TE Vfgh Erkenntnis 1997/12/10 B1866/97, B1867/97, B1868/97

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.12.1997
beobachten
merken

Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §5 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die Versagung von Aufenthaltsbewilligungen durch ausschließliches Abstellen auf den nicht ausreichend gesicherten Lebensunterhalt der Familie und mangels einer für Inländer ortsüblichen Unterkunft; keine im Sinne der Menschenrechtskonvention erforderliche Interessenabwägung

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den jeweils angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Mit den drei angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres wurden die Anträge eines seit 1981 in Österreich lebenden türkischen Staatsangehörigen (Beschwerdeführer zu B1868/97) sowie seiner Ehegattin und seiner minderjährigen Tochter (Beschwerdeführer zu B1867/97 und B1866/97) auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung unter Berufung auf §5 Abs1 bzw. §4 Abs3 Aufenthaltsgesetz - AufG, BGBl. 466/1992 idF 201/1996, abgewiesen. Die belangte Behörde begründet ihre die Aufenthaltsbewilligungen versagenden Bescheide damit, daß der Lebensunterhalt der Bewilligungswerber nicht gesichert sei; der Beschwerdeführer zu B1868/97 als alleinverdienender Unterhaltspflichtiger sei derzeit nicht erwerbstätig, die Verpflichtungserklärungen seines Vaters und Cousins reichten für den Lebensunterhalt einer dreiköpfigen Familie nicht aus. Überdies hätten die Beschwerdeführer das Vorliegen einer gesicherten, für Inländer ortsüblichen Unterkunft nicht eindeutig nachweisen können. Bei einer Interessenabwägung im Sinn des Art8 Abs2 EMRK überwögen die öffentlichen Interessen, obwohl der Beschwerdeführer zu B1868/97 schon jahrelang im Bundesgebiet aufhältig und seine Kinder in Österreich zur Welt gekommen seien.

2. Gegen diese Bescheide richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte gemeinsam ausgeführte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der Bescheide begehrt wird.

Der belangte Bundesminister für Inneres hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II.Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die angefochtenen Bescheide greifen in das den Beschwerdeführern gemäß Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich garantierte und unter Gesetzesvorbehalt stehende Recht dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis

VfSlg. 14091/1995 mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

2. Im vorliegenden Fall eines seit mehr als 15 Jahren in Österreich lebenden und bis 1995 durchgehend beschäftigten Fremden sowie dessen Familienangehöriger hat die belangte Behörde das Vorliegen des Versagungstatbestandes des §5 Abs1 AufG - ohne auf die private Interessenlage der Beschwerdeführer näher einzugehen und auch ohne die Dauer der bisherigen Beschäftigung des alleinverdienenden Familienvaters in ein Verhältnis zur Dauer seiner Arbeitslosigkeit zu setzen - ausschließlich damit begründet, daß die vorgelegten Verpflichtungserklärungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes der Familie nicht ausreichten und überdies eine für Inländer ortsübliche Unterkunft nicht vorliege. Sie hat damit die im Sinne des Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung in Wahrheit nicht vorgenommen.

Die angefochtenen Bescheide waren aus diesem Grund aufzuheben.

III.Die Kostenentscheidung

gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

IV.Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B1866.1997

Dokumentnummer

JFT_10028790_97B01866_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten