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23/01 Insolvenzordnung;Norm
IO §156a Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des S T in G, vertreten durch Mag. Karl Heinz Fauland, Rechtsanwalt in 8430 Leibnitz, Kadagasse 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. Oktober 2017, Zl. G302 2160612-1/7E, betreffend Abrechnung von Beiträgen nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8010 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Steiermärkische Gebietskrankenkasse hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Schriftsatz vom 15. September 2016 stellte der Revisionswerber an die belangte Behörde den Antrag,
"1. mit Bescheid festzustellen, dass der am
Rückstandsausweis vom 03.06.2016 ausgewiesene Anspruch der betreibenden Partei (der belangten Behörde), der auf das Wiederaufleben der im Schuldenregulierungsverfahren 16 S 27/13a des BG Leibnitz festgestellten Forderung gestützt wird und zu dessen Hereinbringung der betreibenden Partei mit Beschluss des BG Leibnitz von 08.06.2016, 16 E 2066/16p, gegen die verpflichtete Partei (den Revisionswerber) die Exekution bewilligt wurde, nicht besteht.
2. mit Bescheid auszusprechen, dass die Bestätigung der
Vollstreckbarkeit des Rückstandsausweises vom 03.06.2016 gesetzwidrig bzw. irrtümlich erteilt wurde und diese aufgehoben wird;
3. Das beim BG Leibnitz zu GZ. 16 E 2066/16p anhängige Exekutionsverfahren zur Einstellung zu bringen."
2 Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat diese Anträge mit Bescheid vom 21. Dezember 2016 abgewiesen und festgestellt, dass ihr der Revisionswerber die im Rückstandsausweis vom 3. Juni 2016 ersichtlichen Sozialversicherungsbeiträge und Nebengebühren für den Zeitraum Mai 2010 bis Juli 2011 in der Höhe von insgesamt EUR 24.833,63 (einschließlich Nebengebühren und Verzugszinsen im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß von 7,88 % p.A., berechnet bis 31. Jänner 2016) schulde.
3 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde keine Folge gegeben. Über das Vermögen des Revisionswerbers sei vor dem Bezirksgericht (im Folgenden: BG) Leibnitz am 12. September 2013 ein Schuldenregulierungsverfahren mit Eigenverwaltung des Schuldners eröffnet worden. Der angenommene und mit Beschluss des BG Leibnitz vom 9. Juli 2014 bestätigte Zahlungsplan habe eine Quote von 10,2 % umfasst, zahlbar in Form von zwölf gleich großen Teilquoten, wobei die erste Rate innerhalb von sechs Monaten ab Rechtskraft der Bestätigung des Zahlungsplanes fällig sei, die weiteren elf Teilquoten im Halbjahresabstand nach Fälligkeit der ersten Rate. Mit rechtskräftigem Beschluss des BG Leibnitz vom 21. August 2014 sei der Zahlungsplan bestätigt und das Schuldenregulierungsverfahren gemäß § 196 IO aufgehoben worden.
4 Der Revisionswerber habe die am 22. Februar 2016 fällige Teilquote nicht beglichen. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 7. April 2016 sei der Revisionswerber wegen eines Quoten(Teil)verzuges unter Anführung des jeweils eingemahnten konkreten Betrages unter Androhung eines sonstigen Wiederauflebens der ursprünglichen Forderung gemahnt worden. Das Mahnschreiben sei an die im Insolvenzverfahren gemeldete und im zentralen Melderegister als aufrecht erscheinende Adresse des Revisionswerbers per RSa-Brief adressiert gewesen. Das Schriftstück sei am 11. April 2016 beim Postamt W hinterlegt worden. Es sei mit dem Vermerk "nicht behoben" an die belangte Behörde retourniert worden. Infolge des Verzugs des Revisionswerbers bei der Erfüllung des Zahlungsplanes habe die belangte Behörde ein Exekutionsverfahren gegen ihn eingeleitet. Am 4. Juni 2016 habe die belangte Behörde beim BG Leibnitz zu 16 E 2066/16p die Exekution zur Hereinbringung der Forderung beantragt. Dem Rückstandsausweis liege ein vollstreckbarer Auszug aus dem Anmeldungsverzeichnis vom 9. Juni 2016 über die Forderung in der Höhe von EUR 29.799,81 zugrunde. Die Forderung sei vom Insolvenzgericht rechtskräftig festgestellt und gemäß § 61 IO die Vollstreckbarkeit bestätigt worden.
5 Der Revisionswerber habe am 29. Dezember 2015 bei seinem Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld beim Arbeitsmarktservice als Wohnadresse "X-Straße .., Wildon" angegeben. Er sei an dieser Adresse vom 23. November 2012 bis zum 8. August 2016 mit Hauptwohnsitz gemeldet gewesen und habe sich im verfahrensgegenständlichen Zeitraum (Mahnung am 7. April 2016) regelmäßig dort aufgehalten. Die dem Schuldenregulierungsverfahren des Revisionswerbers zu Grunde liegende Forderung der belangten Behörde bestehe dem Grunde und der Höhe nach zu Recht.
6 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, § 64 Abs. 2 Satz 3 ASVG erkläre den Rückstandsausweis zum gerichtlichen Exekutionstitel im Sinn des § 1 EO. Der Verpflichtete könne Einwendungen gegen eine Vollstreckung aufgrund des Rückstandsausweises erheben. Über diese Einwendungen sei nicht im gerichtlichen Exekutionsverfahren, sondern durch den eintreibenden Sozialversicherungsträger als Titelbehörde mit Bescheid (§ 410 Abs. 1 Z 7 ASVG) abzusprechen, der dabei die rückständige Beitragsforderung festzustellen habe. Dieser Rechtsbehelf kompensiere den fehlenden bescheidmäßigen Abspruch über die inhaltliche Rechtmäßigkeit des einzutreibenden Beitragsrückstandes vor Ausfertigung des Rückstandsausweises. Die Exekutionsforderung der belangten Behörde sei rechtskräftig festgestellt und gemäß § 61 IO für vollstreckbar erklärt worden.
7 Grundsätzlich seien Oppositionsgründe gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 EO im Wege der Klage bei dem Gericht geltend zu machen, das die Exekution in erster Instanz bewilligt habe. Einwendungen gegen Exekutionstitel nach § 1 Z 10, 12 bis 14 EO seien gemäß § 35 Abs. 2 letzter Satz EO bei jener Behörde geltend zu machen, von welcher der Exekutionstitel ausgegangen sei. Die Zuständigkeit richte sich nach den Vorschriften, die für das dem Exekutionstitel zugrundeliegende Verwaltungsverfahren gelten würden.
8 Gerate der Schuldner mit der Erfüllung des Sanierungsplanes in Verzug, so würden die Schuldentilgung und die sonstigen im Sanierungsplan gewährten Vergünstigungen gegenüber dem betroffenen Gläubiger hinfällig (§ 156a Abs. 1 IO). Im vorliegenden Fall sei am 7. April 2016 eine ordnungsgemäße qualifizierte Mahnung erlassen worden. Die belangte Behörde habe dem Revisionswerber eine mehr als 14-tägige Nachfrist eingeräumt, weil sie den Exekutionsantrag beim BG Leibnitz erst am 4. Juni 2016 gestellt habe. § 156a IO verlange nicht die ausdrückliche Setzung der Nachfrist im Mahnschreiben, wenn die im Sanierungsplan vereinbarte Frist tatsächlich gewährt worden sei.
9 Teilbefriedigte Quoten würden quotenmäßig wiederaufleben. Sie seien gemäß § 156a Abs. 3 IO mit dem Bruchteil als getilgt anzusehen, der dem Verhältnis des bezahlten Betrages zur Sanierungsplanquote entspreche. Die amtliche Eintragung in das Anmeldungsverzeichnis bilde gemäß § 156c Abs. 3 IO nach rechtskräftiger Bestätigung des Sanierungsplanes einen Exekutionstitel sowohl für die fällige Sanierungsplanquote als auch für den wiederauflebenden Forderungsteil. Dieser müsse nicht neu eingeklagt werden. Die Eintragung in das Anmeldungsverzeichnis sei mit Vollstreckbarkeits- und Bindungswirkung ausgestattet. Gemäß § 60 Abs. 2 IO binde, wenn der Schuldner eine Insolvenzforderung nicht ausdrücklich bestritten habe, die Feststellung der Forderung die Gerichte und auch die Verwaltungsbehörden. Der Revisionswerber habe gegen die rechnerische Richtigkeit des Rückstandsausweises keine Einwände erhoben, weshalb auf die nummerische Höhe der Forderung der belangten Behörde nicht näher einzugehen sei.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision. Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, dass sich der Verwaltungsgerichtshof - soweit überblickbar - mit der Frage der Anforderung an eine qualifizierte Mahnung iSd § 156a IO bisher noch nie auseinandergesetzt habe. Zudem sei die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH) zu dieser Frage uneinheitlich und vage. Das Verwaltungsgericht habe sich auf eine offenkundig nicht mehr aktuelle Entscheidung des OGH aus dem Jahr 1927 gestützt.
12 Die Revision ist aus den vom Revisionswerber genannten
Gründen zulässig. Sie ist auch berechtigt.
13 § 156a IO lautet:
"§ 156a. (1) Der Nachlass und die sonstigen Begünstigungen, die der Sanierungsplan gewährt, werden für diejenigen Gläubiger hinfällig, gegenüber welchen der Schuldner mit der Erfüllung des Sanierungsplans in Verzug gerät.
(2) Ein solcher Verzug ist erst anzunehmen, wenn der Schuldner eine fällige Verbindlichkeit trotz einer vom Gläubiger unter Einräumung einer mindestens vierzehntägigen Nachfrist an ihn gerichteten schriftlichen Mahnung nicht gezahlt hat. Ist der Schuldner eine natürliche Person, die kein Unternehmen betreibt, und ist die Sanierungsplanquote in Raten zu zahlen, deren Laufzeit ein Jahr übersteigt, so ist ein Verzug erst dann anzunehmen, wenn er eine seit mindestens sechs Wochen fällige Verbindlichkeit trotz einer vom Gläubiger unter Einräumung einer mindestens vierzehntägigen Nachfrist an ihn gerichteten schriftlichen Mahnung nicht gezahlt hat.
(3) Die Wirkung des Wiederauflebens erstreckt sich nicht auf Forderungen, die zur Zeit der eingetretenen Säumnis mit dem im Sanierungsplan festgesetzten Betrag voll befriedigt waren; andere Forderungen sind mit dem Bruchteile als getilgt anzusehen, der dem Verhältnis des bezahlten Betrags zu dem nach dem Sanierungsplan zu zahlenden Betrag entspricht. Die Rechte, die der Sanierungsplan den Gläubigern gegenüber dem Schuldner oder dritten Personen einräumt, bleiben unberührt.
(4) Im Sanierungsplan kann von Abs. 1 bis 3 nicht zum Nachteil des Schuldners abgewichen werden, von Abs. 3 erster Satz kann jedoch abgewichen werden, wenn in den letzten fünf Jahren vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Sanierungsplan abgeschlossen worden ist."
14 Das Mahnschreiben der belangten Behörde vom 7. April 2016
hatte folgenden Wortlaut:
"Sehr geehrter Herr ... (Revisionswerber)!
Nach den Bestimmungen des bestätigten Zahlungsplans sind bis dato Teilquoten im Ausmaß von 2,55 % fällig geworden, welche nur teilweise beglichen wurden.
Wir ersuchen Sie daher, den Differenzbetrag von EUR 253,32 bei sonstigem Wiederaufleben der ursprünglichen Forderung zu überweisen."
15 Der Nachlass und die sonstigen Begünstigungen, die der Sanierungsplan gewährt, werden gemäß § 156a Abs. 1 IO (bis zum Inkrafttreten des IRÄG 2010, BGBl. I Nr. 29/2010: § 156 Abs. 4 Satz 1 KO) für diejenigen Gläubiger hinfällig, denen gegenüber der Schuldner mit der Erfüllung des Sanierungsplans in Verzug gerät. Nach § 156a Abs. 2 IO ist ein solcher Verzug erst anzunehmen, wenn der Schuldner eine fällige Verbindlichkeit trotz einer vom Gläubiger unter Einräumung einer mindestens vierzehntägigen Nachfrist an ihn gerichteten schriftlichen Mahnung nicht gezahlt hat.
16 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes wird mit dem Erfordernis der qualifizierten Mahnung nach § 156 Abs. 4 IO der Zweck verfolgt, dem Schuldner eindringlich die Folgen seines Verzugs vor Augen zu führen. Deshalb sind an sie hohe Anforderungen zu stellen. Um das Wiederaufleben der Forderung zu bewirken, bedarf es nicht nur des Eintritts der Fälligkeit und des Verstreichens der seit dieser vergangenen sechswöchigen Frist, sondern darüber hinaus einer Mahnung unter Nachfristsetzung, um zu vermeiden, dass der Schuldner vom Wiederaufleben der Forderung überrascht wird. Wegen ihrer schwerwiegenden Folgen muss die Mahnung auf den Sanierungsplan Bezug nehmen und die Höhe des geforderten Betrags enthalten; weiters muss dem Schuldner die im konkreten Fall vorgesehene Nachfrist eingeräumt sowie das Wiederaufleben angedroht werden. Eine vorzeitige Mahnung ist nicht zu beachten. Der Zweck der Mahnung liegt darin, den Schuldner darauf aufmerksam zu machen, dass er die ihm für die Begleichung der Rate offen stehende Zahlungsfrist nicht eingehalten hat. Es sollen ihm die drohenden schwerwiegenden Folgen des Wiederauflebens der Forderung klar und unmissverständlich vor Augen geführt und ihm durch Setzung einer Nachfrist eine letztmalige Chance zur Erfüllung des Zahlungsplans eingeräumt werden. Eine durch sein Mahnschreiben hervorgerufene Unklarheit hat der Gläubiger zu vertreten (OGH 24.3.2010, 3 Ob 41/10s; 21.8.2014, 3 Ob 104/14m).
17 Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich diesen Ausführungen an. Für den Schuldner muss klar sein, welche Maßnahmen er bis wann ergreifen muss, um ein Wiederaufleben der Forderung zu verhindern. Den Erfordernissen der Eindringlichkeit der Drohung des Wiederauflebens und der Klarheit der zu ergreifenden Gegenmaßnahmen wurde im vorliegenden Fall durch ein bloß faktisches Einräumen einer mindestens vierzehntägigen Nachfrist nicht entsprochen, da der Schuldner bei Zugang des Schreibens darüber im Unklaren gelassen wurde, bis wann er ein Wiederaufleben der Forderungen verhindern könnte. Dem steht vorliegend auch nicht die Auffassung des Obersten Gerichtshofes in der Entscheidung vom 14.9.1927, Ob II 906/27, SZ 9/99, entgegen, dass die Setzung einer Nachfrist "unter Umständen" durch ihre Gewährung ersetzt werden kann (vgl. OGH 16.12.1998, 3 Ob 145/98i; Mohr, IO11, E 57 f zu § 156a IO; Lovrek in Konecny/Schubert, Kommentar zu den Insolvenzgesetzen (31. Lfg.), Rz 104 zu § 156 KO). Das vorliegende Mahnschreiben vermochte ein Wiederaufleben der Beitragsforderungen nicht zu bewirken, weshalb die Feststellung der noch offenen Beitragsforderungen nicht auf die Bindungswirkung des Anmeldungsverzeichnisses gestützt werden konnte.
18 Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 1 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
19 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.
Wien, am 30. Jänner 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017080132.L00Im RIS seit
22.02.2018Zuletzt aktualisiert am
04.05.2018