 2013, BGBl I 15/2013).
Gesetzliche Maßnahmen, die den persönlichen Kontakt zwischen Eltern und Kindern an Voraussetzungen knüpfen, können einen Eingriff in das Recht auf Familienleben darstellen (vgl EGMR 26.05.1994, Fall Keegan, Appl 16969/90; 13.07.2000, Fall Elsholz, Appl 25735/94; 11.10.2001, Fall Hoffmann, Appl 34045/96, jeweils mwN). Jedenfalls betrifft dabei die Regelung der Voraussetzungen des persönlichen Kontaktes einen wichtigen Bereich der persönlichen Identität und somit das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art8 EMRK (EGMR 21.12.2010, Fall Anayo, Appl 20578/07; 15.09.2011, Fall Schneider, Appl 17080/07).
Mit der Beschränkung des Antragsrechts auf das Kind, einen Elternteil und dritte dem Kind in qualifizierter Weise nahestehende Personen verfolgt der Gesetzgeber den Schutz des Kindeswohls und damit ein legitimes Ziel in Gestalt der Rechte anderer iSd Art8 Abs2 EMRK.
Die Einschränkung durch die angefochtene Wortfolge in §188 Abs2 ABGB, nach welcher ein Antragsrecht lediglich solchen Personen zusteht, welche tatsächlich in einem gewissen persönlichen oder familiären Verhältnis zu dem Kind stehen, soll nach Auffassung der Bundesregierung vor der willkürlichen Antragstellung durch beliebige Dritte schützen. Diese Beschränkung der Antragslegitimation begegnet nach Anschauung des VfGH unter dem Gesichtspunkt des Art8 EMRK sowie unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR 21.12.2010, Fall Anayo, Appl 20578/07; 15.09.2011, Fall Schneider, Appl 17080/07; 02.12.2014, Fall Adebowale, Appl 546/10 mwN) keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Gemäß §188 Abs2 ABGB ist ein Dritter bereits auf Grund der Behauptung seiner biologischen Vaterschaft bzw des daraus folgenden besonderen persönlichen Verhältnisses antragslegitimiert. Im Rahmen des Kontaktrechtsverfahrens, in dem zu prüfen ist, ob der Umgang des Kindes mit dem (behaupteten) biologischen Vater dem Kindeswohl dient, kann das Gericht inzidenter die Vaterschaft und auch die Frage der biologischen Abstammung klären lassen.
Erst wenn sich im Gefolge dieser Prüfung ergibt, dass der persönliche Kontakt zum (behaupteten) biologischen Vater dem Kindeswohl entspricht, stellt sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und der ihr entsprechenden Regelung des §188 Abs2 ABGB die Frage nach der tatsächlichen biologischen Abstammung.
Diese Rechtslage bildet in der Abwägung des Wohles des Kindes, der bestehenden sozial-familiären Beziehungen zwischen der Mutter, dem Kind und dem rechtlichen Vater sowie den Interessen des (behauptetermaßen biologischen) Vaters eine verhältnismäßige Beschränkung von dessen Rechten nach Art8 EMRK. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt hat, folgt aus Art8 EMRK keine Pflicht des Staates, dem mutmaßlichen leiblichen Vater zu gestatten, die Stellung des rechtlichen Vaters anzufechten oder eine separate Klage im Hinblick auf die Feststellung der biologischen - im Gegensatz zur rechtlichen - Vaterschaft zuzulassen. Angesichts dessen kann der VfGH nicht finden, dass in jedem Fall aus Art8 EMRK das Recht des biologischen Vaters folgt, die Abstammung von einem in einer intakten sozialen Familie lebenden Kind im Rahmen des Kontaktrechtsverfahrens zu erwirken. Zwar kann das Interesse an der Feststellung der Vaterschaft ein durch Art8 EMRK geschütztes Interesse darstellen, jedoch hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch ausgesprochen, dass dem behaupteten biologischen Vater nicht das Recht zustehe, sich auf diesem Wege in eine intakte soziale Familie zu drängen (EGMR 22.03.2012, Fall Kautzor, Appl 23338/09; EGMR 22.03.2012, Fall Ahrens, Appl 45071/09).
Vielmehr ist insoweit davon auszugehen, dass bei der Entscheidung, ob und unter welchen Voraussetzungen dem feststehenden oder mutmaßlichen leiblichen Vater in Fällen rechtlicher Vaterschaft auf Grund der Ehe der Eltern die Feststellung seiner Vaterschaft möglich sein muss, ein Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten und in dessen Rahmen auch ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gegeben ist. Diesen Gestaltungsspielraum hat der Gesetzgeber nicht überschritten.
Aus den zu Art8 EMRK angestellten Erwägungen vermag der VfGH auch den vom Antragsteller hinsichtlich des Art24 Abs3 GRC sowie des Art2 Abs1 des BVG über die Rechte von Kindern geltend gemachten Bedenken nicht zu folgen.
Schlagworte
Zivilrecht, Kindschaftsrecht, Privat- und Familienleben, KinderEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2016:G494.2015Zuletzt aktualisiert am
01.03.2018