TE Bvwg Erkenntnis 2018/2/12 W238 2165530-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.02.2018
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Entscheidungsdatum

12.02.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W238 2165530-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Claudia MARIK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Caritas Österreich (ohne Zustellvollmacht), Albrechtskreithgasse 19-21, 1160 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.07.2017, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.10.2017 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, § 8 Abs. 1 AsylG

2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 57 AsylG 2005 sowie §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 21.07.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 22.07.2015 gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er afghanischer Staatsangehöriger sowie Angehöriger der Volksgruppe Hazara mit schiitisch-islamischem Glauben sei. Er sei am XXXX in der Provinz Ghazni geboren worden, habe danach in Herat und die letzten drei Jahre im Iran gelebt. Er sei als Hilfsarbeiter tätig gewesen. Die Schule habe er nur unregelmäßig besucht. Er habe bislang keine Ehe geschlossen und sei kinderlos. Seine Eltern und Geschwister würden in Afghanistan (Herat) leben, nur ein Bruder wohne im Iran. Er habe die Flucht vor ca. eineinhalb Monaten vom Iran aus begonnen. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, dass er Afghanistan aufgrund der schlechten Sicherheitslage verlassen habe. Er habe Angst vor Angriffen der Taliban und des IS gehabt. Zudem habe es keine Möglichkeit eines regelmäßigen Schulbesuchs gegeben. Im Iran habe er befürchtet, nach Afghanistan abgeschoben zu werden, da er sich dort illegal aufgehalten habe.

2. Aufgrund von Zweifeln an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) entsprechende Untersuchungen veranlasst. Aus einem Röntgenbefund vom 30.09.2015 geht hervor, dass sämtliche Epiphysenfugen an den Phalangen und den Metacarpalia beim Beschwerdeführer geschlossen seien, am Radius zeige sich eine zarte Epiphysennarbe, das Ergebnis laute GP 31, Schmeling 4.

Daraufhin wurde eine Altersfeststellungsuntersuchung beim Beschwerdeführer durchgeführt. Aus dem darauf basierenden medizinischen Sachverständigengutachten vom 27.12.2015 geht ein Mindestalter zum Untersuchungszeitpunkt von 17,6 Jahren hervor. Das fiktive Geburtsdatum laute XXXX . Von diesem Geburtsdatum ging das BFA in weiterer Folge aus.

3. Anlässlich der am 24.05.2017 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari durchgeführten Einvernahme vor dem BFA, Regionaldirektion Steiermark, wiederholte der Beschwerdeführer seine Angaben zu Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie Geburtsort (Provinz Ghazni). Er gab an, dass er Afghanistan bereits im Alter von ca. vier Jahren gemeinsam mit seiner Familie verlassen und seitdem im Iran gelebt habe. Seine Familie sei nie in Herat gewesen; nur er habe sich dreimal nach seinen Abschiebungen nach Afghanistan dort aufgehalten. Er habe im Iran drei Jahre lang eine afghanische Schule besucht und Taschen genäht. Seine Eltern, drei Brüder und eine Schwester würden sich weiterhin im Iran aufhalten. Er nehme keine Medikamente ein und befinde sich nicht in ärztlicher Behandlung.

Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer zusammenfassend an, sein Vater habe ihm erzählt, dass die Kuchis in ihre Heimatprovinz gekommen seien. Deshalb habe die Familie Afghanistan verlassen. Die Frage des BFA, ob ihm im Falle der Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe droht, verneinte der Beschwerdeführer und führte aus, dass er vom afghanischen Staat nichts zu befürchten hätte, dort aber niemanden habe und auch über keine Unterkunft verfüge.

Anlässlich der Einvernahme legte der Beschwerdeführer eine Schulbesuchsbestätigung, Teilnahmebestätigungen betreffend den Besuch von Deutschkursen, Empfehlungsschreiben sowie Unterlagen betreffend die Mitgliedschaft in einem Musikchor ( XXXX ) vor.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 11.07.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 21.07.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Schließlich wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

Die belangte Behörde traf Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates, zur Situation im Falle seiner Rückkehr sowie zur Lage in Afghanistan.

Beweiswürdigend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass die Identität des Beschwerdeführers mangels Vorlage eines unbedenklichen Identitätsdokuments nicht feststehe. Das Alter des Beschwerdeführers sei auf Basis des von der Behörde eingeholten Sachverständigengutachtens festgestellt worden. Die Feststellungen zu Staatsangehörigkeit, Herkunft sowie Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit würden sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers und seinen Sprachkenntnissen ergeben. Weiters erachtete es die Behörde für glaubhaft, dass der Beschwerdeführer in der Provinz Ghazni geboren wurde und ab seinem vierten Lebensjahr mit seiner Familie im Iran lebte, wo er die Schule besuchte und als Taschennäher arbeitete.

Als Fluchtgründe des Beschwerdeführers seien – äußerst unkonkret – Probleme der Familie mit Kuchis vorgebracht worden. Eine gegen ihn gerichtete (stattgefundene oder befürchtete) Verfolgungshandlung habe der Beschwerdeführer nicht vorgebracht. Eine staatliche Verfolgung sei vom Beschwerdeführer ausdrücklich verneint worden.

Der Beschwerdeführer sei gesund, jung und arbeitsfähig. Es liege eine innerstaatliche Fluchtalternative – etwa in Kabul – vor. Es könne nicht festgestellt werden, dass ihm in Afghanistan ein Entzug der Lebensgrundlage drohe.

Die Aussagen des Beschwerdeführers zu seinem Privatleben in Österreich wurden vom BFA für glaubhaft befunden. Der Beschwerdeführer halte sich erst kurz im Bundesgebiet auf und verfüge über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Seine Familie lebe im Iran. Der Beschwerdeführer besuche zwar Deutschkurse und spreche auch sehr gut Deutsch, habe jedoch keinerlei Zeugnisse über seine Sprachqualifikation vorgelegt. Er habe die Übergangsklasse der XXXX in XXXX besucht. Eine ausgeprägte Integration in Österreich liege trotz gewisser Integrationsbemühungen nicht vor. Der Beschwerdeführer habe zwar den überwiegenden Teil seines Lebens im Iran verbracht, sei dort aber von seinen afghanischen Eltern sozialisiert worden. Dies lasse auf ein Naheverhältnis zur kulturellen Ausrichtung in Afghanistan schließen. Auch angesichts der Muttersprache des Beschwerdeführers deute nichts darauf hin, dass es ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft zu integrieren.

Im Anschluss unterzog die belangte Behörde den von ihr festgestellten Sachverhalt unter Bezugnahme auf die einzelnen Spruchpunkte des Bescheides einer rechtlichen Beurteilung.

5. Gegen diesen Bescheid des BFA richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde, mit welcher der Bescheid wegen unschlüssiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie wegen eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens angefochten wurde. Der Beschwerdeführer sei außerhalb Afghanistans aufgewachsen und habe keinen Bezug zu seinem Herkunftsstaat. Dem Beschwerdeführer stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, zumal seine Kernfamilie im Iran lebe. Es gebe somit kein familiäres oder soziales Netzwerk im Herkunftsstaat. Afghanen, die außerhalb des Familienverbandes oder nach längerer Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, würden auf größere Schwierigkeiten stoßen als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet seien oder in einen solchen zurückkehren würden.

Der Beschwerdeführer beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung anberaumen, den angefochtenen Bescheid aufheben und ihm den Status eines Asylberechtigten zuerkennen. In eventu wurde beantragt, dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen oder die Rückkehrentscheidung bzw. die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung aufzuheben oder den Bescheid aufzuheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

6. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt langten am 26.07.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Am 09.10.2017 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und seine (nicht mit einer Zustellvollmacht ausgestattete) Rechtsvertreterin teilnahmen und der ein Dolmetscher für die Sprache Dari beigezogen wurde. Das BFA teilte mit Schreiben vom 06.09.2017 mit, dass eine Teilnahme an der Verhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Die Niederschrift der mündlichen Verhandlung wurde dem BFA im Anschluss an die Verhandlung übermittelt.

Der Beschwerdeführer brachte im Zuge der Verhandlung Bestätigungen über den Besuch eines Open Learning Center der Caritas, Bestätigungen betreffend den Besuch von Deutschkursen und über die Absolvierung einer ÖSD-Prüfung A2, eine Bestätigung über den Abschluss der Übergangsstufe an der XXXX , Empfehlungsschreiben, Bestätigungen über die Mitgliedschaft in einem Musikchor und über die Unterstützung in einem Pflegezentrum sowie Bestätigungen über den Besuch von Computerkursen in Vorlage.

Der Beschwerdeführer wurde vom erkennenden Gericht eingehend zu seiner Identität, Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu seinen Fluchtgründen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich befragt.

Im Zuge der Verhandlung wurden vom erkennenden Gericht auch die Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren eingebracht. Dem Beschwerdeführer wurden gemeinsam mit der Ladung Länderberichte zur Situation in Afghanistan übermittelt. Die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers legte dazu im Rahmen der Verhandlung eine schriftliche Stellungnahme vor.

8. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.10.2017 wurde der belangten Behörde die Stellungnahme des Beschwerdeführers zur Kenntnis gebracht und ihr in Wahrung des Parteiengehörs Gelegenheit eingeräumt, binnen zwei Wochen eine Stellungnahme dazu abzugeben.

9. Am 20.01.2017 langte seitens der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers unaufgefordert eine Ergänzung der Stellungnahme zu den Länderberichten ein.

10. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.10.2017 wurde der belangten Behörde erneut Parteiengehör gewährt.

11. Mit Eingabe vom 09.11.2017 verzichtete die belangte Behörde auf die Erstattung einer Stellungnahme.

12. Am 24.11.2017 wurde seitens des Beschwerdeführers ein ÖSD-Zertifikat A2 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage der Niederschrift über die Erstbefragung des Beschwerdeführers, der Niederschrift über seine weitere Einvernahme durch die belangte Behörde, des Beschwerdevorbringens, der mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie der Länderberichte zur Lage in Afghanistan, der dazu erstatteten Stellungnahmen des Beschwerdeführers und der von ihm vorgelegten Unterlagen werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1. Zu Person, Fluchtgründen, Rückkehrmöglichkeit und (Privat-)Leben des Beschwerdeführers in Österreich

1.1.1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, führt den Namen Ras XXXX , ist Angehöriger der Volksgruppe Hazara und schiitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari.

Er wurde am XXXX in der Provinz Ghazni, Distrikt XXXX ( XXXX ), Dorf XXXX geboren, wo er mit seiner Familie ca. bis zu seinem vierten Lebensjahr lebte. Der Beschwerdeführer reiste im Kindesalter gemeinsam mit seiner Familie in den Iran (Teheran) aus, wo er sich bis zu seiner Flucht nach Europa illegal aufhielt.

Der Beschwerdeführer wurde dreimal vom Iran nach Afghanistan (Herat) abgeschoben. Er hielt sich dort jeweils nur einige Tage bis zu einer Woche mit seinen Schleppern auf und kehrte mit Unterstützung seines Vaters in den Iran zurück.

Seine Familie – bestehend aus seinen Eltern, drei Brüdern und einer Schwester – lebt nach wie vor in Teheran.

Im Mai 2015 reiste der Beschwerdeführer alleine aus dem Iran aus und machte sich auf den Weg nach Europa. Die Ausreise und den Schlepper organisierte sein Bruder XXXX .

Der Beschwerdeführer stellte am 21.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

1.1.2. Der Beschwerdeführer begründete seinen Antrag auf internationalen Schutz bei der Einvernahme vor dem BFA damit, dass sein Vater ihm erzählt habe, dass die Kuchis in ihre Heimatprovinz gekommen seien. Aus diesem Grund habe die Familie Afghanistan verlassen. Die Frage des BFA, ob ihm im Falle der Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe droht, verneinte der Beschwerdeführer und führte dazu aus, dass er vom afghanischen Staat nichts zu befürchten hätte, dort aber niemanden habe und auch über keine Unterkunft verfüge.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wiederholte der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen auszugsweise wie folgt:

"Ehrlich gesagt, am Anfang kannte ich den Grund nicht, ich war erst vier Jahre alt, später hat mein Vater darüber gesprochen, warum wir Afghanistan verlassen haben. Der Grund waren Angriffe der Kuchis. Wenn die Kuchis kommen, machen sie Sachen kaputt. Sie nehmen alles mit, was sie können. Man kann nicht in die Schule oder hinausgehen. Ich habe es von meinem Vater gehört und selber nicht erlebt. [ ] Soweit mir mein Vater erzählt hatte, kamen sie jedes Jahr, einen speziellen Grund für die Konflikte brauchte es nicht."

Zur Ausreise aus dem Iran gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er sich illegal dort aufgehalten habe und nicht frei leben habe können.

Seitens der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers wurde in der mündlichen Verhandlung unter Bezugnahme auf näher bezeichnete Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes festgehalten, dass beim Beschwerdeführer eine Kumulierung verschiedener Merkmale vorliege, die im Sinne der Statusrichtlinie die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten rechtfertigen würden. Der Beschwerdeführer sei Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sowie der religiösen Bekenntnisgemeinschaft der schiitischen Moslems und gehöre insofern einer Minderheit an. Er sei Rückkehrer aus dem westlichen Ausland. Er weise ein junges Alter auf. Er sei außerhalb Afghanistans sozialisiert worden, verfüge über kein soziales Netzwerk und wäre in Afghanistan ohne jegliche Orientierung auf sich alleine gestellt.

Auf Nachfrage des Gerichtes ergänzte die Rechtsvertreterin, dass der Beschwerdeführer "westlich orientiert" sei bzw. dass ihm im Herkunftsstaat eine "westliche Haltung" unterstellt werden könnte, weil er den Islam nicht so streng praktiziere und ein selbstbestimmtes Leben führe, das er weiterführen wolle. Auch singe er in einem Chor, dessen Proben in einer Kirche abgehalten würden.

In der schriftlichen Stellungnahme des Beschwerdeführers zu den Länderberichten und deren Ergänzung wurde dieses Vorbringen wiederholt bzw. präzisiert. Darüber hinaus wurde unter Verweis auf die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers und in Kabul sowie auf die persönlichen Umstände des Beschwerdeführers die Zumutbarkeit einer Rückkehr nach Afghanistan verneint. Schließlich wurde geltend gemacht, dass eine Rückkehrentscheidung gegen Art. 8 EMRK verstoßen würde. In den Anhängen zur Stellungnahme wurde insbesondere Bezug auf die Situation der Hazara in Afghanistan und eine allfällige Gruppenverfolgung, auf die Verfolgungsgefahr und besondere Vulnerabilität "verwestlichter" bzw. im Ausland sozialisierter Rückkehrer sowie auf die Verschlechterung der Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul genommen.

Zu den geltend gemachten Fluchtgründen ist vom erkennenden Gericht Folgendes festzustellen:

Im Heimatdorf des Beschwerdeführers XXXX kam es vor der Ausreise der Familie regelmäßig (saisonbedingt) zu Konflikten zwischen Dorfbewohnern und Kuchi-Nomaden. Festgestellt wird, dass diese Konflikte insbesondere in der Nutzung von Acker- und Weideflächen bzw. in Gebietsansprüchen der Kuchis begründet waren.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der (zum Zeitpunkt der Ausreise aus Afghanistan erst vierjährige) Beschwerdeführer und seine Familie im Herkunftsstaat einer individuellen gegen sie gerichteten Verfolgung – etwa durch Kuchis oder andere Personen – ausgesetzt waren oder im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer solchen ausgesetzt wären.

Der Beschwerdeführer hätte im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan auch keine Verfolgung durch den Staat zu befürchten.

Weiters konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Merkmale mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder (von staatlichen Organen geduldet:) durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit (Hazara), seiner Religion (schiitischer Islam), Nationalität (Afghanistan), Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung zu erwarten hätte.

Auch kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er sich den überwiegenden Teil seines Lebens im Iran sowie zuletzt in Europa aufgehalten hat, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan – insbesondere wegen der von ihm angegebenen "Verwestlichung" seines Lebensstils oder einer Unterstellung eines solchen – psychischer und/oder physischer Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen ausgesetzt wäre.

Auch die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Kumulierung verschiedener Merkmale (Hazara, schiitischer Moslem, Rückkehrer aus dem "westlichen" Ausland, junges Alter, Sozialisierung außerhalb Afghanistans, Fehlen eines sozialen Netzwerks) begründet keine asylrelevante Verfolgungsgefahr (vgl. dazu die nachfolgenden rechtlichen Ausführungen).

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan weder vorbestraft noch wurde er dort jemals inhaftiert und hatte auch mit den Behörden des Herkunftsstaates keine Probleme. Der Beschwerdeführer war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Es gibt insgesamt keinen stichhaltigen Hinweis, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer (asylrelevanten) Verfolgung ausgesetzt wäre.

Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründe für das Verlassen des Iran wird auf die nachfolgende rechtliche Beurteilung verwiesen (vgl. Pkt. II.3.1.8.).

1.1.3. Der Beschwerdeführer ist jung, arbeitsfähig, gesund und steht nicht in ärztlicher Behandlung. Er besuchte im Iran ca. drei Jahre eine von Afghanen organisierte Schule. Er kann lesen und schreiben. Seine Muttersprache ist Dari.

Der Beschwerdeführer arbeitete im Iran ca. seit seinem sechsten Lebensjahr als Taschennäher. Seit dieser Zeit erlernte er den Beruf und übte ihn bis zu seiner Ausreise aus. Der Beschwerdeführer hat zum Lebensunterhalt seiner Familie im Iran beigetragen.

Seine Brüder XXXX und XXXX arbeiten nach wie vor als Taschenhersteller im Iran.

Die Kernfamilie des Beschwerdeführers hält sich im Iran auf. Er hat ca. einmal im Monat Kontakt zu seiner Familie.

Dass der Beschwerdeführer Verwandte in Afghanistan hat, konnte nicht festgestellt werden.

Eine Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Ghazni scheidet aus, weil ihm dort aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde, zumal die Erreichbarkeit der Provinz (etwa von Kabul aus) auf sicherem Weg nicht gewährleistet werden kann.

Dem Beschwerdeführer ist es aber möglich und zumutbar, sich stattdessen in der Hauptstadt Kabul oder auch in Mazar-e Sharif niederzulassen. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und einer in Afghanistan gesprochenen Sprache (Dari) vertraut. Er ist in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen und hat eine von Afghanen organisierte Schule besucht. Er kann lesen und schreiben. Der Beschwerdeführer hat zwar nie in Kabul oder Mazar-e Sharif gelebt und verfügt dort auch über keine familiären Anknüpfungspunkte. Angesichts seines guten Gesundheitszustandes, seiner Arbeitsfähigkeit und seiner langjährigen Berufserfahrung könnte er sich dennoch in Kabul oder Mazar-e Sharif eine Existenz aufzubauen und diese – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, wobei er seine Berufserfahrung als Taschennäher nutzen könnte. Mit dem Leben in einer Großstadt ist der Beschwerdeführer insoweit vertraut, als er bis zu seiner Ausreise in Teheran gewohnt hat. Zudem kann der Beschwerdeführer – entgegen seiner Ausführungen – mit (zumindest geringfügiger) finanzieller Hilfe seiner Familie, insbesondere seiner Brüder rechnen. Mit dieser Unterstützung ist ihm der Aufbau einer Existenzgrundlage in Kabul oder Mazar-e Sharif möglich. Der Beschwerdeführer ist auch in der Lage, in Kabul oder Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Der Beschwerdeführer hat zunächst die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. In weiterer Folge ist – wie dargelegt – von einer (wenn auch nur geringfügigen) finanziellen Unterstützung des Beschwerdeführers durch seine Brüder auszugehen. Im Ergebnis ist aufgrund der Schulbildung, der Schreib- und Lesekompetenz und der bisherigen Berufserfahrung von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers und in Ergänzung dazu von einer finanziellen Unterstützung durch seine im Iran lebenden Brüder auszugehen.

1.1.4. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Seine Familie hält sich im Iran auf. Er hat keine Familienangehörigen oder Verwandte im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer lebt in Österreich mit einem Asylwerber in einer Unterkunft zusammen. Er verfügt über freundschaftliche Kontakte zu österreichischen Privatpersonen. Seine Bindung zu Afghanistan ist trotz seiner kurzen Aufenthaltsdauer im Herkunftsstaat (von seiner Geburt bis zum vierten Lebensjahr) – insbesondere unter dem Aspekt seiner Sozialisierung in einem afghanischen Familienverband, des Besuchs einer von Afghanen organisierten Schule, des langjährigen Aufenthalts in einem muslimisch geprägten Land, seiner Muttersprache und der daraus abgeleiteten Verbundenheit mit der afghanischen Kultur – deutlich intensiver als jene zu Österreich. Der Beschwerdeführer möchte offensichtlich sein künftiges Leben in Österreich gestalten und hält sich seit seiner Asylantragstellung am 21.07.2015 im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer wird im Rahmen der Grundversorgung versorgt. Er war in Österreich bisher nicht legal beschäftigt. Er hilft freiwillig in einem Pflegeheim aus. Der Beschwerdeführer hat bereits Deutschkurse besucht und erfolgreich eine Deutschprüfung auf Niveau A2 absolviert. Zum Zeitpunkt der Verhandlung wies er angesichts seiner Aufenthaltsdauer gute Deutschkenntnisse auf. Er konnte eine einfache Konversation führen. Vom 29.11.2016 bis 30.06.2017 besuchte er in XXXX die Übergangsklasse der XXXX . Den Schulbesuch möchte er fortsetzen. Dreimal wöchentlich besucht er das Open Learning Center der Caritas mit Tutorien für Deutsch, Englisch und Mathematik. Er ist Mitglied eines Musikchors. Der Beschwerdeführer ist zum Zeitpunkt dieser Entscheidung strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zur Lage in Afghanistan

Dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht werden insbesondere folgende Quellen zugrunde gelegt:

* Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 30.01.2018;

* UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender (deutsche Fassung), 19.04.2016;

* ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konfliktes zwischen Kuchis und Hazara [a-9737-V2], 02.09.2016;

* Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 12.05.2017, Abschnitt 21. Flüchtlinge;

* ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung vom 12.06.2015 (a-9219) zur Situation von afghanischen Staatsangehörigen (insbesondere Angehörigen der Volksgruppe der Hazara), die aus dem Iran nach Afghanistan zurückkehren.

1.2.1 Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017 (letzte Kurzinformation eingefügt am 30.01.2018):

" 1. Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).

Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2019

Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und Internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).

Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018

Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe – versteckt in einem Rettungswagen – detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).

Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).

Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018

Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).

Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).

Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018

Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018).Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden(BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).

Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).

Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).

KI vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan – Q4.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil – der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).

Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen – in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. – 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen – zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).

(Grafik: Staatendokumentation gemäß Daten aus INSO o.D. nicht darstellbar)

Zivilist/innen

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017).Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren – führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer – speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

(Grafik nicht darstellbar)

High-profile Angriffe:

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der ‚Green Zone‘ der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der ‚Green Zone‘ seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen – in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation ‚Shamshad TV‘ an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).

(Grafik nicht darstellbar)

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh – Atta Noor – zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)

Interreligiöse Angriffe

Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele, veranlassten die afghanische Regierung neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempeln vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).

Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt – hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).

Im Jahr 2016 und 2017 registrierte die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen – hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnten großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).

ANDSF – afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:

Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann – dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um

3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem ‚Geisterpersonal‘ vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Taliban

Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen – was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):

Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen – in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen – dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich – laut afghanischen Beamten – ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).

Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar – in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriff auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden, und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten; hielt das die Gruppierungen nicht davon ab ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).

Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).

Politische Entwicklungen

Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).

Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer ‚Entlassung‘ – er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer ‚unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung‘ richte (NZZ 18.12.2017).

Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).

Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).

In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).

KI vom 25.9.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan – Q3.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab – auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert – eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5%

erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs – improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen – nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

(Grafik: Staatendokumentation gemäß Daten aus INSO o.D. nicht darstellbar)

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer – speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

(Grafik nicht darstellbar)

High-profile Angriffe:

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.- 5. August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

‚Green Zone‘ in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle ‚Green Zone‘; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound – auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017)

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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