Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterin Dr. Henhofer als Vorsitzende, den Richter Dr. Koch und die Richterin Mag. Reinberg im Verfahren wegen Wiederaufnahme des Verfahrens zur Unterbringung des M***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichtes Linz vom 4. Dezember 2017, 22 Hv 36/16h-87, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Aus Anlass der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss in seinem Punkt 2. (Ausspruch über die Verpflichtung zum Kostenersatz nach § 390a Abs 2 StPO) ersatzlos aufgehoben.
Text
Begründung:
Mit Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 17. Oktober 2016 wurde die Unterbringung des M***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB angeordnet, weil er unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB) der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer anhaltenden wahnhaften Störung, beruht, N***** gefährlich mit dem Tod bedroht hat, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar
1. am 10. April 2015 durch die telefonische Äußerung „I will kill you“ sowie
2. am 30. Dezember 2015 durch Würgen im Zuge eines Streitgeschehens
und dadurch, wäre er zur jeweiligen Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, die Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB begangen hat.
Dieses Urteil erwuchs nach Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 25. Jänner 2017, 13 Os 139/16i, und erfolgloser Berufung des Betroffenen (Urteil des Oberlandesgerichtes Linz zu 9 Bs 57/17x) am 19. April 2017 in Rechtskraft (vgl ON 72).
Am 28. August 2017 beantragte der Betroffene die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß §§ 433 Abs 2 StPO iVm 353 Z 2 StPO mit der Begründung, neue Beweismittel (vorgelegte Lichtbilder, Facebook-Einträge und zwei Überweisungsbelege) wären geeignet, die angenommenen Anlasstaten zu widerlegen (ON 82). Dieser gegen die Feststellungen zur objektiven Tatseite der Anlasstaten vom 10. April 2015 und 30. Dezember 2015 gerichtete Antrag strebt erkennbar den Entfall der in objektiver Hinsicht festgestellten Drohäußerungen des Betroffenen gegenüber seiner geschiedenen Gattin an und betrifft damit (zulässig) die Einweisungsvoraussetzung der Begehung von Anlasstaten.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Antrag des Betroffenen ab und sprach die Kostenersatzpflicht gemäß § 390a [Abs 2] StPO aus (ON 87).
Mit seiner dagegen erhobenen Beschwerde vom 19. Dezember 2017 (ON 88) strebt der Betroffene die Wiederaufnahme an.
Die Beschwerde ist nicht berechtigt.
Gemäß § 433 Abs 2 StPO gelten im Verfahren zur Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB für die Wiederaufnahme und die Erneuerung des Strafverfahrens sowie für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Bestimmungen des 16. Hauptstücks dem Sinne nach.
Demnach kann gemäß § 353 Z 2 StPO der rechtskräftig Verurteilte (nur dann) die Wiederaufnahme des Verfahrens verlangen, wenn er neue Tatsachen oder Beweismittel beibringt, die alleine oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet erscheinen, seinen Freispruch zu begründen. Neu sind solche Tatsachen oder Beweismittel nur dann, wenn sie in der Hauptverhandlung nicht vorgekommen sind, da nur solche Tatsachen und Beweismittel einer Verwertung durch das erkennende Gericht im Erstverfahren zugänglich sind (Lewisch in WK-StPO § 353 Rz 30). Bei der Prüfung der Frage, ob einem neuen Beweismittel die Eignung zukommt, zu einer für den Wiederaufnahmewerber günstigeren Sachverhaltsbeurteilung zu gelangen, ist in der Regel nicht anders vorzugehen, als bei der Relevanzprüfung von Beweisanträgen in der Hauptverhandlung. Die Eignung ist eine Eigenschaft der beizubringenden neuen Tatsachen und Beweise im Hinblick auf eine durch sie (allenfalls im Zusammenhang mit bereits bekannten Beweismitteln) begründete Möglichkeit, die Tatsachengrundlage der Erstentscheidung zu erschüttern und zu einer anderen Lösung der Beweisfrage zu gelangen. Tatsache oder Beweismittel müssen demnach einen für die Wiederaufnahme erheblichen Umstand betreffen. Ist dies der Fall, so ist zudem – hypothetisch – der mögliche Einfluss dieses Umstands auf die wiederaufzunehmende Entscheidung zu beurteilen (ausführlich dazu 28 Os 5/15t). Greift somit die Wiederaufnahme einen Umstand aus einer umfassenden Beweislage an, so ist stets zu beurteilen, ob das neue Beweismittel im Lichte der jedenfalls verbleibenden Beweisgrundlagen eine Erschütterung des Ersturteils zu bewirken vermag (Lewisch aaO Rz 65; 12 Os 43/01).
Bei der Eignungsprüfung gemäß § 353 Z 2 StPO sind im Sinne der bei Beweisanträgen vorzunehmenden Relevanzprüfung (vgl RIS-Justiz RS0101243) selbstverständlich auch die wesentlichen früher erhobenen Beweisergebnisse in die Beurteilung miteinzubeziehen, wobei ein gewisses Mindestmaß an Beweiswürdigung bzw. an Wertungen unvermeidbar ist (12 Os 43/01, 28 Os 5/15t). Das Vorbringen des Wiederaufnahmewerbers ist daher im Rahmen der Eignungsprüfung auch an den dem Urteil zugrunde liegenden Verfahrensergebnissen zu messen.
Im Sinne der obigen Kriterien hat das Erstgericht in seiner detaillierten Begründung (ab S 3 des angefochtenen Beschlusses) das Vorliegen eines tauglichen Wiederaufnahmegrundes gemäß § 353 Z 2 StPO zutreffend verneint und den vorgebrachten Argumenten die Eignung abgesprochen, zu einer anderen Beurteilung der maßgeblichen Sachverhaltsfragen zu gelangen und damit die Urteilsgrundlagen zu erschüttern (vgl Beschluss Seite 5f). Denn die Beweiswürdigung des Erkenntnisgerichtes beruhte maßgeblich auf den Angaben der geschiedenen Gattin N***** (S 25ff in ON 41a), die vor Gericht einen wesentlich besseren Eindruck hinterließ als jene verworrenen, wenngleich im Zusammenhang mit der psychischen Beeinträchtigung zu sehenden Angaben des Betroffenen (S 3ff in ON 41a), wobei die Aussage der N***** in Teilbereichen auch von ihrer Mutter (der Zeugin K***** M*****; vgl S 11ff in ON 41a) bestätigt wurde. Demnach sind die vorgelegten Bilder, die Facebook- Nachrichten und Zahlungsbelege zwar „neu“, weil im Erkenntnisverfahren nicht (konkret) vorgekommen, dessen ungeachtet aber ungeeignet, die Entscheidungsgrundlage entscheidend zu verbreitern oder zu Gunsten des Betroffenen zu verändern: Die Tatsachen eines bloßen Kontakts der Geschädigten zum Betroffenen zwischen den Anlasstaten oder die finanzielle Unterstützung des (zu dieser Zeit arbeitslosen) Betroffenen durch (die erwerbstätige und den Lebensunterhalt schon von vornherein überwiegend finanzierende; vgl US 3 in ON 41b) N***** bleiben ohne Relevanz für die inkriminierten Vorfälle – überdies thematisch bereits Gegenstand der Hauptverhandlung (vgl dazu Geschädigte S 29 und S 37 in ON 41a; Betroffener S 39 in ON 41a) und der Beweiswürdigung des Erkenntnisgerichtes (US 8f) – und vermögen in der Gesamtheit der Verfahrensergebnisse die Glaubwürdigkeit von N***** nicht ansatzweise zu relativieren.
Sofern sich die Beschwerde darauf beschränkt, ein solches (unterstützendes) Verhalten der N***** vor dem Hintergrund der Anlasstaten als nicht nachvollziehbar zu bezeichnen, verfehlt sie erfolgversprechende Anfechtungskriterien der abgelehnten Wiederaufnahme. Der Grund für die eng umgrenzte Möglichkeit, eine Wiederaufnahme des Verfahrens anzustreben, liegt darin, dass die Strafsache bereits einmal (auch unter Berücksichtigung der Möglichkeiten eines Rechtsmittelverfahrens) rechtskräftig erledigt wurde und das Wiederaufnahmeverfahren nicht dazu dient, die bereits im durchgeführten Verfahren erörterten Beweismittel einer neuen Würdigung zu unterziehen.
Allerdings überzeugte sich das Beschwerdegericht aus Anlass der Beschwerde, dass dem Beschluss auch ein nicht geltend gemachter Mangel anhaftet.
Rechtliche Beurteilung
Zwar haftet für die durch ein erfolgloses Begehren um Wiederaufnahme des Verfahrens verursachten Kosten gemäß § 390a Abs 2 StPO der Antragsteller. Da im Verfahren nach § 21 Abs 1 StGB jedoch kein Kostenausspruch vorgesehen ist (RIS-Justiz RS0090329; vgl Fabrizy StPO13 § 389 Rz 1a; Lendl, WK-StPO § 389 Rz 3 und § 390a Rz 4) und selbst im Falle einer (neuerlichen) Einweisung gemäß § 21 Abs 1 StGB im wiederaufgenommenen Verfahren keine Kostenersatzpflicht des Betroffenen entstehen kann (vgl dazu Lendl, aaO, § 390a Rz 18 für das Strafverfahren), ist § 390a Abs 2 StPO insoweit teleologisch zu reduzieren, dass einem Betroffenen auch die Kosten für das erfolglose Wiederaufnahmebegehren nicht auferlegt werden können (vgl auch: OLG Linz 7 Bs 132/14g).
Punkt 2. des angefochtenen Beschlusses war infolgedessen zum Vorteil des Beschwerdeführers ersatzlos aufzuheben (§ 89 Abs 2b StPO; RIS-Justiz RS0129437).
RECHTSMITTELBELEHRUNG:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).
Textnummer
EL0000267European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OLG0459:2018:0090BS00409.17M.0125.000Im RIS seit
22.02.2018Zuletzt aktualisiert am
22.02.2018