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L72003 Beschaffung Vergabe Niederösterreich;Norm
AufwandersatzV VwGH 2014;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler, die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tiefenböck, über die Revision der M Gesellschaft m.b.H. in E, vertreten durch Mag. Matthias Trauner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Riemergasse 9/9, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 25. November 2015, Zl. LVwG-AV-1130/002-2015, betreffend vergaberechtliche Nachprüfung (mitbeteiligte Parteien: 1. N in S, vertreten durch die Heid Schiefer Rechtsanwälte OG in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 88/2-4, 2. Bietergemeinschaft H GesmbH/B KG, vertreten durch die KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Fleischmarkt 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der Revisionswerberin Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 1. Folgender unbestrittener Verfahrensverlauf ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung:
2 Die Erstmitbeteiligte (im Folgenden: Auftraggeberin) führte ein offenes Verfahren im Oberschwellenbereich zur Vergabe eines bestimmt bezeichneten Bauauftrages.
3 Nach den bestandsfesten Ausschreibungsbedingungen sollte der Zuschlag dem Angebot mit dem niedrigsten Preis erteilt werden (Billigstbieterprinzip).
4 Sowohl die Revisionswerberin als auch die Zweitmitbeteiligte legten Angebote. Das Angebot der Revisionswerberin wies einen Gesamtpreis in Höhe von EUR, das Angebot der Zweitmitbeteiligten einen Gesamtpreis in Höhe von EUR aus.
5 Mit Schreiben vom 6. Oktober 2015 wurde die Revisionswerberin vom Ausscheiden ihres Angebotes verständigt. Der in den Ausschreibungsbedingungen geforderte Jahresumsatz der letzten drei Geschäftsjahre sei nicht erreicht worden. Die Betriebshaftpflichtversicherung entspreche nicht den Anforderungen in der Ausschreibung.
6 2. Die Revisionswerberin brachte am 15. Oktober 2015 einen Nachprüfungsantrag ein, mit welchem sie sich gegen die Ausscheidensentscheidung wendete. Mit dieser würden ausschließlich behebbare Mängel geltend gemacht werden, ohne dass die Auftraggeberin das zwingend vorgeschriebene kontradiktorische Verfahren durchgeführt habe.
7 Mit weiterem Schriftsatz vom 23. November 2015 brachte die Revisionswerberin ergänzend vor, das Angebot der Billigstbieterin erfülle die Ausschreibungsbedingungen nicht und hätte ausgeschieden werden müssen. Ebenso seien die Mitbieter auszuscheiden und die Ausschreibung zwingend zu widerrufen.
8 3. Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht die Anträge zurück. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
9 In der Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, gemäß § 12 Abs. 1 NÖ Vergabe-Nachprüfungsgesetz (NÖ VergNG) seien Anträge, deren Inhalt erkennen lasse, dass die behauptete Rechtsverletzung oder der behauptete Schaden nicht vorliege, oder die behauptete Rechtsverletzung keinen Einfluss auf das weitere Vergabeverfahren hatte oder hat, sofern der Antrag nicht als unzulässig zurückzuweisen sei, ohne weiteres Verfahren abzuweisen.
10 Fest stehe, dass die Revisionswerberin nicht das billigste Angebot gelegt habe. Dies sei ihr bereits am Tag der Angebotsöffnung bekannt gewesen. Trotz dieser Tatsache habe die Revisionswerberin in ihrem ursprünglichen Nachprüfungsantrag nicht dargelegt, weshalb sie trotz des laut Ausschreibungsbedingungen geltenden Billigstbieterprinzips bei Nichtausscheiden ihres Angebots den Zuschlag erhalten würde. Erst mit Schriftsatz vom 23. November 2015 - und somit verfristet - habe die Revisionswerberin vorgebracht, dass das Angebot der Billigstbieterin auszuscheiden gewesen wäre. Dieses Vorbringen könne jedoch nach Ablauf der Stillhaltefrist nicht nachgeholt werden. Dem Vorbringen der Revisionswerberin, sie habe lediglich Kenntnis von den Angebotspreisen gehabt, sei zu entgegnen, dass der Bieter in Kenntnis der Geltung des Billigstbieterprinzips auch substanzielles Vorbringen dahingehend zu erstatten gehabt hätte, weshalb der Billigstbieter auszuscheiden sei.
11 Selbst unter der Annahme der Unzulässigkeit der Ausscheidensentscheidung könne die Revisionswerberin keinesfalls den Zuschlag erhalten, weshalb ihr kein Schaden drohe. Dies führe zur rechtlichen Schlussfolgerung der fehlenden Antragslegitimation.
12 4. Gegen diesen Beschluss richtet sich die außerordentliche Revision mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
13 Die Mitbeteiligten beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen jeweils die Zurück- bzw. Abweisung der Revision.
14 5. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
5.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des NÖ Vergabe-Nachprüfungsgesetzes, LGBl. 7200-3, (NÖ VergNG) lauten auszugsweise:
"§ 4 Zuständigkeiten des Landesverwaltungsgerichtes
(1) Die Durchführung des Nachprüfungsverfahrens obliegt dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich.
(2) Bis zur Zuschlagserteilung bzw. bis zum Widerruf des Vergabeverfahrens ist das Landesverwaltungsgericht zum Zwecke der Beseitigung von Verstößen gegen Vorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens (Art. 14b Abs. 1 und 5 B-VG) oder von Verstößen gegen unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht zuständig
(...)
2. zur Nichtigerklärung gesondert anfechtbarer
Entscheidungen des Auftraggebers im Rahmen der vom Antragsteller geltend gemachten Beschwerdepunkte (§ 15). (...)
§ 5 Einleitung des Verfahrens zur Nichtigerklärung
(1) Ein Unternehmer, der ein Interesse am Abschluss eines den Vorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens (Art. 14b Abs. 1 und 5 B-VG) unterliegenden Vertrages behauptet, kann die Nachprüfung einer gesondert anfechtbaren Entscheidung des Auftraggebers im Vergabeverfahren wegen Rechtswidrigkeit beantragen, sofern ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. In einem kann beantragt werden, nicht gesondert anfechtbare Entscheidungen, die dieser gesondert anfechtbaren Entscheidung zeitlich vorangegangen sind, nachzuprüfen. (...)
§ 9 Antrag auf Nichtigerklärung
(1) Ein Antrag auf Nichtigerklärung (§ 5 Abs. 1) hat jedenfalls zu enthalten:
1. die genaue Bezeichnung des betreffenden
Vergabeverfahrens sowie der angefochtenen Entscheidung,
2. die genaue Bezeichnung des Auftraggebers und des
Antragstellers einschließlich deren Faxnummer oder elektronischer
Adresse,
3. eine Darstellung des maßgeblichen Sachverhaltes
einschließlich des Interesses am Vertragsabschluss sowie bei
Bekämpfung der Zuschlagsentscheidung die Bezeichnung des für den
Zuschlag in Aussicht genommenen Bieters,
4. Angaben über den behaupteten drohenden oder bereits
eingetretenen Schaden für den Antragsteller,
5. die bestimmte Bezeichnung des Rechts, in dem sich der
Antragsteller als verletzt erachtet,
6. die Gründe, auf die sich die Behauptung der
Rechtswidrigkeit stützt,
7. einen Antrag auf Nichtigerklärung der angefochtenen
gesondert anfechtbaren Entscheidung,
8. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob
der Antrag rechtzeitig eingebracht wurde und
9. einen Nachweis über die Befassung der Schlichtungsstelle.
(2) Der Antrag ist in folgenden Fällen unzulässig:
1. wenn er sich nicht gegen eine gesondert anfechtbare
Entscheidung richtet;
2. wenn er nicht innerhalb der in § 11 genannten Fristen
gestellt wird;
3. wenn trotz Aufforderung zur Verbesserung die
Pauschalgebühr gemäß § 19 nicht ordnungsgemäß entrichtet wurde
(...)
§ 12 Behandlung der Anträge
(1) Anträge, deren Inhalt bereits erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung oder der behauptete Schaden offensichtlich nicht vorliegt oder die behauptete Rechtswidrigkeit offensichtlich keinen Einfluss auf das weitere Vergabeverfahren hatte oder hat, sind - soferne der Antrag nicht als unzulässig zurückzuweisen ist - ohne weiteres Verfahren abzuweisen.
(2) In allen übrigen Fällen, in denen sich der Antrag zur weiteren Behandlung als geeignet erweist, ist das Nachprüfungsverfahren einzuleiten. (...)"
15 5.2. Die Revision bringt im Rahmen des Zulässigkeitsvorbringens unter anderem vor, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung abgewichen, indem es binnen Anfechtungsfrist im Rahmen des Nachprüfungsantrages auch zwingend das Erstatten von Vorbringen im Zusammenhang mit vorgereihten Angeboten verlange. Die Revisionswerberin sei aber gar nicht in der Lage gewesen, aufgrund der bloßen Bekanntgabe der Reihung der Angebote substanzielles Vorbringen in Hinblick auf das Angebot der Zweitmitbeteiligten zu erstatten. Es sei dem Rechtsuchenden nicht zumutbar, ein Vorbringen "ins Blaue" zu erstatten.
Die Revision ist in Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und begründet.
16 5.3. Dem Erfordernis, einen drohenden oder eingetretenen Schaden darzutun, wird in einem Nachprüfungsantrag bereits dann entsprochen, wenn die entsprechende Behauptung plausibel ist; ins Einzelne gehende (genaueste) Darlegungen sind nicht geboten (vgl. VwGH 20.4.2016, Ra 2015/04/0018).
17 Die Revisionswerberin hat unstrittig mit Schriftsatz vom 23. November 2015 ergänzendes Vorbringen dahingehend erstattet, dass das Angebot der Billigstbieterin die Ausschreibungsbedingungen nicht erfülle und daher ausgeschieden werden müsse. Dieses Vorbringen erfüllt die Anforderungen an die Darstellung des drohenden Schadens im Sinne der oben dargestellten Rechtslage.
18 Dieses Vorbringen selbst stellte weder einen neuen Nachprüfungsantrag in Hinblick auf die Anfechtung der Ausscheidensentscheidung dar, noch ging es über den fristgerecht erhobenen Anfechtungsantrag hinaus. Vielmehr ist das Vorbringen eine bloße Ergänzung der Begründung des Nachprüfungsantrages vom 5. Oktober 2015 und hält sich im Rahmen der mit diesem Antrag zum Verfahrensgegenstand des Nachprüfungsverfahrens gemachten Rechtsverletzung der vorgebrachten Rechtswidrigkeit der Ausscheidensentscheidung und damit im Rahmen des Beschwerdepunktes (vgl. zum Begriff des Beschwerdepunktes im Vergabeverfahren Walther/Hauck in Heid/Preslmayr, Handbuch Vergaberecht3, Rz 1952).
19 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits zur inhaltsgleichen Rechtslage des § 11 Abs. 2 Z 2 Wiener Vergaberechtsschutzgesetz 2007, LGBl. Nr. 65/2006, festgehalten hat, hat die Vergabekontrollbehörde auch auf späteres, neues Vorbringen der Partei Bedacht zu nehmen, wenn sich der genannte Einwand - wie hier - innerhalb des geltend gemachten Beschwerdepunktes bewegt (vgl. VwGH 21.1.2014, 2012/04/0124, mit Verweis auf VwGH 25.1.2011, 2006/04/0200, und VwGH 27.11.2003, 2003/04/0069).
20 Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts war somit das ergänzende Vorbringen im Schriftsatz vom 23. November 2015 beachtlich. Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte, hat es die Entscheidung mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet. Der angefochtene Beschluss war aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
21 5.4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung.
22 Gemäß § 47 Abs. 5 VwGG ist der dem Revisionswerber zu leistende Aufwandersatz von jenem Rechtsträger zu tragen, in dessen Namen die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verwaltungsverfahren gehandelt hat. Bei der vergaberechtlichen Nachprüfung (Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens eines Auftraggebers in den Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens nach Art. 130 Abs. 2 Z 2 B-VG) liegt ein derartiges Handeln einer Behörde nicht vor. Da dem Gesetzgeber des VwGG nicht unterstellt werden kann, er wollte für diese Fälle von einem Aufwandersatz nach den §§ 47 ff leg. cit. absehen, ist diese Lücke dahingehend zu schließen, dass der Kostenersatz von jenem Rechtsträger zu tragen ist, in dessen Namen das Verwaltungsgericht in der Beschwerdesache gehandelt hat. Danach ist entscheidend, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen der vergaberechtlichen Nachprüfung in einer Angelegenheit tätig wurde, die nach den Zuständigkeitsregeln des B-VG (hier des Art. 14b B-VG) in den Vollzugsbereich des Bundes oder der Länder fällt (VwGH 27.10.2014, Ra 2014/04/0022). Daher ist vorliegend das Land Niederösterreich als zuständiger Rechtsträger zum Aufwandersatz zu verpflichten.
Wien, am 29. Jänner 2018
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von Gesetzeslücken VwRallg3/2/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016040005.L00Im RIS seit
27.02.2018Zuletzt aktualisiert am
02.01.2019