TE Bvwg Erkenntnis 2018/2/9 W182 2177382-1

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Veröffentlicht am 09.02.2018
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Entscheidungsdatum

09.02.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W182 2177382-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China, vertreten durch die XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.10.2017, Zl. IFA 1091050410/151550044, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird nach § 28 Abs. 2

Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52, 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz

(B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) ist Staatsangehörige der Volksrepublik China, gehört der Volksgruppe der Han an, ist ohne religiöses Bekenntnis, reiste am 12.10.2015 illegal und schlepperunterstützt ins Bundesgebiet ein und stellte unter den an erster Stelle im Spruch genannten Namen am 14.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

In einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 14.10.2015 gab die BF zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass sie sich am 30.10.2010 von ihrem spielsüchtigen Ehemann habe scheiden lassen. Er habe auch nach ihrer Trennung wiederholt Geld von ihr gefordert und sie geschlagen, wenn sie ihm keines gegeben habe. Am 30.09.2015 habe er wieder Geld von ihr verlangt, die BF habe ihm jedoch keines gegeben, weil sie bereits im Mai 2015 beschlossen hätte, China zu verlassen. Ihr geschiedener Ehemann habe ihr an diesem Tag eine Verletzung im Bereich ihrer rechten Stirn zugefügt. Im März 2013 habe er die BF gezwungen, für seinen Kredit in der Höhe von 200.000.- RMB zu bürgen. Die BF zahle dafür monatliche Zinsen in Höhe von 2.500.- RMB zurück. Dies könne sie sich nicht mehr leisten und sie wolle sich die Tätlichkeiten ihres ehemaligen Ehemannes nicht mehr gefallen lassen. Im Fall der Rückkehr befürchte sie, dass ihr geschiedener Ehemann wieder Geld von ihr fordern und sie verletzen werde; außerdem könne sie den Kredit, welchen sie für ihn aufgenommen habe, nicht zurückbezahlen. China habe sie am 09.10.2015 mit einem gefälschten Reisepass und schlepperunterstützt verlassen, einen Reisepass habe sie nie besessen. Den gefälschten Reisepass habe ihr der Schlepper nach der Einreise in Österreich weggenommen. Ihre Eltern seien bereits verstorben. Die BF habe 7 Jahre die Schule besucht und danach als Schneiderin gearbeitet.

In einer Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt), am 12.08.2017 brachte die BF im Wesentlichen wie bisher vor, dass nach ihrer Scheidung im Oktober 2010 ihr spielsüchtiger Ex-Ehemann immer von ihr Geld verlangt habe, weil sie als Schneiderin etwas mehr verdient habe (ca. 5-6.000.- RMB), bzw. sie geschlagen habe, wenn sie ihm kein Geld gegeben habe. Im Jahr 2013 habe er ca. 200.000.- RMB von ihr verlangt, weil er diese Summe als Wucherkredit aufgenommen hätte. Sie habe die monatliche Rate von 2.500.- RMB für ihn zahlen müssen. Sie habe gehört, dass man ins Ausland fahren könne und sei der Ansicht, dass dies "eine gute Methode, um diese Schwierigkeiten zu vermeiden", sei. An die Polizei habe sie sich nicht gewandt. Zum Vorhalt, warum sie es sich gefallen habe lassen, die Schulden ihres Mannes zu zahlen, obwohl sie schon geschieden gewesen sei, brache sie vor, damals nur eine einvernehmliche Scheidung gehabt zu haben, welche noch nicht beim Standesamt eingetragen gewesen sei. Seit Februar 2017 seien sie über Klage ihres Ehemannes standesamtlich geschieden worden. Nachgefragt gab sie weiters an, auch nicht an einem anderen Ort in China leben und arbeiten zu können, weil ihr Mann sie ausfindig machen könne. Befragt, was sie im Fall der Rückkehr zu befürchten hätte, brachte die BF vor, sie habe jetzt im Fall einer Rückkehr keine Sorgen mehr, weil sie geschieden seien. Sie habe nie Probleme mit den chinesischen Behörden gehabt. Die BF sei nie konkreten persönlichen Verfolgungshandlungen durch private Dritte und/oder heimatliche Behörden, staatliche Stellen auf Grund ihrer politischen Gesinnung, ihrer religiösen Glaubenszugehörigkeit, ihrer sozialen Stellung oder ihrer Volksgruppenzugehörigkeit ausgesetzt gewesen.

Ihren Lebensunterhalt in Österreich finanziere ihr Freund, ein namentlich genannter österreichsicher Staatsbürger, sie würden gemeinsam in einer namentlich genannten Gemeinde in Niederösterreich wohnen. Die BF lerne Deutsch. Weiters gab sie an, "nicht so regelmäßig" zu arbeiten. Auf konkretes Nachfragen, was sie arbeite, erklärte sie wiederum, niemals gearbeitet zu haben, aber ihren Beruf ausüben zu wollen, wenn sie arbeiten könne. Sie habe kein anderes Aufenthaltsrecht in Österreich außerhalb des Asylverfahrens und sei in keinem Verein oder in einer Organisation beschäftigt. Finanziell werde sie von ihrem Freund unterstützt. In der Freizeit arbeite sie im Garten oder lerne Deutsch. Sie habe bereits Deutschkurse für A1 und A2 besucht. Die BF habe sonst keine Freunde oder Bekannten in Österreich. Abschließend berichtigte sie ihren Namen auf den an zweiter Stelle im Spruch genannten Namen. Diesbezüglich legte sie ein auf diesen Namen ausgestelltes Sprachzertifikat A1 vor. Ihr Reisepass sei ihr vom Schlepper nach der Einreise ins Bundesgebiet weggenommen worden. Es sei ihr eigener Reisepass gewesen. Im Herkunftsstaat würden ihn XXXX noch ihr namentlich genannter Vater und ihre namentlich genannte Mutter, beide Pensionisten, ihr namentlich genannter Bruder sowie ihr 28-jähriger Sohn leben. Ihr namentlich genannter Ehemann lebe ebenfalls dort und sei Installateur. Ihr Sohn sei Vertreter für Elektrogeräte und arbeite in XXXX . Die BF habe nach der Schule bis zur Ausreise im Herkunftsland als Schneiderin gearbeitet und ihr Leben damit finanzieren können. Auf den Vorhalt, dass sie bei der Erstbefragung angegeben habe, ihre Eltern seien bereits verstorben, bestritt sie dies zunächst, räumte über Vorhalt des Protokolls aber ein, dass sie anfangs so wenig wie möglich über ihre Familie erzählen habe wollen. Sie habe wöchentlich telefonischen Kontakt mit ihrer Mutter.

1.2. Mit dem nunmehr angefochtenen, oben angeführten Bescheid des Bundesamtes vom 17.10.2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz der BF gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat VR China (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß §§ 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in die VR China zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde unter Spruchpunkt IV. ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Das Bundesamt ging davon aus, dass die Identität der BF mangels vorgelegter Personaldokumente nicht feststehe. Weiters wurde die BF auf Grund ihrer widersprüchlichen Angaben zu ihren Familienangehörigen als persönlich nicht glaubwürdig erachtet. Ihrem Fluchtvorbringen habe es auch an einem zeitlichen Zusammenhang gefehlt, weil sie Vorfälle aus 2010 erzählt habe, jedoch erst im Oktober 2015 ausgereist und einen Asylantrag gestellt habe. Angesichts des in China bestehenden Gesetzes gegen häusliche Gewalt sei nicht nachvollziehbar, wieso sich die BF nicht an die Polizei gewendet habe, was ebenso gegen die Glaubwürdigkeit spreche. Auch ihre Behauptung, wonach ihr Gatte sie in ganz China ausfindig machen könnte, erscheine angesichts 1,37 Milliarden Einwohner als absurd. Letztlich ergebe sich aus ihren eigenen Angaben, wonach sie im Fall der Rückkehr ins Herkunftsland nach der Scheidung von ihrem Ehemann nichts zu befürchten habe, dass ihre Fluchtgründe nicht der Wahrheit entsprechen. Es sei daher nicht glaubhaft, dass der BF im Herkunftsstaat Verfolgung drohe. Anhaltspunkte für eine Gefährdung der BF im Sinne von Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat hätten sich nicht gefunden; sie sei arbeitsfähig, verfüge über Schulausbildung und Arbeitserfahrung und es sei ihr auch zumutbar, ihren Lebensunterhalt künftig durch eigene Arbeitsleistung zu bestreiten. Sie verfüge auch über Familienangehörige (Eltern, Bruder, Sohn) in China. Sie beherrsche die Landessprache und sei mit den kulturellen Gepflogenheiten vertraut. Im Übrigen liege weder eine extreme Gefahrenlage mit exzessiver und unkontrollierter Gewaltanwendung gegenüber der Zivilbevölkerung oder eine unmenschliche Behandlung bewirkende humanitäre Situation im gesamten Staatsgebiet vor. Die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und die medizinische Basisversorgung sei in China grundsätzlich gewährleitstet. Die Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 lägen nicht vor. Hinsichtlich der familiären und privaten Verhältnisse der BF im Bundesgebiet wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF illegal ins Bundesgebiet eingereist sei, lediglich über die Asylantragstellung über einen Aufenthaltstitel verfüge, keine nennenswerten Deutschkenntnisse habe und in Österreich eine Lebensgemeinschaft führen würde, welche zu einem Zeitpunkt eingegangen worden sei, zu dem ihr ihr unsicherer Aufenthalt in Österreich bewusst gewesen sei. Unter Zugrundelegung einer Aufenthaltsdauer von etwa zwei Jahren könne daher noch nicht von einem Überwiegen ihrer privaten Interessen gegenüber dem öffentlichen Interesse an einem geregelten Fremdenwesen ausgegangen werden. Die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung seien sohin gegeben und die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG nach China als zulässig zu erachten gewesen

Mit Verfahrensanordnung vom 20.10.2017 wurde der BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

1.3. Gegen den Bescheid wurde seitens des bevollmächtigen Rechtsvertreters der BF binnen offener Frist Beschwerde erhoben. Darin wurde der gegenständliche Bescheid zur Gänze angefochten. Begründend wurde im Wesentlichen das Vorbringen der BF wiederholt, wonach der Ehegatte der BF wegen seiner Spielsucht hohe Schulden bei Kreditwucherern aufgenommen habe, diese nicht selbst zurückzahlen habe können und von der BF mangels Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit der kommunistischen Behörden (Geld) gefordert habe. Diese habe aus Furcht, für die Schulden ihres Ehemannes verantwortlich gemacht zu werden, aus begründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung das Land verlassen und nach Österreich flüchten müssen. Das Bundesamt habe das Vorbringen der BF als nicht ausreichend detailliert erachtet und sei von der Schutzwilligkeit der chinesischen Behörden in Fällen häuslicher Gewalt ausgegangen. Die "Beweiswürdigung" bestehe jedoch fast ausschließlich aus Zitaten aus dem Protokoll und Textbausteinen. Einen erkennbaren Begründungswert hätten die Vorwürfe des Bundesamtes daher nicht. Zum Vorwurf, die BF hätte keine ausreichend genauen Angaben über die fluchtauslösenden Ereignisse gemacht, sei festzustellen, dass diese in ihren Wahrnehmungen auf Grund der Unübersichtlichkeit der Ereignisse überfordert gewesen sei, zumal dies traumatisierend gewesen sei. Dass die BF "den genauen Verlauf des Kampfes" nicht in allen Details schildern könne, wäre ihr allenfalls anzurechnen gewesen, weil Asylwerber stets dazu angehalten würden, nichts dazu zu erfinden oder zu spekulieren. Davon abgesehen hätte das Bundesamt keine erkennbaren Ermittlungen zu den eigentlichen Fluchtgründen der BF durchgeführt. Weiters gehe aus dem Protokoll der Aussagen der BF hervor, dass die Behörden ihr gegenüber schutzunwillig oder schutzunfähig gewesen seien. Mit der Frage der Schutzwilligkeit der kommunistischen Behörden habe sich das Bundesamt überhaupt nicht auseinandergesetzt. Es habe scheinbar kein Versuch stattgefunden, den Sachverhalt tatsächlich herauszuarbeiten bzw. auf die Asylrelevanz des Vorbringens der BF einzugehen. Das Bundesamt verabsäume in seiner Beweiswürdigung in Betracht zu ziehen, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch einer von Privaten ausgehenden Verfolgung Asylrelevanz zukommen könne, wenn der Staat nicht gewillt oder in der Lage sei, diese zu unterbinden. Dies treffe auf die BF zu, da wie dargestellt und durch die Länderberichte bestätigt, Korruption unter den kommunistischen Parteifunktionären weit verbreitet sei, sodass die BF keinen Schutz der Behörden erwarten könne. Im Gegenteil sei ihre Befürchtung, auf Grund der Vorfälle inhaftiert zu werden, wohlbegründet, wobei sich die Haftbedingungen regelmäßig als menschenrechtswidrig darstellten und die Justiz nicht unabhängig sei. Entgegen der unlogischen und aktenwidrigen Behauptungen des Bundesamtes seien die Schilderungen der BF zu ihren Fluchtgründen ausführlich und detailliert sowie mit Zeit- und Ortsangaben oder Wahrnehmungen und Emotionen versehen gewesen. Scheinbar habe das Bundesamt auch die eigenen Länderberichte nicht zur Kenntnis genommen, aus denen sich ergebe, dass eine "kleine Person" wie die BF keinerlei Aussicht auf Gerechtigkeit oder Schutz durch die Behörden habe. Zur Frage des subsidiären Schutzes seien dem angefochtenen Bescheid ebenfalls nur rudimentäre Erklärungen zu entnehmen. Die Bewertung der Glaubwürdigkeit der Fluchtgründe sei ebenso falsch wie die Bewertung der Gefährdung, welcher die BF bei einer Rückkehr ausgesetzt wäre und ob sie in China eine zumutbare Existenz führen könnte. Auch ihr Privat- und Familienleben sei nur unzureichend behandelt worden. Festzustellen wäre gewesen, dass die BF nach den traumatischen Erlebnissen in ihrer Heimat und den Strapazen der Flucht nunmehr in Österreich Ruhe gefunden und bereits große Anstrengungen hinsichtlich der Integration unternommen habe. Sie könne sich bereits auf Deutsch verständigen und habe sich ein umfangreiches Netz an sozialen Kontakten aufgebaut. Überdies sei sie ebenso arbeitswillig wie fähig und würde im Falle einer Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung keine Belastung für die Gebietskörperschaft darstellen. Der bloße Verweis des Bundesamtes auf die Aufenthaltsdauer könne diese Tatsachen nicht entkräften, und könne jedenfalls alleine kein überzeugender Grund für eine Ablehnung der Schützenswürdigkeit des Familien- und Privatlebens sein. Zusammengefasst sei es dem Bundesamt in keiner nachvollziehbaren Weise gelungen, die Glaubwürdigkeit der BF oder die Asylrelevanz des Vorbringens zu widerlegen. Den Erklärungen in der Beweiswürdigung fehle jeglicher erkennbare Begründungswert. Das Vorbringen der BF entspreche der Wahrheit, sei glaubwürdig, gründlich substantiiert, in sich konsistent und durch die Länderberichte belegt. Der BF wäre Asyl zu gewähren gewesen, allenfalls subsidiärer Schutz oder die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären gewesen. Beantragt wurde ua. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

1.4. Die BF ist unter ihrer ersten im Spruch genannten Identität in XXXX gemeldet. Unter ihrer an zweiter Stelle im Spruch genannten Identität scheint seit 22.11.2017 eine Meldung– an der von ihr in der Einvernahme am 12.08.2017 angegebenen Adresse ihres Lebensgefährten – in XXXX auf.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Aufgrund der der Entscheidung zugrunde liegenden Akten des Bundesamtes samt Beschwerdeschrift sowie des Bundesverwaltungsgerichtes steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

Die BF ist Staatsangehörige der Volksrepublik China, gehört der Volksgruppe der Han an und ist ohne religiöses Bekenntnis. Ihre Identität steht nicht fest.

Die 49-jährige BF ist arbeitsfähig und verfügt über eine etwa 7-jährige Schulbildung und eine langjährige Berufserfahrung als Schneiderin. Sie hat aktuell keine lebensbedrohenden Krankheiten geltend gemacht. Die BF verfügt im Herkunftsstaat über familiäre Anknüpfungspunkte (Eltern, Bruder, erwachsener Sohn, geschiedener Ehemann) sowie über ein soziales Netz.

Die unbescholtene BF hält sich seit 2 Jahren und nicht ganz 4 Monaten im Bundesgebiet auf. In Österreich halten sich keine Familienangehörigen oder Verwandten der BF auf. Sie ist unbescholten und ist im Bundesgebiet nie einer legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Sie ist auch in keinem Verein oder einer Organisation tätig.

Die BF gab an, mit einem österreichischen Staatsangehörigen zusammenzuwohnen, der ihren Lebensunterhalt finanziere, sowie über Deutschkenntnisse zu verfügen, wobei sie einen A2 Kurs besucht habe.

Das Fluchtvorbringen der BF, vor ihrem Ex-Gatten und einer Haftung für dessen Schulden geflüchtet zu sein, hat sich als nicht glaubwürdig erwiesen.

Zur Situation im Herkunftsland wird von den zutreffenden Feststellungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid ausgegangen, welche wie folgt lauten:

"Politische Lage

Die Volksrepublik China ist mit geschätzt 1.367 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2015) der bevölkerungsreichste Staat der Welt, bei einer Fläche von 9.596.960 km² (CIA 11.8.2015).

Sie ist in 22 Provinzen, die fünf Autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) unterteilt. Nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme", der der chinesisch-britischen "Gemeinsamen Erklärung" von 1984 über den Souveränitätsübergang zugrunde liegt, kann Hongkong für 50 Jahre sein bisheriges Gesellschaftssystem aufrecht erhalten und einen hohen Grad an Autonomie genießen. Nach einem ähnlichen Abkommen wurde Macau am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Lösung der Taiwanfrage durch friedliche Wiedervereinigung bleibt eines der Hauptziele chinesischer Politik (AA 4.2015a).

Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" (AA 4.2015a). Die Volksrepublik China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KPCh inne gehalten (USDOS 25.6.2015). Die KPCh ist somit entscheidender Machtträger. Nach dem Parteistatut wählt der alle fünf Jahre zusammentretende Parteitag das Zentralkomitee (376 Mitglieder), das wiederum das Politbüro (25 Mitglieder) wählt. Ranghöchstes Parteiorgan und engster Führungskern ist der zurzeit siebenköpfige "Ständige Ausschuss" des Politbüros. Dieser gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor im Konsens der Parteiführung erarbeitet (AA 4.2015a, vgl. USDOS 25.6.2015).

An der Spitze der Volksrepublik China steht der Staatspräsident, der gleichzeitig Generalsekretär der KP Chinas und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist und somit alle entscheidenden Machtpositionen auf sich vereinigt. Der Ministerpräsident leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung. Alle Mitglieder der Exekutive sind gleichzeitig führende Mitglieder der streng hierarchisch gegliederten Parteiführung (Ständiger Ausschuss, Politbüro, Zentralkomitee), wo die eigentliche Strategiebildung und Entscheidungsfindung erfolgt (AA 4.2015a).

Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt. Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 28.1.2015a). Der NVK ist formal das höchste Organ der Staatsmacht (AA 4.2015a). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung. Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 28.1.2015a). Eine parlamentarische oder sonstige organisierte Opposition gibt es nicht. Die in der sogenannten Politischen Konsultativkonferenz organisierten acht "demokratischen Parteien" sind unter Führung der KP Chinas zusammengeschlossen; das Gremium hat lediglich eine beratende Funktion (AA 4.2015a). Beim 18. Kongress der KPCh im November 2012 wurde, nach einem Jahrzehnt, ein Führungswechsel vollzogen (AI 23.5.2013). Für die nächsten fünf Jahre wurden ein neues Zentralkomitee, Politbüro und ein neuer Ständiger Ausschuss bestimmt. Xi Jinping wurde zum Generalsekretär der KPCh und zum Leiter der Zentralen Militärkommission gekürt. Mit dem 12. Nationalen Volkskongress im März 2013 gilt dieser Führungswechsel als abgeschlossen. Seitdem ist Xi Jinping auch Präsident Chinas (AA 4.2015a, vgl. FH 28.1.2015a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 27.2.2014). Die neue Staatsführung soll zehn Jahre im Amt bleiben, wenngleich die Amtszeit offiziell zunächst fünf Jahre beträgt, mit der Möglichkeit zur Verlängerung durch eine zweite, ebenfalls fünfjährige, Amtsperiode (Die Zeit 14.3.2013). Vorrangige Ziele der Regierung sind weitere Entwicklung Chinas und Wahrung der politischen und sozialen Stabilität durch Machterhalt der KPCh. Politische Stabilität gilt als Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Reformen. Äußere (u.a. nachlassende Exportkonjunktur) und innere (u.a. alternde Gesellschaft, Umweltschäden, Wohlfahrtsgefälle) Faktoren machen weitere Reformen besonders dringlich (AA 4.2015a).

Die Rolle der Partei in allen Bereichen der Gesellschaft soll gestärkt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reformierung und Stärkung der Partei. Prioritäten sind Kampf gegen die Korruption und Verschwendung, Abbau des zunehmenden Wohlstandsgefälles, Schaffung nachhaltigeren Wachstums, verstärkte Förderung der Landbevölkerung, Ausbau des Bildungs- und des Gesundheitswesens, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere Umweltschutz und Nahrungsmittelsicherheit. Urbanisierung ist und bleibt Wachstumsmotor, bringt aber gleichzeitig neue soziale Anforderungen und Problemlagen mit sich. Erste Ansätze für die zukünftige Lösung dieser grundlegenden sozialen und ökologischen Entwicklungsprobleme sind sichtbar geworden, haben deren Dimension aber zugleich deutlich aufgezeigt (AA 4.2015a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (4.2015a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5;

-

AI - Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Annual Report 2013 - China,

http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html;

-

CIA The World Factbook (11.8.2015):

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ch.html;

-

FH – Freedom House (28.1.2015a): Freedom in the World 2015 – China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html;

-

USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Reports on Human Rights Practices 2014 – China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/306284/443559_de.html;

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Die Zeit (14.3.2013): Xi Jinping ist Chinas neuer Staatschef, www.zeit.de/politik/ausland/2013-03/chinapraesident-xi-jinping

Sicherheitslage

Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China stark zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Ländereien oder die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen. Die Anzahl sog. "Massenzwischenfälle" soll 2012 bei ca. 200.000 gelegen haben und schnell zunehmen. Massenzwischenfälle sind nach chinesischer Definition nicht genehmigte Demonstrationen und Proteste, an denen sich mehr als 100 Personen beteiligen. Wie verlässlich die genannten Zahlen sind, bleibt offen. Die lokalen Behörden verfolgen in Reaktion zumeist eine Mischstrategie aus engmaschiger Kontrolle, die ein Übergreifen nach außen verhindern soll, gepaart mit einem zumindest partiellen Eingehen auf die Anliegen (AA 15.10.2014). Einer internationalen NGO zufolge wird die Zahl der Proteste auf 30.000 -50.000 pro Jahr geschätzt. Andere Quellen sprechen von einigen 10.000 bis 100.000 jedes Jahr. Wie schon in den vergangenen Jahren fand sich die Ursache der Mehrzahl der Demonstrationen Grundstücksstreitereien, Wohnungsprobleme, Industrie- Umwelt und Arbeitsangelegenheiten, staatliche Korruption, Steuern sowie sonstige wirtschaftliche und soziale Anliegen (USDOS 25.6.2015).

Nach den Massenkundgebungen der Demokratiebewegung in Hongkong ist noch keine Einigung mit den Behörden in Sicht (DW 7.10.2014, vgl. HRW 29.1.2015). Auf dem Höhepunkt der Proteste hatten bis zu 100.000 Menschen in der früheren britischen Kronkolonie für mehr Demokratie demonstriert. Sie verlangen den Rücktritt von Verwaltungschef Leung Chun Ying. Zudem protestieren sie dagegen, dass die Regierung in Peking bei der 2017 anstehenden Wahl eines Nachfolgers nur vorab bestimmte Kandidaten zulassen will (TR 20.10.2014).

Die Proteste waren weitgehend friedlich, im Oktober kam es aber auch zu einigen gewalttätigen Auseinandersetzungen, als Einzelpersonen versuchten, die von den Demonstranten auf mehreren Hauptstraßen errichtet Barrikaden zu beseitigen. Einige Demonstranten behaupteten, dass diese Personen kriminellen Banden angehörigen würden oder auf Geheiß der Zentralregierung tätig wurden und dass die Polizei nicht angemessen darauf reagiert habe. Von der Polizei wurden die Vorfälle untersucht und 19 Personen verhaftet, die mutmaßlich Angriffe auf die Demonstranten verübt haben. Im November konnte die Polizei einen Versuch der Demonstranten, das Regierungsgebäude in Hongkong zu stürmen abwehren (USDOS 15.6.2015).

In Hongkong hat das Parlament nun mit Beratungen über eine umstrittene Wahlreform begonnen. Die Demokratiebewegung sieht eine wesentliche Forderung nicht erfüllt, denn Peking will weiterhin massiv mitbestimmen. Den künftigen Regierungschef soll Hongkong frei wählen dürfen - ausgesucht werden sollen die Kandidaten aber von Peking selbst. Seit 17.6.2015 berät das aus 70 Abgeordneten bestehende Parlament der chinesischen Sonderverwaltungszone über den Wahlmodus des künftigen Regierungs- und Verwaltungschefs. Viele Demokratie-Aktivisten lehnen die Änderungen im Wahlmodus ab. Im Parlament platzierten oppositionelle Abgeordnete Schilder mit Kreuzen als Zeichen ihres Protests gegen die Reformpläne. Vor dem Parlament versammelten sich hunderte Anhänger beider Lager (DW 17.6.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.10.2014): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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DW - Deutsche Welle (7.10.2014): Beharren auf Demokratie in Hongkong,

http://www.dw.de/beharren-auf-demokratie-in-hongkong/a-17980006;

-

DW - Deutsche Welle (17.6.2015): Proteste gegen umstrittene Wahlreform in Hongkong,

http://www.dw.com/de/proteste-gegen-umstrittene-wahlreform-in-hongkong/a-18519571;

-

FH – Freedom House (28.1.2015a): Freedom in the World 2015 – China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html;

-

HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - China, http://www.ecoi.net/local_link/295449/430481_de.html;

-

TR - Thomson Reuters (20.10.2014): Keine größeren Zusammenstöße bei Protesten in Hongkong,

http://de.reuters.com/article/worldNews/idDEKCN0I90NZ20141020;

-

USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Reports on Human Rights Practices 2014 – China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/306284/443559_de.html

Rechtsschutz/Justizwesen

Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 15.10.2014). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2014, vgl. FH 28.1.2015a). Parteipolitisch-rechtliche Ausschüsse überwachen die Tätigkeit der Gerichte auf allen Ebenen und erlauben Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KPCh zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen (FH 28.1.2015). Die Gerichte sind auf jeder Ebene administrativ und institutionell den jeweiligen Einheiten des Nationalen Volkskongresses verantwortlich, von denen sie laut Verfassung auch errichtet werden. Jedes Gericht verfügt über ein Rechtskomitee, bestehend aus dem Gerichtspräsidenten, dem Vizepräsidenten und dem Leiter jeder Abteilung des Gerichts. Aufgabe ist es, bei "wichtigen und komplizierten Fällen" Anleitung zu geben. Das Problem ist, dass ein Richter, der einen solchen "komplizierten" Fall betreut, vor dem Urteilsspruch an das Rechtskomitee berichten muss. Es kommt daher zu der Situation, dass Personen, die den Prozess nicht gehört haben, Einfluss auf das Urteil nehmen (ÖB 11.2014). Das 3. Plenum des Zentralkomitees hat im November 2013 Beschlüsse zu einer Justizreform verabschiedet. Neben der Abschaffung des Systems der "Umerziehung durch Arbeit" sind Kernthemen Fragen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, nicht zuletzt im Interesse der Korruptions- und Missbrauchsbekämpfung, der Unabhängigkeit der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte und Professionalisierung der Justizarbeit. Die Zahl der Straftaten, die die Todesstrafe nach sich ziehen, sollte reduziert werden. Die durchaus ermutigenden Ansätze einer Verrechtlichung werden allerdings durch den fortbestehenden umfassenden Führungsanspruch der Partei relativiert (AA 15.10.2014). Trotz laufender Reformbemühungen gibt es, vor allem auf unterer Gerichtsebene, noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern, was die unterschiedliche Rechtsqualität zwischen den Gerichten in den großen Städten und den kleineren Städten erklärt (ÖB 11.2014). Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) unter seinem als besonders "linientreu" geltenden Präsidenten und die Oberste Staatsanwaltschaft haben in ihren Berichten an den Nationalen Volkskongress im März 2014 in erster Linie gefordert, "Falschurteile" der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die Regierung widmet sowohl der juristischen Ausbildung als auch der institutionellen Stärkung von Gerichten und Staatsanwaltschaften seit mehreren Jahren große Aufmerksamkeit (AA 15.10.2014).

Am 1.1.2013 trat eine Novelle des chinesischen Strafprozessgesetzes in Kraft. Es handelt sich dabei um die umfassendste Reform des Strafrechts seit 16 Jahren. Neu aufgenommen wurde "die Hochachtung und der Schutz der Menschenrechte". So sind z.B. gemäß Art. 50 Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung verboten. Gemäß Art. 83 sollen die Familien der Internierten innerhalb von 24 Stunden ab Strafarrest informiert werden, es sei denn es ist nicht möglich. Gemäß Art. 188 tragen Ehepartner, Eltern und Kinder keine Beweispflicht mehr. Die Rechte der Verteidigung wurden in einigen Bereichen gestärkt; so sind Geständnisse, die durch illegale Methoden wie Folter erzwungen werden, ungültig. Beweismittel und Zeugenaussagen, die auf unrechtmäßigem Wege gewonnen wurden, sind vor Gericht unzulässig; Polizeibehörden können Verdächtige nicht mehr zwingen sich selbst zu bezichtigen; dies könnte zu einem Rückgang an Foltervorfällen durch Polizeiorgane führen. Der Schutz jugendlicher Straftäter wird erhöht (ÖB 11.2014, vgl. FH 23.1.2014a, AI 23.5.2013, AA 15.10.2014). Auch der Zeugenschutz wird gestärkt. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Durchsetzung dieser Regeln viele Jahre erfordern wird (AA 15.10.2014).

2014 wurden schrittweise weitere Reformen eingeleitet, darunter die Anordnung an Richter, Entscheidungen über ein öffentliches Onlineportal zugänglich zu machen sowie ein Pilotprojekt in sechs Provinzen um die Aufsicht über Bestellungen und Gehälter auf eine höhere bürokratische Ebene zu verlagern. Beim vierten Parteiplenum im Oktober 2014 standen Rechtsreformen im Mittelpunkt. Die Betonung der Vorherrschaft der Partei über das Rechtssystem und die Ablehnung von Aktionen, die die Unabhängigkeit der Justiz erhöhen würden, wurde jedoch beibehalten. Dies führte zu Skepsis hinsichtlich der tatsächlichen Bedeutung der Reform (FH 28.1.2015a).

Das neue Gesetz sieht allerdings vor, dass "Staatsicherheit gefährdende" Verdächtige an einem "designierten Ort" bis zu 6 Monate unter "Hausarrest" gestellt werden können. Die Familie muss zwar formell innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Dieser Aufenthaltsort könnte auch außerhalb offizieller Einrichtungen sein. Rechtsexperten sehen darin eine signifikante Ausweitung der Polizeimacht, denn es ist zu befürchten, dass es an diesen geheimen Orten weiterhin zu Folterhandlungen kommen könnte (ÖB 11.2014, vgl. FH 23.1.2014a, AI 23.5.2013). Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch Tatbestände der "Straftaten, die die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StG) ersetzt. Danach können vor allem Personen bestraft werden, die einen politischen Umsturz/Separatismus anstreben oder das Ansehen der VR China beeinträchtigen. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 15.10.2014). Der Vorwurf der "Gefährdung der Staatssicherheit" oder des "Terrorismus" sind vage Begriffe, die oft als Vorwand von Maßnahmen gegen Dissidenten verwendet werden; jährlich werden ca. 1.000 Personen wegen des Verdachts auf "Gefährdung der Staatssicherheit" festgehalten (ÖB 11.2014, vgl. FH 23.1.2014a, AI 23.5.2013). Häufig wurden Anklagen wegen "Gefährdung der Staatssicherheit", "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" oder "Preisgabe von Staatsgeheimnissen" erhoben und langjährige Gefängnisstrafen gegen Personen verhängt, weil sie Internetblogs veröffentlicht oder als sensibel eingestufte Informationen ins Ausland weitergeleitet hatten. Der Staat benutzt somit das Strafrechtssystem dazu, seine Kritiker zu bestrafen (AI 23.5.2013). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von "Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang bei der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. U.a. wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, einen Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird ihm vom Gericht überhaupt ein Verteidiger bestellt (AA 15.10.2014).

Rechtsanwälte, die in kontroversen Fällen tätig wurden, mussten mit Drangsalierungen und Drohungen seitens der Behörden rechnen, und in einigen Fällen wurde ihnen die weitere berufliche Tätigkeit verboten. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Zugang der Bürger zu einem gerechten Gerichtsverfahren sehr stark eingeschränkt war. Verstöße gegen das Recht von Angeklagten auf ein faires Gerichtsverfahren und gegen andere ihrer Rechte waren gängige Praxis, darunter der verwehrte Zugang zu Anwälten und Familienangehörigen, Inhaftierungen über die rechtlich zulässige Zeitdauer hinaus, sowie Folter und Misshandlung in Gewahrsam (AI 23.5.2013; vgl. FH 23.1.2014a).

Die wachsende Anzahl von Bürgerrechtsanwälten war auch 2014 weiterhin mit Beschränkungen und körperlichen Angriffen konfrontiert. Anwälte wurden daran gehindert, ihre Klienten zu sehen, geschlagen und in einigen Fällen sogar festgehalten und gefoltert (FH 28.1.2015a).

Willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest ("soft detention") ohne gerichtliche Verfahren kommen häufig vor. Personen werden oft über lange Zeit hinweg in ihrer eigenen Wohnung oder an anderen Orten ohne Zugang zur Außenwelt festgesetzt (AA 15.10.2014).

Der Nationale Volkskongress schaffte Chinas berüchtigtes System der "Umerziehung durch Arbeit" im Dezember 2013 offiziell ab. In der Folge griffen die Behörden ausgiebig auf andere Formen der willkürlichen Inhaftierung zurück, wie z.B. Schulungseinrichtungen für Rechtserziehung, verschiedene Arten der Administrativhaft, geheime "black jails" und rechtswidrigen Hausarrest. Darüber hinaus benutzte die Polizei häufig vage Anklagen wie "Streitsucht und Unruhestiftung" oder "Störung der Ordnung in der Öffentlichkeit", um politisch engagierte Bürger für Zeiträume von bis zu 37 Tagen willkürlich in Haft zu nehmen. KPCh-Mitglieder, die unter Korruptionsverdacht standen, wurden im Rahmen des geheimen Disziplinarsystems shuanggui ("doppelte Festlegung") ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand und ihren Familien in Gewahrsam gehalten (AI 25.2.2015, vgl. ÖB 11.2014).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.10.2014): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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AI - Amnesty International (23.5.2013): Annual Report 2013 - China, http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html;

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AI - Amnesty International (25.2.2015): Amnesty International Report 2014/15 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/297304/434266_de.html;

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FH – Freedom House (23.1.2014a): Freedom in the World 2014 – China, http://www.ecoi.net/local_link/268012/395593_de.html;

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FH – Freedom House (28.1.2015a): Freedom in the World 2015 – China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html;

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HRW - Human Rights Watch (21.1.2014): World Report 2014 - China, http://www.ecoi.net/local_link/267710/395073_de.html;

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ÖB Peking (11.2014): Asylländerbericht Volksrepublik China

Sicherheitsbehörden

Zivile Behörden behielten die Kontrolle über Militär- und Sicherheitskräfte bei (USDOS 25.6.2015). Die KPCh kontrolliert und leitet die Sicherheitskräfte auf allen Ebenen. 2013 dehnte die Partei ihren Apparat zur "Stabilitätserhaltung", mit dem Recht und Ordnung erhalten werden soll, allerdings auch friedlicher Protest unterdrückt und die Bevölkerung überwacht wird, weiterhin aus (FH 23.1.2014a). Die Zentrale Militärkommission (ZMK) der Partei leitet die Streitkräfte des Landes. Nach dem Gesetz zur Landesverteidigung von 1997 sind die Streitkräfte nicht dem Staatsrat, sondern der Partei unterstellt (AA 4.2015a).

Für die innere Sicherheit sind zuständig: (1) Polizei und Staatsanwaltschaften, die Rechtsverstöße des Normalbürgers verfolgen;

(2) Disziplinar-Kontrollkommission der KPCh, die gegen Verstöße von KP-Mitgliedern einschreitet;

(3) Einheiten des Ministeriums für Verwaltungskontrolle, die fu?r Pflichtverletzungen im Amt zuständig sind (AA 15.10.2014).

Für den Bereich der Gefahrenabwehr ist primär das dem Staatsrat unterstehende Ministerium für Öffentliche Sicherheit (MfÖS) mit seinen Polizeikräften verantwortlich, das daneben auch noch für Strafverfolgung zuständig ist und in Teilbereichen mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitet. Aufgaben der Polizei sind sowohl die Gefahrenabwehr als auch die Strafverfolgung, bei der ihr u. a. die Anordnung von Administrativhaft als Zwangsmaßnahme zur Verfügung steht. Im Bereich der Strafverfolgung ist sie für die Durchführung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren originär zuständig. Bei Delikten, die von Polizisten aufgrund ihrer Amtsstellung begangen werden können, ermittelt die Staatsanwaltschaft selbst, während sie sonst primär die Tätigkeit der polizeilichen Ermittlungsorgane beaufsichtigt und auf Grundlage deren Empfehlung über die Erhebung der Anklage entscheidet (AA 15.10.2014).

Das Ministerium für Staatssicherheit (MSS) ist u.a. zuständig für die Auslandsaufklärung sowie für die Überwachung von Auslandschinesen und von Organisationen oder Gruppierungen, welche die Sicherheit der VR China beeinträchtigen könnten. Es überwacht die Opposition im eigenen Land, betreibt aber auch Spionageabwehr und beobachtet hierbei vielfach auch die Kontakte zwischen ausländischen Journalisten und chinesischen Bürgern. Darüber hinaus verfügen auch die Streitkräfte über einen eigenen, sorgfältig durchstrukturierten Nachrichtendienst, die 2. Hauptverwaltung im Generalstab, die sich in Konkurrenz zum MSS und MfÖS sieht. Die elektronische Aufklärung wird vornehmlich durch die 3. Hauptverwaltung im Generalstab wahrgenommen. Zudem sind viele Arbeitseinheiten parallel mit der Beschaffung von Informationen bzw. mit Überwachungsaufgaben von in- und ausländischen Bürgern befasst. Vor allem das Internationale Verbindungsbüro unter der politischen

1. Hauptverwaltung des Generalstabs ist zuständig für Informationen aus dem Ausland, für die Entsendung von Agenten in Auslandseinsätze, meist unter diplomatischer "Tarnung", und für die Überwachung des eigenen diplomatischen Personals. Zahlreiche "Think tanks" sind für die Beschaffung von Auslandsinformationen zuständig (AA 15.10.2014).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.10.2014): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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AA - Auswärtiges Amt (4.2015a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5,

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FH – Freedom House (23.1.2014a): Freedom in the World 2014 – China, http://www.ecoi.net/local_link/268012/395593_de.html,

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USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Reports on Human Rights Practices 2014 - China, http://www.ecoi.net/local_link/306284/443559_de.html

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Menschenrechtslage in China bietet weiterhin ein zwiespältiges und trotz aller Fortschritte im Ergebnis negatives Bild. 2004 wurde der Begriff "Menschenrechte" in die Verfassung aufgenommen, die individuellen Freiräume der Bürger in Wirtschaft und Gesellschaft wurden in den letzten Jahren erheblich erweitert. Andererseits bleiben die Wahrung der inneren Stabilität und der Machterhalt der KPCh oberste Prämisse und rote Linie. Vor diesem Hintergrund geht die chinesische Führung kompromisslos gegen jene vor, die als Bedrohung dieser Prioritäten angesehen werden, wie z. B. regierungskritische Schriftsteller, Blogger, Bürgerrechtsaktivisten, Menschenrechtsanwälte, Petitionäre oder Mitglieder nicht anerkannter Religionsgemeinschaften (Falun Gong, Hauskirchen etc). Nach dem Führungswechsel im März 2013 hat sich das Klima für Menschenrechtsverteidiger und regierungskritische Personen, die politische Reformen fordern, deutlich verschärft. Kritische Intellektuelle, Journalisten und Blogger, die sich zu Themen äußern, die die chinesische Führung als sensibel ansieht, werden unter Druck gesetzt, bedroht und inhaftiert. Zahlreiche Dissidenten und Aktivisten befinden sich wegen kritischer Äußerungen in Haft (AA 15.10.2014).

Politische Opposition ist in der VR China strafbar (Straftatbestand der "Staatsgefährdung"), unabhängige Gewerkschaftsgründung verboten, Presse- und Meinungsfreiheit nach wie vor stark eingeschränkt. Weiterhin befinden sich unzählige DissidentInnen in Arbeitslagern oder psychiatrischen Kliniken. Internetzensur ist nicht nur bei Diskussionen über Demokratie oder Freiheit an der Tagesordnung (ÖB 11.2014).

Nicht zuletzt dank der modernen Kommunikationsmittel entsteht eine über ihre Rechte zunehmend besser informierte Öffentlichkeit, die bereit ist, diese Rechte zu verteidigen, und willkürliches Handeln der staatlichen Organe nicht länger unwidersprochen hinnehmen will. Massenproteste mit sozialpolitischem Hintergrund – insbesondere gegen illegale Landnahme, unzureichende oder vorenthaltene Kompensationen bei Umsiedlungen, gewaltsamen Abriss von Häusern, Umweltkonflikte und Korruption – nehmen zu (AA 15.10.2014). Die chinesische Gesellschaft hat durch die soziale Dynamik, die durch die wirtschaftlichen Reformen ausgelöst wurde, in den letzten drei Jahrzehnten insgesamt an Offenheit gewonnen. Die Lebensbedingungen haben sich für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung deutlich verbessert und erlauben im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich ein höheres Maß an persönlicher Freiheit. Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen. Dem steht jedoch weiterhin der Anspruch der Kommunistischen Partei auf ungeteilte Macht gegenüber. Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden ausdrücklich abgelehnt. Von der Verwirklichung rechtsstaatlicher Normen und einem Verfassungsstaat ist China noch weit entfernt. Im Alltag sind viele Chinesen weiterhin mit Willkür und Rechtlosigkeit konfrontiert, neben sozialer Not eine der Hauptquellen von Unzufriedenheit in der chinesischen Gesellschaft (AA 4.2015a). Die Volksrepublik China erkennt de jure die grundlegenden Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte an. Sie gehört einer Reihe von VN-Übereinkünften zum Schutz der Menschenrechte an und hat den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zwar 1998 gezeichnet, allerdings bis heute nicht ratifiziert. Am 27.3.2010 hat die Volksrepublik den VN-Wirtschafts- und Sozialpakt ratifiziert, allerdings zum Recht auf die Bildung freier Gewerkschaften einen Vorbehalt eingelegt. Unabhängige Gewerkschaften sind nicht zugelassen (AA 4.2015a).

Es gibt weiterhin besorgniserregende Verletzungen rechtsstaatlicher Mindeststandards in ganz China. So gibt es immer noch Strafverfolgung aus politischen Gründen, Administrativhaft (Haftst

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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