TE Bvwg Erkenntnis 2018/2/12 W258 2181563-1

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Veröffentlicht am 12.02.2018
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Entscheidungsdatum

12.02.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W258 2181563-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, 1170 Wien, Wattgasse 48/3. Stock, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2017, Zl. 17-1174859403-171318529, zu Recht:

A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

wie folgt abgeändert:

I. XXXX, geb. XXXX, wird gemäß § 3 Abs 1 iVm § 34 Abs 2 Asylgesetz 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, das ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht

zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die vier Monate alte Beschwerdeführerin (in Folge kurz "BF") stellte vertreten durch ihre in Österreich asylberechtigte Mutter, XXXX, und ihren in Österreich subsidiär schutzberechtigten Vater, XXXX, am 24.11.2017 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die belangte Behörde wies den Antrag auf Zuerkennung des Status der Aslyberechtigten mit Bescheid vom 30.11.2017, der BF zugestellt am 06.12.2017, ab, gewährte der BF subsidiären Schutz und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.11.2018. Begründend führte die Behörde sinngemäß aus, die BF sei selbst nicht asylrelevant gefährdet. Da weder ihrer Mutter noch ihrem Vater der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden sei, könne auch im Familienverfahren kein abgeleitetes Asyl gewährt werden. Da dem Vater der BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt geworden sei, sei der BF im Familienverfahren derselbe Status zuzuerkennen gewesen.

Gegen den abweisenden Spruchteil richtet sich die gegenständliche Beschwerde der BF vom 27.12.2017, wobei sie im Wesentlichen unrichtige rechtliche Beurteilung, Verfahrensfehler auf Grund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens und unrichtige Beweiswürdigung geltend macht. Da der Mutter der BF rechtskräftig der Status einer Asylberechtigten zuerkannt worden sei, müsse gemäß § 34 AsylG dieser Status auch der Tochter zuerkannt werden. Auch habe sich die belangte Behörde nicht mit der Situation der BF als Frau in Afghanistan auseinandergesetzt. Sie sei als Mädchen und als Frau in Afghanistan gefährdet, insbesondere weil sie in Österreich aufwachsen und eine westlich orientierte Einstellung annehmen werde.

Beweise wurden aufgenommen durch Einsicht in den Verwaltungsakt der BF (OZ 1), insbesondere in das im Bescheid aufgenommene Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 25.09.2017 (in Folge kurz "LIB"), sowie in den hg Akt des Asylverfahrens der Mutter der BF, AZ W245 2122109-1, und den Akt des des Asylverfahrens des Vaters der BF, Asylgerichtshof, AZ C15 411.876-1/2010, in einen Speicherauszug des Betreuungsinformationssystems über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich ("GVS-Auszug") hinsichtlich der Eltern der BF vom 09.02.2017 und in Auszüge des Zentralen Melderegisters vom 09.02.2018 hinsichtlich der BF und ihrer Eltern.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Der folgende Sachverhalt steht fest:

Zur Situation der BF:

Die weibliche BF wurde am 10.10.2017 in Österreich geboren und ist Staatsbürgerin der Islamischen Republik Afghanistan. Sie ist ledig, wohnt gemeinsam mit ihren Eltern in Österreich und ist nicht vorbestraft.

Am 24.11.2017 stellte die BF vertreten durch ihre Eltern einen Antrag auf internationalen Schutz an die belangte Behörde.

Die BF ist in Afghanistan aktuell auf Grund individueller Umstände nicht bedroht oder gefährdet.

Zu den relevanten Aspekten des Familienverfahrens:

Dem Vater des BF, XXXX, wurde durch Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 27.09.2013, GZ C15 411.876-1/2010/23E, rechtskräftig der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

Der Mutter der BF, Frau XXXX, wurde durch die hg GZ W245 2122109-1/24E am 08.08.2017 rechtskräftig der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Ein Verfahren zur Aberkennung dieses Status ist nicht anhängig.

Zur Situation im Herkunftsstaat der BF:

Es kommt grundsätzlich zu keinen Übergriffen und Benachteiligungen von weiblichen Babys in Afghanistan.

2. Die Feststellungen gründen sich auf die folgende Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Situation des BF ergeben sich aus dem unbedenklichen Verwaltungsakt. Die Feststellung der nicht vorhandenen Vorstrafen ergibt sich aus dem Alter der BF von knapp vier Monaten. Die nicht festgestellte aktuelle individuelle Bedrohung der BF ergibt sich daraus, dass eine solche nicht vorgebracht worden und aus dem Verwaltungsakt nicht ersichtlich ist. Zwar brachte die BF vor, es sei auf Grund ihres Aufenthalts und des Aufenthalts ihrer Familie in Österreich zu erwarten, dass sie westlich sozialisiert werden würde. Damit zeigt die BF allerding keine aktuelle individuelle sondern lediglich eine etwaige - nicht verfahrensrelevante - zukünftige Bedrohung auf.

Die Feststellungen zum Zusammenleben der Eltern mit der BF in Österreich ergeben sich aus den Abfragen des Zentralen Melderegisters.

Die Feststellungen zum Verfahren der Mutter der BF ergeben sich aus dem hg Akt zur AZ W245 2122109-1 und aus dem GVS-Auszug vom 09.02.2017. Die Feststellungen zum Verfahren des Vaters der BF ergeben sich aus dem Akt des Asylgerichtshofs zur AZ C15 411.876-1/2010 und aus dem GVS-Auszug vom 09.02.2017.

Die Feststellungen zu Übergriffen bzw Benachteiligung von Babys ergibt sich aus dem LIB und aus den von der BF in der Beschwerde zitierten Länderberichten, die sich auf mehrere, im Wesentlichen übereinstimmende Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen gründen. Darin werden zwar Benachteiligungen und Gefährdungen von Frauen aufgezeigt, diese haben aber für ein vier Monate altes weibliches Baby keinerlei Relevanz. Auch die enthaltenen Berichte über Benachteiligungen von Kindern beispielsweise in Form von Bildungsverweigerung oder Kinderarbeit sind für die BF als vier Monate altes Baby (noch) ohne Relevanz. Eine besondere Gefährdung weiblicher Babys geht aus den Länderberichten nicht hervor.

3. Rechtlich folgt daraus:

Zu A)

Zu Spruchpunkt I.:

3.1 Asyl nach § 3 Asylgesetz 2005:

3.1.1 Allgemeines:

Gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinn Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, BGBl 1955/55, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 1974/78, (in Folge kurz als "GFK" bezeichnet) ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (vgl VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva).

Auch einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehender und auf einem Konventionsgrund beruhender Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann aber nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der GFK genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069).

Relevant kann dabei nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; zum Entscheidungszeitpunkt muss mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu rechnen sein (vgl ua VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212).

3.1.2 Zu den individuellen Fluchtgründen:

Aus den Feststellungen kann keine auf Grund der Konventionsgründe erfolgte aktuelle individuelle Verfolgung der BF abgeleitet werden.

3.1.3 Zur Gefährdung als weibliches Baby bzw als zukünftige Frau

Aus den Feststellungen lassen sich keine Benachteiligungen der BF in Afghanistan als weibliches Baby ableiten. Etwaige Bedrohungen der BF als Mädchen oder - allenfalls westlich orientierte - Frau treffen die BF als Baby derzeit nicht und sind mangels aktueller Verfolgungsgefahr zum Entscheidungszeitpunkt nicht asylrelevant.

3.2 Abgeleitetes Asyl im Familienverfahren (§ 34 Abs 2 Asylgesetz 2005):

Gemäß § 34 Abs 2 Asylgesetz 2005 hat die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist, die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist.

Gemäß § 2 Abs 1 Z 22 Asylgesetz 2005 ist ua Familienangehöriger, wer zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist.

Die BF ist als minderjähriges lediges Kind von Frau XXXX, der - entgegen der Begründung des angefochtenen Bescheids der belangten Behörde - zur hg GZ W245 2122109-1/24E am 08.08.2017 rechtskräftig der Status einer Asylberechtigten zuerkannt worden ist, Familienangehöriger im Sinne des § 2 Abs 1 Z 22 Asylgesetz 2005. Ein Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus der Mutter ist nicht anhängig. Da die BF nicht straffällig geworden ist und ihr als vier Monate altes Baby eine Fortsetzung des mit ihren Eltern in Österreich bestehenden Familienlebens in einem anderen Staat nicht möglich ist, war spruchgemäß zu entscheiden.

3.3 "Asyl auf Zeit":

Festzuhalten ist, dass die BF den Asylantrag am 22.12.2017, dh nach dem 15.11.2015, gestellt hat, und somit § 3 Abs 4 Asylgesetz 2005 ("Asyl auf Zeit") anzuwenden ist.

Zu Spruchpunkt II.:

Gemäß § 3 Abs 5 Asylgesetz 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Da der BF der Status einer Asylberechtigten zuerkannt worden ist, war spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der (jeweils zitierten) bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen, Familienverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W258.2181563.1.00

Zuletzt aktualisiert am

19.02.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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