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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AlVG 1977 §24 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Arbeitsmarktservice Eisenstadt in 7000 Eisenstadt, Ödenburgerstraße 4, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 2015, W218 2002079-1/6E, betreffend Widerruf und Rückforderung von Weiterbildungsgeld (mitbeteiligte Partei: B F F in E), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Begründung
1. Dem Mitbeteiligten wurde im Zuge der Inanspruchnahme einer Bildungskarenz gemäß § 11 AVRAG für die Zeit vom 1. Jänner bis zum 31. Dezember 2013 Weiterbildungsgeld nach § 26 AlVG zuerkannt.
2.1. Mit Bescheid vom 2. Mai 2013 sprach die revisionswerbende regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) aus, dass im Hinblick auf die seit dem 1. März 2013 bestehende Pflichtversicherung (Vollversicherung) des Mitbeteiligten in der Sozialversicherung der Gewerblichen Wirtschaft die Zuerkennung des Weiterbildungsgelds für die Zeit vom 1. bis zum 31. März 2013 gemäß § 24 Abs. 2 iVm. § 26 Abs. 7 AlVG widerrufen werde und der Mitbeteiligte zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Leistung von EUR 1.462,89 gemäß § 25 Abs. 1 iVm. § 26 Abs. 7 AlVG verpflichtet werde.
2.2. Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Berufung mit dem Vorbringen, er sei zwar auf Grund eines Antrags vom Februar 2013 als persönlich haftender Gesellschafter der T G KG im Firmenbuch eingetragen worden. Die Eintragung sei jedoch auf Grund eines "Rechtsirrtumes" erfolgt und umgehend "berichtigt" worden, indem er (wie durch vorgelegte Urkunden bescheinigt wurde) mit Vereinbarung vom 28. März 2013 die Anteile an einen weiteren Gesellschafter abgetreten habe und daraufhin seine Beteiligung im Firmenbuch gelöscht worden sei. Er habe daher das Weiterbildungsgeld für März 2013 weder durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt, noch habe er erkennen können, dass ihm die Leistung nicht gebühre. Da ihm der zur Pflichtversicherung führende Umstand auf Grund des unterlaufenen Rechtsirrtums nicht vorgeworfen und zugerechnet werden könne, bestehe der Anspruch auf Weiterbildungsgeld für März 2013 zu Recht.
2.3. Mit Bescheid vom 30. Juli 2013 sprach die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Burgenland die Aussetzung des Verfahrens über die Berufung gemäß § 38 AVG in Verbindung (unter anderem) mit den §§ 26 Abs. 3, 12 Abs. 6, 36a und 36b AlVG bis zur rechtskräftigen Erlassung eines Einkommensteuerbescheids für 2013 aus.
Am 29. Jänner 2015 reichte das AMS das Ergebnis einer Abfrage der Steuerdaten des Mitbeteiligten für 2013 nach. Demnach erzielte der Mitbeteiligte laut dem in Rechtskraft erwachsenen Einkommensteuerbescheid für 2013 (vom 22. August 2014) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von EUR 20.301,60 sowie Einkünfte aus Gewerbebetrieb von EUR 40,72. Nach Abzug der (näher aufgelisteten) Sonderausgaben belief sich das Einkommen auf EUR 19.225,90. Ein Umsatzsteuerbescheid wurde nicht erlassen.
3.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss gab das Verwaltungsgericht der - als Beschwerde zu behandelnden - Berufung des Mitbeteiligten Folge, indem es den bekämpften Bescheid aufhob und die Sache gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an das AMS zur Erlassung eines neuen Bescheids zurückverwies.
3.2. Das Verwaltungsgericht traf die Feststellung, das AMS habe die notwendige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts unterlassen.
Rechtlich folgerte es, der Widerruf des Weiterbildungsgelds hänge davon ab, ob der Mitbeteiligte im betreffenden Zeitraum im Sinn des § 26 Abs. 3 AlVG eine Erwerbstätigkeit mit einem die Geringfügigkeitsgrenze übersteigenden Einkommen ausgeübt habe. Die Höhe des Einkommens sei nach § 36a AlVG an Hand des jeweiligen Einkommensteuerbescheids zu beurteilen. Da es sich dabei um eine Vorfrage handle, sei das Verfahren zunächst auszusetzen und nach endgültiger Klärung im Einkommensteuerbescheid für 2013 fortzusetzen gewesen.
Das Verwaltungsgericht führte weiters mit Blick auf § 28 VwGVG aus, die Verwaltungsgerichte hätten die Funktion einer Rechtsschutzeinrichtung, sie sollten primär die Verwaltung kontrollieren und nicht selbst führen. Der Schwerpunkt der Rechtsverwirklichung liege auf der Ebene der Verwaltungsbehörden, diese hätten den Sachverhalt vollständig zu ermitteln. Es sei daher mit Aufhebung und Zurückverweisung vorzugehen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen unterlassen habe und sohin der Sachverhalt nicht feststehe sowie die Feststellung durch das Verwaltungsgericht auch nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden sei.
Laut dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, habe die meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichts Vorrang, die Zurückverweisung bilde die Ausnahme und sei auf den gesetzlich zugewiesenen Bereich zu beschränken. Sie komme nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken in Betracht, wenn die Behörde jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe, völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe oder Ermittlungen unterlassen habe, damit diese (im Sinn einer Delegierung) vom Verwaltungsgericht vorgenommen würden.
Vorliegend seien derartige Ermittlungslücken gegeben. Auf Grund der Bestreitungslage (laut dem Vorbringen des Mitbeteiligten sei die Pflichtversicherung nach dem GSVG auf einen Rechtsirrtum zurückzuführen) hätte das AMS "die Pflicht gehabt, dem behaupteten Sachverhalt durch geeignete Schritte nachzugehen bzw. die Klärung des Sachverhaltes vor Bescheiderlassung vornehmen müssen". Es habe aber nicht einmal ansatzweise ermittelt, da es "zuerst den Bescheid betreffend Widerruf und Rückforderung der Leistung erließ und erst danach ein Ermittlungsverfahren einleitete". Die Rückforderung sei "vom Bestand des Ausspruches über den Widerruf (...) abhängig", erst wenn dieser feststehe, könne "die Frage der Rückforderung beurteilt werden, sodass sich die Aufhebung des angefochtenen Bescheides auf beide Spruchteile erstrecken muss". Aus den dargestellten Erwägungen sei "daher der Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt", weshalb der Bescheid zu beheben und die Sache an das AMS zurückzuverweisen sei.
3.4. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
4.1. Gegen diesen Beschluss wendet sich die außerordentliche Revision des AMS mit einem Aufhebungsantrag.
Das AMS macht als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG geltend, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Hinweis auf 26.6.2014, Ro 2014/03/0063 sowie 10.9.2014, Ra 2014/08/0005) abgewichen. Der maßgebliche Sachverhalt sei festgestanden, sodass eine meritorische Entscheidung zu treffen gewesen wäre. Die Voraussetzungen für eine - nur ausnahmsweise bei krassen bzw. gravierenden Ermittlungslücken zulässige - Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG seien nicht vorgelegen.
4.2. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
5. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil das Bundesverwaltungsgericht - wie in der Folge zu zeigen sein wird - von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofs abgewichen ist.
6.1. Zu den für kassatorische Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG geltenden Voraussetzungen ist auf das schon erwähnte hg. Erkenntnis Ro 2014/03/0063 zu verweisen (§ 43 Abs. 2 VwGG).
Der Verwaltungsgerichtshof hat darin dargelegt, dass ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt ist. Die nach § 28 VwGVG verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidungspflicht sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem genannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden kann. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt also nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt hat oder wenn sie bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann vom Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
6.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits hervorgehoben (vgl. etwa das schon erwähnte Erkenntnis Ra 2014/08/0005), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.
7.1. Vorliegend sind Ermittlungsmängel, die eine Aufhebung und Zurückverweisung durch das Verwaltungsgericht im soeben aufgezeigten Sinn rechtfertigen könnten, nicht zu sehen.
7.2. Wie aus den Verwaltungsakten hervorgeht, hat das AMS - wenngleich erst nach Erlassung des Bescheids, was jedoch im gegebenen Zusammenhang unschädlich ist - im Hinblick auf die §§ 26 Abs. 3 iVm. 12 Abs. 6 lit. c bzw. e, 36a und 36b AlVG Ermittlungen über das Einkommen bzw. den Umsatz des Mitbeteiligten als unbeschränkt haftender Gesellschafter der T G KG durchgeführt. Es hat dabei durch Abfrage der Steuerdaten erhoben, dass ein rechtskräftiger Einkommensteuerbescheid für 2013 (mit dem oben wiedergegebenen Inhalt) vorliegt, nicht jedoch ein Umsatzsteuerbescheid.
Auf Grundlage dieser Ermittlungsergebnisse können freilich - allenfalls nach Vervollständigung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - die wesentlichen Tatsachenfeststellungen getroffen werden, um beurteilen zu können, ob der Widerruf des Weiterbildungsgelds für März 2013 - insbesondere im Hinblick auf die Höhe des Einkommens des Mitbeteiligten als persönlich haftender Gesellschafter der T G KG - zu Recht erfolgt ist oder nicht.
7.3. Wie aus den Verwaltungsakten ferner hervorgeht, wurden dem AMS mit der Berufung auch Beweisurkunden über die kurzzeitige Eintragung des Mitbeteiligten als persönlich haftender Gesellschafter der T G KG im Firmenbuch, die laut seinem Vorbringen auf einen "Rechtsirrtum" zurückzuführen und deshalb nicht vorwerfbar bzw. zurechenbar sei, vorgelegt.
Auch insoweit sind daher bereits Beweisergebnisse vorhanden und können - sollte von einem berechtigten Widerruf der Zuerkennung des Weiterbildungsgelds auszugehen sein - nach allfälliger Ergänzung der Ermittlungen in einer mündlichen Verhandlung die notwendigen Feststellungen getroffen werden, um das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Verpflichtung zum Rückersatz beurteilen zu können.
8. Insgesamt hat daher das Verwaltungsgericht zu Unrecht eine kassatorische Entscheidung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG getroffen, weshalb der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben war. Wien, am 9. Februar 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2015080041.L00Im RIS seit
01.03.2018Zuletzt aktualisiert am
04.05.2018