Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei X***** SE, *****, vertreten durch Dr. Uwe Niernberger und Dr. Angelika Kleewein, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei I***** S.p.A., *****, vertreten durch Stapf Neuhauser Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 205.000 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 13. September 2017, GZ 1 R 120/17z-69, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die in Italien ansässige Beklagte lieferte der Versicherungsnehmerin der Klägerin mit Sitz in Österreich Talk aufgrund von fünf Einzelbestellungen. Die Klägerin leitet einen nach § 67 VersVG auf sie übergegangenen Schadenersatzanspruch ihrer Versicherungsnehmerin aus den behauptetermaßen mangelhaften Lieferungen der Beklagten auf Grundlage der beiden letzten Bestellungen vom 5. 8. und 18. 11. 2011 ab. Zwischen den Streitteilen ist das wirksame Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung strittig.
Rechtliche Beurteilung
1. Nicht bezweifelt wird in diesem Zusammenhang die Anwendbarkeit der EuGVVO (Brüssel I-VO). Die Frage der Wirksamkeit des Abschlusses einer Gerichtsstandsvereinbarung richtet sich daher nach Art 23 EuGVVO (nunmehr Art 25 EuGVVO 2012 – Brüssel Ia-VO).
2. Der Begriff der Gerichtsstandsvereinbarung im Sinn des Art 23 EuGVVO, der autonom auszulegen ist, bedeutet eine übereinstimmende Willenserklärung der Parteien über die Zuständigkeitsbegründung (RIS-Justiz RS0117156). Deren Vorliegen ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, weshalb nur im Fall einer im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifenden Fehlbeurteilung der zweiten Instanz eine erhebliche Rechtsfrage nach § 528 Abs 1 ZPO vorliegt (RIS-Justiz RS0117156 [T5]).
3.1 Die nach Art 23 EuGVVO unerlässliche Willenseinigung zwischen den Parteien ist grundsätzlich von der Partei zu beweisen, die sich – wie hier die Klägerin – auf die zuständigkeitsbegründende Klausel beruft (RIS-Justiz RS0114192).
Dem Art 23 Abs 1 EuGVVO sind Mindesterfordernisse an die vertragliche Vereinbarung zu entnehmen; diese Formvorschriften sind nicht Beweisregeln, sondern Wirksamkeitsvoraussetzungen (RIS-Justiz RS0114193 [T7]). Die Bestimmung soll vor allem gewährleisten, dass Zuständigkeitsvereinbarungen nicht unbemerkt Inhalt des Vertrags werden (RIS-Justiz RS0114604 [T5, T10]; RS0113570 [T7]). Es muss also klar und deutlich aus dem Vertrag hervorgehen, dass sich jede Seite tatsächlich mit einer Gerichtsstandsvereinbarung einverstanden erklärt hat (RIS-Justiz RS0113570 [T4]; RS0113571 [T1]); es muss gewährleistet sein, dass die Parteien einer Klausel, die von den allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften abweicht, tatsächlich zugestimmt haben (RIS-Justiz RS0113571 [T1]). Die Voraussetzungen für die Gültigkeit von Gerichtsstandsklauseln sind eng auszulegen (RIS-Justiz RS0114604 [T1, T3, T12]).
3.2 Die hier vorrangig zu klärende Frage ist, ob überhaupt die Formvoraussetzungen des Art 23 Abs 1 EuGVVO erfüllt wurden. Dies wurde vom Rekursgericht vertretbar verneint:
4.1 Nach der 1. Alternative des Art 23 Abs 1 lit a EuGVVO muss die Willenserklärung in schriftlicher Form vorliegen. Dies kann in einer von allen Parteien unterzeichneten Vertragsurkunde geschehen, es reichen aber auch getrennte Schriftstücke aus (RIS-Justiz RS0114604 [T3, T12 iVm T6]). Dem Schriftformerfordernis wird durch Bezugnahme auf Allgemeine Geschäftsbedingungen, in der eine Gerichtsstandsklausel enthalten ist, entsprochen, wenn der Vertragstext ausdrücklich auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bezug nimmt (RIS-Justiz RS0111715; RS0109865 [T1]). Kommt der Vertrag durch Angebot und Annahme in verschiedenen Urkunden zustande (vgl RIS-Justiz RS0111714), so genügt der Hinweis auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die eine Gerichtsstandsklausel enthalten, im Angebot – hier in den identen 5 Einzelbestellungen der Klägerin –, wenn die andere Partei diesem unter Anwendung normaler Sorgfalt nachgehen kann und die genannten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Partei tatsächlich zugegangen sind (RIS-Justiz RS0111716).
4.2 Die den Bestellungen vorangegangen Verkaufsverhandlungen endeten in einer Zusammenfassung der Verhandlungsergebnisse, die die Bedingungen für die Lieferung, Zahlung, Art der Verpackung und Menge pro Spedition festhielt. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin einschließlich der Gerichtsstandsklausel zu ihren Gunsten wurden dabei nicht thematisiert.
4.3 Die Bestellung vom 5. 8. 2011 wurde von der mit den vorausgegangenen Verkaufsverhandlungen nicht befassten, nur im Customer-Service tätigen Mitarbeiterin der Beklagten – wie aus der von der Klägerin vorgelegten E-Mail Beil ./O ersichtlich – nicht einfach „angenommen“. Vielmehr antwortete sie mit der Übermittlung eines eigenen Angebots, wobei sie in der nachfolgenden Korrespondenz über konkrete Nachfrage der Versicherungsnehmerin der Klägerin dies als übliche Vorgangsweise darstellte.
Davon ausgehend ist hier jedenfalls das Formerfordernis des Art 23 Abs 1 lit a EuGVVO nicht erfüllt.
4.4 Vor diesem Hintergrund stellt es keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar, wenn das Rekursgericht zur Bestellung vom 18. 11. 2011 vertritt, dass – unter dem Gesichtspunkt der anzuwendenden normalen Sorgfalt – die Beklagte einen Verweis auf die Einkaufsbedingungen der Klägerin nicht habe erwarten und ihnen auch nicht habe nachgehen müssen. Weiters bestätigte die Beklagte den Eingang der Bestellung zwar, hielt dabei aber die von der Klägerin vorgegebene bestimmte Form der Annahmeerklärung nicht ein. Wenn nun das Rekursgericht unter Berücksichtigung all dieser Umstände – im Hinblick auf die Zielsetzung des Art 23 EuGVVO, den unbemerkten Eingang von Gerichtsstandsklauseln zu verhindern – schlussfolgert, dass im vorliegenden Einzelfall die Willenseinigung zwischen den Vertragsparteien gerade nicht ausreichend klar und deutlich zum Ausdruck gebracht worden sei, so erweist sich dies als vertretbar.
5.1 Unter „Gepflogenheit“ im Sinn des Art 23 Abs 1 lit b EuGVVO wird eine zwischen den konkreten Parteien regelmäßig beachtete Praxis verstanden (1 Ob 146/09s; RIS-Justiz RS0114604 [T7, T8]).
5.2 Wenn das Berufungsgericht die geringe Anzahl der den gegenständlichen Bestellungen vorausgegangenen Geschäftsfälle (zu denen auch keine idente Vorgangsweise dargelegt wurde – so fehlt etwa schon zur zweiten Bestellung vom 17. 11. 2010 überhaupt ein Antwortschreiben der Beklagten) und die insgesamt nur 1,5 Jahre dauernde Geschäftsbeziehung mit fünf Bestellungen nicht als ausreichend für die Annahme einer Gepflogenheit wertete, ist dies nicht korrekturbedürftig.
6.1 Die in Art 23 Abs 1 lit c EuGVVO geregelte Formalvariante verzichtet nicht auf eine Willenseinigung der Vertragsparteien, vermutet aber eine solche, wenn in dem betreffenden Geschäftszweig ein Handelsbrauch über die Form der Gerichtsstandsvereinbarung besteht, den die Parteien kannten oder kennen müssen. Das Bestehen und die Branchenüblichkeit eines Handelsbrauchs sind Tatfragen. Die Beweislast für ihr Vorliegen trifft die Klägerin, die sich darauf beruft (1 Ob 146/09s mwN).
6.2 Soweit die Klägerin ausführt, im internationalen Chemiehandel werde es als ausreichend angesehen, wenn Gerichtsstandsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten seien, auf die in Aufträgen
– ohne spezifisch auf die Gerichtsstandsklauseln einzugehen – hingewiesen werde, so entspricht dies ohnedies bereits den angeführten allgemeinen Grundsätzen (vgl RIS-Justiz RS0111716), ein besonderer Handelsbrauch wird damit nicht behauptet. Im Übrigen fehlen Ausführungen der Klägerin zum Kennen oder Kennenmüssen durch die Beklagte.
6.3 Davon ausgehend erübrigt sich ein Eingehen auf den im Zusammenhang mit dem Handelsbrauch geltend gemachten Verfahrensmangel.
7. Zusammengefasst gingen die Vorinstanzen vertretbar davon aus, dass die Klägerin die Formvoraussetzungen des Art 23 Abs 1 EuGVVO für das Vorliegen der behaupteten Gerichtsstandsvereinbarung nicht darlegte. Die von der Klägerin als wesentlich angesehene Frage, in welcher Sprache der Hinweis auf die Verwendung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gefasst sein müsse, wenn der zuständige Mitarbeiter des Vertragspartners die Sprache des AGB-Verwenders beherrsche, die Vorgespräche jedoch in einer anderen Sprache geführt worden seien, stellt sich damit nicht.
Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
Schlagworte
;Gruppe: Internationales Privatrecht und Zivilverfahrensrecht;Europarecht;Textnummer
E120707European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00183.17P.0124.000Im RIS seit
26.02.2018Zuletzt aktualisiert am
26.02.2018