Entscheidungsdatum
30.08.2017Index
L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung WienNorm
WMG §5 Abs1Text
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Dr. Frey in Angelegenheit der Beschwerde des Herrn B. S. vom 05.07.2017 gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Soziales, Sozial- u. Gesundheitsrecht, Region …, Sozialzentrum …, vom 16.06.2017, Zl. SH/2017/01716757-001, betreffend Mindestsicherung, Abweisung gemäß § 5 Abs. 1 und Abs. 2 WMG, den
BESCHLUSS
gefasst:
I. Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Durchführung ergänzender Sachverhaltsermittlungen und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen.
II. Gegen diesen Beschluss ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
Entscheidungsgründe
Der Spruch des angefochtenen Bescheides hat folgenden Wortlaut:
„Ihr Antrag vom 13.06.2017 auf Zuerkennung einer Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs (Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs und Mietbeihilfe) wird abgewiesen.
Rechtsgrundlagen:
§ 5 Abs. 1 und Abs. 2 des Wiener Mindestsicherungsgesetzes (WMG) in der geltenden Fassung.“
Begründend führt die Verwaltungsbehörde – nach Wiedergabe einschlägiger Bestimmungen – aus:
„Das Ermittlungsverfahren hat Folgendes ergeben:
Sie sind deutscher Staatsbürger und mit Hauptwohnsitz seit 25.02.2014 in Wien gemeldet.
Sie haben seit Ihrer Anmeldung im Bundesgebiet keine Einkünfte aus einer Beschäftigung erzielt und somit auch keine Erwerbstätigeneigenschaft.
Vom 31.08.2015 – 20.01.2017 haben Sie Beihilfe Deckung Lebensunterhalt des AMS bezogen, zuletzt in Höhe von tgl. EUR 25,36 zzgl. Kursnebenkosten in Höhe von tgl. EUR 1,97.
Sie sind EWR-BürgerIn und verfügen seit 25.02.2014 über eine aufrechte Meldung im Bundesgebiet. Eine Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts wurde vorgelegt.
Sie sind weder erwerbstätig noch wurden Nachweise darüber erbracht, dass die Erwerbstätigeneigenschaft nach § 51 Abs. 2 NAG erhalten bleibt oder dass Sie das Recht auf Daueraufenthalt erworben haben. Sie sind auch nicht Familienangehörige/r einer gemäß § 5 Abs. 2 Zi 2 WMG den österreichischen StaatsbürgerInnen gleichgestellten Person.
Somit sind die Voraussetzungen für eine Gleichstellung gemäß § 5 Abs. 2 WMG nicht erfüllt.“
In der Beschwerde bringt der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor:
„1) ich habe in Wien gearbeitet: Assistenz für einen fast 100-jährigen österr. Ex-Polizisten inkl. Sterbebegleitung: soziale Arbeit also – und dies gerichtlich bekannt. Bin ordnungsgemäss beim AMS gemeldet und habe daher Erwerbstätigeneigenschaft.
2.) Ich bin seit 2009 Familienangehöriger einer gemäss § 5 Abs. 2 Zi. 2 WMG der österr. Staatsbürger/innen gleichgestellten Person.
3. Ich erfülle seit 2009 meine Unterhaltspflicht – auch in finanz. Notlagen.
4. Soziale Härte ist durch zusätzliche Räumungsklage/ Delogierung gegeben.“
Unbestritten steht aufgrund der Aktenlage folgender Sachverhalt fest:
Der Beschwerdeführer ist deutscher Staatsangehöriger. Er verfügt seit 25.02.2014 über eine aufrechte Meldung (Hauptwohnsitz) in Österreich (Wien).
Rechtlich ergibt sich Folgendes:
Gemäß Artikel 2 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege (BGBl. Nr. 258/1969) wird Staatsangehörigen der einen Vertragspartei, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufhalten, Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege in gleicher Weise, in gleichem Umfang und unter den gleichen Bedingungen wie den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates gewährt.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Ziel des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege die rechtliche Gleichbehandlung von österreichischen und deutschen Staatsangehörigen im Hinblick auf die Gewährung von Leistungen der „Fürsorge“ (VwGH 22.02.2017, Ro 2015/10/0051).
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, ist das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege unmittelbar anwendbar (vgl. VwGH 25.11.1987, 86/01/0004; 09.03.2014, 2013/21/0085; 22.02.2017, Ro 2015/10/0051).
Laut Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nennt Artikel 2 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege jene Staatsangehörigen der einen Vertragspartei als die aus diesem Abkommen Berechtigten, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei „aufhalten“, wobei unter „aufhalten“ nicht ein bloß „tatsächlicher“, sondern vielmehr „rechtmäßiger“ Aufenthalt zu verstehen ist. … Daher können nur solche deutsche Staatsangehörige, die sich rechtmäßig in Österreich aufhalten, als von Artikel 2 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege erfasst angesehen werden. Nur sie haben Anspruch auf Mindestsicherung wie Österreicher, wobei ihnen ein solcher Anspruch aber auch dann zukommt, wenn ihr Aufenthalt kein „dauernder“ … ist (VwGH 22.02.2017, Ro 2015/10/0051).
Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdeführer deutscher Staatsangehöriger und seit 2014 in Österreich aufhältig.
Der Sachverhalt ist ergänzend zu ermitteln, sodass beurteilt werden kann, ob der Aufenthalt des Beschwerdeführers rechtmäßig ist.
Im Falle einer Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes sind – ausgehend von einer rechtlichen Gleichbehandlung von österreichischen und deutschen Staatsangehörigen – Ermittlungen des Sachverhaltes vorzunehmen, um über einen Anspruch auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung zu entscheiden.
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere auch dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde – wie im vorliegenden Fall – bloß ansatzweise ermittelt hat (vgl. VwGH 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063).
Es ist – im Hinblick auf § 28 Abs. 2 VwGVG – nicht ersichtlich, dass es im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre, wenn das Verwaltungsgericht selbst die fehlenden Sachverhaltsfeststellungen träfe, zumal der Verwaltungsbehörde ein rascherer Zugriff auf diverse Datenbanken offen steht.
Es war daher der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Durchführung ergänzender Sachverhaltsermittlungen und Erlassung eines neuen Bescheides an die Verwaltungsbehörde zurückzuverweisen.
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (wie die zitierte Judikatur zeigt). Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche (über den Einzelfall hinausgehende) Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage (der Anwendbarkeit eines Abkommens bzw. der Zulässigkeit der Zurückverweisung) vor.
Schlagworte
Mindestsicherung; ausländischer Staatsbürger; Gleichstellung; rechtmäßiger Aufenthalt; Sozialhilfebezug; Fürsorgeabkommen; unmittelbare Anwendbarkeit; ZurückverweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.141.025.10383.2017Zuletzt aktualisiert am
19.02.2018