TE OGH 2018/1/17 6Ob144/17w

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Veröffentlicht am 17.01.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm sowie die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Drin. Maria Windhager, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Verlag J***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 22. Juni 2017, GZ 15 R 85/17f-13, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 3. Mai 2017, GZ 8 Cg 23/17m-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Unzuständigkeitseinrede der beklagen Partei abgewiesen wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.029,48 EUR (davon 671,58 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist beim Österreichischen Rundfunk (ORF) beschäftigt.

Die Beklagte hat in der Ausgabe 04-05/2017 des periodischen Druckwerks und des periodisch erscheinenden E-Paper „Der österreichische Journalist“, deren Medieninhaberin sie ist, in der Kolumne „Dr. Media. Sprechstunde“ unter dem Zwischentitel „Was verdient [die Klägerin] wirklich?“ einen Ausschnitt aus dem Dienstvertrag der Klägerin mit dem ORF veröffentlicht, insbesondere ihr Gehalt und ihre Wohnadresse.

Gestützt auf § 32 Abs 2 DSG 2000 („DSG“) und auch auf §§ 16, 43 ABGB begehrt die Klägerin von der Beklagten, zu unterlassen, personenbezogene Daten und/oder persönliche Angaben aus dem Dienstvertrag der Klägerin mit dem ORF zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten. Die Beklagte habe durch die Veröffentlichung gegen das Grundrecht der Klägerin auf Datenschutz verstoßen. Das Erstgericht, in dessen Sprengel die Klägerin wohne, sei gemäß § 32 Abs 4 DSG zuständig.

Die Beklagte erhob in der Klagebeantwortung die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit. Sie sei ein Medienunternehmen. Daher gelte das Medienprivileg des § 48 DSG, sodass § 32 DSG nicht anwendbar sei. Diese Norm biete daher keine Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch und für die örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts. Die Beklagte habe die inkriminierten (angeblichen) Daten unmittelbar für ihre publizistische Tätigkeit im Sinn des Mediengesetzes verwendet.

Das Erstgericht wies die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück. Aufgrund der Klagsangaben handle es sich bei der Beklagten um ein Medienunternehmen, das Daten unmittelbar für seine publizistische Tätigkeit verwende. Deshalb sei gemäß § 48 Abs 1 DSG die einfach gesetzliche Bestimmung des § 32 DSG unanwendbar. Die Beklagte müsse an ihrem allgemeinen Gerichtsstand geklagt werden.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Da kein schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung der Höhe der Bezüge der Klägerin beim ORF im Sinne des Mediengesetzes bestehe, könne es sich auch nicht um Daten handeln, die nicht für die publizistische Tätigkeit verwendet werden dürften. Die Voraussetzungen zur Anwendung des Medienprivilegs des § 48 Abs 1 DSG seien erfüllt. Die Bestimmung des § 32 DSG sei daher nicht anwendbar.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin, der nach Freistellung von der Beklagten beantwortet wurde, ist zulässig und auch berechtigt.

1. Die Verfassungsbestimmung des § 1 Abs 1 DSG gewährleistet jedem den Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. Das Bestehen eines solchen Interesses ist nach dieser Bestimmung ausgeschlossen, wenn Daten infolge ihrer allgemeinen Verfügbarkeit oder wegen ihrer mangelnden Rückführbarkeit einem Geheimhaltungsanspruch nicht zugänglich sind.

1.2. Soweit die Verwendung von personenbezogenen Daten nicht im lebenswichtigen Interesse des Betroffenen oder mit seiner Zustimmung erfolgt, sind Beschränkungen des Anspruchs auf Geheimhaltung nur zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines anderen zulässig, und zwar bei Eingriffen einer staatlichen Behörde nur aufgrund von Gesetzen, die aus den in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Gründen notwendig sind (§ 1 Abs 2 erster Satz DSG 2000). Auch im Fall zulässiger Beschränkungen darf der Eingriff in das Grundrecht jeweils nur in der gelindesten, zum Ziel führenden Art vorgenommen werden (§ 1 Abs 2 letzter Satz DSG 2000).

1.3. Als Voraussetzung für die Zulässigkeit des Eingriffs in das Grundrecht auf Datenschutz, der nicht von einer staatlichen Behörde im Rahmen ihrer hoheitlichen Befugnisse erfolgt, kann auch nur eine Abwägung zwischen den „berechtigten“ Interessen des Eingreifenden und dem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen im Einzelfall durchzuführen sein, wobei die Interessen des Eingreifenden überwiegen müssen (6 Ob 191/15d; Jahnel, Datenschutzrecht Rz 2/47 mwN; vgl auch § 8 Abs 1 Z 4 DSG).

1.4. Die Verfassungsbestimmung des § 1 Abs 3 DSG gewährleistet jedem, „soweit ihn betreffende personenbezogene Daten zur automationsunterstützten Verarbeitung oder zur Verarbeitung in manuell, dh ohne Automationsunterstützung geführten Dateien bestimmt sind, nach Maßgabe gesetzlicher Bestimmungen 1. das Recht auf Auskunft darüber, wer welche Daten über ihn verarbeitet, woher die Daten stammen, und wozu sie verwendet werden, insbesondere auch, an wen sie übermittelt werden“ und „2. das Recht auf Richtigstellung unrichtiger Daten und das Recht auf Löschung unzulässigerweise verarbeiteter Daten“. Beschränkungen dieser Rechte sind nur unter den in § 1 Abs 2 DSG genannten Voraussetzungen zulässig (§ 1 Abs 4 DSG).

2. Gemäß § 5 Abs 4 DSG ist gegen Rechtsträger, die in Formen des Privatrechts eingerichtet sind, soweit sie nicht in Vollziehung der Gesetze tätig werden, das Grundrecht auf Datenschutz mit der Ausnahme des Rechts auf Auskunft auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machen. In allen übrigen Fällen ist die Datenschutzbehörde zur Entscheidung zuständig, es sei denn, dass Akte im Dienste der Gesetzgebung oder der Gerichtsbarkeit betroffen sind. Diese mit BGBl I 2013/83 eingefügte Bestimmung entspricht inhaltlich dem § 1 Abs 5 DSG, der mit Ablauf des 31. 12. 2013 außer Kraft getreten ist (Art 2 Abs 1 Z 9 iVm Abs 2 Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012, BGBl I 2012/51).

3. Die Absätze 1 bis 4 des mit „Anrufung der Gerichte“ überschriebenen, im 6. Abschnitt des DSG „Rechtsschutz“ enthaltenen § 32 DSG lauten:

„(1) Ansprüche wegen Verletzung der Rechte einer Person oder Personengemeinschaft auf Geheimhaltung, auf Richtigstellung oder auf Löschung gegen natürliche Personen, Personengemeinschaften oder Rechtsträger, die in Formen des Privatrechts eingerichtet sind, soweit diese Rechtsträger bei der behaupteten Verletzung nicht in Vollziehung der Gesetze tätig geworden sind, auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machen.

(2) Sind Daten entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes verwendet worden, so hat der Betroffene Anspruch auf Unterlassung und Beseitigung des diesem Bundesgesetz widerstreitenden Zustands.

(3) Zur Sicherung der auf dieses Bundesgesetz gestützten Ansprüche auf Unterlassung können einstweilige Verfügungen erlassen werden, auch wenn die in § 381 EO bezeichneten Voraussetzungen nicht zutreffen. …

(4) Für Klagen und Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach diesem Bundesgesetz ist in erster Instanz das mit der Ausübung der Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen betraute Landesgericht zuständig, in dessen Sprengel der Kläger (Antragsteller) seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz hat. Klagen (Anträge) können aber auch bei dem Landesgericht erhoben werden, in dessen Sprengel der Beklagten seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz oder eine Niederlassung hat.“

4. § 48 Abs 1 DSG (vgl dazu Hattenberger/Hoi, Ein „Medienprivileg“ für alle und für alles? in Jahrbuch Datenschutzrecht 2014, 251 ff) bestimmt:

„Soweit Medienunternehmen, Mediendienste oder ihre Mitarbeiter Daten unmittelbar für ihre publizistische Tätigkeit im Sinne des Mediengesetzes verwenden, sind von den einfach gesetzlichen Bestimmungen des vorliegenden Bundesgesetzes nur die §§ 4 bis 6, 10, 11, 14 und 15 anzuwenden.“

5. Aus dem Wortlaut des § 48 Abs 1 DSG folgt, dass neben den aufgezählten Bestimmungen des DSG, darunter § 5 Abs 4 DSG, stets auch das verfassungsrechtlich verankerte Grundrecht auf Datenschutz des § 1 DSG anzuwenden ist.

6. Der von den Vorinstanzen aus dem Wortlaut des § 48 Abs 1 DSG gezogene Umkehrschluss, dass die Bestimmungen über den Rechtsschutz nach § 32 Abs 1 bis 4 DSG ausgeschlossen sind, bedarf der Korrektur.

6.1. Das „Medienprivileg“ des § 48 DSG ist unionsrechtlich geprägt. Nach Art 9 der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutzrichtlinie – DS-RL) sehen die Mitgliedstaaten für die Verarbeitung personenbezogener Daten, die allein zu journalistischen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, Abweichungen und Ausnahmen im Bereich der „Allgemeinen Bedingungen für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten (Kapitel II DS-RL), hinsichtlich der Regelungen über die Übermittlung personenbezogener Daten in Drittländer (Kapitel IV DS-RL) und hinsichtlich des Kapitels VI DS-RL betreffend eine unabhängige datenschutzrechtliche Kontrollstelle und ihre Aufgaben nur insofern vor, als sich dies notwendig erweist, um das Recht auf Privatsphäre mit den für die Freiheit der Meinungsäußerung geltenden Vorschriften in Einklang zu bringen“.

6.2. Den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1613 BlgNR 20. GP 51 f) ist nicht die Absicht des Gesetzgebers zu entnehmen, mit der Bestimmung des § 48 Abs 1 DSG den zivilrechtlichen Rechtsschutz Betroffener (§ 4 Z 3 DSG) einschränken zu wollen. Unionsrechtlich ist eine Einschränkung des zivilrechtlichen Rechtsschutzes nicht geboten.

6.3. Es gibt auch keinen Grund für die Annahme, der Zweck des Medienprivilegs erfordere den Ausschluss der Anwendung des § 32 Abs 1 bis 4 DSG. Zum einen können sich zivilrechtliche Unterlassungsansprüche direkt auf den immer anwendbaren § 1 Abs 1 DSG stützen (6 Ob 148/00h; 9 ObA 73/03f; Ennöckl, Der Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Datenverarbeitung 211). Zum anderen konkretisieren die Abs 1 bis 4 des § 32 DSG die Anordnung des § 5 Abs 4 Satz 1 DSG, der auch dann anzuwenden ist, wenn Medienunternehmen, Mediendienste oder ihre Mitarbeiter Daten unmittelbar für ihre publizistische Tätigkeit im Sinne des Mediengesetzes verwenden.

6.5. Vor diesem Hintergrund erweist sich der Wortlaut des § 48 Abs 1 DSG gemessen am Gesetzeszweck überschießend weit, als er aufgrund eines Umkehrschlusses von der Anwendbarkeit des § 32 Abs 1 bis 4 befreit, sodass die Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion gegeben sind (vgl RIS-Justiz RS0008979; Schauer in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 7 Rz 18 mwN). Sind § 1 und § 5 Abs 4 DSG nämlich auch in den Fällen des Medienprivilegs anzuwenden, dann hätte auch § 32 Abs 1 bis 4 DSG als anwendbare Bestimmung des DSG genannt werden müssen.

7. Da demnach § 32 Abs 4 DSG zu beachten ist, hat sich die Klägerin zu Recht auf diesen Wahlgerichtsstand berufen und die Klage beim zuständigen Erstgericht eingebracht. Die Unzuständigkeitseinrede der Beklagten ist daher abzuweisen.

8. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat im Zwischenstreit obsiegt.

Textnummer

E120702

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00144.17W.0117.000

Im RIS seit

26.02.2018

Zuletzt aktualisiert am

10.12.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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