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61/01 Familienlastenausgleich;Norm
FamLAG 1967 §6 Abs5;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Sulyok Dr. Fuchs und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde des C A in G, vertreten durch R M als Sachwalter, dieser vertreten durch Dr. Wolfgang Berger, Dr. Christine Kolbitsch, Dr. Heinrich Vana,
Dr. Gabriele Vana-Kowarzik, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in 1020 Wien, Taborstraße 10/2, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 26. Februar 1998, RV-152.97/1-9/97, betreffend Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von 12.500 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Für den am 15. April 1966 geborenen Beschwerdeführer wurde im August 1996 ein Sachwalter bestellt.
Der Beschwerdeführer stellte am 13. November 1996 durch seinen Sachwalter den Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe. Der Beschwerdeführer bewohne nunmehr eine Gemeindewohnung in Graz. Die Zugehörigkeit zum Haushalt der Eltern sei nicht mehr gegeben, weshalb die Familienbeihilfe ihm zustehe.
Der Beschwerdeführer brachte vor, dass er aus der "Trainingswohnung" von Jugend und Werk ausgezogen und nunmehr weitgehend selbständig mit einen Wohnungskollegen aus der "Trainingswohnung" in einer Gemeindewohnung wohne. Von Seiten der "Trainingswohnung" gebe es, zeitlich befristet, eine gewisse Nachbetreuung zur ergänzenden Einschulung in eine selbständige Haushaltsführung. Der Wohnungskollege sei insbesondere hörbehindert und selbst in geschützter Arbeit beschäftigt. Der Beschwerdeführer werde nicht vom Wohnungskollegen betreut, durch das gemeinsame Wohnen erfolge vielmehr eine gegenseitige Unterstützung, durch welche die allgemeinen Probleme der Haushaltsführung beiderseits besser bewältigt werden könnten. Es gebe eine Nachbetreuung durch das Team der "Trainingswohnung". In weiterer Folge sei geplant, eine Betreuung in Form der mobilen Wohnbetreuung im Ausmaß von ca. 5 Stunden pro Woche als Maßnahme der Behindertenhilfe zu beantragen. Der Beschwerdeführer sei im Rahmen der Eingliederungshilfe in der Trainingswerkstätte (Tischlerwerkstätte) bei Jugend und Werk beschäftigt. Er erhalte eine Unterstützung nach dem Behindertengesetz. Er trage die Hälfte der Mietkosten für die Gemeindewohnung. Der Sachwalter überlasse ihm ein wöchentliches Taschengeld, mit welchem er die Kosten für Strom, Telefon und Fernsehen begleiche. Er erhalte in der Werkstätte ein Mittagessen, müsse aber für alle weiteren Mahlzeiten selbst aufkommen.
Mit Bescheid vom 11. September 1997 wies das Finanzamt den Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe (ab 1. Juli 1997) mit der Begründung, dass auf Grund der dem Beschwerdeführer monatlich zur Verfügung stehenden Unterstützungszahlungen eine Unterhaltspflicht der Eltern nicht mehr bestünde, als unbegründet ab.
In der Berufung gegen diesen Bescheid wurde vorgebracht, dem Beschwerdeführer gebühre, weil er wegen einer vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres eingetretenen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinde, Familienbeihilfe gemäß § 6 Abs. 5 iVm Abs. 2 FLAG. Der Lebensunterhalt des Beschwerdeführers werde zur Gänze aus öffentlichen Mitteln finanziert. Dies ändere jedoch nichts an seinem Familienbeihilfenanspruch, weil er sich nicht in Anstaltspflege bzw. Heimerziehung befinde. Er lebe in einer privaten Wohnung und werde von den Mitarbeitern von Jugend am Werk nur im Ausmaß von einigen Stunden pro Woche betreut. Er sei nicht selbsterhaltungsfähig, weshalb ein Unterhaltsanspruch gegenüber den Eltern bestehe.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Es sei unbestritten, dass die Lebensführung des Beschwerdeführers zur Gänze aus öffentlichen Mitteln finanziert werde. Bei der Beurteilung der Frage, ob sich ein Kind in Heimerziehung befinde, komme es nicht auf die Bezeichnung der Einrichtung an, in der das Kind untergebracht sei. Wesentliche Kriterien für das Vorliegen einer Heimerziehung bestünden darin, dass sich das Kind nicht um alle allgemeinen Dinge der Lebensführung zu kümmern brauche, einer gewissen Reglementierung des Tagesablaufes und einer regelmäßigen Aufsicht unterliege und ihm - soweit erforderlich - eine regelmäßige Pflege gewährt werde. Diese Voraussetzungen seien im Beschwerdefall erfüllt. Während des Tages sei der Beschwerdeführer im Rahmen der Eingliederungshilfe in der Tischlerwerkstätte bei Jugend und Werk beschäftigt. Dort erhalte er sein Mittagessen. Alle Angelegenheiten betreffend Miete und Betriebskosten für die Wohnung würden für den Beschwerdeführer und dessen Mitbewohner vom Sachwalter wahrgenommen. Es erfolge eine Nachbetreuung durch das Team der Trainingswohnung von Jugend und Werk. Zudem sei geplant, eine dauerhafte Betreuung in Form einer mobilen Wohnbetreuung im wohl erforderlichen Ausmaß durchzuführen. Da der Beschwerdeführer sohin der Sorge um seinen Lebensunterhalt enthoben sei, gebühre ihm keine Familienbeihilfe. Auf die Frage des Bestehens eines Unterhaltsanspruches gegenüber den Eltern komme es daher nicht mehr entscheidend an.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen ein Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat.
Strittig ist im Beschwerdefall, ob sich der Beschwerdeführer ab 1. Juli 1997 (auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe) in Heimerziehung befunden hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 19. September 1990, 89/13/0248, ausgesprochen, dass die Unterbringung von Kindern in einer Wohnung (auf Kosten der Sozialhilfe) keine Heimerziehung iSd § 6 Abs. 5 FLAG darstelle.
Im Erkenntnis vom 15. April 1997, 96/14/0140, hat der Verwaltungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass es bei der Beurteilung der Frage, ob sich ein Kind in Heimerziehung befinde, nicht auf die Bezeichnung der Einrichtung ankomme, in welcher das Kind untergebracht sei. Wesentliche Kriterien, die eine Heimerziehung iSd § 6 Abs. 5 FLAG von der bloßen Unterbringung in einer Wohnung unterschieden, könnten darin bestehen, dass sich das Kind bei der Heimerziehung um die allgemeinen Dinge der Lebensführung nicht zu kümmern brauche, einer gewissen Reglementierung des Tagesablaufes und einer regelmäßigen Aufsicht unterliege und ihm - soweit erforderlich - eine regelmäßige Pflege gewährt werde. Der Gerichtshof hat in diesem Erkenntnis die Unterbringung in der Wohngemeinschaft eines Hilfswerks, der eine Werkstätte angeschlossen war, in welcher der seinerzeitige Beschwerdeführer in Beschäftigungstherapie stand, der Heimerziehung gleichgehalten.
In der Beschwerde wird - in Übereinstimmung mit dem Vorbringen im Verwaltungsverfahren - darauf verwiesen, dass die Betreuungstätigkeit des Teams von Jugend und Werk auf wenige Stunden pro Woche begrenzt sei und sich im Wesentlichen darauf beschränke zu prüfen, ob die zur eigenständigen Besorgung überlassenen Agenden vom Beschwerdeführer entsprechend erledigt worden seien. Der Tagesablauf des Beschwerdeführers sei nur insofern reglementiert, als er zeitgerecht zur Arbeit zu erscheinen habe. Im Übrigen führe er ein freies Leben und werde allenfalls kontrollmäßig betreut, weshalb er nicht der Sorge um seinen Lebensunterhalt enthoben sei. Er müsse aus dem ihm vom Sachwalter überlassenen Taschengeld die Kosten für Strom, Telefon und Fernsehen begleichen und auch Einkäufe von Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs durchführen.
§ 6 Abs. 5 FLAG schließt seinem klaren Wortlaut nach nur jene Kinder vom Beihilfenanspruch aus, die sich in Heimerziehung befinden. Nun kommt es zwar, wie oben ausgeführt, bei der Beurteilung, ob eine Heimerziehung vorliegt, nicht auf die Bezeichnung der Einrichtung an, in welcher das Kind untergebracht ist. Wenn aber eine Person (gemeinsam mit einer zweiten) als Mieter eine Gemeindewohnung bewohnt, kann in einem besonders gelagerten Ausnahmefall das Tatbestandsmerkmal der Heimerziehung erfüllt sein. Bei einer nur wenige Stunden pro Woche umfassenden Betreuung des Wohnungsmieters kann aber von einer Heimerziehung keine Rede sein. Daran vermag die Tatsache eines geschützten Arbeitsplatzes und die Bereitstellung eines Mittagessens nichts zu ändern. Auch der Umstand, dass ein Sachwalter bestellt ist, bedeutet in keiner Weise, dass eine Heimerziehung gegeben ist.
Der angefochtene Bescheid ist sohin, weil die belangte Behörde beim gegebenen Sachverhalt zu Unrecht von einer "Heimerziehung" ausgegangen ist, mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde auch Sachverhaltsfeststellungen dazu treffen müssen, ob der Beschwerdeführer - was er auch in der Beschwerde behauptet - einen Unterhaltsanspruch gegenüber seinen Eltern hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. September 1995, 95/13/0007).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. 416/1994.
Wien, am 17. Mai 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1998150053.X00Im RIS seit
01.06.2001Zuletzt aktualisiert am
16.05.2013