TE Vwgh Erkenntnis 2018/1/30 Ro 2017/08/0036

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Veröffentlicht am 30.01.2018
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §344;
AVG §7 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Dr. K & Dr. S OG in Wien, vertreten durch die CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gauermanngasse 2, gegen den als Erkenntnis bezeichneten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 2017, Zl. W228 2106782-1/8E, betreffend Behebung und Zurückverweisung in einer Angelegenheit nach § 344 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Paritätische Schiedskommission für Wien; mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse in 1100 Wien, Wienerbergstraße 15-19), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der ihr erteilten "Verwarnung" und auf Aufhebung der Verwarnung zurückgewiesen wird.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 20. März 2015 erkannte die gemäß § 344 ASVG angerufene Paritätische Schiedskommission für Wien (die belangte Behörde), dass die von der Wiener Gebietskrankenkasse (im Folgenden: GKK) gegenüber der revisionswerbenden Partei - die mit der GKK in einem Einzelvertragsverhältnis stand - ausgesprochene Verwarnung vom 12. Mai 2014 "als rechtsunwirksam aufgehoben" werde.

2 Dagegen erhob die GKK Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, in der sie insbesondere geltend machte, dass ein Mitglied der belangten Behörde - der Beisitzer Dr. G. - befangen gewesen sei.

3 Mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung (die als Erkenntnis bezeichnet ist, aber ihrem Inhalt nach einen Beschluss darstellt) gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde statt, indem es den Bescheid vom 20. März 2015 gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG behob.

4 In der Begründung bejahte das Bundesverwaltungsgericht zunächst die Befangenheit des Dr. G. Dabei stützte es sich darauf, dass im Protokoll des "amikalen Gesprächs" zwischen den Einzelvertragsparteien eine Aussage Dris. G. festgehalten sei, wonach er "als Standesvertreter" den Aussagen seines Kollegen mehr glaube und eine Verwarnung jedenfalls nicht akzeptiert werde. In diesem Gespräch, an dem Dr. G. als zuständiger Fachgruppenobmann der Ärztekammer teilgenommen habe, sei es um dieselben Angelegenheiten gegangen, die nunmehr den Verfahrensgegenstand bildeten. Schon der Satz, dass er als Standesvertreter den Ausführungen seines Kollegen mehr glaube, führe dazu, dass eine "mentale Reservierung" anzunehmen sei, solange er Standesvertreter sei. Auch der Satz, wonach eine Verwarnung jedenfalls nicht akzeptiert werde, stelle eine Mentalreservation dar.

5 Die Teilnahme des Beisitzers Dr. G. an der Verhandlung und Entscheidung sei daher rechtswidrig gewesen. Der Bescheid der belangten Behörde sei wegen Befangenheit eines Beisitzers zu beheben und die Angelegenheit zwecks Neudurchführung des Verfahrens zurückzuverweisen gewesen.

6 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei. Es sei nämlich keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage aufgefunden worden, ob die Mitwirkung eines befangenen Organs an der behördlichen Entscheidung auch dann durch eine Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts saniert werden könne, wenn es sich um eine Kollegialbehörde gehandelt habe. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die GKK erwogen hat:

7 Die Revision wendet sich dagegen, dass das Bundesverwaltungsgericht unter Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mit einer Behebung und Zurückverweisung vorgegangen ist, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht vorgelegen seien. Damit ist sie im Recht, weshalb sie sich als zulässig und berechtigt erweist.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem auch vom Bundesverwaltungsgericht zitierten Erkenntnis VwGH 21.12.2016, Ra 2016/12/0056, bereits ausgesprochen, dass die ständige Rechtsprechung zur Rechtslage vor Einrichtung der Verwaltungsgerichte erster Instanz, wonach die Mitwirkung eines befangenen Organes bei der Entscheidung einer erstinstanzlichen Verwaltungsbehörde durch eine unbefangene Berufungsentscheidung gegenstandslos wird, auf die neue Rechtslage mit der Maßgabe zu übertragen ist, dass die Entscheidung des unbefangenen Verwaltungsgerichts "in der Sache" jene der Verwaltungsbehörde gegenstandslos macht. Dabei machte der Verwaltungsgerichtshof zwar die Einschränkung, dass dies "jedenfalls in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden, in welcher das Verwaltungsgericht einen im gebundenen Bereich ergangenen Bescheid einer monokratischen Verwaltungsbehörde zu überprüfen hat" gelte. Es ist aber kein Grund ersichtlich, warum in der hier vorliegenden Konstellation, in der die Befangenheit eines Mitglieds einer Kollegialbehörde behauptet wird, dieser Mangel nicht durch eine Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts sanierbar sein sollte.

9 Die behauptete Befangenheit des Dr. G. (ob sie tatsächlich vorlag, kann hier dahingestellt bleiben) war daher jedenfalls kein ausreichender Grund für eine Behebung des Bescheides der belangten Behörde.

10 Die angefochtene Entscheidung erweist sich aber auch aus einem anderen Grund als rechtswidrig. Die Rechtmäßigkeit einer Verwarnung bzw. das Vorliegen eines Grundes (zB einer vom Verwarnten verschuldeten Pflichtverletzung), der eine Verwarnung gerechtfertigt erscheinen lässt, ist nämlich kein in den Zuständigkeitsbereich der Paritätischen Schiedskommission fallender Streitgegenstand (vgl. VwGH 12.10.2017, Ro 2017/08/0008). Auch eine "Aufhebung" der Verwarnung - die für sich genommen keine Rechtswirkungen entfaltet - kommt nicht in Betracht. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Verwarnung bzw. auf deren Aufhebung wäre daher als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

11 Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Dies trifft im vorliegenden Fall zu.

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher dahingehend abzuändern, dass der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der ihr erteilten "Verwarnung" und auf Aufhebung der Verwarnung zurückgewiesen wird.

13 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.

Wien, am 30. Jänner 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RO2017080036.J00

Im RIS seit

21.02.2018

Zuletzt aktualisiert am

04.04.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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