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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1997 §8 Abs5;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Zens, Dr. Bayjones und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde des am 15. März 1981 geborenen HV in Canakkale, Türkei, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. September 1998, Zl. 123.573/2-III/11/98, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der am 15. März 1981 geborene Beschwerdeführer beantragte mit einer am 20. Jänner 1997 beim Landeshauptmann von Wien eingelangten Eingabe die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung.
Dieser gemäß § 112 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) als solcher auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gewertete Antrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 11. September 1998, dem Beschwerdeführer zugestellt am 22. September 1998, gemäß § 8 Abs. 3 in Verbindung mit § 21 Abs. 1 bis 3 und § 8 Abs. 5 FrG 1997 abgewiesen.
In der Begründung dieses Bescheides gab die belangte Behörde zunächst den Wortlaut des § 8 Abs. 3 FrG 1997 wieder.
Sodann führte sie aus, dass gemäß § 21 Abs. 3 FrG 1997 der Familiennachzug Drittstaatsangehöriger, die sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer niedergelassen hätten, auf die Ehegatten und die Kinder vor Vollendung des 14. Lebensjahres beschränkt sei. Der Beschwerdeführer habe jedoch bereits das 14. Lebensjahr vollendet. Eine Niederlassungsbewilligung zum Aufenthaltszweck der "Familiengemeinschaft mit Fremden" könne ihm schon aus diesem Grunde nicht erteilt werden.
Gemäß § 8 Abs. 5 FrG 1997 setze die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung voraus, dass der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine für Inländer ortsübliche Unterkunft nachweise. Sodann führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aus wie folgt:
"Da der Gesetzgeber diese Rechtsnorm jedoch nur 'global' ausführt - eine spezielle bzw. allgemein verbindliche Definition gibt der Gesetzgeber der normanwendenden Behörde nicht mit - liegt es an der erkennenden Behörde, diese 'globale' (unbestimmte) Aussage mit speziellen (rechtsrelevanten) 'Inhalten' zu 'füllen'.
Die Berufungsbehörde geht in ihrer Begründung von den 'beengten Wohnverhältnissen' aus.
Dazu muss grundsätzlich Folgendes ausgeführt werden: Da der Begriff 'ortsüblich' im Fremdengesetz (bzw. auch nicht in einer anderen allgemein gültigen Rechtsmaterie) nicht definiert ist, soll zur Klärung dieses 'unbestimmten' Begriffes die dafür zuständige wissenschaftliche/wissenschaftstheoretische Fachrichtung angezogen werden.
Mangels einer (für alle Behörden oder sonstige Bauträger) verbindlichen Regelung im technisch/baulichen Bereich (eine entsprechende Ö-Norm gibt es laut österreichischem Normungsinstitut nicht), kann nur noch auf die Ökologisch- bzw. Sozial- bzw. Umweltpsychologie bzw. die Wohnmedizin als entsprechendes Indikationsmittel rückgegriffen werden.
Dabei ist der Begriff der Enge streng vom Begriff der (räumlich/sozialen) Dichte zu unterscheiden. Da eine 'Enge' durchaus erwünscht und als angenehm empfunden werden kann, ist dieser Begriff (alleine ohne weitere Begründung) nicht geeignet, als Abweisungsgrund zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung herangezogen zu werden.
Vielmehr müsste die Berufungsbehörde den Begriff der (negativen) Dichte in Bezug auf Intensität der Dauer (aber auch der möglicherweise zu befürchtenden Auswirkungen auf der physiologischen und/oder psychologischen Verhaltensebene) präzisieren und rechtsrelevant bewerten und beurteilen.
Da solcherart für alle verbindlichen Rechtsvorschriften (über die Ortsüblichkeit des Wohnens und/oder Enge bzw. Dichte) in Österreich fehlen, mag es durchaus angemessen erscheinen, sich auf die Veröffentlichung der Weltgesundheitsorganisation von 1989 über Anforderungen für ein gesundes Wohnen zu konzentrieren und dessen Inhalte als Rahmenbedingung anzunehmen, die im ggstdl. Fall als gegeben gelten.
Die WHO legt folgende Voraussetzungen für ein gesundes Wohnen fest:
1.
Schutz gegen übertragbare Krankheiten
2.
Schutz gegen Verletzungen, Vergiftungen und chronische Krankheiten
3. Reduzierung des psychologischen und sozialen Stresses
Die gegenständliche Unterkunft besteht aus drei Zimmern inklusive der Nebenräume. In der Berufung wurde ausgeführt, dass in einem Zimmer Ihre Eltern mit Ihrer jüngsten Schwester schlafen. Im zweiten Zimmer schlafe Ihr dreizehnjähriger Bruder allein. Das letzte Zimmer teilten sich Ihre zwei anderen Brüder. Es sei vorgesehen, Sie im zweiten Zimmer, wo derzeit Ihr Bruder alleine schläft, einzuquartieren.
In Ihrem Fall kommt die Berufungsbehörde zur Ansicht, dass die ggstl. Wohnung bereits ohne Sie sehr geengte Wohnverhältnisse aufweist. Schon jetzt ist die Wohnung bis auf den letzten Platz ausgefüllt. Wenn man den Umstand berücksichtigt, dass Sie bis jetzt in der Türkei lebten und Ihre Familie nicht wirklich kennen, sind Spannungen im Zuge der Integration innerhalb der Familie unumgänglich. Daher vertritt die Behörde in Ihrem Fall die Ansicht, dass eine ortsübliche Unterkunft in Ihrem Fall nicht vorliegt. Eine individuelle Entwicklung, wie es einem jungen Mann Ihres Alters entsprechen würde, ist kaum möglich. Es kann Ihnen nicht zugemutet werden, in eine Wohnung zu kommen, in der es keine Privatsphäre geben kann. Bei derart beengten Wohnverhältnissen kann von einem, wie oben ausgeführt, 'gesunden' Wohnen im Sinne der WHO wirklich nicht gesprochen werden."
Sodann legte die belangte Behörde dar, aus welchen Gründen die ihres Erachtens gebotene Abwägung gemäß § 37 FrG 1997 (unter Berücksichtigung des Art. 8 MRK) zu Ungunsten des Beschwerdeführers ausgefallen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 8 Abs. 5, § 21 Abs. 3 und § 113 Abs. 10 FrG 1997 lauten
(auszugsweise):
"§ 8. ...
...
(5) Für die Erteilung eines Erstaufenthaltstitels bedarf es des Nachweises eines Rechtsanspruches auf eine für Inländer ortsübliche Unterkunft für den Fremden, der sich hier niederlassen will. ...
...
§ 21. ...
...
(3) Der Familiennachzug Drittstaatsangehöriger, die sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer niedergelassen haben, ist auf die Ehegatten und die Kinder vor Vollendung des 14. Lebensjahres beschränkt. ...
...
§ 113. ...
...
(10) Bei Erlassung der Niederlassungsverordnung für die Jahre 1998 bis 2000 kann die Bundesregierung zusätzlich eine Anzahl an Niederlassungsbewilligungen festlegen, die minderjährigen unverheirateten Kindern Drittstaatsangehöriger im Rahmen des Familiennachzuges zusätzlich erteilt werden dürfen, sofern diese Drittstaatsangehörigen sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer in Österreich niedergelassen haben, die Kinder das 14. Lebensjahr vollendet haben und erwiesen ist, dass der Nachzug bislang bloß deshalb unterblieben ist, weil eine Bewilligung gemäß der Verordnung nach § 2 des Aufenthaltsgesetzes nicht zur Verfügung stand. Für den Familiennachzug solcher Jugendlicher gilt im Übrigen § 21."
§ 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) lautete:
"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist."
Die belangte Behörde versagte die Erteilung der beantragten Bewilligung vorliegendenfalls auch deshalb, weil sie aus den oben angeführten Gründen die dem Beschwerdeführer zur Verfügung stehende Wohnung nicht als eine "für Inländer ortsübliche Unterkunft" im Verständnis des § 8 Abs. 5 FrG 1997 qualifizierte.
Der auslegungsbedürftige Gesetzesbegriff der "für Inländer ortsüblichen Unterkunft" in § 8 Abs. 5 FrG 1997 ist wie folgt zu interpretieren:
Es ist zu prüfen, ob Inländer in vergleichbarer familiärer Situation (Anzahl der Familienmitglieder, Alter etc.) in vergleichbaren Wohngegenden (Bezirksteilen) zu einem noch ins Gewicht fallenden Anteil vergleichbare Wohnungen so nutzen wie der antragstellende Fremde.
Davon ausgehend erweist sich aber die im angefochtenen Bescheid vertretene Auffassung, es sei zu prüfen, ob "beengte" Wohnverhältnisse vorlägen oder nicht, als verfehlt. Auch beengte Wohnverhältnisse können im Sinne der soeben dargestellten Rechtsansicht ortsüblich sein.
Es mag zutreffen, dass die von der belangten Behörde in diesem Zusammenhang ins Treffen geführten Umstände Indikatoren für gesundes Wohnen sind. Der angefochtene Bescheid lässt aber nicht erkennen, aus welchen Gründen die belangte Behörde annimmt, dass die dem Beschwerdeführer zur Verfügung stehende Wohnung Schutz gegen übertragbare Krankheiten, Schutz gegen Verletzungen, Vergiftungen und chronische Krankheiten sowie Reduzierung des psychologischen und sozialen Stresses in signifikant geringerer Weise gewährleistet, als die von Österreichern in vergleichbarer familiärer Situation in vergleichbaren Bezirksteilen genutzten Wohnungen.
Indem die belangte Behörde in Verkennung dieser Rechtslage einen Vergleich mit von Inländern genutzten Wohnungen im oben aufgezeigten Sinne unterließ, belastete sie den angefochtenen Bescheid in Ansehung des Versagungsgrundes nach § 8 Abs. 5 FrG 1997 mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Von dieser Rechtswidrigkeit ist aber auch die Versagung der Erteilung der Niederlassungsbewilligung aus dem Grunde des § 21 Abs. 3 FrG 1997 umfasst:
Wenn nämlich entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde dem Beschwerdeführer eine für Inländer ortsübliche Unterkunft zur Verfügung stand, hätte diesem im Rahmen der gemäß § 113 Abs. 10 FrG 1997 festgelegten Quote eine Bewilligung gemäß §§ 20, 21 Abs. 3 bis 5 FrG 1997 erteilt werden können.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1999, Zlen. 98/19/0225, 0226, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, Folgendes ausgeführt:
Ausgehend vom Zweck des § 113 Abs. 10 FrG 1997 ist die dort umschriebene Voraussetzung, "dass der Nachzug bislang bloß deshalb unterblieben ist, weil eine Bewilligung gemäß der Verordnung nach § 2 des Aufenthaltsgesetzes nicht zur Verfügung stand", dahin zu interpretieren, dass sie im Fall einer Antragstellung vor Inkrafttreten des FrG 1997 nur dann fehlt, wenn der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG ein Ausschließungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 AufG entgegenstand, also auch unter der Geltungsdauer des Aufenthaltsgesetzes in Wahrheit gar kein Anspruch auf Familiennachzug bestand.
Maßgebend für die Frage, ob die Voraussetzungen des § 113 Abs. 10 FrG 1997 vorliegen, ist daher nicht ein konkretes Verhalten oder die hinter einem solchen Verhalten stehende Motivation der Aufenthaltsbehörde (für die Nichterteilung einer Aufenthaltsbewilligung), sondern allein die Frage, ob während der Geltungsdauer des Aufenthaltsgesetzes dem Anspruch auf Familiennachzug gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG ein Versagungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 AufG entgegenstand. Hiezu sind bei der Beurteilung der Frage, ob § 113 Abs. 10 FrG 1997 angewendet werden kann, von der Niederlassungsbehörde die entsprechenden Feststellungen zu treffen.
Allein die Tatsache, dass die erstinstanzliche Behörde vorliegendenfalls am 9. März 1998 den Versagungsgrund des § 8 Abs. 5 in Verbindung mit § 12 Abs. 1 FrG 1997 zur Anwendung brachte, schlösse die Erteilung einer Bewilligung gemäß § 113 Abs. 10 FrG 1997 nicht aus.
Wäre aber entgegen der Auffassung der belangten Behörde im Falle des Beschwerdeführers eine für Inländer ortsübliche Unterkunft vorgelegen, so wäre in Ermangelung eines sonstigen Versagungsgrundes auf ihn die Übergangsbestimmung des § 113 Abs. 10 FrG 1997 anzuwenden gewesen. Er wäre dann berechtigt gewesen, seinen Anspruch auf Familiennachzug gemäß § 20 Abs. 1 FrG 1997 im Rahmen der gemäß § 113 Abs. 10 FrG 1997 festgelegten Quoten durchzusetzen. Ein Raum für eine Ermessensübung der belangten Behörde hinsichtlich der Erteilung der Niederlassungsbewilligung bestünde diesfalls nicht.
Schon aus dieser Erwägung ist die Versagung der Erteilung der Bewilligung gemäß § 21 Abs. 3 FrG 1997 von der rechtswidrigen Anwendung des § 8 Abs. 5 FrG 1997 mitumfasst.
Im Übrigen wäre aber auch bei Verneinung der Anwendbarkeit der Bestimmung des § 113 Abs. 10 FrG 1997 eine Prüfung des Antrages des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des § 19 Abs. 5 FrG 1997 geboten gewesen (was allerdings ebenfalls das Nichtbestehen eines Versagungsgrundes nach § 8 Abs. 5 FrG 1997 vorausgesetzt hätte).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 5. Mai 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999190010.X00Im RIS seit
01.06.2001