TE Vwgh Beschluss 2018/1/24 Ra 2016/01/0127

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Veröffentlicht am 24.01.2018
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Index

19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §28 Abs1;
AsylG 2005 §4a;
BFA-VG 2014 §9;
MRK Art8;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §28;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2016/01/0128

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Fasching und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision 1. der M B, 2. des R A, beide in A, beide vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Mai 2016, 1) Zl. W221 2106937- 1/5E und 2) Zl. W221 2106933-1/15E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerber sind Staatsangehörige der russischen Föderation, die Erstrevisionswerberin ist die Mutter des Zweitrevisionswerbers. Sie stellten am 5. November 2014 den gegenständlichen - insgesamt vierten - Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) je vom 7. April 2015 wurden die Anträge gemäß § 3 und 8 AsylG 2005 vollinhaltlich abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen die Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Russland zulässig ist.

3 Mit dem gegenständlichen Erkenntnis hat das BVwG die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe abgewiesen, dass der Spruch der angefochtenen Bescheide jeweils zu lauten habe, dass der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 zurückgewiesen wird, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 58 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG die Außerlandesbringung der Revisionswerber gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG 2005 angeordnet sowie festgestellt wird, dass gemäß § 61 Abs. 2 FPG 2005 ihre Abschiebung nach Polen zulässig ist.

4 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, dass die Revisionswerber nach ihrer (erstmaligen) Rückführung nach Polen (infolge der rechtskräftigen Zurückweisung ihres ersten Antrags auf internationalen Schutz aus dem Jahr 2008) in Polen am 8. Juli 2009 subsidiären Schutz erhalten hätten, der noch immer aufrecht sei.

5 Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der dagegen von den Revisionswerbern erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 21. September 2017, E 1240-1241/2016-13, ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Begründend wurde u. a. ausgeführt, dass dem BVwG (unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten) nicht entgegen getreten werden könne, wenn es aufgrund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgegangen sei, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art. 8 EMRK überwiege.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Nach dem klaren Wortlaut des § 4a AsylG 2005 ist für die Beurteilung der Frage, ob ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß dieser Bestimmung als unzulässig zurückzuweisen ist, darauf abzustellen, ob dem Fremden in einem EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat (vgl. VwGH 3.5.2016, Ra 2016/18/0049).

10 Die Revision bestreitet in den Zulässigkeitsausführungen nicht, dass die Revisionswerber in Polen subsidiär schutzberechtigt bzw. dort vor Verfolgung geschützt sind.

11 Sie bringt aber vor, das BVwG habe durch Abänderung des Spruchs der erstinstanzlichen Bescheide (Zurück- statt Abweisung der Anträge; Anordnung der Außerlandesbringung nach Polen statt Rückkehrentscheidung nach Russland) über einen "anderen Verfahrensgegenstand" als das BFA entschieden bzw. gebe es keine Rechtsprechung zur Frage, ob die Zurückweisung der Anträge auf internationalen Schutz - nach Zulassung des Verfahrens durch das BFA - im Wege der Beschwerdeentscheidung des BVwG gemäß § 28 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 zulässig sei. Hinsichtlich der Anordnung der Außerlandesbringung sei das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es sich nicht ausreichend mit allen für die Interessensabwägung maßgeblichen Kriterien auseinandergesetzt habe.

12 Dem ist zunächst zu entgegnen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Zulassung des Verfahrens nicht die Rechtsfolge nach sich zieht, dass der Asylantrag nicht mehr zurückgewiesen werden dürfte, die Zulassung also keine Bindungswirkung hinsichtlich der Frage, ob der Antrag zurückzuweisen ist, entfaltet (vgl. VwGH 28.9.2016, Ra 2016/20/0070, mwN). Die Zurückweisung eines Asylantrages nach Zulassung des Verfahrens ist daher auch dann rechtmäßig, wenn der Behörde der Zurückweisungsgrund bereits zum Zeitpunkt der Zulassung bekannt war und in der Folge nicht weggefallen ist (VwGH 23.9.2014, Ra 2014/01/0121, mwN).

13 Diese Grundsätze sind nicht nur vom BFA sondern auch vom BVwG zu beachten:

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass das Verwaltungsgericht dann, wenn der bei ihm in Beschwerde gezogene verwaltungsbehördliche Bescheid zu Unrecht eine Sachentscheidung beinhaltete, im Rahmen seiner Prüf- und Entscheidungsbefugnis einen Antrag zurückzuweisen hat (VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050, mwN und näheren Ausführungen zum Begriff der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor den Verwaltungsgerichten; vgl. in diesem Sinne auch VfGH 18.6.2014, G5/2014 = VfSlg. 19.882, wonach § 28 VwGVG dem Verwaltungsgericht gebietet, bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 130 Abs. 4 B-VG die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrages zum Inhalt seiner Sachentscheidung zu machen, wenn im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hervorkommt, dass es schon bei Bescheiderlassung durch die belangte Behörde an einer Prozessvoraussetzung mangelte).

15 Ausgehend von den genannten Grundsätzen begegnet die vorliegende Entscheidung des BVwG, mit dem die Bescheide des BFA im dargestellten Sinn geändert wurden, keinen Bedenken. Insbesondere erweist sich infolge der auf § 4a AsylG 2005 gestützten Zurückweisung der Anträge auf internationalen Schutz auch die Anordnung der Außerlandesbringung nach Polen (§ 61 Abs. 1 Z 1 FPG 2005) sowie die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung dorthin (§ 61 Abs. 2 FPG 2005) als rechtmäßig. Das BVwG hat die Grenzen seiner Sachentscheidungsbefugnis nicht überschritten.

16 Bezüglich der nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz vorgenommenen Interessenabwägung sind die Revisionswerber darauf zu verweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter die Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wird, nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. etwa VwGH 28.3.2017, Ra 2017/01/0074, mwN).

17 Mit dem Revisionsvorbringen wird nicht aufgezeigt, dass die im Einzelfall vorgenommene Abwägung des BVwG unvertretbar erfolgt wäre, zumal sich das BVwG auch mit der Frage des anpassungsfähigen Alters des (im Entscheidungszeitpunkt neunjährigen) Zweitrevisionswerbers auseinandergesetzt hat und dabei nicht von der hg. Rechtsprechung - wonach für Kinder im Alter von sieben und elf Jahren eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit angenommen wird - abgewichen ist (vgl. etwa VwGH 3.10.2017, Ra 2017/01/0288).

18 Es kann dem BVwG im vorliegenden Fall insbesondere nicht entgegen getreten werden, wenn es (unter Hinweis auf VfSlg. 19.086) den Standpunkt einnimmt, dass ein allein durch beharrliche Missachtung der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften erwirkter Aufenthalt keinen Anspruch aus Art. 8 EMRK bewirken könne, zumal eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber sich rechtstreu Verhaltenden führen würde.

19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 24. Jänner 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016010127.L00

Im RIS seit

20.02.2018

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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