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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art133 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Zehetner, Mag.a Nussbaumer-Hinterauer, Mag. Liebhart-Mutzl und Dr. Koprivnikar als Richterinnen bzw. Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa, über die Revision des Bundesministers für Finanzen in 1010 Wien, Johannesgasse 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 25. August 2017, LVwG-411454/5/Gf/Mu, betreffend Übertretung des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:
Bezirkshauptmannschaft Linz-Land; mitbeteiligte Partei: E M, vertreten durch Mag. Wolfgang Kempf, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Bürgerstraße 41), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 31. März 2016 wurde in Spruchpunkt II. von der Fortführung des Verwaltungsstrafverfahrens gegen die mitbeteiligte Partei wegen zweier Übertretungen des § 52 Abs. 1 Z 1 Glücksspielgesetz (GSpG) aufgrund des Verdachts des unternehmerisch Zugänglichmachens einer verbotenen Ausspielung im Sinne des § 2 Abs. 4 GSpG seit 18. Juli 2015, zumindest aber am 5. November 2015, mit zwei näher bezeichneten Geräten abgesehen und die Verwaltungsverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt.
2 Gegen diesen Spruchpunkt II. des Straferkenntnisses erhob das Finanzamt Linz Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (LVwG) und brachte zusammengefasst vor, jene Geräte ("afric2go"), deretwegen die Verwaltungsstrafverfahren eingestellt worden seien, seien aus näheren Gründen ebenfalls als Glücksspielgeräte zu qualifizieren, weshalb eine Bestrafung der nunmehrigen mitbeteiligten Partei zu erfolgen habe. Als Beschwerdegrund wurde u.a. die unrichtige Tatsachenfeststellung genannt.
3 Das LVwG gewährte sodann der belangten Behörde, der mitbeteiligten Partei sowie dem Finanzamt Linz Parteiengehör zur bislang von keiner Verfahrenspartei relevierten Unionsrechtskonformität des österreichischen Glücksspielrechts und führte - trotz der vom Finanzamt erhobenen, die Feststellungen der belangten Behörde zur Geräteeigenschaft bestreitenden Beschwerde - aus, dass "der Sachverhalt als unstrittig" erscheine.
4 In der Folge wies das LVwG - ohne eine mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben - mit dem angefochtenen Erkenntnis diese Beschwerde des Finanzamtes Linz als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
5 Das LVwG traf zur Beurteilung der Vereinbarkeit von Regelungen des Glücksspielgesetzes mit Art. 56 AEUV ausführliche Feststellungen und gelangte nach umfangreicher Auseinandersetzung mit der - von keiner Verfahrenspartei aufgeworfenen - Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielgesetzes rechtlich zum Ergebnis, dass das in den §§ 3 ff GSpG normierte System des Glücksspielmonopols deshalb in Art. 56 AEUV keine Deckung finde und somit dem Unionsrecht widerspreche, weil es nicht auf einem durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) anerkannten zwingenden Grund des Allgemeininteresses - wie etwa dem Spielerschutz und der Suchtvorbeugung oder der Kriminalitätsbekämpfung - basiere, sondern primär der Sicherung einer verlässlich kalkulierbaren Quote an Staatseinnahmen diene. Darüber hinaus seien die konkrete Ausgestaltung des Monopolsystems und die den staatlichen Behörden zur Abwehr von Beeinträchtigungen dieses Monopols gesetzlich übertragenen Eingriffsermächtigungen insbesondere mangels der gänzlich fehlenden Notwendigkeit einer vorhergehenden richterlichen Ermächtigung jeweils unverhältnismäßig.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des Bundesministers für Finanzen. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte Kostenersatz.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die vorliegende Revision erweist sich im Sinne des Zulässigkeitsvorbringens als zulässig, weil das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht.
8 Der Revisionsfall gleicht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in den entscheidungswesentlichen Punkten jenem, der vom Verwaltungsgerichtshof mit hg. Erkenntnis vom 16. März 2016, Ro 2015/17/0022, entschieden wurde. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die Entscheidungsgründe des genannten Erkenntnisses verwiesen. In diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof, nach der vom EuGH geforderten Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen die Dienstleistungsfreiheit beschränkende Bestimmungen des Glücksspielgesetzes erlassen worden sind und unter denen sie durchgeführt werden, eine Unionsrechtswidrigkeit der Bestimmungen des Glücksspielgesetzes nicht erkannt. Dieser Rechtsansicht hat sich der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 15. Oktober 2016, E 945/2016-24, E 947/2016-23, E 1054/2016-19, angeschlossen.
9 Eine Unionsrechtswidrigkeit von Bestimmungen des Glücksspielgesetzes ist somit im Revisionsfall nicht zu erkennen.
10 Da das Verwaltungsgericht insoweit in unvertretbarer Weise die Rechtslage verkannte, belastete es bereits aus diesem Grund das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
11 Darüber hinaus ist auf Folgendes hinzuweisen:
12 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, stellt die Verletzung der Verhandlungspflicht bzw. des Unmittelbarkeitsgrundsatzes einen Verstoß gegen tragende Verfahrensgrundsätze bzw. eine konkrete schwerwiegende Verletzung von Verfahrensvorschriften und damit eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dar (vgl. VwGH 5.4.2017, Ra 2017/04/0028).
13 Das LVwG hat im vorliegenden Fall keine mündliche Verhandlung durchgeführt und dies damit begründet, dass es "lediglich Rechtsfragen" zu klären gehabt habe.
14 Gegenstand des Beschwerdeverfahrens war der gegen die mitbeteiligte Partei erhobene Vorwurf, zwei (weitere) Übertretungen des GSpG zu verantworten zu haben, sodass im Hinblick auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung § 44 VwGVG anzuwenden war.
15 Das LVwG hat gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. So entfällt die Verhandlung nach Abs. 2 leg. cit., wenn der Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Die Voraussetzungen hierfür lagen im vorliegenden Fall nicht vor, das LVwG hat die Beschwerde des Finanzamtes vielmehr abgewiesen. Da das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis entschieden hat, kommt ein Absehen nach § 44 Abs. 4 VwGVG (das voraussetzt, dass das Verwaltungsgericht einen Beschluss zu fassen hat) ebensowenig in Betracht (VwGH 20.4.2016, Ra 2015/04/0016).
16 Ein Absehen von der Verhandlung gemäß § 44 Abs. 3 Z 1 VwGVG hätte vorausgesetzt, dass in der Beschwerde nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet worden ist; da die Abgabenbehörde in ihrer Beschwerde jedoch die Tatsachenfeststellungen im Hinblick auf die Beurteilung der Geräteeigenschaft durch die belangte Behörde bestritten hatte, wurde entgegen den Ausführungen des LVwG keineswegs nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet. Ein Absehen von der Verhandlung gemäß § 44 Abs. 3 Z 1 VwGVG kam daher ebensowenig in Betracht.
17 Nach den Ausführungen des LVwG im angefochtenen Erkenntnis haben sich die belangte Behörde sowie die mitbeteiligte Partei nicht zu einem Verzicht auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung geäußert.
18 Die Finanzpolizei als in diesem Verfahren beschwerdeführende Partei hat mit Schriftsatz vom 27. Juni 2017 mitgeteilt, dass auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung nicht verzichtet werde.
19 Ein ausdrücklicher Verzicht auf die Durchführung einer Verhandlung (im Sinn des § 44 Abs. 5 VwGVG) von allen Parteien des Verfahrens liegt somit nicht vor:
20 Gemäß § 50 Abs. 5 GSpG hat die Abgabenbehörde in Verwaltungsverfahren nach §§ 52, 53 und 54 GSpG dann, wenn zu den Verwaltungsübertretungen eine von ihr stammende Anzeige vorliegt, Parteistellung und kann Beschwerde gegen Bescheide sowie Einspruch gegen Strafverfügungen erheben. Der Gesetzgeber hat der Abgabenbehörde daher für den Fall der durch sie erfolgten Anzeigelegung seit der Novelle BGBl. I Nr. 54/2010 im Verwaltungsstrafverfahren Parteistellung eingeräumt (so ausdrücklich RV 658 BlgNR 24. GP, 8). Wenngleich die Abgabenbehörde als Formalpartei keine subjektiv-öffentlichen Rechte hatte, so kamen ihr im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht doch alle prozessualen Rechte einer Partei des Verfahrens zu (vgl. zur Parteistellung der Abgabenbehörde in verwaltungsgerichtlichen Verfahren wegen Übertretungen des AuslBG:
VwGH 24.2.2016, Ra 2015/09/0125, sowie VwGH 26.4.2016, Ra 2015/09/0141).
21 Das LVwG hätte daher eine öffentliche mündliche Verhandlung durchführen müssen. Indem es deren Durchführung unterlassen hat, hat es das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.
22 Das angefochtene Erkenntnis war wegen prävalierender Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren hat das LVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen, sich mit dem Vorbringen der mitbeteiligten Partei auseinanderzusetzen und Feststellungen zur Qualifikation der anlässlich der Lokalkontrolle vorgefundenen Geräte zu treffen (zur Qualifikation von Geräten der Type "afric2go" als Glücksspielgerät vgl. bereits VwGH 20.4.2016, Ro 2015/17/0020, sowie VwGH 4.9.2017, Ra 2017/17/0179).
23 Gemäß § 47 Abs. 3 und 4 VwGG besteht kein Anspruch auf Kostenersatz.
Wien, am 31. Jänner 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017170861.L00Im RIS seit
23.02.2018Zuletzt aktualisiert am
06.11.2018