TE Vfgh Erkenntnis 1997/12/10 G130/96

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Veröffentlicht am 10.12.1997
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Index

66 Sozialversicherung
66/03 Sonstiges

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs3 erster Satz
BetriebshilfeG §1
BetriebshilfeG §4a

Leitsatz

Keine sachliche Rechtfertigung für den Ausschluß männlicher Personen vom Bezug der Teilzeitbeihilfe in der Höhe des halben Karenzurlaubsgeldes für den Zeitraum der Unterbrechung der selbständigen Berufstätigkeit zur Betreuung eines Kindes

Spruch

I. Als verfassungswidrig werden aufgehoben:

1. das Wort "weibliche" im Eingangssatz des §1 Abs1 Betriebshilfegesetz, BGBl. Nr. 359/1982,

2. das Wort "weiblichen" in §1 Abs3 Betriebshilfegesetz, BGBl. Nr. 359/1982 idF BGBl. Nr. 646/1989, und

3. die Worte "die Mutter" in §4a Abs1 Betriebshilfegesetz, BGBl. Nr. 359/1982 idF BGBl. Nr. 408/1990.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. September 1998 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

II. Die Worte "Mütter" im ersten Satz des §4a Abs4 Betriebshilfegesetz, BGBl. Nr. 359/1982 idF BGBl. Nr. 22/1994, waren verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

III. Soweit der Antrag §1 Abs1 Z2, Abs2 und Abs4 sowie §4a Abs5 Betriebshilfegesetz betrifft, wird er zurückgewiesen.

Im übrigen wird der Antrag abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Beschluß vom 25.3.1996 stellt das Oberlandesgericht Wien gemäß Art89 Abs2 B-VG und Art140 Abs1 B-VG den Antrag "auszusprechen, daß §1 und §4 a Abs1, 4 1. Satz und 5 BHG, BGBl 1982/359 idgF BGBl 1994/22, verfassungswidrig sind." Im Vorlageschreiben wird ausgeführt, der Senat 8 des Oberlandesgerichtes Wien als Gericht II. Instanz übermittle "seinen Beschluß vom 25.3.1996 in 5-facher Ausfertigung samt Akten des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien, Cgs 103/95-d, zur Entscheidung über den Antrag, §1 und §4 a Abs1, 4 1. Satz und 5 BHG, BGBl 1982/359 idgF. BGBl 1994/22 als verfassungswidrig aufzuheben."

2.1. Im Antrag wird ausgeführt, der ein Handelsgewerbe betreibende Kläger habe am 14.4.1995 bei der beklagten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft die Gewährung einer Teilzeitbeihilfe im Sinne des Betriebshilfegesetzes (im folgenden: BHG) begehrt. Gegen den diesen Antrag ablehnenden Bescheid habe er Klage beim Arbeits- und Sozialgericht Wien eingebracht; diese sei damit begründet, daß dem Kläger und seiner Frau mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf vom 13.1.1994 die Bewilligung erteilt worden sei, eine Minderjährige in unentgeltliche Pflege zu übernehmen. Die Übernahme in Pflege sei in der Absicht erfolgt, die Minderjährige als Wahlkind anzunehmen; das Adoptionsverfahren sei bereits anhängig. Die Minderjährige lebe mit ihm in Hausgemeinschaft und werde von ihm in jener Zeit, in der seine Frau ihrem Beruf nachgehe, selbst gepflegt. Aus diesem Grund müsse er auch eine Teilzeitkraft einstellen.

Mit Urteil vom 18.10.1995 habe das Erstgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, daß Ansprüche nach dem BHG nur weiblichen Personen zustünden. Gegen dieses Urteil richte sich die Berufung des Klägers aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern.

Das antragstellende Gericht habe als Berufungsgericht den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt an den §§1 und 4a Abs1 und 4 erster Satz sowie 5 BHG zu messen. Die maßgebliche Vorfrage liege dabei darin, ob die genannten Bestimmungen den Anspruch auf die Gewährung einer Teilzeitbeihilfe in verfassungskonformer Weise auf weibliche Personen beschränken; bejahendenfalls könnte die Berufung nicht erfolgreich sein. Das Gericht habe jedoch hinsichtlich der Anwendung der genannten Gesetzesbestimmungen verfassungsrechtliche Bedenken.

2.2. Das antragstellende Gericht führt zunächst zur Entwicklung des BHG aus, daß dieses Gesetz den Kreis der Anspruchsberechtigten im wesentlichen auf Frauen beschränkt habe, die in der gewerblichen Wirtschaft selbständig erwerbstätig und nach dem GSVG pflichtversichert waren, sowie auf landwirtschaftliche Betriebsführerinnen und in der Landwirtschaft hauptberuflich beschäftigte weibliche Angehörige ab einem bestimmten Einheitswert des Betriebes, wenn diese Personen entweder selbst nach dem BSVG krankenversichert waren oder ihr Ehemann dies war oder die Anspruchsberechtigten aufgrund einer anderweitigen gesetzlichen Krankenversicherung des Ehegatten von der Bauernkrankenversicherung ausgenommen waren. Die Leistung habe in erster Linie in der Sachleistung einer Betriebshilfe bestanden, d.h. der Bereitstellung einer entsprechend geschulten und geeigneten Person zur Verrichtung unaufschiebbarer Arbeitsleistungen anstelle der Wöchnerin, subsidiär in der Gewährung eines Wochengeldes. Die Leistung habe grundsätzlich in den letzten acht Wochen vor und in den ersten acht Wochen nach der Geburt gebührt.

Die ursprüngliche Konzeption dieses Gesetzes lasse deutlich erkennen, daß es im Falle der Mutterschaft die Freistellung von betrieblichen Arbeiten erleichtern sollte und damit sowohl auf das Kindeswohl zielte als auch den Schutz der Gesundheit der Mutter in der schwierigsten Zeit der Mutterschaft zum Ziel hatte. Letzteres werde auch durch die enge Befristung indiziert, und zwar insbesondere in jenen Fällen, in denen es aufgrund von Komplikationen zur Verlängerung der Leistungsdauer gekommen sei. Auch die systematische Zuordnung des (vergleichbaren) Versicherungsfalles der Mutterschaft im ASVG zur Krankenversicherung deute in diese Richtung. Insoweit sei die Bindung der Anspruchsberechtigung an das weibliche Geschlecht durchaus begründet.

Seit seiner Entstehung sei das BHG mehrfach novelliert worden. Die einzelnen Novellen hätten zunächst lediglich Modifikationen des ursprünglichen Konzeptes unter dessen Beibehaltung gebracht. Das Karenzurlaubserweiterungsgesetz, BGBl. Nr. 408/1990, habe jedoch die neue Leistung der Teilzeitbeihilfe eingeführt und dadurch das ursprüngliche Konzept des BHG gesprengt und wesentlich erweitert.

Mit der Einführung der Teilzeitbeihilfe sei das rechtspolitische Ziel des BHG dahin verändert worden, auch die Betreuung von Säuglingen selbständig erwerbstätiger Frauen und Landwirtinnen zu fördern, indem den Betreuenden der Rückzug vom Arbeitsleben innerhalb einer bestimmten Periode durch eine Geldleistung erleichtert werde.

Im Anschluß an diese Ausführungen legt das Oberlandesgericht Wien seine Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen wie folgt dar:

"Das Oberlandesgericht Wien hegt gegen diese Regelung der Teilzeitbeihilfe insofern verfassungsrechtliche Bedenken (Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz), als sie männliche Personen generell vom Bezug der Teilzeitbeihilfe abschneidet, und zwar nicht nur in den Fällen der Adoption oder Pflegekindschaft, sondern auch bei biologischer Vaterschaft. Daneben hat diese Regelung indirekt auch zur Folge, daß bei einem Paar, bei dem alle übrigen Anspruchsvoraussetzungen nach den §§1 und 4 a BHG gegeben sind, die Frau sich auch dann um die Aufzucht des Säuglings kümmern muß, - will sie nicht um den Genuß der Teilzeitbeihilfe kommen -, wenn diese Rollenverteilung der gemeinsamen Lebensplanung und den gemeinsamen Verhältnissen der Partner widerspricht.

Ob Sachverhalte tatbestandsmäßig gleich sind, ist von Sinn und Zweck der Norm her zu beurteilen (Ermacora, Grundriß der Menschenrechte in Österreich, Rz 274). Sinn und Zweck der Teilzeitbeihilfe ist die Förderung der Betreuung von Säuglingen und Entlastung der Eltern in den ersten zwei Jahren nach der Geburt.

Die vom Gesetzgeber vorgenommene geschlechtsspezifische Differenzierung in Form der Einschränkung der Teilzeitbeihilfe auf weibliche Personen ist durch keine entscheidenden Unterschiede im Tatsächlichen/Tatbestandsmäßigen gerechtfertigt. Männlichen Personen kann nicht die Eignung abgesprochen werden, Kleinkinder zu betreuen, und in der gesellschaftlichen Realität dokumentiert sich, daß es eine - nicht vernachlässigenswerte - Anzahl an Männern gibt, die dies auch tatsächlich tun.

Ein Blick auf die in einem Sachzusammenhang stehenden bzw. wesensmäßig verwandten Normen der geltenden Rechtsordnung (vgl. VfSlg. 5854/1968) zeigt, daß der Gesetzgeber in diesen Materien der tatbestandsmäßigen Gleichheit von Mann und Frau bei der Betreuung von (Klein-)kindern Rechnung getragen hat und Differenzierungen in der Art der §§1 und 4 a BHG beseitigt hat.

So normiert etwa §137 Abs3 ABGB die Gleichstellung von Vater und Mutter in den Rechten und Pflichten betreffend die Kinder, und es präzisiert das ABGB diesen Grundsatz in den folgenden Bestimmungen. §167 ABGB ermöglicht, eine ähnliche Situation hinsichtlich unehelicher Kinder zu schaffen. §144 Satz 2 ABGB normiert, daß beim Fehlen eines Einvernehmens über die Pflege des Kindes vor allem derjenige Elternteil berechtigt und verpflichtet ist, der den Haushalt führt, in dem das Kind betreut wird. Während der Gesetzgeber bei der zuletzt angesprochenen Norm im Tatsachenbereich an der richtigen Stelle anknüpft, macht er bei §4 a BHG den Fehler, zu schematisch am Geschlecht anzuknüpfen, anstatt an dem wirklich entscheidenden Moment, nämlich daran, welcher Partner eines Paares das Kleinkind tatsächlich betreut.

Auch in den - vom Gesetzeszweck her - wesensmäßig eng verwandten Bestimmungen über das Karenzurlaubsentgelt trug der Gesetzgeber der grundsätzlichen tatsächlichen Gleichheit von Mann und Frau in der Frage der Kinderbetreuung Rechnung und knüpft auch hier richtigerweise daran an, welcher Elternteil das Kind tatsächlich betreut (§§26 a, 31 a ASVG).

Das generelle Abschneiden von Männern, die ihre neugeborenen Kinder (Adoptiv- oder Pflegekinder) im gemeinsamen Haushalt überwiegend betreuen, vom Bezug der Teilzeitbeihilfe kann auch nicht durch das Bestreben, einfache und leicht handhabbare Regelungen zu schaffen, gerechtfertigt werden, da die Handhabbarkeit des Gesetzes durch eine Gleichbehandlung von Männern und Frauen sogar vereinfacht werden würde. Dieses generelle Abschneiden der Männer vom Bezug der Teilzeitbeihilfe stellt auch unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Realität keinen bloßen Härtefall dar. Darüber hinaus macht §4 a BHG die Verwirklichung des Gesetzeszwecks von bloßen Zufälligkeiten abhängig, nämlich davon, welcher von zwei Partnern sich aufgrund der übrigen Lebenssituation und gemeinsamen Lebensplanung zur überwiegenden Betreuung des Säuglinges entschließt. Entschließt sich vor diesem Hintergrund der Mann zur überwiegenden Betreuung des Kleinkindes, kann die Förderung durch Gewährung der Teilzeitbeihilfe nicht zum Zug kommen.

Das Oberlandesgericht Wien stützt daher den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag auf einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art2 StGG und Art7 Abs1 B-VG).

Daneben sei bemerkt, daß §4 a BHG auch insoweit mangelhaft ist, als in Abs2 keinerlei Aussage über das höchstzulässige Alter des Wahl- oder Pflegekindes getroffen wird."

3. Die bekämpften Vorschriften des Betriebshilfegesetzes, BGBl. Nr. 359/1982 idF BGBl. Nr. 22/1994, lauten wie folgt (im nur teilweise angefochtenen §4a Abs4 der angefochtene Teil hervorgehoben):

"§1. (1) Anspruch auf Leistungen nach diesem Bundesgesetz haben weibliche Personen, die auf Grund einer Erwerbstätigkeit oder Beschäftigung in der Krankenversicherung

1.

nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 560/1978, oder

2.

nach dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 559/1978,

pflichtversichert sind.

(2) Anspruch auf Leistungen nach diesem Bundesgesetz haben überdies weibliche Personen, die gemäß §2 Abs1 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung unterliegen, die jedoch

1.

gemäß §2 b des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes von der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nicht erfaßt sind, oder

2.

gemäß §5 Abs2 Z6 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes von der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung ausgenommen sind, oder

3.

gemäß §5 Abs2 Z4 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes von der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung ausgenommen sind, oder

4.

gemäß §5 Abs2 Z2 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes als Ehegattin einer Person ausgenommen sind, der durch eine eigene Krankenfürsorgeeinrichtung eines öffentlich-rechtlichen Dienstgebers mindestens die Leistungen der Krankenversicherung öffentlich Bediensteter gesichert sind, oder

5.

gemäß §5 Abs2 Z3 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes von der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung ausgenommen sind, sofern sie in der Krankenversicherung nach anderer bundesgesetzlicher Vorschrift vom Leistungsanspruch auf Wochengeld ausgeschlossen sind.

(3) Anspruch auf Leistungen nach diesem Bundesgesetz steht auch weiblichen Personen zu, die der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz unterliegen, jedoch gemäß §4 Abs2 Z3 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes von dieser Pflichtversicherung ausgenommen sind, sofern sie in der Krankenversicherung nach anderer bundesgesetzlicher Vorschrift vom Leistungsanspruch auf Wochengeld ausgeschlossen sind.

(4) Ist die Führung eines land(forst)wirtschaftlichen Betriebes auf gemeinsame Rechnung und Gefahr durch Ehegatten nicht ortsüblich, so steht weiblichen Personen ein Anspruch auf die Leistungen nach diesem Bundesgesetz zu, sofern

1.

sie im land(forst)wirtschaftlichen Betrieb ihres Ehegatten hauptberuflich mitarbeiten,

2.

der Ehegatte in der im Abs1 Z2 genannten Krankenversicherung pflichtversichert ist und

3.

nicht schon auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften ein Leistungsanspruch auf Wochengeld, Karenzurlaubsgeld bzw. Teilzeitbeihilfe besteht."

"§4 a. (1) Den Anspruchsberechtigten nach diesem Bundesgesetz (§1) gebührt Teilzeitbeihilfe, solange die Mutter mit ihrem neugeborenen Kind in Hausgemeinschaft lebt und das Kind überwiegend selbst pflegt bzw. solange sich das Kind in einer Krankenanstalt in Pflege befindet.

(2) ...

(3) ...

(4) Die Teilzeitbeihilfe nach Abs1 beträgt für verheiratete Mütter und für nicht alleinstehende Mütter 90 S täglich, für alleinstehende Mütter 134 S täglich. An die Stelle dieser Beträge treten für das Jahr 1995 jene Beträge, die die Vervielfachung der im Jahre 1993 gegoltenen Beträge von 88 S und 132 S mit dem Anpassungsfaktor (§47 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes bzw. §45 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes) ergibt, gerundet auf volle Schilling. Diese Beträge sind kundzumachen. Für die folgenden Jahre sind die Beträge nach §51 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes bzw. §47 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes mit dem jeweiligen Anpassungsfaktor zu vervielfachen.

(5) Als nicht alleinstehend gilt eine Mutter, die ledig, geschieden oder verwitwet ist und mit dem Vater des unehelichen Kindes nach den Vorschriften des Meldegesetzes 1972, BGBl. Nr. 30/1973, an der gleichen Adresse angemeldet ist oder anzumelden wäre oder vom Vater des unehelichen Kindes für sich Unterhalt in einem Ausmaß erhält, das den Freibetrag nach §6 der Notstandshilfeverordnung zuzüglich des Unterschiedsbetrages zwischen 78 S und 116 S (Abs4) übersteigt."

4. Die Bundesregierung hat von einer Äußerung in der Sache abgesehen, für den Fall der Aufhebung aber - ohne allerdings besondere Gründe zu nennen - die Setzung einer Frist von 18 Monaten für das Außerkrafttreten beantragt.

§4a Betriebshilfegesetz erhielt mit ArtXXIV des Strukturanpassungsgesetzes BGBl. Nr. 297/1995 eine neue Fassung, doch ist für Ansprüche, deren Anfallstag nach dem 31. Dezember 1995 liegt, die Fassung BGBl. Nr. 22/1994 maßgeblich geblieben (Abs6).

Nach Beendigung des Vorverfahrens wurde mit Novelle BGBl. Nr. 413/1996 der Abs5 des §4a BHG ersatzlos beseitigt.

5. Der Antrag ist nur zum Teil zulässig.

5.1. Nach §62 Abs1 erster Satz VerfGG muß der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, begehren, daß entweder das Gesetz seinem ganzen Inhalt nach oder daß bestimmte Stellen des Gesetzes als verfassungswidrig aufgehoben werden. Im Zusammenhalt mit dem Vorlageschreiben erfüllt der Antrag des Oberlandesgerichtes Wien diese Voraussetzung.

5.2.1. Die Anfechtung eines Gesetzes ist aber nur insoweit zulässig, als es das Gericht in einer bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte (Art140 Abs1 B-VG). Der Verfassungsgerichtshof ist zwar nicht berechtigt, durch seine Entscheidung über die Präjudizialität der angefochtenen Vorschriften das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag nach Art140 B-VG bzw. nach Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987, 12189/1989).

5.2.2. Ein solcher Fall liegt aber hier in bezug auf einige der angefochtenen Bestimmungen vor. Dem Antrag ist zu entnehmen, daß der Kläger im gerichtlichen Verfahren ein Handelsgewerbe betreibt und verheiratet ist. Es ist daher denkunmöglich, daß das antragstellende Gericht die auf die Bauern-Sozialversicherung bezugnehmenden Teile der angefochtenen Vorschriften (§1 Abs1 Z2, Abs2 und 4) sowie den ebenfalls bekämpften §4a Abs5 BHG, welcher darauf abstellt, daß keine aufrechte Ehe besteht, anzuwenden hätte.

Der Antrag des Oberlandesgerichtes Wien ist daher insoweit, als er sich auf diese Bestimmungen bezieht, als unzulässig zurückzuweisen.

5.3. Im übrigen ist der Antrag zulässig.

Der Verfassungsgerichtshof hat allerdings die angefochtenen Bestimmungen im Falle der Verfassungswidrigkeit nur im erforderlichen Umfang, und zwar derart aufzuheben, daß die Verfassungswidrigkeit beseitigt wird, daß dabei aber einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und daß andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfaßt werden (VfSlg. 6674/1972, 8155/1977, 9374/1982, 11455/1987).

6. Der Antrag des Oberlandesgerichtes Wien ist gerechtfertigt.

Ein Anspruch auf die mit dem Karenzurlaubserweiterungsgesetz, BGBl. Nr. 408/1990, in das Betriebshilfegesetz eingeführte Leistung der Teilzeitbeihilfe (zu unterscheiden von der den Anspruch auf Karenzurlaubsgeld erweiternden "Teilzeitbeihilfe" für unselbständig erwerbstätige Mütter nach §31b Arbeitslosenversicherungsgesetz) kommt bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen lediglich Personen weiblichen Geschlechts zu (§4a Abs1 iVm §1 BHG). Die Teilzeitbeihilfe gebührt gemäß §4a Abs1, 2 und 3 BHG im Anschluß an die Leistung der Betriebshilfe (des Wochengeldes) bis zum Höchstausmaß von zwei Jahren ab der Geburt eines Kindes (oder der Annahme eines Wahlkindes bzw. der Übernahme eines Kindes, das als Wahlkind angenommen werden soll, in unentgeltliche Pflege), "solange die Mutter mit ihrem neugeborenen Kind in Hausgemeinschaft lebt und das Kind überwiegend selbst pflegt bzw. solange sich das Kind in einer Krankenanstalt in Pflege befindet."

Das Gesetz erleichtert der Gruppe der nach §1 BHG anspruchsberechtigten Frauen durch die Gewährung einer Geldleistung in Gestalt der Teilzeitbeihilfe, die in der Höhe des halben Karenzurlaubsgeldes nach dem AlVG gebührt, für einen Zeitraum von maximal zwei Jahren die Unterbrechung ihrer Berufstätigkeit zum Zwecke der Betreuung des Kindes, schließt aber gleichzeitig und völlig undifferenziert alle Personen männlichen Geschlechts vom Empfang der Teilzeitbeihilfe aus. Ein sachlicher Grund für diese allein nach dem Geschlecht getroffene Unterscheidung ist nicht erkennbar, insbesondere auch deshalb nicht, weil die Teilzeitbeihilfe von ihrer rechtspolitischen Zielsetzung her dem Karenzurlaubsgeld nach dem AlVG entspricht, welches - nicht zuletzt auch im Interesse berufstätiger Mütter - auch von Vätern in Anspruch genommen werden kann (§§26a und 31a AlVG).

Die bekämpften Regelungen über die Teilzeitbeihilfe sind daher insoweit gleichheitswidrig, als sie männliche Personen vom Bezug der Teilzeitbeihilfe ausschließen.

7. Zur Herstellung einer verfassungsmäßigen Rechtslage ist es indes nicht erforderlich, die zulässig bekämpften Vorschriften zur Gänze aufzuheben. Es genügt vielmehr, allein die unmittelbar eine Differenzierung nach dem Geschlecht bewirkenden Wendungen und Wortfolgen aus dem Rechtsbestand zu beseitigen. In §4a Abs1 hinterläßt die Entfernung der Worte "die Mutter" zwar einen unvollständigen Halbsatz, doch bleibt der Satz im Zusammenhalt mit den Gründen der Aufhebung gerade noch verständlich (zumal schon der Gesetzgeber - sprachlich unzulänglich - die Einzahl auf die Mehrzahl folgen ließ), weshalb sich die Aufhebung der anspruchsbegründenden Norm vermeiden läßt. Ähnliches gilt für den verfassungsmäßigen Teil des ersten Satzes des §4a Abs4 alte Fassung nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Worte "Mütter".

8. Da gleichwohl ein nahtloser Anschluß der dadurch notwendig gewordenen legistischen Vorkehrungen ermöglicht werden soll, ist gemäß Art140 Abs5 dritter Satz B-VG eine Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Vorschriften zu setzen.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.

9. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Betriebshilfe, Arbeitslosenversicherung, VfGH / Verwerfungsumfang, geschlechtsspezifische Differenzierungen, Gleichheit Frau-Mann

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:G130.1996

Dokumentnummer

JFT_10028790_96G00130_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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