Entscheidungsdatum
13.02.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W264 2165073-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren XXXX Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2017, Zahl: 15-1088570904/151417204, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß
§ 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und wird dem Beschwerdeführer gemäß
§ 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten
in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 13.02.2019 erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist afghanischer Staatsangehöriger, Sunnit und der Volksgruppe der Usbeken angehörig und reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet in Begleitung seiner Gattin XXXX , dessen Tochter XXXX und XXXX samt dessen Gattin und Kindern ein.
Der BF stellte am XXXX bei der PI XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung am 23.9.2015 gab der BF an, von Garmsar im Iran aus mit seiner restlichen Familie nach Österreich gereist zu sein. Er sei immer als Landarbeiter beschäftigt gewesen und sei – neben seinem Bruder – Hälfteeigentümer von 20 Jerib Grundvermögen in Afghanistan. Wegen eines Grundstücksstreits mit seinem Neffen sei er zunächst in den Iran geflüchtet und nach Österreich aus dem Grunde, bei seinem Sohn und dessen Familie bleiben zu wollen und im Iran niemanden zu haben.
2. Am 21.3.2017 erfolgte die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde). Zu den besonderen Kennzeichen des BF wird festgehalten: "beschädigtes, halb abgerissenes rechtes Ohr". Die Frage, ob er im bisherigen Verfahren der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht habe und diese Angaben jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert wurden, beantwortete der BF zunächst mit "ich habe sicher die Wahrheit gesagt" und damit, dass er sich nicht gut an die Erstbefragung erinnern könne, er damals krank gewesen sei und sich auch nicht erinnern könne, ob es eine Rückübersetzung gab.
Als seine Adresse im Herkunftsland (letzter Wohnsitz) gab er XXXX , Kabul, Afghanistan an. Als die letzte Adresse im Iran gab er XXXX in der Provinz Teheran an. Als Verwandte in seinem Herkunftsland nannte er seinen Neffen XXXX in Charmgar Khana, Maimana, Faryab, sowie seinen Sohn XXXX , welcher vermisst sei und daher dessen Aufenthaltsort unbekannt sei.
Als seine im Bundesgebiet aufhaltigen Verwandten nannte er seine Gattin XXXX , den Sohn XXXX und die Tochter XXXX . Der mit ihnen mitgeflüchtete XXXX sei nicht mit ihnen verwandt.
Der BF gab an, keine Schulausbildung genossen zu haben und von 1971 bis 1973 als einfacher Soldat in Kabul gedient zu haben. Er spreche als Muttersprache Usbekisch und ebenso Dari (beide nur in Wort, nicht in Schrift).
Als seinen beruflichen Werdegang nannte er selbstständiger Landwirt, Gerber (Lederverarbeitung) bei einem Dienstgeber namens "Hamed" in den 50er-Jahren sowie Erntehelfer für Baumwolle im Iran.
Befragt nach seiner Aufenthaltsdauer im Iran gab der BF an: "ich weiß es nicht genau" Und laut Anmerkung des Dolmetsch sagte der BF zuvor " sieben oder acht Jahre, sieben oder acht Monate". Nach Aufforderung konkret auf die Frage zu antworten, nämlich ob er nun
Jahre oder Monate dort gewesen sei, gab er an: "Ich weiß es nicht. Vielleicht zwei bis drei Jahre."
In Afghanistan hätte die Familie zunächst im Haus seines Bruders in XXXX gewohnt und nach dessen Tod sei dieses Haus in das Eigentum des Neffen XXXX übergegangen und habe dies mit seinem Fluchtgrund zu tun, so der BF. Vor seiner Flucht in den Iran sei er in Kabul gewesen.
Nachdem sie aus dem Iran gekommen waren, seien sie nach Kabul gegangen und dort für einen Monat geblieben. Dann seien sie für neun Monate weiter nach Takhar gegangen und bei einem Verwandten namens XXXX geblieben. Die Söhne hätten Geld geschickt und damit seien sie wieder mit einem Schlepper in den Iran gereist und für einige Jahre dort verblieben, von wo aus sie nach Österreich gereist seien. Sein Sohn wisse das besser und könne Genaueres dazu sagen, so der BF. Er habe mit niemandem in Afghanistan noch Kontakt, so der BF.
Er könne sich nicht erinnern, wann und wo er geheiratet habe, er sei seit ca. 35 Jahren verheiratet und falle ihm gerade ein, dass dies in Takhar gewesen sei.
Er lebe in Österreich von der Grundversorgung und von anderen Unterstützungen und zu seinem Fluchtgrund gab er an, dass er im Iran keine Dokumente gehabt habe, dort nicht leben habe können und die Iranischen Behörden seinen Sohn in den Krieg hätten schicken wollen. In Afghanistan habe er damals viele Probleme gehabt und wolle er dazu nichts sagen. Nachdem der BF an seine Mitwirkungspflicht erinnert wurde und die Folgen unterbleibender Angaben, gab er als Flucht Grundstreitigkeiten zwischen ihm und seinem Bruder an. Als er vom Iran aus nach Afghanistan gekommen sei, sei er direkt zum Haus seines Bruders gegangen und sei er bei seinem Neffen XXXX gewesen. Der Neffe habe sich geweigert, mit dem BF das Grundstück im Ausmaß von 20 Jerib aufzuteilen. Er habe den BF hinausgeschmissen, sodass der BF zu seinem entfernten Verwandten XXXX gegangen sei. Dieser habe geholfen und dem BF fünf Tage lang in seinem Haus Unterschlupf gewährt. Gemeinsam mit diesem sei der BF im Beisein seines Sohnes XXXX zu den Grundstücken gegangen und habe diese zurückgefordert, worauf hin der Neffe den BF bedroht und verletzt habe. Dies sei mindestens zehn Jahre her und sei dies der Grund für die Flucht von Afghanistan in den Iran. Damals habe der BF zehn Monate nach diesen Vorfällen die Flucht in den Iran angetreten; neun von diesen zehn Monaten habe er in Takhar verbracht und einen Monat in Kabul.
Auf Befragen ob dies alle seine Fluchtgründe seien gab er an: " ja, das ist alles".
Auf Befragen gab er an, dass er insgesamt 26 Jahre im Iran gelebt habe und befürchte eher für den Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan, dass sein Neffe ihn wegen der Grundstücke töten würde. Der Neffe habe ihm ein Ohr abgeschnitten und auf den Kopf geschlagen und ihm in die Hüfte gestochen. Nun wolle der BF keine Grundstücke mehr. Er habe sich an die Polizei gewandt, diese hätten jedoch den Grundstücksnachweis verlangt, welcher aber beim verstorbenen Bruder des BF verblieben sei und daher in weiterer Folge beim Neffen sei. Trotz der Verletzungen habe man ihm seitens der Behörden und der Polizei gesagt, dass sie dem BF nicht helfen können. Damals sei er nach diesem Vorfall in ein Krankenhaus gegangen und sei er dort behandelt worden, von dort aus mit der Familie nach Takhar von dort aus in den Iran gegangen.
Er verneinte, in seinem Herkunftsstaat oder in einem anderen Staat vorbestraft zu sein. Er werde auch nicht Afghanistan von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht und sei in Afghanistan niemals von den Behörden angehalten, festgenommen oder verhaftet worden. Er habe in Afghanistan nie Probleme mit den Behörden gehabt und sei auch nie Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei gewesen. Von staatlicher Seite sei er niemals wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt worden, ebenso wenig wegen seiner Rasse oder seiner Religion, der Nationalität, der Volksgruppe oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Wegen den besagten Vorfällen habe es niemals irgendwelche Übergriffe gegeben und sei auch niemals jemand an ihn persönlich herangetreten. Für den Fall der Rückkehr befürchte er keine Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden.
Auf Befragen gab er an, dass er während der Befragung keine Probleme gehabt habe, den Dolmetsch sehr gut verstanden habe, sowohl von der Sprache her als auch vom Verständnis her. Er habe alles gesagt und sei hier sehr glücklich. Er habe die Gelegenheit gehabt, alles vorzubringen was ihm wichtig war.
Nach der Rückübersetzung (gesamte Niederschrift wortwörtlich) gab er an: "Ich möchte anmerken, dass wir, als wir aus dem Iran kamen, zuerst nach Faryab gegangen sind. Dort war ich zwei Tage bei meinem Neffen XXXX . Dann waren wir fünf Tage bei XXXX , der ist auch in Faryab. Erst dann gingen wir nach Kabul und blieben einen Monat dort. Später erst sind wir nach Takhar gegangen und haben neun Monate dort verbracht."
Auf die Frage "war sonst alles korrekt?" antwortete er "Ja, sonst war alles korrekt".
3. Im vorgelegten Fremdakt liegt ein Schreiben der Flüchtlingsbetreuerin XXXX vom 20.3.2017 ein, wonach die Familie im Allgemeinen ihr Leben mehr oder weniger selbst arrangiere und stets freundlich und einen sehr respektvollen Umgang mit anderen an den Tag lege.
4. Im vorgelegten Fremdakt liegen ein:
* Ärztlicher Befund Dris. XXXX vom 22.3.2017 ein. Laut dessen Anamnese hat der BF anscheinend vor 13 Jahren in der Heimat eine Schädelverletzung mit Impressionen an der Kalotte (knöchernes Dach des Schädels) erlitten, anscheinend seit damals Gedächtnisstörung und auch eine Störung des Gangbildes. In diesem Befund werden ein breitbasig unsicheres Gangbild, eine zeitweise Vergesslichkeit genannt. Demnach konnte im damaligen Zeitpunkt nicht eruiert werden inwieweit eine Blasenstörung vorliegt.
* Radiologischer Befund des LKH XXXX , vom 22.1.2015, Verdacht auf Pulmonalarterienembolie. Zusammenfassung nach CT- Angiographie
Pulmonalgefäße: kein Hinweis auf Pulmonalarterienembolie
* Internistische Befund der Notaufnahme des LKH XXXX vom 22.11.2015,
Diagnose: Schmerzsynkope bei Gastritis. Auszug aus der Anamnese: BF hatte Oberbauchschmerzen und ist auf dem Weg zur Toilette kollabiert, war für einige Sekunden bewusstlos.
5. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I), gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG der Antrag auf Internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und nach § 52 Abs 9 FPG 2005 festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III). Gemäß Spruchpunkt IV des angefochtenen Bescheides Beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG 2005 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
6. Der Beschwerdeführer erhob mit Schriftsatz seines Rechtsberaters vom 14.7.2017 fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid des BFA in vollem Umfange. Zusammengefasst wurde darin festgehalten, dass die belangte Behörde zunächst einräumte, dass die Angaben des BF im Hinblick auf seine Schädelverletzung und des Befundes nicht an den Maßstäben eines gesunden Menschen zu beurteilen seien. Es wird darin auf die Verwirrtheit des BF hingewiesen.
Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde beantragt.
Neue Aspekte oder irgendwelche Belege zur Identität oder zum Fluchtvorbringen brachte der BF mit der Beschwerde nicht in das Verfahren ein.
7. Der bezughabende Akt wurde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt und langte am 21.7.2017 ein und gab die belangte Behörde im Vorlagebericht bereits bekannt, auf die Teilnahme einer öffentlichen mündlichen Verhandlung verzichten zu wollen.
8. Mit E-Mail vom 22.11.2017 informierte der Verein Menschenrechte Österreich die erkennende Richterin, dass der BF in einem derart schlechten Gesundheitszustand sei, dass ihm weder die Führung eines längeren Gespräches, noch eine Anreise von Tirol nach Wien möglich sei. Damit sei infrage zu stellen, ob der BF verhandlungsfähig sei, weshalb um die Abberaumung der Verhandlung ersucht werden müsse. Der BF sei voll von der Unterstützung der übrigen Familienmitglieder abhängig, seine Gattin sei inzwischen auf einen Rollstuhl angewiesen und sei unter den gegebenen Umständen und aufgrund des für afghanische Verhältnisse sehr hohen Alters des BF von 77 Jahren eine Rückkehr nach Afghanistan nicht zumutbar. Dies, da eine entsprechende Versorgung nicht gewährleistet wäre. Es sei davon auszugehen, dass zumindest die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz vorliegen würden und würden weitere medizinische Unterlagen nach Erhalt nachgereicht. Beigelegt war das ärztliche Gesundheitszeugnis Dris. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, vom 22.11.2017, wonach der BF in einem schlechten Allgemeinzustand sei und zusätzlich zur psychischen Alteration eine senile Demenz beginnend sei. Der BF sei aus gesundheitlichen Gründen wieder in der Lage ein längeres Gespräch zu führen, noch nach Wien zu reisen.
9. Mit E-Mail vom 24.11.2017, eingelangt am 27.11.2017, informierte der Verein Menschenrechte Österreich die erkennende Richterin, dass der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht aufrechterhalten werde
10. Die für 29.11.2017 anberaumte öffentliche mündliche Verhandlung wurde abberaumt.
11. Mit E-Mail vom 1.12.2017 brachte der Verein Menschenrechte Österreich der erkennenden Richterin weitere aktuelle fachärztliche Bestätigungen zur Kenntnis. Es wird mitgeteilt, dass eine kohärente Gesprächsführung mit dem BF nicht mehr möglich sei. Dem angeschlossen war die fachärztliche Bestätigung Dris. XXXX , Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Additivfach Geriatrie, Arzt für psychosoziale, psychosomatische und psychotherapeutische Medizin, vom 29.11.2017, wonach der BF bei einer zumindest mittelschweren Mischdemenz, ua. Schädel-Hirn-Trauma, beim Gefertigten in Behandlung sei und sämtliche Hirnleistungsfunktionen durch diesen langsam progredienten, irreversiblen Abbauprozess beeinträchtigt seien. Der BF sei weit in die Vergangenheit orientiert, ohne Aktualbezug lebend. Zusätzlich sei die neurodegenerative Erkrankung durch Verhaltensstörungen mit nächtlich-verwirrten Episoden mit aggressivem Verhalten auch gegenüber den eigenen Angehörigen geprägt und sei eine kohärente Gesprächsführung mit dem BF nicht mehr möglich.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):
Das Bundesverwaltungsgericht sieht auf Grundlage des gegenständlich erhobenen Antrags auf internationalen Schutz, der Erstbefragung, der Einvernahme des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde, der im Verfahren vorgelegten Dokumente – insbesondere jene betreffend den Gesundheitszustand –, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, der Einsichtnahme in das zentrale Melderegister und das Fremdeninformationssystem sowie das Strafregister und das Grundversorgung-Informationssystem folgenden Sachverhalt als erwiesen an und werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Feststellungen zur Person des BF:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , geboren am XXXX . Er ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und ist Angehöriger der Volksgruppe der Usbeken und ist sunnitischen Glaubensbekenntnisses.
Der Beschwerdeführer reiste in Umgehung der Grenzkontrollen unrechtmäßig nach Österreich ein.
Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung und scheinen ihn betreffend im Strafregister der Republik Österreich keine Vormerkungen auf.
Die Identität des BF konnte mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden; der im Spruch angeführte Name dient lediglich zur Identifizierung des Beschwerdeführers als Verfahrenspartei und wurden neue Aspekte oder Belege zur Identität auch mit dem Beschwerdeschriftsatz oder nachfolgend in das Verfahren nicht eingebracht. Die Identität des BF steht mit für das Verfahren ausreichender Wahrscheinlichkeit fest.
Die Herkunftsprovinz ist Faryab. Der BF ist der Sprachen Usbekisch und Dari mächtig. Er ist laut seinen im Verfahren vor der belangten Behörde gemachten Angaben mit XXXX verheiratet und lebte vor der Ausreise nach Europa im Iran. Der BF ist der Vater von XXXX (Sohn) und XXXX (Tochter). Der BF verfügt über eine Berufserfahrung in der Landwirtschaft und im Gerbereigewerbe. Das Ausmaß der Berufserfahrung kann nicht festgestellt werden.
Der BF hat in Österreich Familienangehörige (Gattin, Sohn mit Schwiegertochter und Enkelkindern, Tochter; allesamt Asylwerber).
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF über Familienangehörige in Afghanistan verfügt.
Der BF ist ein 78jähriger Mann im pensionsfähigen Alter. Der BF hat ein beschädigtes, halb abgerissenes rechtes Ohr. Der BF hatte in der Vergangenheit eine Schädelverletzung mit Impression an der Kalotte (knöchernes Dach des Schädels). Der Gesundheitszustand des BF ist dermaßen, dass eine mittelschwere Mischdemenz ua Schädel-Hirn-Trauma in der Vorgeschichte vorliegt und sämtliche Hirnleistungsfunktionen durch diesen langsam progredienten irreversiblen Abbauprozess beeinträchtigt sind. Die neurogene Erkrankung des BF ist durch Verhaltensstörungen mit nächtlich-verwirrten Episoden mit aggressivem Verhalten auch gegenüber den eigenen Angehörigen geprägt. Eine kohärente Gesprächsführung ist mit dem BF nicht mehr möglich. Der BF leidet auch an einer Störung des Gangbildes (unsicheres Gangbild).
1.2. Feststellungen zu seinen Fluchtgründen:
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in Afghanistan einen bereits verstorbenen Bruder hatte, mit welchem er gemeinsam Grundvermögen hatte, über welches er mit einer Person, welche er als Neffe XXXX bezeichnet, in Streit geriet. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass aufgrund des behaupteten Grundstücksstreit der BF durch Fremdverschulden am Körper verletzt wurde.
Der behauptete und als Fluchtgrund als maßgeblich erwähnte Grundstücksstreit konnte somit nicht als entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden.
Bei Wahrunterstellung des Fluchtvorbringens hinsichtlich des erwähnten Grundstücksstreits ist zu sagen, dass dieser sich vor mindestens zehn Jahren abgespielt hätte und überdies ein Streit mit einer Privatperson (eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung) wäre.
Aufgrund der Angaben des BF vor der belangten Behörde auf die seinen Herkunftsstaat betreffenden Fragen nach Vorstrafen, Verfolgung seiner Person durch Behörden, Staatsanwalt, Polizei oder Gerichten bzw. auf die Fragen nach Zugehörigkeit zu einer Partei, Verfolgung seiner Person aufgrund der Rasse, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund seines Glaubens kann nicht festgestellt werden, dass dem BF in seinem Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.
1.3. Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr:
Mit seinen Angaben vor der belangten Behörde zeigt der Beschwerdeführer asylrelevante Gründe für das Verlassen Afghanistans nicht auf, welche dazu geeignet wären, ihn im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen auszusetzen.
Es kann für den Fall seiner Rückkehr nicht festgestellt werden, dass konkret der Beschwerdeführer als Angehöriger der Volksgruppe der Usbeken sowie als sunnitischer Muslime bzw dass jeder Angehörige der Volksgruppe Usbeken sowie sunnitische Muslime in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist. Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret der Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er sich im Iran und zuletzt in Europa aufgehalten hat bzw dass jeder afghanische Staatsangehörige, welcher aus dem Iran und / oder aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.
Insgesamt konnte der BF nicht glaubhaft vermitteln, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.
Zu einer Rückkehr des BF in seine Herkunftsprovinz Faryab ist zu sagen: Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren, führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Dennoch werden in dieser Provinz regelmäßig militärische Operationen – etwa in Form von Luftangriffen – durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien. Dabei kommt es zu Zusammenstößen zwischen afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer – speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab.
Somit bestünde betreffend den BF eine allgemeine Gefährdungslage bezüglich Heimatsprovinz und geht das Gericht davon aus, dass dem BF bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK drohen würde.
Es ist zu prüfen, ob ihm in diesem Falle eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative in "Kabul" zur Verfügung versteht. Im gegenständlichen Fall ist nach Auseinandersetzung mit dem konkreten Krankheitsbild des BF und bei Einzelfallbetrachtung des gegenständlichen BF festzuhalten, dass dem betagten männlichen kranken Beschwerdeführer derzeit nicht nur bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Faryab, sondern auch bei einer Wiederansiedelung in einer innerstaatlichen Fluchtalternative wie etwa Kabul ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.
Der BF kann nach Ansicht der erkennenden Richterin aus folgenden Gründen nicht in zumutbarer Weise auf die Übersiedelung in andere Landesteile Afghanistans verwiesen werden: Der BF würde Gefahr laufen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft und Pflege nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Dies sowohl im Falle der Rückkehr in die Herkunftsprovinz, als auch im Falle einer Ansiedelung außerhalb seiner Herkunftsprovinz, insbesondere in der Stadt Kabul. Der BF würde so in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten.
Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedelung des Beschwerdeführers in außerhalb seiner Herkunftsprovinz gelegenen Landesteilen und insbesondere in der Stadt Kabul ergeben sich unter Berücksichtigung der vom UNHCR aufgestellten Kriterien (siehe unter II.1.4) für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan aus dem Länderbericht zu Kabul (siehe unter II.1.4.).
1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wird festgestellt:
KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)
Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).
Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).
Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2019
Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).
Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und Internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).
Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018
Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe – versteckt in einem Rettungswagen – detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).
Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).
Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018
Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).
Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).
Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).
Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018
Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018).Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden(BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).
Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).
Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).
Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).
KI vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan – Q4.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil – der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).
Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).
Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).
Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen – in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).
Sicherheitsrelevante Vorfälle
Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. – 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen – zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).
Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).
Zivilist/innen
Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017).Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren – führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer – speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).
Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).
High-profile Angriffe:
Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)
Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen – in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).
Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).
Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).
Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh – Atta Noor – zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)
Interreligiöse Angriffe
Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele, veranlassten die afghanische Regierung neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempeln vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).
Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt – hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).
Im Jahr 2016 und 2017 registrierte die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen – hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnten großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).
ANDSF – afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte
Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:
Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann – dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um
3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).
Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).
Regierungsfeindliche Gruppierungen:
Taliban
Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen – was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):
Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen – in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen – dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).
Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich – laut afghanischen Beamten – ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).
Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar – in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).
IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh
Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriff auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden, und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten; hielt das die Gruppierungen nicht davon ab ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).
Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).
Politische Entwicklungen
Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).
Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer "Entlassung" – er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer "unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung" richte (NZZ 18.12.2017).
Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).
Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).
In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).
Kabul
Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016)
Im Zeitraum 1.9.2015 – 31.5.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).
Im Zeitraum 1.9.2015. – 31.5.2016 wurden in der gesamten Provinz Kabul 161 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren (Khaama Press 13.1.2017). Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen (DW 10.1.2017). Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen (BBC News 10.1.2017).
In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt (Afghanistan Times 8.2.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 4.1.2017a; Bakhtar News 29.6.2016). Taliban Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet (Afghan Spirit 18.7.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 4.1.2017a).
Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017; vgl. auch: UNAMA 6.2.2017).
Faryab
Faryab ist eine nördliche Provinz, die an Turkmenistan grenzt. Die Provinz wird im Osten und Südosten von der Provinz Sar-e Pul eingeschlossen. Im Süden grenzt sie an die Provinz Ghor und im Westen an die Provinz Badghis. Die Hauptstadt ist Maimana City.
Faryab hat folgende Distrikte: Pashtun Kot, Almar, Qaysar, Khawaja Sahib Posh, ShirinTagab, Dawlat Abad, Bilchiragh, Gorzaiwan und Kohistan. In der Andikhoi Region die Bezirke Qurghan, Qarmaqol und Khan Charbagh. Der Bezirk Ghormach wurde vor Jahren von der Provinz Badghis an die Provinz Faryab abgetreten. Die offizielle Anerkennung der Bezirke Chalgazi, Bandar und Khawaja Musa durch die Zentralregierung ist noch ausständig (Pajhwok o.D.i). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.015.335 geschätzt (CSO 2016).
Im Zeitraum 1.9.2015 – 31.5.2016 wurden in der Provinz Faryab, 771 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).
Faryab zählt zu den relativ volatilen Provinzen in Nordafghanistan; Mitglieder Aufständischer Gruppen, wie den Taliban oder dem IMU (Islamic Movement of Uzbekistan) sind in dieser Provinz aktiv (Khaama Press 25.12.2016). Nordafghanistan war einst ein relativ friedlicher Teil des Landes (RFE/RL 3.6.2016). Die Taliban eroberten im Herbst 2016 kurzfristig das administrative Zentrum des Distrikts Ghormach (UN GASC 13.12.2016).
Taliban und andere lokale regierungsfeindliche Gruppen haben dieses Jahr territoriale Gewinne gemacht, indem immer wieder schlecht bemannte Polizei-Checkpoints in abgelegenen Distrikten eingenommen wurden (The Telegraph 1.2.2017; vgl. auch: Pajhwok 3.2.2017; Pajhwok 02.10.2016).
In der Provinz werden regelmäßig militärische Operationen durchgeführt um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (The Telegraph 1.2.2017; Tolonews 2.1.2017; Tolonews 29.1.2017;
Khaama Press 10.1.2017; Khaama Press 25.12.2016; Pajhwok 23.12.2016;
Khaama Press 3.9.2016; Radio Pakistan 16.5.2016); unter anderem in Form von Luftangriffen (Khaama Press 29.12.2016). Es kommt zu Zusammenstößen zwischen afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban (UNAMA 6.2.2017; The Telegraph 1.2.2017; RFE/RL 3.6.2016);
dabei wurden Taliban-Kämpfer getötet (Pajhwok 3.2.2017; Pajhwok 7.11.2016).
Religionsfreiheit
Etwa 99.7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84.7-89.7% Sunniten (CIA 21.11.2016; vgl. USCIRF 4.2016).
Usbeken
Die usbekische Minderheit ist die viert-größte Minderheit Afghanistans (WSJ 23.1.2017); die etwa 9% der Bevölkerung ausmacht (GIZ 1.2017). Usbeken sind Sunniten und siedeln sowohl im ländlichen Raum, wie auch in urbanen Zentren (Mazar-e Sharif, ebenso Kabul, an Kandahar, Laschkargah u.a.), wo ihre Wirtschafts- und Lebensformen kaum Unterschiede zu Dari-sprachigen Gruppen aufweisen. In den Städten und in vielen ländlichen Gegenden sind Usbeken zweisprachig. Sie beherrschen neben dem Usbekischen auch Dari auf nahezu muttersprachlichem Niveau. Heiratsbeziehungen zwischen Usbeken und Tadschiken sind keine Seltenheit (Staatendokumentation des BFA 7.2016).
Der wohl berühmteste Führer der Usbeken ist Abdul Rashid Dostam (CRS 12.1.2015); ein ehemaliger Warlord, der gleichzeitig der Anführer der usbekischen Minderheit in Afghanistan ist. Mittlerweile ist er erster Vizepräsident Afghanistans (WSJ 23.1.2017).
Die usbekische Minderheit ist im nationalen Durchschnitt mit etwa 8% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 31.10.2016).
Grundversorgung und Wirtschaft
Im Jahr 2015 belegte Afghanistan im 'Human Development Index' (HDI) den 171. von 188 Plätzen (UNDP 2016; vgl. auch: AA 11.2016). Afghanistan bleibt trotz eines gewaltigen Fortschritts innerhalb einer Dekade, eines der ärmsten Länder. Die Sicherheit und politische Ungewissheit, sowie die Reduzierung internationaler Truppen, gemeinsam mit einer schwachen Regierung und Institutionen, haben Wachstum und Beschäftigung gehemmt und seit kurzem zu einer erhöhten Migration geführt (IWF 13.4.2016).
Trotz eines guten Wirtschaftswachstums von 2007 bis 2011, stagnierte die Armutsrate bei 36%. Am häufigsten tritt Armut in ländlichen Gebieten auf, wo die Existenzgrundlage von der Landwirtschaft abhängig ist (WB 2.5.2016). Die Regierung hat die landwirtschaftliche Entwicklung zur Priorität erhoben. Dadurch sollen auch gering qualifizierte Afghaninnen und Afghanen bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz bekommen. Insbesondere sollen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Afghanistans wieder eine stärkere Rolle auf den Weltmärkten spielen. Gerade im ländlichen Raum bleiben die Herausforderungen für eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung angesichts mangelnder Infrastruktur, fehlender Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft und geringem Ausbildungsstand der Bevölkerung (Analphabetenquote auf dem Land von rund 90%) aber groß. Sicher ist, dass die jährlich rund 400.000 neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Menschen nicht vollständig vom landwirtschaftlichen Sektor absorbiert werden können (AA 11.2016).
Das BIP-Wachstum im Jahr 2015 wurde auf 1,5% geschätzt, als Faktoren zählten die sich verschlechternde Sicherheitslage, welche Privatinvestitionen schwächte; verspätete Vollstreckung des Haushaltsplanes und unvorteilhafte Wetterbedingungen, die zu einem niedrigeren landwirtschaftlichen Ertrag führten (IMF 13.4.2016). Die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans wird trotz positiver Wachstumsraten in der letzten Dekade weiterhin nicht durch ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum, sondern durch die Zuschüsse der internationalen Gebergemeinschaft stimuliert. Den größten Anteil am BIP (2015: 19,2 Mrd. USD, lt. Weltbank) hat der Dienstleistungssektor mit 55%, gefolgt von der Landwirtschaft mit 22,6%. Industrieproduktion ist kaum vorhanden. Trotz einer großen Bedeutung des Außenhandels – Afghanistan ist in hohem Maße von Importen abhängig – sind afghanische Produkte bisher auf internationalen sowie regionalen Märkten kaum wettbewerbsfähig (AA 11.2016). Das Wirtschaftswachstum ist in den Jahren 2014 und 2015 stark auf 1.5 - 2% gesunken; internationale Entwicklungshilfe führte zu Wachstum und Jobs in Konfliktregionen, dennoch steuerte es nicht zu einer gesteigerten Produktivität bei. Ungleichheit stieg parallel zur ungleichen Wachstumsverteilung – Regionen im Nordosten, Osten, sowie im Westen des Zentralgebietes scheinen aufgrund ihrer geografischen Abgelegenheit, starken Klimaveränderungen, niedriger Hilfe und Unsicherheit, nachzuhinken. Arbeitslosigkeit, Naturgefahren, fehlender Zugang zu Dienstleistungen, sowie Gewalt, sind Hauptfaktoren für die hohe Armutsrate in Afghanistan. Entwicklungsschwierigkeiten verstärkten die wachsende Unsicherheit, Verunsicherung und schrumpfende Hilfe (WB 2.5.2016).
Wichtige Erfolge wurden im Bereich des Ausbaus der Infrastruktur erzielt. Durch den Bau von Straßen und Flughäfen konnte die infrastrukturelle Anbindung des Landes verbessert werden. Große wirtschaftliche Erwartungen werden an die zunehmende Erschließung der afghanischen Rohstoffressourcen geknüpft. In Afghanistan lagern die weltweit größten Kupfervorkommen sowie Erdöl, Erdgas, Kohle, Lithium, Gold, Edelsteine und seltene Erden. Mit dem 2014 verabschiedeten Rohstoffgesetz wurden die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen in diesem Bereich verbessert. Entscheidend für Wachstum, Arbeitsplätze und Einnahmen aus dem Rohstoffabbau ist die Umsetzung des Gesetzes. Darüber hinaus müssen Mechanismen zum Einnahmenmanagement etabliert werden. Der Abbau der Rohstoffe erfordert große und langfristige Investitionen in die Exploration und Infrastruktur durch internationale Unternehmen. Bisher sind diese noch kaum im Abbau von Rohstoffen im Land aktiv. Derzeit niedrige Weltmarktpreise lassen die Investitionsbereitschaft zusätzlich sinken (AA 11.2016).
Afghanistan bleibt weiterhin der weltweit größte Produzent für Opium, Heroin und Cannabis. Trotz einer breit angelegten Strategie verhindern die angespannte Sicherheitslage in den Hauptanbaugebieten im Süden des Landes sowie die weit verbreitete Korruption eine