TE Bvwg Erkenntnis 2018/2/6 W156 2170206-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.02.2018
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Entscheidungsdatum

06.02.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W156 2170206-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Alexandra Krebitz als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.08.2017, Zahl XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.11.2017 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005, § 8 Abs. 1 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 55, 57 AsylG 2005 sowie §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang

1.1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 16.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu wurde er am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen.

Hierbei gab er zu Protokoll, dass er eines Tages bei einem Freund wegen einer Hausübung über Nacht gewesen sei. Am nächsten Tag, als er nach Haus gekommen sei, habe er die Leiche seines Vaters gesehen. Es sei überall Blut gewesen. Er habe geschriehen. In dieser Zeit sei seine Mutter gekommen. Er habe sie gefragt, wer seinen Vater getötet habe. Sie sagte, dass sie es ihm später erzählen werde. Sie habe ihm etwas Geld gegeben und gesagt, dass er das Haus sofort verlassen muss, weil sein Leben in Gefahr sei. Er habe in eine andere Stadt gehen wollen. Auf dem Weg sei er von den Taliban entführt und in ein Haus gebracht worden. Dort sei er ca. 27 Tage eingesperrt gewesen. Eines Tages in der Nacht habe es ein Gefecht gegeben und für ihn die Möglichkeit zu flüchten. In einen Bazar habe er den Ahmed getroffen. Er habe ihm alles erzählt und ihm das Geld, das er von seiner Mutter bekommen habe, gegeben. Er habe ihn von Afghanistan heraus gebracht.

1.2. Mit Schreiben vom 25.09.2016 brachte der BF vor, erst 14 Jahre alt zu sein.

1.3. Am 02.11.2015 erging von der belangten Behörde der Auftrag zur Altersfeststellung an Dr. Thorsten Schwark.

1.4 Mit Gutachten vom 13.01.2016 wurde ein Mindestalter des BF von 17 Jahren festgestellt.

1.5. Am 10.05.2017 wurde der Beschwerdeführer seitens des BFA nach Befragung zu seinen persönlichen Verhältnissen und seinen Fluchtgründen befragt, wobei er im Wesentlichen vorbrachte, dass er sich vor seiner Ausreise aus Afghanistan zuletzt regelmäßig in XXXX in der Provinz XXXX, in der Region XXXX im Dorf XXXX aufgehalten habe. Er habe sein ganzes Leben dort verbracht und sei vor sechs Jahren nur eine Woche in Pakistan gewesen. Nach seiner Rückkehr aus Pakistan habe er nicht mehr in XXXX sondern in der Ortschaft XXXX gelebt. In der Ortschaft XXXX habe er mit seinen nichtleiblichen Eltern und zwei Schwestern in einem gemeinsamen Haushalt gelebt.

Als Gründe für die Ausreise gab der BF an, dass er bei einem Schulfreund wegen Hausaufgaben über Nacht gewesen sei. Am nächsten Tag bei seiner Heimkehr habe er gesehen, dass das Haus voller Blut gewesen sei. Seine Mutter habe ihm Geld gegeben und ihm gesagt, er solle von hier flüchten. Eine Erklärung für die Vorfälle habe sie ihm nicht gegeben.

Auf Rat seiner Mutter sei er in die Region XXXX flüchten soll, wo sich die Geschäfte befinden und habe dort ein oder zwei Stunden gewartet, bis seine Mutter gemeinsam mit seinen beiden Schwestern nachgekommen sei. Sie habe ein Fahrzeug organisierte, um an einen anderen Ort zu gehen. In diesem Fahrzeug hatten 7 oder 8 Personen Platz gehabt. Er habe nicht gewusst, wohin sie fahren.

Unterwegs, in einer Region namens XXXX, hätten die Taliban das Fahrzeug angehalten und sie festgenommen und alle, die in diesem Fahrzeug waren, mitgenommen. Sie wären mit verbundenen Augen in einen Keller gebracht worden. Er wisse nicht wohin. Sie seien etwa 1 1/2 Monate dort gewesen. Die Taliban hätten sie dort misshandelt und mit dem Tod bedroht wegen der Religion und der Volksgruppenzugehörigkeit. Bei einem Angriff, er wisse nicht, wer diesen Angriff gestartet habe, seien die zwei Wachmänner am von dort weggegangen.

Es wären insgesamt 40 Personen in diesem Keller gewesen und jeder sei in eine andere Richtung geflüchtet. Seine Mutter habe ihm Geld, das sie in einem Tuch bei sich gehabt hätte, gegeben. Und ihm gesagt, dass er von hier flüchten müsse. Er habe nicht ohne sie und den beiden Schwester flüchten wollen, aber sie habe gesagt, sie sei alt und könne mit seinen beiden Schwestern nicht flüchten.

Er sei zu Fuß durch eine Wüste gelaufen und sei dann in einer Region angekommen, wo es einen Bazar gegeben habe. Er sei sehr erschöpft gewesen und habe Hunger gehabt. Ein Mann sei gekommen, er glaube, er habe Ahmad geheißen, dem er von seinen Problemen erzählt habe. Durch diesen Mann sei er bis nach Europa gekommen.

Er sei von den Taliban misshandelt worden und man habe ihm seine Nase gebrochen.

Wo der Bazar gewesen sei, wisse er nicht.

Zur Entführung durch die Taliban gefragt, gab der BF an, dass sie sie in ihrem Sammeltaxi mit Raketen und Gewehren angehalten haben. Sie seien mit zwei Autos unterwegs gewesen, ähnlich wie ein Toyota. Der Fahrer und der Beifahrer seien von zwei Taliban mitgenommen worden. Ein Talib habe am Steuer gesessen, der andere richtet seine Waffe gegen die Beiden gerichtet. Sie seien zu diesem Keller gebracht worden und hätten eine Augenbinde bekommen. Es seien ca. 5 Personen gewesen und hätten auch mehrere Taliban bei den Autos gestanden.

Der Keller sei ca. 2 Mal so groß wie das Einvernahmezimmer gewesen.

Die Taliban hätten Paschtu gesprochen und er verstehe Paschtu nicht. Er habe nur Hazara und Schiiten verstanden. Die Fahrt zum Keller hätte etwa 2 Stunden gedauert. Die zwei Wachmänner hätten auf Paschtu gesagt, dass sie untereinander nicht sprechen sollen. Sie hätten mit dem Zeigefinger auf den Mund gedeutet, dass sie nicht reden sollen.

In den 40 Tagen hätte er kein einziges Wort gesprochen, bei einer kleinen Tätigkeit, hätten sie sie misshandelt, deshalb müssten sie ruhig sein. Aus Angst habe niemand gesprochen, da sie sehr grausam seien.

Warum er von den Taliban festgehalten worden sei, wisse er nicht. Von Youtube habe er die Nachrichten gehört und wisse jetzt, dass in dieser Region die Taliban die Hazara anhalten. Warum man sie festgehalten hätte, wisse er nicht. Er kenne den Grund nicht.

Aus XXXX habe er flüchten müssen, weil er, als er 5 oder 6 Jahre alt war, seine leiblichen Eltern verloren habe. Das Oberhaupt der Familie seien seine Brüder geworden. Der eine Bruder sei um 2 Jahre älter als ich.

Nachgefragt gab er an:

Er sei bei seinem Freund gewesen und am nächsten Tag, als er nachhause gekommen sei, sei das ganze Haus voller Blut gewesen. Diese Leute seien hinter ihm her gewesen, sie eine Feindschaft hätten. Diese Feindschaft bestehe schon seit langem. Das sei der Grund dafür, dass er XXXX verlassen musste, sie wären hinter ihm her. Er kenne diese Leute aber nicht und wisse auch über die Feindschaft nichts. Diese Feindschaft bestünde schon seit langem, da er aber damals zu jung gewesen sei, sei er nicht darin verwickelt gewesen.

Mit den Behörden seines Heimatlandes habe er niemals Schwierigkeiten oder Probleme gehabt, er habe keiner einer politischen Partei angehört und gegen ihn sei nie ein Gerichtsverfahren anhängig gewesen. Auch sei er nie in Haft oder festgenommen worden

1.3. Das Bundesamt wies mit angefochtenem Bescheid vom 10.08.2017 den Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

1.4. Gegen den Bescheid des Bundesamtes brachte der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde ein.

1.5. Am 14.11.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, bei der sich im Wesentlichen Folgendes ereignete:

"R: Haben Sie vor der Polizei im Rahmen der Erstbefragung und dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Wahrheit gesagt?

BF: Da ich nicht sicher war, ob ich mich damals im Bundesgebiet aufgehalten habe oder nicht und ich wusste nicht, ob es sich um Österreich gehandelt hat, habe ich halb-halb die Wahrheit gesagt, bei der Erstbefragung durch die Polizei. Aber in der Einvernahme vor dem BFA habe ich die Wahrheit gesagt.

R: Was war bei der Einvernahme vor der Polizei gelogen?

BF: Ich habe gesagt, dass ich damals keine Verwandten, darunter auch mein Bruder, nicht in Österreich gehabt habe, das war gelogen. Zweitens, habe ich auch gesagt, dass ich ca. 27 Tage bei den Taliban als Gefangener war, obwohl ich ca. eineinhalb Monate dort gefangen war.

R: Warum haben Sie da gelogen?

BF: Ich war nicht sicher, ob es hier Österreich war oder nicht, überall hat die Polizei diese Fragen gestellt.

R: Warum haben Sie gelogen?

BF: Erstens war ich nicht sicher, wie ich zuvor gesagt habe, ob ich in Österreich war oder nicht. Zweitens war ich nicht sicher, ob mein Bruder damals gelebt hat oder nicht, weil ich keinen Kontakt hatte.

R: Haben Sie den Dolmetsch dort gut verstanden?

BF: Der D bei der Erstbefragung hat einen unbewussten Auftritt gehabt. Er hat von sich einen Eindruck gegeben, dass er nicht seine Tätigkeit bewusst war. Mit dem D bei der Einvernahme vor dem BFA habe ich keine Verständnisprobleme gehabt. Ich habe ihn verstanden. Ich habe es deswegen jetzt erwähnt, weil der D mich damals wohl nicht gut verstanden hat.

R: Wurden Ihnen die Niederschriften, die die Polizei im Rahmen der Erstbefragung und das BFA mit Ihnen aufgenommen haben, rückübersetzt?

BF: Beide Protokolle wurden mir nicht ausgehändigt. Das Protokoll von der Erstbefragung habe ich erst einen Tag vor der Einvernahme beim BFA erhalten. Ich habe nicht genug Zeit gehabt den Inhalt des EB-Protokolls zu lesen. Das Protokoll vom BFA habe ich ausgehändigt bekommen.

R: Ist die Niederschrift vom BFA rückübersetzt worden?

BF: Es wurde rückübersetzt.

R: Haben Sie Identitätsdokumente aus Afghanistan von Ihnen?

BF: Nein, habe ich nicht. Ich bin von dort geflüchtet, ich konnte nichts mitnehmen.

R: Haben Sie welche gehabt?

BF: Nein, habe ich nicht gehabt.

R: Sagen Sie bitte Ihren Namen, wo Sie geboren sind und wer Ihre leibliche Familie ist.

BF: Meine leibliche Mutter heißt XXXX. Mein leiblicher Vater heißt XXXX XXXX. Geboren bin ich in der Provinz XXXX, Jaghori. Und ich heiße XXXX XXXX.

R: Gibt es noch jemand aus dieser leiblichen Familie?

BF: Ich habe zwei leibliche Brüder. Davon ist einer längst verstorben, ich meine damit getötet worden, er war zwei Jahre älter als ich. Er hat geheißen XXXX. Mein zweiter Bruder, der auch älter ist als ich, hält sich derzeit in Österreich auf. Er heißt XXXX XXXX. Ich habe keine leibliche Schwester.

R: Gibt es Onkel und Tanten?

BF: Ich habe gehört, dass ich einen Onkel väterlicherseits habe, mit dem wir keinen Kontakt haben und dass er sich in Australien mit seiner Familie aufhält und er sich schon lange dort aufhält. Ich habe auch einen Onkel mütterlicherseits, der in Österreich lebt.

R: Sonst noch leibliche Familie?

BF: Nein, ich habe keine Tanten, weder väterlicher- noch mütterlicherseits.

R: Was ist mit Ihren leiblichen Eltern passiert?

BF: Ich war sehr jung damals. Mein Bruder hat mir gesagt, dass mein Vater unter Krebs gelitten hat und an Krebs gestorben ist. Eine Woche ca. danach ist dann meine Mutter gestorben und zwar wegen eines Schlaganfalls.

R: Wo haben Sie mit Ihren leiblichen Eltern gelebt?

BF: In XXXX, XXXX, Jaghori, XXXX, Afghanistan.

R: Was ist nach dem Tod Ihrer leiblichen Eltern passiert?

BF: Danach hat dieser ältere Bruder, XXXX, uns erzogen und für uns gesorgt, ca. zwei Jahre lang. Ich kann mich erinnern, ich war acht Jahre alt und er hat die Aufgaben der Eltern übernommen. Danach hat man unser Haus in XXXX überfallen und meinen älteren Bruder, XXXX, mitgenommen. Ich war jung, man hat mich verschont und nicht mitgenommen. Ich weiß auch nicht, wieso mein Bruder mitgenommen wurde. Möglicherweise wegen des Besitz der Grundstücke, weil mein Vater damals Grundstücke hatte, davon hat mir mein Bruder erzählt. Und dass er mit jemand darüber gestritten hat.

R: Wie sind Sie dann zu Ihren Zieheltern gekommen?

BF: Mein Bruder wurde, wie gesagt, mitgenommen. Dann haben wir nichts von ihm gehört. Meine Schwägerin hat sich dann um uns gekümmert. Ich habe gesagt, die Frau meines Onkels mütterlicherseits, der in Österreich lebt.

R: Das heißt, Ihre Zieheltern sind Ihr Onkel mütterlicherseits und seine Frau gewesen?

BF: Damals hat man auch meinen Onkel mütterlicherseits mitgenommen. Damals nur seine Frau hat sich um uns gekümmert.

R: Mit wem sind Sie dann gemeinsam aufgewachsen und wie lange waren Sie dort?

BF an D: Ich sag es Ihnen stückweise und langsam. Ich bin gerade dabei Ihnen alles zu beschreiben und Sie können es weitersagen.

BF: Die Polizei hat eines Tages den Leichnam meines zwei Jahre älteren Bruders gefunden und die Frau meines Onkels mütterlicherseits, der hier lebt heißt XXXX, wurde verständigt. Im Anschluss daran, mussten wir nach Pakistan flüchten, da ich und die Frau von XXXX sehr verängstigt waren, einerseits hatten sie meinen Bruder damals mitgenommen und später haben sie den anderen getötet. Dann waren wir ca. eine Woche in Pakistan. Ein bisschen Geld hatte ich selbst und den Rest habe ich der Frau von XXXXgenommen. Ich wollte in die Stadt gehen und mir etwas kaufen. In der Stadt wurde ich von der Polizei aufgegriffen, in Pakistan, weil ich mich von der Optik her von den pakistanischen Leuten unterschieden habe, sie sind ziemlich dunkel. Die Polizei hat mich dann nach meinen aufenthaltsrechtlichen Karten gefragt, ob ich damals welche gehabt habe, oder nicht. Ich habe ihnen gesagt, dass ich nichts habe. Ich und mein Bruder waren mit der Frau von XXXX ca. ein Jahr zusammen. Sie selbst hatte keine Kinder.

R: Was ist wichtig an der Geschichte in Pakistan?

BF: Pakistan hat veranlasst, dass ich mit den anderen Eltern zusammen lebe.

R: Wer ist das jetzt?

BF: Von den späteren Eltern, war der Vater der Freund meines Vaters, er kannte meinen Vater. Er hat auch XXXX geheißen, seinen Familiennamen kannte ich nicht.

R: Sind das jetzt die Zieheltern, von denen wir im Verfahren reden werden?

BF: Ja. Jemand hat die Frau von XXXX darüber informiert, dass mein anderer Bruder in Österreich sei. Wer sie informiert hat, weiß ich nicht. Damals habe ich selber nur einmal mit meinem Bruder, der jetzt in Österreich ist, telefonisch gesprochen. Weiteren Kontakt hatte ich nicht mit ihm, deswegen war ich nicht sicher, ob er damals nach meinem Eintreffen hier, auch hier war oder nicht.

R: Wie hat jetzt die pakistanische Polizei Sie zu den späteren Zieheltern gebracht?

BF: Ich wurde nach Afghanistan in die Provinz XXXX abgeschoben. Ich war dort sehr verzweifelt, bis ich dort die Hazara-Leute gefunden habe, die ein Restaurant geführt haben. Diese Person hat mich dann gefragt, warum ich so verzweifelt sei und ich habe meine Geschichte erzählt. Dann hat er Fragen bezüglich meines Heimatdorfes und meiner Eltern gestellt, ich habe es der Person erzählt. Im Zuge dessen hat sich herausgestellt, dass er meinen Vater kannte. So bin ich mit ihm in Kontakt gekommen.

R: Wer hat jetzt Ihren Vater gekannt? Ist Ihr Ziehvater und die Person im Restaurant dieselbe Person?

BF: Ja, ich meine, den Ziehvater habe ich in einem Restaurant in XXXX gesehen.

R: Sie haben erzählt: "Ich wurde nach Afghanistan in die Provinz XXXX abgeschoben. Ich war dort sehr verzweifelt, bis ich dort die Hazara-Leute gefunden habe, die ein Restaurant geführt haben. Diese Person hat mich dann gefragt, warum ich so verzweifelt sei und ich habe meine Geschichte erzählt. Dann hat er Fragen bezüglich meines Heimatdorfes und meiner Eltern gestellt, ich habe es der Person erzählt. Im Zuge dessen hat sich herausgestellt, dass er meinen Vater kannte. So bin ich mit ihm in Kontakt gekommen."

BF: Ja so stimmt das.

R: Wer ist wer? Ist der Besitzer des Restaurants Ihr Ziehvater?

BF: Alles ist richtig, außer der Besitzer des Gasthauses. Mein Ziehvater war nicht der Besitzer, er war Gast. Meine leiblichen Eltern habe ich vorher erwähnt, ich war sehr jung. Ich habe in diesem Restaurant meinen späteren Ziehvater getroffen und es hat sich herausgestellt, dass er meinen leiblichen Vater kannte.

R: Wo haben Sie dann mit Ihren Zieheltern gelebt?

BF: Er hat mich dann mitgenommen, in die Gegend namens XXXX, Jaghori, XXXX. Dort habe ich mit ihnen gelebt.

R: Mit wem haben Sie dort gelebt?

BF: Mit meiner Ziehmutter, Ziehvater und den zwei Töchtern von ihnen. Insgesamt waren wir fünf.

R: Welchen Beruf hatte Ihr Ziehvater?

BF: Er hat ein Lebensmittelgeschäft gehabt. In der Stadt genannt nach XXXX, im Bazar.

R: Hat er sonst noch etwas gearbeitet?

BF: Ab und zu war er in der Landwirtschaft tätig.

R: Haben Sie mitgeholfen?

BF: Überwiegend habe ich mich ums lernen und die Hausaufgaben der Schule gekümmert. Ab und zu habe ich ihm, nur in der Landwirtschaft, geholfen.

R: Was haben Sie da gemacht?

BF: z.B. habe ich Obst gesammelt und das dann nach Hause gebracht, ab und zu habe ich auch gewässert. Er hat nicht nur Obst, sondern auch Getreide, Weizen, Karotten angebaut.

R: Erzählen Sie mir warum Sie Afghanistan verlassen haben, so anschaulich wie möglich.

BF: Eine Nacht war ich bei meinem Klassenkameraden, wegen der Hausaufgaben. Ich wollte diese mit ihm zusammen machen. Am nächsten Tag, als ich zuhause war, habe ich bemerkt, dass die Wand zuhause voller Blut war. Sie hatten meinen Ziehvater getötet. Daraufhin, als ich zuhause war, ist plötzlich meine Ziehmutter zu mir gekommen, hat mir einen kleinen Betrag Geld ausgehändigt und gesagt, "dein Leben ist hier in Gefahr, verschwinde aus diesem Ort so schnell wie möglich". Sie sagte, dass ich in Bazar von XXXX gehen müsse und dass sie sich später an mich anschließen wolle. Genau diesen Zeitpunkt bezeichne ich als sehr bittere Zeit in meinem Leben. Ich bin dann zum Bazar XXXX gegangen. Später ist meine Ziehmutter mit den zwei Töchtern gekommen und sie haben mir gesagt, dass diese Leute, die meinen Ziehvater getötet haben, eigentlich nach mir gesucht haben. Ich denke, dass es sich dabei um die Feinde meines Vater gehandelt hat, mit denen er damals, als er (leiblicher Vater) am Leben war, über die Grundstücke gestritten hat. Ich, meine Ziehmutter und ihre zwei Töchter haben ein Sammeltaxi genommen und wollten in eine sichere Gegend fahren und diesen Ort so schnell wie möglich verlassen. Wir haben ein Sammeltaxi der Marke Town-Ace genommen. Wir waren unterwegs, als die Taliban dieses Sammeltaxi in der Gegend XXXX angehalten haben. Wir waren ca. sieben bis acht Personen in diesem Sammeltaxi. Die Taliban haben uns aussteigen lassen, uns die Hände am Rücken verbunden und ihre Waffen auf uns gerichtet. Es gab noch ein paar andere, die ziemlich weit gestanden sind und den Ort gesichert haben, damit niemand flieht. Wir waren sehr verängstigt, weil die Taliban in der Mehrzahl sind in XXXX und brutale Anschläge verüben. Uns haben sie die Augen verbunden und wieder ins Auto einsteigen lassen. Ca. zwei Stunden waren wir mit dem Auto unterwegs. Danach waren wir plötzlich in einem Keller. Es gab auch noch andere Leute in diesem Keller, die sie davor aufgegriffen und festgenommen hatten. Auf dieser Route von XXXX, wo wir von den Taliban aufgegriffen wurden, wurden damals viele andere Leute von den Taliban aufgegriffen und festgenommen, viele auch getötet.

R: Diese Leute wurden aufgegriffen, als Sie transportiert wurden, oder ist das eine generelle Aussage?

BF: Wir waren alle im Auto als die Taliban uns aufgegriffen haben. Das ist die einzige Route, dass aus Jaghori und XXXX hinaus führt.

R: Sind an diesem Tag noch andere Leute zu Ihnen ins Auto gebracht und mit Ihnen in den Keller gebracht worden?

BF: Nein, wir waren alleine. Es gab in diesem Keller sowohl Männer als auch Frauen, aber voneinander getrennt. Die Taliban haben Paschtu gesprochen. Ich kann kein Paschtu. Es gab zwei Wachen der Taliban. Man konnte nicht laut sprechen und sich denen widersetzten. Sie haben auch gefoltert. Ich wurde auch von den Taliban mit dem Fuß gegen die Nase getreten, sie haben mir die Nase gebrochen. Wir waren ca. ein bis eineinhalb Monate dort. Wir wussten auch nicht, warum sie uns aufgegriffen und festgenommen haben, aber wir waren die Gefangenen von ihnen. Ab und zu sind fünf bis sechs Taliban gekommen und haben gewalttätig gesprochen. Sie haben auf Paschtu gesprochen, ich weiß nicht was sie wirklich gemeint haben.

R: Haben die Taliban zu den Gefangenen gesprochen?

BF: Alle wurden von ihnen angesprochen und bedroht. Sie haben alle durchsucht.

R: Haben Sie auch Gegenstände abgenommen?

BF fragt nach: Welche Gegenstände?

BF: Ich habe nicht gesehen, dass sie den Gefangenen etwas weggenommen haben. Aber sie waren auf der Suche nach irgendwelchen Dokumenten, die die Zusammenarbeit der Gefangenen mit dem Staat beweisen könnten.

R: Woher wissen Sie das?

BF: Weil sie einen Studenten auch als Gefangenen hatten, sie haben ihn so viel geschlagen, bis er geblutet hat. Sie können auch selber recherchieren und nachforschen, warum die Taliban so aktiv sind und solche Sachen machen. Eines Tages wurde dieser Ort, wo wir uns als Gefangene aufgehalten haben, von den Sicherheitsleuten des Staates, denke ich, angegriffen. Kurz nach dem Angriff haben die Wachen ihren Posten verlassen und die Türe offen gelassen. Das war der Zeitpunkt in dem ich fliehen konnte. Meine Ziehmutter hat mir gesagt, "du musst so schnell wie möglich das Land verlassen und zu deinem Bruder in Österreich gehen". Sie kannte auch meinen leiblichen Vater und wusste von seinen Problemen. Dann bin ich geflüchtet. Ich war durch die Hügel und Wüste unterwegs. Kurz vor der Flucht hat mir meine Ziehmutter Geld, eingewickelt in einem Tuch, gegeben. Zwei Tage war ich, ohne Essen und Wasser, unterwegs. Bis ich einen Bazar erreicht habe und dort habe ich mir Essen in einem Restaurant besorgt. Ich war dort, mir ist es nicht gut gegangen, ich habe gegessen. Zwei Tage lang war ich dort. Später habe ich gefragt, habe ich eine Person namens Ahmad getroffen. Mir ist es sehr schlecht gegangen. Er hat mir gesagt, "was machst du hier? Geh weg von hier." Er war selbst ein Schlepper. Dann haben sie mich nach Geld gefragt, ob ich welches habe oder nicht. Ich habe das Geld meiner Ziehmutter hergezeigt. Sie haben mir das Geld weggenommen und ein bisschen zurückgegeben.

R: Wer ist "sie"?

BF: Ahmad, der Schlepper. Sie haben mir dann gesagt, dass ich mich auf die Reise vorbereiten solle, mir Kleidung kaufen solle und noch weiter in diesem Restaurant bleiben solle. Sie haben gesagt, "wir kommen morgen und holen dich von hier ab". Am nächsten Tag war ich für die Reise bereit. Sie sind mit einem Auto der Marke Toyota gekommen, haben mich in dieses Auto einsteigen lassen. Wir haben dann die Reise begonnen. Das Auto war sehr, sehr schnell unterwegs. Das Auto war lange Zeit unterwegs. Es war eine sehr lange Reise. Unterwegs musste ich in mehrere Autos einsteigen und aussteigen. Ich wurde verschiedenen Leuten übergeben. Unterwegs gab es Flüsse, Berge.

R: Wie lange war das Auto unterwegs?

BF: Von morgens bis abends war dieses Auto unterwegs. Das erste Auto.

R: Woher wissen Sie, dass Ihr Ziehvater damals getötet worden ist?

BF: Wie ich Ihnen gesagt habe, die Wand war voller Blut. Dann hat meine Ziehmutter gesagt, ich muss flüchten.

R: Hat sie Ihnen damals auch gesagt, dass Ihr Ziehvater getötet wurde, oder haben Sie seine Leiche gesehen?

BF: Ich war zuhause. Die Wand war voller Blut. Sie sind in der Nacht gekommen, haben möglicherweise die Leiche mitgenommen.

R wiederholt die Frage.

BF: Ja, die Ziehmutter hat es mir gesagt.

R: Wann hat sie es gesagt?

BF: Nicht zuhause, dort hat sie mir gesagt, dass ich plötzlich verschwinden müsse. Im Bazar XXXX hat sie mir dann alles erzählt.

R: Wer war aller in dem Sammeltaxi?

BF: Sie meinen das Taxi vom Bazar XXXX? Es waren auch noch andere Leute in diesem Sammeltaxi, wir kannten diese Leute nicht, sie waren Hazara. Überwiegend Leute aus unserer Gegend sind Hazara.

R: Wie hat die Gegend ausgesehen, wo Sie aufgehalten wurden?

BF: Es war eine Wüste mit kleinen Steinen und auch kleinen Hügeln.

R: Wo war das ungefähr?

BF: Ich weiß es nicht genau. Aber es war sicher innerhalb von XXXX.

R: Wohin wollte Ihre Ziehmutter mit Ihnen fahren?

BF: Das weiß ich nicht. Wir wollten in irgendeine andere Stadt fahren. Ich habe nicht gefragt. Sie hat gesagt Richtung Norden, sie hat keine Stadt genannt.

R: Wie lange haben Sie von zuhause zum Bazar gebraucht?

BF: Zwei Stunden zu Fuß.

R: Können Sie den Keller, wo Sie gefangen gehalten worden sind, beschreiben und Ihre Eindrücke schildern?

D: Der BF versteht die Übersetzung des deutschen Wortes "Eindruck" nicht und hat nachgefragt.

BF: Es war sehr dunkel. Es war ein Keller. Es gab keinen Strom. Die Taliban haben immer Taschenlampen bei sich gehabt. Für uns gab es eine Lavalampe.

R: Eine Lavalampe oder eine Petroleumlampe?

BF: Mit Öl, sie hatte eine Flamme.

R: An was erinnern Sie sich noch?

BF: Wenn Sie Fragen haben, beantworte ich sie Ihnen.

R: Ich möchte, dass Sie mir Ihre Erinnerungen an den Keller schildern.

BF: Ich habe auch was zu erzählen, wenn die Fragen zu Ende sind. Wenn es Gottes Wille ist. (Anm.: verwendet das Wort Inschallah). Was war die Frage?

R wiederholt die Frage: Welche Erinnerungen haben Sie noch an den Keller?

BF: Der Keller war ca. so groß wie dieser Saal vielleicht auch kleiner, ich weiß es nicht genau. Der Keller war aus Lehm, sehr einfach gebaut.

R: Sind Sie in diesen eineinhalb Monaten auch einmal aus dem Keller hinausgekommen?

BF: Nein. Nur wenn wir auf das WC mussten, wurden wir begleitet und wieder zurück in den Keller gebracht. Es gab einen bestimmten Platz, den sie verrichtet hatten, als Toilette.

R: Sie haben gesagt, die Männer und Frauen waren getrennt. Wo waren die Frauen?

BF: Im gleichen Keller, aber voneinander getrennt.

R: Wo sind die Wachen gestanden?

BF: Vor der Türe.

R: Wie hat die Türe ausgesehen?

BF: Aus altem Holz.

R: Ist Ihre Ziehmutter auch durchsucht worden?

BF: Nein, die Frauen haben sie nicht durchsucht, weil die Taliban abergläubisch sind, sie berühren die Frauen nicht. Sie wurden im Zuge ihres Hijabs bedroht.

R: Wie viele Männer und wie viele Frauen waren es ungefähr?

BF: Genau weiß ich es nicht. Wir waren 40 Personen, die Männer waren in der Mehrzahl.

R: Waren die Wachen immer dieselben Personen?

BF: Nein, sie wurden ausgetauscht. Sie hatten dort auch einen Posten, dort gab es auch noch andere Taliban.

R: Woher wissen Sie, dass es Taliban waren?

BF: Weil sie Turbane anhatten, die Gesichter waren verdeckt, beim Aufgriff, sie haben Waffen gehabt und nicht so gekleidet wie die Polizei, ohne Uniform. Die Leute werden aufgegriffen und gefangen genommen, von den Taliban und nicht von der Polizei, die Taliban machen so etwas.

R: Warum sind Sie von den Taliban geschlagen und misshandelt worden?

BF: Ohne Grund haben sie die Leute geschlagen, mich auch, weil die Taliban hassen die Leute, die nicht die Waffe heben und nicht mit ihnen zusammenarbeiten.

R: Wie oft und wo sind Sie misshandelt worden?

BF: Sie sind gekommen und haben uns einfach geschlagen. Ab und zu waren sie ohne Grund genervt. Denen hat es nicht gefallen, dass man zur Schule geht oder Student ist.

R wiederholt die Frage.

BF: Sie haben mich an der Nase geschlagen. Meine Nase wurde gebrochen.

R: Sonst keine Misshandlung?

BF: Am gleichen Tag wurde ich nicht nur an der Nase geschlagen, sondern am gesamten Körper. Ich wurde auch an anderen Tagen misshandelt. z.B. haben sie uns Essen gebracht und dann wollten sie irgendwas sagen, z.B. das Essen jemand anderen zu geben, wir haben die Taliban nicht gut verstanden, das hat die Taliban genervt, daraufhin haben sie uns dann geschlagen.

R: Woher wissen Sie, dass die Taliban die Leute nach Dokumenten durchsucht haben, nach denen sie wissen könnten, dass die Leute mit der Regierung zusammenarbeiten?

BF: Ich habe diese Informationen damals nicht gehabt, aber später habe ich gelesen und Videos auf YouTube angeschaut, dass die Taliban die Leute die mit den Amerikanern und der Regierung zusammenarbeiten töten. Durch das Internet habe ich später diese Informationen gehabt. Seitdem ich in Österreich bin, ca. zweieinhalb Jahre, habe ich die Leute kennengelernt, die das gleiche Schicksal hatten wie ich, diese Leute haben mir auch erzählt, warum die Taliban die Leute durchsuchen.

R: Sie haben aber nicht mit der Regierung zusammengearbeitet, warum sollten die Taliban, wenn sie wissen, dass Sie nicht mit der Regierung zusammenarbeiten, 40 Tage gefangen halten und nicht sofort töten?

BF: Ich weiß es nicht. Es gibt aber auch viele andere Sachen. Es geht um Religion, Sprache, Stamm. All das spielt eine Rolle.

R: Was haben die anderen Mitgefangenen gesagt, warum sie alle festgehalten werden?

BF: Ich weiß es nicht. Außerdem haben die Taliban mit dem Finger auf ihren Mund gedeutet und damit gezeigt, dass wir still sein sollen.

R: Sie haben in dieser Zeit nicht einmal mit jemand geflüstert?

BF: Nein. Sie haben uns Essen gebracht und gesagt "da nimm". Nur einzelne Wörter. Sonst durften wir nicht sprechen. Sie haben ständig ihre Augen auf uns gerichtet gehabt, wir konnten nicht einander ins Ohr flüstern.

R: Woher wissen Sie, dass die eine Person, die von den Taliban so misshandelt wurde, ein Student war?

BF: Weil dieser Student Bücher in der Tasche hatte. Außerdem hat er sich nicht angepasst angezogen. Er hat eine Studentenuniform angehabt, was nicht für die Leute dort üblich ist, besonders wenn man auf dieser gefährlichen Route unterwegs ist.

R: War dieser Student mit Ihnen im Taxi?

BF: Nein, er war schon im Keller.

R: Wie hat die Uniform ausgesehen?

BF: Er hat ein Hemd angehabt und auch ein schwarzes Sakko.

R: Die Taliban haben ihm die Bücher nicht weggenommen?

BF: Die Taliban haben ihm die Bücher weggenommen. Nicht nur die Bücher, die Taliban haben den Leuten auch die Handys, Computer und Speicherkarten weggenommen. Sogar wenn man eine Flasche Mineralwasser bei sich hat, könnte das auch Probleme schaffen.

R: Woher wissen Sie, dass er Bücher gehabt hatte, wenn er schon im Keller war und die Taliban am Anfang alles weggenommen haben?

BF: Die wurden einen Tag oder vielleicht auch länger, vor uns aufgegriffen und festgenommen. Nachdem wir mit ihnen im Keller waren, haben die Taliban uns durchsucht.

R: Haben Sie auch gesehen, wie den Personen die Gegenstände weggenommen wurden?

BF: Ja Ich habe gesehen, wie sie durchsucht wurden. Ich habe nichts bei mir gehabt. Sie haben aber den Gefangenen das Geld nicht weggenommen. Sie haben aber Fragen gestellt, woher man das Geld hatte und wie man es verdient hat.

R: Sie haben gesagt, es hat dann einen Angriff gegeben, bitte schildern Sie dies so genau wie möglich.

BF: Wir waren bei denen als Gefangene. Wir wussten nicht was passiert. Wir haben nur unseren Gott gebeten, uns aus dieser Gefangenschaft zu befreien. Wir haben nur Schüsse, Bombenexplosionen und solche Sachen gehört. Daher habe ich gesagt, dass es sich dabei um einen Angriff gehandelt hat. Wer diesen Angriff verübt hat weiß ich nicht genau. Aber ich denke, es könnte seitens der Regierung gewesen sein. Die zwei Wachen waren sehr verzweifelt und verängstigt, sie haben ihren Posten verlassen und sich von uns entfernt. Das war die Möglichkeit, dass wir die Flucht ergreifen konnten.

R: Wie lange hat es gedauert bis Sie den Raum verlassen hatten?

BF: Von diesem Raum bis zum Bazar hat es zwei Tage gedauert.

R: Wie lange hat der Angriff gedauert?

BF: Durch diesen Angriff wurde uns allen die Flucht ermöglicht. Aber ich weiß nicht genau wie lange dieser Angriff gedauert haben könnte. Kurz vor der Flucht bin ich zu meiner Ziehmutter gegangen, sie hat mir gesagt, dass ich nach Österreich flüchten müsse, zu meinem Bruder. Woher sie die Information hatte, dass er hier in Österreich ist, weiß ich selber nicht. Es wurde nach der Dauer des Angriffes gefragt, ich weiß es nicht. Als ich mit meiner Ziehmutter gesprochen habe, habe ich ihr gesagt, dass ich nicht in der Lage gewesen sei alleine zu flüchten. Sie sagte aber, dass sie das auch nicht könnte, in ihrem damaligen Alter, mit zwei kleinen Töchtern. Sie sagte, dass ich mich selber darum kümmern müsse. Daher habe ich, ohne sie, flüchten müssen.

R: Wie viel hat die Flucht gekostet?

BF: Das ganze Geld, das mir meine Ziehmutter gegeben hatte, habe ich damals dem Schlepper übergeben, davon habe ich einen kleinen Betrag zurückbekommen. Ich habe es aber nicht gezählt, wie viel er mir zurückgegeben hat. Den Rest hat er behalten. Insgesamt war das ca. 350.000 afghanische Rupis, die mir meine Ziehmutter gegeben hat.

R: Wie hat die Umgebung des Kellers ausgesehen, als Sie geflüchtet sind?

BF: Es war in der Wüste, es gab kleine und große Steine in der Wüste. Es gab überall Staub.

R wiederholt die Frage: Wie hat das Haus ausgesehen und die direkte Umgebung?

BF: Es gab keine Bäume. Ich habe es nicht genau angeschaut. Es waren aber Wände rundherum.

R: Können Sie es aufzeichnen? (BF fertigt eine Skizze an, diese wird als Beilage A zur Niederschrift genommen)

BF an D: Das sage ich Ihnen zuerst.

BF: Es gab vier Wände. Im hinteren Bereich innerhalb der vier Wände, gab es Zimmer und zwar dreistöckig. Ich habe aber nicht genau geschaut, ob es dreistöckig war, oder mehr oder weniger, schaute aber wie dreistöckig aus. Unten gab es einen Keller. Davor war nichts, ein freier Bereich. Stellen Sie sich vor, diese vier Wände (Anm.: Verhandlungssaal). Im vorderen Bereich gibt es ein mehrstöckiges Haus, die hintere Hälfte ist Hof, aber alles von Mauern umgeben.

R: Wie tief ist es in den Keller hinuntergegangen?

BF: Ich weiß es nicht. Es gab aber Stiegen.

R: Hatte der Keller Fenster oder Lichtöffnungen gehabt?

BF: Der Keller hat schon Löcher gehabt. Aber sie haben diese Löcher wieder zugemauert, deswegen war es dort drinnen auch sehr dunkel.

R: In welche Richtung ist die Kellertür aufgegangen?

F: Die Türe haben wir nach innen in den Keller gezogen. Es war eine Türe aus Holz, zweiflügelig. Die beiden Flügel wurden mit einer Kette geschlossen.

R: Als Sie aus dem Keller geflohen sind, was haben Sie da alles gesehen?

BF: Wir haben den Hof gesehen, dann haben wir den Hof verlassen, da gab es auch andere alte, lehmgebaute Häuser.

R: Wo haben Sie Ihre Ziehmutter wieder getroffen?

BF: Zuletzt habe ich sie im Keller gesehen.

R: Wenn Sie nach Afghanistan zurück müssen, was befürchten Sie, dass dann passiert?

BF: Erstens habe ich Angst vor unseren Feinden, die meinen Ziehvater und meinen Bruder getötet haben. Zweitens, gibt es keine Sicherheit in Afghanistan. Drittens, ich habe niemanden dort in Afghanistan. Viertens, ich habe meinen Bruder jetzt hier in Österreich, der es irgendwie geschaffen hat diese Feinde loszuwerden.

R: Wie viel Kontakt haben Sie zu Ihrem Bruder?

BF: Ich habe immer mit meinem Bruder Kontakt, z.B. in den Schulferien, die ganzen zwei Monate, war ich bei meinem Bruder zuhause. Aber ich habe meinen Betreuer zuerst um Erlaubnis gefragt.

R: Haben Sie Ihren Bruder gefragt, woher Ihre Ziehmutter wusste, dass er in Österreich ist?

BF: Sie waren in der gleichen Gegend, XXXX und XXXX sind nicht fern voneinander. Ich war damals sehr jung, solche Informationen wurden nicht mit mir geteilt.

R: Ich habe auch gefragt, ob Sie Ihren Bruder gefragt haben, woher Ihre Ziehmutter wusste, dass er in Österreich ist.

BF: Ich habe meinen Bruder nicht gefragt, aber meine Ziehmutter wusste so viel, dass sich mein Bruder in Österreich aufgehalten habe. In Europa, nicht Österreich.

R: Sie sind untersucht worden, wegen Ihres Alters, in Graz. Haben Sie dort bei Ihren Angaben immer die Wahrheit gesagt?

BF: Ja, ich habe die Wahrheit gesagt.

R: Sie haben dort gesagt, dass Sie nie misshandelt worden sind.

BF: Was meinen Sie mit der Misshandlung?

R: Es steht drinnen, dass Sie angegeben haben, nie misshandelt und gefoltert worden zu sein.

BF: Sie haben mich jetzt vorhin über Graz gefragt. Ich kann mich nicht erinnern, ob mich jemand dort in Graz nach irgendetwas gefragt hat, ich habe es vergessen.

R: Was machen Sie derzeit in Österreich. Beschreiben Sie Ihr Leben in Österreich.

BF: Das ist okay. Österreicher sind nett zu uns. Aber wir sind hier wie Bürger zweiten Grades. Warum? Weil wir hier nicht arbeiten dürfen. Die Sprache ist auch sehr schwierig. Ich gehe zur Schule und bemühe mich, die Sprache zu lernen. Seitdem ich mich in Österreich befinde habe ich viele Aktivitäten gehabt, z.B. habe ich viel Sport betrieben, ich habe versucht, die Sprache zu lernen, ich habe einen sehr weiten Weg, alleine wegen dem Sport zurückgelegt. Damit meine ich, ich betreibe Parcours. Ich fahre von XXXX nach Wien, um dort meinen Kurs zu machen. Der Trainer hat Alex geheißen. Auf Facebook hat er auch eine Homepage.

R: Sind Sie in einem Verein tätig?

BF: Ich gehe nur in einen Fitnessclub. Ich habe mit jemanden gesprochen, der in Bälde einen Sportverein gründen wird und ich würde demnächst mit ihm in diesen Sportverein ehrenamtlich arbeiten, aber selber in der Lage sein, hier gratis Billard zu spielen, was auch immer dieser Sportverein in Zukunft anbieten würde. Es handelt sich bei dieser Person um einen Österreicher, der diesen Verein in XXXX gründen würde.

R: Machen Sie sonst etwas ehrenamtlich?

BF: Derzeit nicht. Darüber habe ich aber mit meinem Betreuer gesprochen, dass ich mich ehrenamtlich betätigen möchte.

R: Was möchten Sie machen?

BF: Helfen.

R: Was genau?

BF: z.B. im Altenheim. Diese Leute haben Probleme beim Essen und beim sich fortbewegen. Ich habe solche Tätigkeiten auch in Traiskirchen gemacht. Damals wurde ein Zelt aufgestellt, darin haben wir gegessen, dort haben auch Asylwerber gewohnt. Wir haben aufgeräumt und dort geholfen.

R: Was hindert Sie daran jetzt schon im Altenheim zu helfen?

BF: Der Rat meines Betreuers. Er hat mir gesagt, dass ich jetzt nicht sehr gut Deutsch sprechen kann und ich viele Hausaufgaben habe, ich solle mich zunächst um diese Sachen kümmern.

R: Sie wollten noch etwas erzählen, haben Sie zuvor gesagt.

BF: In Afghanistan gibt es keine Sicherheit. Vor kurzem wurden 500 Leute in Afghanistan getötet. Es gibt aber auch noch Diebesbanden, die immer wieder die Leute überfallen, töten und die Leute belästigen. In Österreich herrscht Gesetz und Ordnung. Ich habe dort Feinde gehabt. Ich habe Ihnen mittlerweile alles erzählt, deshalb musste ich nach Österreich flüchten. In Österreich, bei einem kleinen schlimmen Vorfall, wird das ganze Land schockiert und davon wird das ganze Jahr berichtet. Das ganze Land kümmert sich um das Problem. In Afghanistan werden tagtäglich hunderte Menschen in Anschlägen, darunter auch Selbstmordattentaten getötet. Niemand kümmert sich um das, es wird nur davon in den Nachrichten berichtet. Außerdem sind fast alle Afghanen bewaffnet und jeder kann den anderen töten. Von vielen Sachen erfährt man dort auch nichts. Sie sind selber eine Österreicherin, warum suchen Sie nicht um Asyl irgendwo an? Warum kommen die Leute nicht aus meinen Nachbarländern? Damals war ich sehr jung. Ich war nicht sehr großer Gefahr seitens unserer Feinde ausgesetzt, aber möglicherweise, würde ich jetzt einer großen Gefahr ausgesetzt sein, wenn ich mich dort befinde.

R: Wer sind die Feinde?

BF: Ich meine damit, diejenigen die meinen Bruder und Ziehvater getötet haben. Ich kenne sie persönlich nicht. Die waren möglicherweise die Feinde meines leiblichen Vaters, mit denen mein Vater damals über die Grundstücke gestritten hat.

R: Hat Ihnen Ihr Bruder etwas darüber erzählt, oder haben Sie ihn gefragt?

BF: Ja, ich habe ihn gefragt, er sagte, die Feinde unseres leiblichen Vaters haben unseren Bruder und meinen Ziehvater getötet. Wenn diese Feinde mich damals zuhause gesehen und gefunden hätten, hätten sie mich nicht verschont, sondern getötet. Aber ich war nicht zuhause. Im Alter von acht bis zehn Jahren ca. habe ich vom Beruf als Pilot geträumt. Ich konnte aber diesen Traum nicht verwirklichen, wenn ich dort geblieben wäre. In Jaghori gibt es keine Universität, wo ich mich in diesem Beruf ausbilden lassen könnte, ich müsste dann nach Kabul fahren, hin und retour. Das ist sehr gefährlich, überall gibt es Taliban. Jaghori ist von den Taliban umgeben.

R: Aber Kabul ist nicht in Talibanhand.

BF: Aber unterwegs sind die Taliban.

R: Wenn Sie in Kabul studieren möchten, könnten Sie dort leben.

BF: Erstens habe ich keinen Platz in Kabul. Zweitens gibt es auch keine Sicherheit in Kabul. Die meisten Selbstmordattentate werden in der Hauptstadt Kabul verübt. Ich habe Feinde gehabt. Außerdem haben dort viele Leute Waffen. In Kabul werden auch die Leute von ihren Feinden, durch die Waffe erschossen und terrorisiert. Ich habe Angst vor den Feinden meines leiblichen Vaters. Sie haben meinen Bruder und meinen Ziehvater umgebracht. Vor denen habe ich Angst. Ich bin sehr glücklich meinen Onkel mütterlicherseits und meinen Bruder hier in Österreich wiedergefunden zu haben. In Afghanistan habe ich niemanden. Seit ein paar Jahren lebe ich mit Leuten gelebt, die nicht mit mir leiblich verwandt sind. Mir ist es lieber mit meinem Bruder zu leben.

BF verzichtet auf eine Stellungnahme zu den Unterlagen.

R behält sich vor, den entsprechenden Asylbescheid des Bruders beim BFA anzufordern sowie Einsicht zu nehmen in das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes. BFV legt zwei Schulbesuchsbestätigungen des Erzbischöflichen Real- und Aufbaugymnasiums XXXXn vom jeweils 08.09.2017 und 13.11.2017, Jahreszeugnis des Erzbischöflichen Real- und Aufbaugymnasiums XXXXn vom 30.06.2017 sowie ein Schreiben von Fr. Mag. XXXX XXXX vom 13.11.2017 vor (werden in Kopie zum Akt genommen).

R: Warum haben Sie nie die Unterstützung der Sicherheitskräfte oder der Polizei in Anspruch genommen?

BF: Wie? Das ist nicht möglich dort. Sie hätten nach den Beweisen und Dokumente gefragt, ich hätte aber nichts vorlegen können. Der afghanische Staat ist ein schwacher Staat und kann nicht wirklich helfen. Die Feinde meines leiblichen Vaters waren bewaffnet, dies deutet daraufhin, dass sie wichtig waren und möglicherweise auch im Staat drinnen gearbeitet haben. Der Staat kann sich nicht um den armen, mittellosen Menschen kümmern. Diejenigen, die Bekannte beim Staat, z.B. im Parlament, bei den Sicherheitskräften haben, denen wird geholfen. Zum Akt genommen werden:

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Länderinformationsblattes der Staatendokumentation aktualisiert am 25.09.2017

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Gutachten Mag. Mahringer samt Ergänzung (auf die Übergabe in Papierform beider Unterlagen wird durch den BF verzichtet

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Landinfo report Afghanistan betreffend Nachrichtendienst Taliban und Einschüchterungskampan sowie betreffend Organisation und Struktur der Taliban

zur schriftlichen Stellungnahme binnen 14 Tagen

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Stellungnahme der RF in der Verhandlung

"Im angefochtenen Bescheid wird festgehalten, dass die Taliban nicht vernetzt seien. Das ist tatsachenwidrig es wiederspricht der Berichtslage die aussagt, dass die Taliban landesweit über ein gut funktionierendes Netzwerk verfügen, wie auch über die operationellen Möglichkeiten Personen landesweit ausfindig zu machen und zu verfolgen und in allen Landesteilen Anschläge durchzuführen.

Angemerkt wird, dass Hazara schon rein von ihrem äußeren Erscheinungsbild zu erkennen sind. Diese Anmerkung bezieht sich auf die Fragestellung ob die Verfolger wissen konnten, wen sie angehalten haben. Zum Schulbesuch in Afghanistan: Dieser ist in Afghanistan sicherlich nicht einheitlich definiert, hinzukommt, die in Afghanistan üblich Unsicherheit mangels entsprechender Beurkundung."

1.6. Eine schriftliche Stellungnahme wurde nicht abgegeben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischen Bekenntnisses.

Am 16.09.2015 stellte der Beschwerdeführer im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Er stammt aus der Provinz XXXX, Jaghori, Region XXXX, Dorf XXXX. Zuletzt lebte er in der Provinz XXXX, Jaghori, Region XXXX, Dorf XXXX. Bevor der Beschwerdeführer nach Österreich reiste, hielt er sich im Afghanistan auf.

Seine leiblichen Eltern sind verstorben, ebenso sein ältester Bruder. In Afghanistan leben keine Verwandten. Der BF besuchte sechs Jahre die Schule und beherrscht Darin in Wort und Schrift. Er ist gesund und arbeitsfähig. Er hat Erfahrung in landwirtschaftlichen Hilfsarbeiten. Er wird finanziell von seinem in Österreich lebenden Bruder unterstützt.

Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung konnte nicht festgestellt werden.

Der BF wandte sich nicht an die Sicherheitskräfte des Staates.

Eine Rückkehr in die Heimatprovinz ist nicht zumutbar.

Dem Beschwerdeführer steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in der Stadt KABUL zur

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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