Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 2005 §41 Abs6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10. Oktober 2017, G314 2169993-1/3E, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 24. Oktober 2017, G314 2169993-1/4Z, betreffend insbesondere ersatzlose Behebung eines Aufenthaltsverbotsbescheides (mitbeteiligte Partei: E A in R, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH in 1170 Wien, Wattgasse 48/3. Stock),
Spruch
1. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die ersatzlose Behebung des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11. August 2017 richtet, zurückgewiesen.
2. zu Recht erkannt:
Im Übrigen, im Umfang der Feststellung, "dass die aufenthaltsbeendende Maßnahme zum Zeitpunkt der Erlassung nicht rechtmäßig war", wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte ist rumänischer Staatsangehöriger. Er reiste spätestens 2012 erstmals nach Österreich ein, wo er noch im selben Jahr wegen Übertretung des § 81 Abs. 1 SPG rechtskräftig bestraft wurde. Es folgten bis 2017 mehr als 30 weitere Bestrafungen wegen Verwaltungsübertretungen, insbesondere nach den §§ 81 Abs. 1 und 82 Abs. 1 SPG sowie nach dem Salzburger Landessicherheitsgesetz. Außerdem wurde der - alkoholkranke, obdachlose und nie erwerbstätige - Mitbeteiligte wegen des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs. 2 zweiter Fall StGB (begangen am 6. Oktober 2015) vom Landesgericht Salzburg rechtskräftig zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten und wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (begangen am 16. Februar 2016) vom Bezirksgericht Dornbirn rechtskräftig zu einer Geldstrafe in der Höhe von 80 Tagessätzen verurteilt. Zwei weitere Strafverfahren wegen Diebstahls wurden eingestellt, und zwar einmal nach Zahlung eines Geldbetrages im Rahmen einer diversionellen Erledigung und das andere Mal wegen Geringfügigkeit.
2 Im Hinblick auf die Verurteilung durch das Landesgericht Salzburg und die zahlreichen Verwaltungsübertretungen erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Mitbeteiligten mit Bescheid vom 11. August 2017 gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot. Außerdem sprach es aus, dass gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt und dass einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde.
3 Auf Grund dieses Bescheides wurde der Mitbeteiligte am 16. August 2017 nach Rumänien abgeschoben. Seiner gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) dann aber mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge und es behob den Bescheid des BFA vom 11. August 2017 ersatzlos. Außerdem stellte es gemäß § 21 Abs. 5 BFA-VG fest, "dass die aufenthaltsbeendende Maßnahme zum Zeitpunkt der Erlassung nicht rechtmäßig war" und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision des BFA hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, erwogen:
5 Hat das Verwaltungsgericht - so wie hier das BVwG - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
6 Die ersatzlose Behebung des Bescheides des BFA vom 11. August 2017 hat das BVwG im Wesentlichen damit begründet, dass sich aus den Taten und dem Verhalten des Mitbeteiligten - auch in seiner Gesamtheit - nicht eine solche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ableiten lasse, dass der Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 FPG als erfüllt anzusehen sei. Allenfalls käme eine Ausweisung nach § 66 FPG in Betracht, die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nach § 67 FPG erweise sich allerdings als verfehlt.
7 Das BFA wirft dem BVwG demgegenüber in seinen Zulassungsausführungen (siehe Rn. 5) vor, es habe seine Gefährdungsprognose auf einer unvollständigen Grundlage getroffen. Es hätte auch jenes Fehlverhalten des Mitbeteiligten berücksichtigen müssen, das zu keiner Bestrafung geführt habe, und sich im Hinblick darauf zunächst auch mit seinen aus dem kriminalpolizeilichen Aktenindex und der erkennungsdienstlichen Evidenz ersichtlichen Straftaten näher auseinandersetzen müssen.
8 Daran ist richtig, dass es nach der Aktenlage betreffend den Mitbeteiligten diverse Eintragungen in den genannten Dateien gibt und dass auch ein solches Fehlverhalten eines Fremden zur Beurteilung der für ein Aufenthaltsverbot erforderlichen Gefährdungsprognose herangezogen werden kann, das (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat (VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0349, Rn. 15). Allerdings muss ein derartiges Fehlverhalten auch feststehen. Dass es Eintragungen im kriminalpolizeilichen Aktenindex oder in der erkennungsdienstlichen Evidenz gibt, belegt demgegenüber nur, dass eine entsprechende Verdachtslage bestand. Dass dieser Verdacht letztlich verifiziert werden konnte, behauptet das BFA aber gar nicht; insoweit ist sein Vorbringen daher im Ergebnis nicht zielführend. Im Aufenthaltsverbotsbescheid vom 11. August 2017 hat es dem Mitbeteiligten im Übrigen selbst nur jenes strafrechtliche Fehlverhalten angelastet, das der Verurteilung durch das Landesgericht Salzburg wegen Raufhandels zu Grunde lag.
9 Das BFA räumt dann weiter ein, dass das BVwG - über die Sachverhaltsannahmen des BFA im seinerzeitigen Aufenthaltsverbotsbescheid hinausgehend - weitere Feststellungen zu eingestellten Strafverfahren getroffen habe. Dass das, wie vom BFA ausgeführt, in der Gefährdungsprognose nicht berücksichtigt worden sei, ist nicht zu erkennen; dass das BVwG dem zu Grunde liegenden Fehlverhalten keine genügend große, den strengen Gefährdungsmaßstab des § 67 FPG erreichende Bedeutung beimaß, ist aber jedenfalls nicht unvertretbar.
10 Wenn das BFA im Zusammenhang mit der Gefährdungsprognose dann schließlich noch auf zwei "offene" Strafverfahren gegen den Mitbeteiligten verweist, so gilt auch hier, dass nicht dargetan wurde, dass der Mitbeteiligte insoweit tatsächlich ein Fehlverhalten - geschweige denn welches - gesetzt habe. Insofern ermangelt auch diesem Vorbringen die Relevanz und es kann das BFA somit insgesamt die Grundlagen der vom BVwG getroffenen Gefährdungsprognose nicht mit Erfolg in Frage stellen.
11 Dass diese Gefährdungsprognose unvertretbar getroffen worden sei, ist nicht zu sehen; das BFA vermag daher in diesem Zusammenhang keine Rechtsfrage aufzuzeigen, der grundsätzliche Bedeutung zukommt (VwGH 25.4.2014, Ro 2014/21/0033, und zahlreiche daran anschließende Entscheidungen, etwa VwGH 23.02.2017, Ra 2017/21/0028, Rn. 10).
12 Das gelingt dem BFA auch nicht mit dem Hinweis darauf, es wäre jedenfalls eine Ausweisung des Mitbeteiligten (nach § 66 FPG) gerechtfertigt gewesen. Eine Ausweisung kam im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses angesichts der bereits erfolgten Abschiebung des Revisionswerbers nämlich nach der klaren Rechtslage - eine Ausweisung setzt einen Inlandsaufenthalt voraus (insoweit ist das Erkenntnis VwGH 30.1.2003, 2002/21/0168, weiterhin maßgeblich; vgl. dazu auch VwGH 20.12.2007, 2007/21/0484) - nicht mehr in Betracht. Ebenso klar ist aber, dass § 21 Abs. 5 BFA-VG schon nach seinem eindeutigen Wortlaut keine Basis für eine - dem BFA aber offenbar vorschwebende - Feststellung bietet, die Erlassung einer Ausweisung nach § 66 FPG wäre statt der Erlassung des Aufenthaltsverbotsbescheides im damaligen Zeitpunkt rechtmäßig gewesen.
13 In Bezug auf die ersatzlose Behebung des Aufenthaltsverbotsbescheides vom 11. August 2017 (samt den damit verbundenen Aussprüchen) vermag das BFA somit insgesamt keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen, weshalb seine Revision insoweit gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - zurückzuweisen war.
14 Was indes die überdies vom BVwG getroffene Feststellung gemäß § 21 Abs. 5 BFA-VG anlangt, "dass die aufenthaltsbeendende Maßnahme zum Zeitpunkt der Erlassung nicht rechtmäßig war", so erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.
15 Zum Telos dieser Vorschrift sei zunächst auf das Erkenntnis VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0234, Rn. 21, verwiesen. Ähnlich wie bei den im genannten Erkenntnis behandelten Rückkehrentscheidungen nach § 52 Abs. 1 FPG bedarf es zur Erreichung dieser Zielsetzung (der Fremde soll durch seine Ausreise gerechtfertigte aufenthaltsbeendende Maßnahmen bzw. deren Wirkungen nicht konterkarieren können) der Regelung des § 21 Abs. 5 BFA-VG auch bei Aufenthaltsverboten nach § 67 FPG nicht. Solche Aufenthaltsverbote knüpfen nämlich tatbestandsmäßig nicht an einen (aktuellen) Inlandsaufenthalt an und sind somit auch dann möglich, wenn sich der betreffende Fremde (schon) im Ausland befindet. Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 136 Abs. 2 B-VG) können daher (auch) Aufenthaltsverbote § 21 Abs. 5 BFA-VG nicht unterfallen, was im Übrigen weiter daraus erhellt, dass sämtliche Vorgängerregelungen (§ 57 FPG in der Stammfassung, § 68 Abs. 1 FPG in der Fassung des FrÄG 2011 und § 41 Abs. 6 AsylG 2005 in der Stammfassung; siehe dazu VwGH 28.2.2013, 2012/21/0127) Aufenthaltsverbote schon dem Wortlaut nach nicht erfassten. Dass § 21 Abs. 5 BFA-VG über diese Vorgängerregelungen hinausgehen will, ist nicht zu erkennen.
16 Geht es um ein Aufenthaltsverbot nach § 67 FPG, gelangt § 21 Abs. 5 BFA-VG demnach also nicht zur Anwendung. Dem BVwG kam mithin im vorliegenden Fall ungeachtet der vor seinem Erkenntnis erfolgten Abschiebung des Mitbeteiligten keine Zuständigkeit zu, eine auf diese Bestimmung gestützte Feststellung über die Rechtmäßigkeit/Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltsverbotsbescheides vom 11. August 2017, bezogen auf den Zeitpunkt seiner Erlassung, zu treffen. Insoweit war sein Erkenntnis daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufzuheben.
Wien, am 25. Jänner 2018
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltBesondere RechtsgebieteAuslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017210237.L00Im RIS seit
28.02.2018Zuletzt aktualisiert am
23.07.2018