TE Bvwg Erkenntnis 2018/2/6 L524 2120116-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.02.2018
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Entscheidungsdatum

06.02.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L524 2120116-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER, LL.B. über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Türkei, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.12.2015, Zl. 1074107205-150699341/BMI-BFA_STM_RD, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3

und § 57 AsylG iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz von Spruchpunkt III. des bekämpften Bescheides zu lauten hat: "Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird gemäß § 57 AsylG nicht erteilt."

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 18.06.2015 unter Angabe des Namens XXXX , geb. XXXX , einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am 20.06.2015 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, dass er Kurde und Moslem sei. Er habe von 1996 bis 2004 die Grundschule besucht und zuletzt als Kellner gearbeitet. In der Türkei bzw. einem anderen Drittstaat würden noch seine Eltern leben. Weitere Familienangehörige nannte der Beschwerdeführer nicht. Etwa einen Monat vor der Erstbefragung habe er den Entschluss zur Ausreise aus der Türkei gefasst und am 15.06.2015 sei er tatsächlich ausgereist. Am 18.06.2015 sei er in Österreich angekommen und mit einem Taxi nach Traiskirchen gefahren. Hinsichtlich seines Fluchtgrundes gab er an, dass die kurdischen Kämpfer in sein Dorf und sein Haus kommen und Lebensmittel verlangen würden. Wenn er ihnen das gebe, würden die türkischen Soldaten kommen und fragen, weshalb er das mache. Deswegen sei er mehrmals von den türkischen Soldaten verhaftet und misshandelt worden. Danach habe sein Vater gesagt, er solle das Land verlassen. Im Falle einer Rückkehr wisse er nicht, was passieren werde.

2. Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 09.12.2015 gab der Beschwerdeführer auf die Frage, ob er bisher der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht habe, an, dass sein Name falsch protokolliert sei. Er heiße XXXX und er sei am XXXX geboren. Der Beschwerdeführer legte seinen türkischen Führerschein als Beweis vor. Er habe bewusst falsche Angaben gemacht, da ihm der Schlepper dazu geraten habe, weil er sonst sofort zurückgeschickt werden würde. Der Beschwerdeführer habe zuletzt für acht Monate in Istanbul gelebt und dort gearbeitet. Davor habe er in XXXX in der Provinz Bingöl gelebt. Er habe zu seinen Eltern, den vier Brüdern und drei Schwestern telefonisch Kontakt. Ein Bruder arbeite in einem Möbelgeschäft und die anderen am Bau. Zwei Brüder würden in Istanbul leben. Der Beschwerdeführer habe mit seinen Eltern im Dorf zusammengelebt. Im Dorf habe es keine Arbeitsmöglichkeiten gegeben, weshalb er nach Istanbul gefahren sei, um dort auf dem Bau zu arbeiten. Nach acht Monaten sei die Arbeit saisonbedingt zu Ende gewesen. Nachdem er arbeitslos gewesen sei, habe er sich noch ca. einen Monat in seinem Dorf aufgehalten und sei dann weggegangen.

Zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, dass es derzeit in der Türkei wieder diese Türken-Kurden-Probleme gebe. Sie seien ständig unter Beobachtung durch das türkische Militär. Man fühle sich dort nicht wohl. Der Staat habe ihn aufgefordert, Dorfschützer zu werden. Er habe das abgelehnt, da er sich nicht gegen sein eigenes Volk einsetzen lassen wolle. Auch andere hätten das abgelehnt. Nach seiner Ablehnung sei er mehrmals mitgenommen und ein bis zwei Tage von der Gendarmerie festgehalten worden. Sie seien in Militäruniformen gesteckt und als Schutzschilde bei Operationen eingesetzt worden. Auch Ausgehverbote seien eingeführt worden. Man sei tagelang zu Hause und habe weder Essen noch Trinken. Die Gendarmerie habe ihnen unterstellt, die PKK mit Essen und Unterschlupf zu unterstützen. Alle Jugendlichen im Dorf seien so behandelt worden. Bei den Festnahmen sei ihm keine körperliche Gewalt angetan worden, aber der psychische Druck sei schlimm. Man habe ihn in eine kleine dunkle Zelle gesperrt. Es sei so eng gewesen, dass man sich nicht einmal umdrehen habe können und es habe kein Wasser gegeben. Man habe einen dort tagelang behalten. Die Türken seien gegen die Kurden momentan sehr repressiv. Ein Kurde bekomme momentan keine Arbeit. Auf die Frage, ob der Beschwerdeführer alle seine Fluchtgründe genannt habe, meinte er, dass es viele Dinge zu erzählen gebe. In der Türkei sei es für einen Kurden eine Gefahr zu leben. Man überlege die ganze Zeit, ob eine Bombe losgehe oder eine Schießerei. Er unterstütze die HDP. Als Jugendlicher habe er sich gelegentlich beim Parteigebäude aufgehalten. Im Sommer vor zwei Jahren sei er mit mehreren Jugendlichen und Funktionären dort gewesen, als das Gebäude beschossen worden sei. Die Polizei sei zu Hilfe gekommen und habe sie vor den Menschen geschützt. Während seines Militärdienstes sei er von seinem Vorgesetzten beschimpft worden. Er sei niemals an Militäraktionen beteiligt gewesen. Auf den Vorhalt, er habe angegeben, als Schutzschild verwendet worden zu sein, meinte der Beschwerdeführer, es habe nie Kämpfe gegeben. Sie hätten angeblich nur im Falle des Falles eingesetzt werden sollen. Sie hätten nur erkundet. Es sei immer wieder passiert, mindestens fünf oder sechs Mal. An Kampfhandlungen sei er nicht beteiligt gewesen. Seine Familie und viele andere Leute würden noch dort leben. Sie seien alle in Lebensgefahr. Wenn sie die Möglichkeit hätten, würden sie alle weggehen. Wenn man Kurde sei, könne man kein Geld verdienen.

3. Mit Bescheid des BFA vom 30.12.2015, Zl. 1074107205-150699341/BMI-BFA_STM_RD, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF, abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seinen behaupteten Fluchtgrund nicht habe glaubhaft machen können. Aus dem Vorbringen und der allgemeinen Situation sei auch im Falle der Rückkehr keine unmenschliche Behandlung oder extreme Gefährdungslage ersichtlich. Eine Interessenabwägung ergebe, dass die Rückkehrentscheidung zulässig sei.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften.

5. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde am 18.01.2018 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an der nur der Beschwerdeführer als Partei teilnahm, die belangte Behörde entsandte keinen Vertreter, beantragte jedoch die Abweisung der Beschwerde. Dem Beschwerdeführer wurden im Rahmen der Verhandlung Berichte zur Lage in der Türkei ausgehändigt und hierzu eine Frist zur Stellungnahme bis zum 02.02.2018 eingeräumt.

6. In seiner Stellungnahme verwies der Beschwerdeführer auf zwei Berichte der schweizerischen Flüchtlingshilfe. Der Beschwerdeführer legte auch eine Bestätigung über die Teilnahem an einem Deutschkurs, eine Kopie des Aufenthaltstitels der Freundin des Beschwerdeführers, zwei Einstellungszusagen von der Verwandten der Freundin des Beschwerdeführers und Kopien über die Kündigung der Wohnungen des Beschwerdeführers und seiner Freundin vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger, Kurde und Moslem. Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX in der Provinz Bingöl . Der Beschwerdeführer hat in der Türkei elf Jahre die Schule besucht. Der Beschwerdeführer hat in der Landwirtschaft der Eltern mitgearbeitet und auch auf Baustellen gearbeitet.

Der Beschwerdeführer hat fünf Brüder und vier Schwestern. Fünf seiner Geschwister leben in Istanbul, ein Bruder lebt in XXXX und eine Schwester in einem Dorf in Bingöl. Ein Bruder lebt in Deutschland und eine Schwester in England. Alle Geschwister sind verheiratet.

Der Beschwerdeführer ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer hat eine Freundin, die türkische Staatsangehörige und die seit 11.12.2014 über einen bis 10.12.2019 gültigen Aufenthaltstitel (Daueraufenthalt – EU) für Österreich verfügt. Der Beschwerdeführer wohnt mit seiner Freundin in keinem gemeinsamen Haushalt. Er lernte seine Freundin im Juli 2017 kennen. Seine Freundin wohnt in XXXX . Der Beschwerdeführer wohnt in XXXX . Ein gemeinsamer Wohnsitz besteht zum Entscheidungszeitpunkt nicht. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer und seine Freundin nach islamischem Ritus geheiratet haben.

Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht berufstätig. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Der Beschwerdeführer spricht etwas Deutsch. Er hat im Jahr 2017 im Rahmen des Projekts XXXX (Spracherwerbsmaßnahmen in der Grundversorgung) an einem Deutschkurs im Ausmaß von 38 von 50 Unterrichtseinheiten teilgenommen.

Der Beschwerdeführer verließ ca. im Juni 2015 die Türkei und reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am 18.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Fluchtgrund wird der Entscheidung mangels Glaubhaftigkeit nicht zugrunde gelegt. Der Beschwerdeführer hat nicht glaubhaft dargelegt und kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass er vor seiner Ausreise aus seiner Heimat in dieser einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder er im Falle seiner Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre.

Zur Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen getroffen:

KI vom 11.1.2018, Notstandsdekret Nr.696 - Straffreiheit von Zivilpersonen bei Gewalttaten zur Putschverhinderung _Verlängerung des Ausnahmezustandes

Am 24.12.2017 wurde das Notstandsdekret Nr. 696 veröffentlicht. Das Notstandsdekret befasst sich unter anderem mit der Straffreiheit von Zivilisten, die während der Putschnacht vom 15. auf den 16.7.2016 Putschisten gewaltsam daran gehindert haben, die Regierung zu stürzen. Konkret heißt es unter Artikel 121, dass das Notstandsgesetz vom 11.9.2016 um den Zusatz "Zivilisten" ergänzt wird, die keinen Beamtenstatus besitzen. Das ältere Notstandsgesetz besagte, dass gegen Beamte die beim Putschversuch und in diesem Zusammenhang in nachfolgenden Terroraufständen Widerstand geleistet haben, juristisch nicht belangt werden können (Turkishpress 25.12.2017).

Das aktuelle Dekret Nr.696 löste jedoch einen Sturm der Entrüstung aus. Es stellt alle Misshandlungen der Putschnacht und alle weiteren Folterhandlungen, die im Zusammenhang mit der Putschnacht stehen, von der Strafverfolgung frei. Kritiker sprechen von einer Generalamnestie und befürchten, dass dies in Zukunft einen Freifahrtschein für ungezügelte Gewalt und Misshandlungen gegen Oppositionelle bedeute und den Aktionen paramilitärischer Einheiten Vorschub leiste, da im Dekret nicht präzisiert sei, für welchen Zeitraum diese "Straffreiheit" gelten solle. Da der Begriff des "Terrors" in der Türkei so weitgefasst und vage sei, könne ein Bürger, der einen umstürzlerischen Geist wittert und eigenmächtig zur Tat schreitet, nun vor Gericht als Widerstandskämpfer durchgehen. Rechtsanwälte und Juristen, die sich zum Dekret positioniert haben, erklärten, dass vor allem der Zusatz "in diesem Zusammenhang nachfolgende Ereignisse" problematisch sei (FNS 31.12.2017). Der türkische Justizminister Abdülhamit Gül bekräftigte, dass das Notstandsdekret keine Blanko-Amnestie sei und sich ausschließlich auf die Umstände während der Putschnacht und der Periode unmittelbar danach bezöge (Turkishpress 25.12.2017, vgl. FNS 31.12.2017).

Der Europarat prüfe laut Direktor für Kommunikation, Daniel Holtgen, derzeit die jüngsten Notstandsverordnungen (nebst Dekret 696 auch Dekret 695) der türkischen Regierung. Das Gremium überwache, ob die neuesten Notstandsverordnungen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar seien (HDN 28.12.2017).

Der stellvertretende Premierminister und Regierungssprecher Bekir Bozda? verkündete am 8.1.2018, dass der Ausnahmezustand verlängert werde (Anadolu 8.1.2018). Die formale Zustimmung des Parlaments, in welchem die Regierungspartei AKP die absolute Mehrheit innehält, vorausgesetzt, wäre dies die sechste Verlängerung seit dem 21.7.2016. Während des Ausnahmezustandes sind die Grundrechte eingeschränkt und die Notstandsdekrete sind nicht vor dem Verfassungsgericht anfechtbar (Standard 8.1.2018).

Quellen:

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AA – Anadolu Agency (8.1.2018): State of emergency to be extended 'once again',

http://aa.com.tr/en/todays-headlines/state-of-emergency-to-be-extended-once-again/1025440, Zugriff 11.1.2018

-

FNS – Friedrich Naumann Stiftung (31.12.2017): TÜRKEI BULLETIN 24/17 (Berichtszeitraum: 18. - 31. Dezember 2017), http://bit.ly/2CaXijh, Zugriff 11.1.2018

-

HDN – Hürriyet Daily News (28.12.2017): CoE examining latest decree laws, likely to ask for information from Ankara: Official, http://www.hurriyetdailynews.com/coe-examining-latest-decree-laws-likely-to-ask-for-information-from-ankara-official-124923, Zugriff 11.1.2018

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Turkishpress (25.12.2017): Türkei: Streit um Notstandsdekret 696, https://turkishpress.de/news/politik/25-12-2017/tuerkei-streit-um-notstandsdekret-696, Zugriff 11.1.2018

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Der Standard (8.1.2018): Ausnahmezustand in der Türkei soll zum sechsten Mal verlängert werden, https://derstandard.at/2000071713337/Ausnahmezustand-in-der-Tuerkei-soll-zum-sechsten-Mal-verlaengert-werden?ref=rss, Zugriff 11.1.2018

KI vom 29.11.2017, Stand der Verhaftungen

Das türkische Innenministerium teilte am 27.11.2017 mit, dass im November 2.589 Personen wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung festgenommen wurden, wodurch sich die Gesamtzahl der im Zeitraum Oktober-November inhaftierten Personen auf 5.747 erhöht hat. Innenminister Süleyman Soylu veranschlagte am 16.11.2017 die Gesamtzahl der Inhaftierten mit 48.739. Soylu sagte auch, dass 215.092 Personen als Nutzer der Smartphone-Anwendung "ByLock" aufgelistet und bereits 23.171 Nutzer verhaftet wurden. Die türkischen Behörden glauben, dass ByLock ein Kommunikationsmittel unter den Anhängern der Gülen-Gruppe ist (TM 27.11.2017). Die regierungskritische Website, Turkey Purge, zählte allerdings bereits am 3.11.2017 rund 61.250 Inhaftierungen nebst rund 129.000 Verhaftungen sowie 146.700 Entlassungen seit dem Putschversuch vom 15.7.2016 (TP 3.11.2017).

Ein Staatsanwalt in Istanbul hat laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am 29.11.2017 in einer landesweiten Operation Haftbefehle gegen 360 mutmaßliche Gülen-Mitglieder in den Streitkräften erlassen (Anadolu 29.11.2017).

Quellen:

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Anadolu Agency (29.11.2017): Turkey issues arrest warrants for FETO suspects,

http://aa.com.tr/en/todays-headlines/turkey-issues-arrest-warrants-for-feto-suspects/984501, Zugriff 29.11.2017

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Turkish Minute (27.11.2017): Turkey detains close to 6,000 over Gülen links in last two months, https://www.turkishminute.com/2017/11/27/turkey-detains-close-to-6000-over-gulen-links-in-last-two-months/, Zugriff 29.11.2017

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Turkish Purge (3.11.2017): Turkey widens post-coup purge, https://turkeypurge.com/, Zugriff 29.11.2017

KI vom 23.10.2017, Intervention des Menschenrechtskommissar des Europarates zur Festnahme von Journalisten und Meinungsfreiheit

Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muižnieks, hat sich in einem laufenden Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg für die Freilassung in Untersuchungshaft gehaltenen Journalisten in der Türkei stark gemacht. Die Haftentscheidungen nannte er "willkürlich und unverständlich" (Der Standard 19.10.2017).

Das fortdauernde Muster von Verletzungen der Meinungsfreiheit aufgrund der geltenden Rechtsvorschriften und ihrer Auslegung durch die Gerichte erfüllen laut Muižnieks nicht die in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegten Normen. Sowohl der Kommissar als auch sein Vorgänger haben bereits mehrfach die weitverbreiteten Verletzungen der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei hervorgehoben, unterstrichen durch den Umstand, dass die Türkei Gegenstand der höchsten Zahl von Urteilen des Gerichtshofs zu

Artikel 10 der Konvention ist. Der Kommissar stellte fest, dass die Mehrzahl der Strafverfahren gegen Journalisten auf der Grundlage unbegründeter Vorwürfe und ohne sachliche Beweise außer ihrer rein journalistischen Tätigkeit eingeleitet wurde. Der Kommissar zeigte sich betroffen von der mangelnden Berücksichtigung des Rechts auf freie Meinungsäußerung bei der Beurteilung durch das Gericht und überdies von der offensichtlich unplausiblen Einschätzung, wonach die Angeklagten zugleich sowohl Propaganda für die Gülen-Bewegung als auch für die PKK betrieben hätten, zwei Organisationen, die in Gegnerschaft zu einander stehen. Zudem fehlten sachliche Beweise, die irgendeinen Zusammenhang zwischen den Verdächtigen und diesen Organisationen herstellen, abgesehen von kritischen Zeitungsartikeln zu Fragen, die von öffentlichem Interesse sind. Generell stellte der Kommissar fest, dass die Maßnahmen, die mit Freiheitsentzug gegen Journalisten verbunden sind, nicht nur ungerechtfertigt und unverhältnismäßig waren, sondern auch zu einem Klima der Selbstzensur beitragen, nämlich für jeden investigativen Journalisten, der Recherchen betreibt und über das Verhalten und Handeln staatlicher Stellen berichtet. Der Kommissar stellte fest, dass die Anwendung restriktiver Maßnahmen gegen Journalisten und Journalistinnen sowie Menschenrechtsanwälte während des Ausnahmezustands dramatisch zugenommen hat, obwohl sich die Rechtsgrundlage für die Untersuchungshaft nicht geändert hat. Muižnieks nahm erneut mit Bedauern zur Kenntnis, dass die Journalisten in den meisten Fällen auf der Grundlage fadenscheiniger Anschuldigungen und mit sehr wenig oder gar keinem Prima-Facie-Beweis festgenommen wurden (CoE-CommDH 10.10.2017).

Rund 900 Journalisten und Journalistinnen wurde in der Türkei die Akkreditierung entzogen, was einem Berufsverbot gleichkommt. Die Anzahl der Inhaftierten Journalisten ist strittig: Berufsverbände beziffern die Zahl der Inhaftierten Kollegen und Kolleginnen auf

156. Justizminister Abdülhamit Gül behauptete, keine belastbaren Informationen über den Beruf der im Gefängnis sitzenden Personen zu haben, während sein Vorgänger Bekir Bozda? noch wusste, dass 30 Journalisten inhaftiert waren. Die geringste Schätzung hingegen lieferte im Juli 2017 Präsident Erdo?an ab, als er behauptete, lediglich zwei Journalisten seien in türkischer Haft. Auf dem UN-Gipfel in New York Ende September meinte er, dass die meisten gar keine Journalisten, sondern Terroristen sind (TT 17.10.2017). Turkish Purge gibt (Stand 8.10.2017) 302 betroffene Journalisten und Journalistinnen an, wobei 170 inhaftiert sind und der Rest ihren Prozess auf freiem Fuß erwartet (TP 8.10.2017).

Quellen:

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CoE-CommDH - Council of Europe - Commissioner for Human Rights (10.10.2017): Third party intervention by the Council of Europe Commissioner for Human Rights under Article 36, paragraph 3, of the European Convention on Human Rights [CommDH(2017)29], https://rm.coe.int/third-party-intervention-10-cases-v-turkey-on-freedom-of-expression-an/168075f48f, Zugriff 23.10.2017

-

TP – Turkey Purge (8.10.2017): Turkey widens post-coup purge, https://turkeypurge.com/, 23.10.2017

-

TT – Tiroler Tageszeitung (17.10.2017): "Straftat Journalismus" in der Türkei,

http://www.tt.com/politik/konflikte/13563141-91/straftat-journalismus-in-der-t%C3%Bcrkei.csp, Zugriff 23.10.2017

-

Der Standard (19.10.2017): Deutsch-türkischer Journalist Yücel bringt Ankara in Zugzwang,

https://derstandard.at/2000066252315/Europaeischen-Gerichtshof-fuer-MenschenrechteAnkara-wegen-deutsch-tuerkischem-Journalisten-Yuecel-vor, Zugriff 23.10.2017

KI vom 31.8.2017, Geheimdienst unter Kontrolle des Staatspräsidenten, Verlängerung der maximalen Untersuchungshaft

Mit dem Dekret 694, das am 25.8.2017 in Kraft trat, wurde der Geheimdienst MIT, der bisher dem Ministerpräsidenten unterstand, dem Präsidenten unterstellt. Auch wurde eine neue Institution namens Nationales Geheimdienstkoordinierungskomitee (MIKK) ins Leben gerufen, das vom Präsidenten geleitet wird. Der Geheimdienst erhält erstmals das Recht, gegen Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums und der Streitkräfte nach Belieben zu ermitteln. Laut dem Dekret muss der Präsident künftig Ermittlungen gegen den Geheimdienstchef genehmigen (Focus 25.8.2017; vgl. AM 30.8.2017). Der Geheimdienst kann überdies zu jederzeit seine Mitarbeiter entlassen. Hierzu war bislang eine komplexe Prozedur von Nöten (AM 30.8.2017)

Per Dekret wurde gleichzeitig die maximale Untersuchungshaft von fünf auf sieben Jahre ausgeweitet. Das gilt für Beschuldigte, denen die Unterstützung von Terrororganisationen, Spionage oder eine Beteiligung an dem Putschversuch vom Juli 2016 vorgeworfen werden. Staatspräsident Erdo?an ermächtigte sich überdies, ausländische Gefangene ohne Einschaltung der Justiz in deren Heimatländer abzuschieben oder gegen türkische Staatsbürger auszutauschen (HB 28.8.2017). Dies geschieht auf Antrag des Außenministers. Somit kann die Türkei festgehaltene Ausländer in diplomatischen Verhandlungen nützen (AL 30.8.2017)

Quellen:

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AM – Al Monitor (30.8.2017): Erdogan hastens executive presidency with new decree,

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/08/turkey-emergency-decree-redesigns-vital-intstitutions.html, Zugriff 31.8.2017

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Focus (25.8.2017): Geheimdienst und neue Entlassungwelle: Erdogan baut per Dekret seine Macht aus, http://www.focus.de/politik/ausland/erdogan-im-groessenwahn-geheimdienst-und-neue-entlassungwelle-erdogan-baut-per-dekret-seine-macht-aus_id_7516131.html, Zugriff 31.8.2017

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HB – Handelsblatt (28.8.2017): Sieben Jahre Haft – ohne Urteil, http://www.handelsblatt.com/politik/international/neues-dekret-von-erdogan-sieben-jahre-haft-ohne-urteil/20247280.html, Zugriff 31.8.2017

KI vom 9.8.2017, Beschwerden an die Kommission zur Untersuchung der Notstandsmaßnahmen

Die Kommission zur Untersuchung der Notstandsmaßnahmen (the Commission on Examination of the State of Emergency Procedures), die am 23.1.2017 gegründet wurde, hat am 17.7.2017 begonnen, Einsprüche von aufgrund der Notstandsdekrete entlassenen Personen, Vereine und Firmen entgegenzunehmen. Innerhalb von drei Wochen [Stand 7.8.2017] wurden bislang rund 38.500 Beschwerden bei der Kommission eingereicht (HDN 8.8.2017). Das Verfassungsgericht hatte zuvor rund

70.800 Individualbeschwerden in Zusammenhang mit Handlungen auf der Basis der Notstandsdekrete zurückgewiesen, da die Beschwerden nicht der Kommission zur Untersuchung der Notstandsmaßnahmen vorgelegt, und somit nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft wurden (bianet 7.8.2017). Nebst den direkt bei der Kommission eingereichten Beschwerden werden auch jene, die vor der Gründung der Kommission bei den Verwaltungsgerichten und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingereicht wurden, übernommen. Der EGMR hatte zuvor 24.000 Beschwerden abgelehnt. Negative Bescheide der Kommission können bei den Verwaltungsgerichten beeinsprucht werden (HDN 8.8.2017).

Quellen:

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Bianet – BIA News Desk (7.8.2017): Constitutional Court Rejects 70,771 Applications Regarding State of Emergency, http://bianet.org/english/law/188906-constitutional-court-rejects-70-771-applications-regarding-state-of-emergency, Zugriff 9.8.2017

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HDN – Hürriyet Daily News (8.8.2017): Turkish state of emergency commission receives over 38,000 appeals, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-state-of-emergency-commission-receives-over-38000-appeals-.aspx?pageID=238&nID=116469&NewsCatID=338, Zugriff 9.8.2017

KI vom 19.7.2017, Verlängerung des Ausnahmezustandes

Am 17.7.2017 wurde der Ausnahmezustand ein viertes Mal verlängert. Eine Mehrheit im Parlament in Ankara stimmte dem Beschluss der Regierung über eine Verlängerung um weitere drei Monate zu. Damit gilt der nach dem Putschversuch im Juli vergangenen Jahres verhängte Ausnahmezustand mindestens bis zum 19.10.2017. Dies ermöglicht Staatspräsident Erdo?an weiterhin per Dekret zu regieren. Die beiden größten Oppositionsparteien - die kemalistische CHP und die pro-kurdische HDP – forderten sofortige Aufhebung des Ausnahmezustandes, da dieser ansonsten drohe zum Dauerzustand zu werden (TS 17.7.2017, vgl. FAZ 17.7.2017).

Quellen:

? FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (17.7.2017): Türkisches Parlament verlängert abermals Ausnahmezustand, http://www.faz.net/aktuell/politik/tuerkei/seit-putschversuch-tuerkisches-parlament-verlaengert-abermals-ausnahmezustand-15110851.html, Zugriff 19.7.2017

? tagesschau.de (17.7.2017): Türkei verlängert Ausnahmezustand, http://www.tagesschau.de/ausland/tuerkei-865.html, Zugriff 19.7.2017

KI vom 19.7.2017, Verhaftung von Mitarbeitern von Amnesty International – wachsender Druck auf NGOs

Am 18.7.2017 verhängte ein Gericht über sechs Menschenrechtsaktivisten, darunter die Direktorin von Amnesty International -Türkei die Untersuchungshaft, nachdem diese am 5.7.2017 festgenommen worden waren. Die Staatsanwaltschaft bezichtigte die Aktivisten der Unterstützung und Begünstigung einer terroristischen Organisation. Welche Terrororganisation gemeint war, blieb unklar. Untersuchungen wegen Terrorfinanzierung und Spionage wären laut Staatsanwaltschaft ebenfalls im Gange. Bereits im Juni 2017 wurde der Vorsitzende von Amnesty International -Türkei, Taner K?l?ç, wegen vermeintlicher Unterstützung der Gülen-Bewegung inhaftiert (HDN 18.7.2017, Standard 18.7.2017). Seit dem Putschversuch wurden mehr als 1.000 NGOs verboten. Überdies berichteten auch internationale NGOs, wie Human Rights Watch, über Schmierkampagnen der staatlich kontrollierten Medien und Einschüchterung von Mitarbeitern. Auch die deutschen politischen Stiftungen, welche in der Türkei aktiv sind, melden einen zunehmenden Druck seitens der Behörden (Zeit 18.7.2017).

Quellen:

? HDN – Hürriyet Daily News (13.7.2017): Turkish court arrests six human rights activists on terror charges, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-court-arrests-six-human-rights-activists-on-terror-charges-.aspx?pageID=238&nID=115634&NewsCatID=339, Zugriff 19.7.2017

? Standard Online (18.7.2017): Türkei verhängt Untersuchungshaft über Amnesty-Landeschefin,

http://derstandard.at/2000061432083/Tuerkei-Sechs-Menschenrechtsaktivisten-in-Untersuchungshaft, Zugriff 19.7.2017

? Zeit online (18.7.2017): Erdo?ans Kampf gegen Menschenrechtler, http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-07/tuerkei-amnesty-international-festnahme-recep-tayyip-erdogan, Zugriff 19.7.2017

KI vom 19.7.2017, Stand der Massenverhaftungen und Entlassungen wegen vermeintlicher Unterstützung der Gülen-Bewegung

Am Vorabend des Jahrestages des gescheiterten Putschversuches vom 15.7.2016 verlautete das türkische Justizministerium, dass bis dato

50.510 Personen wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung inhaftiert wurden, darunter 7.267 Militärangehörige, 8.815 Angestellte der Polizei, rund 100 Gouverneure und deren Stellvertreter und über 2.000 MitarbeiterInnen der Justiz. 169.013 Personen hätten laut Ministerium noch rechtliche Verfahren zu erwarten und nach rund

8.100 wird wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung noch gefahndet. Über 43.000 Personen wurden nach vorläufiger Festnahme wieder entlassen (HDN 13.7.2017, bianet 13.7.2017). Mit der Notstandsverordnung vom 14.7.2017 wurden zusätzlich 7.395 öffentlich Bedienstete entlassen (HDN 15.7.2017). Die regierungskritische Internetplattform "Turkey Purge" zählte mit Stand 19.7.2017 rund

145.700 Entlassungen, darunter über 4.400 Richter und Staatsanwälte, sowie 56.100 Inhaftierungen (TP 19.7.2017).

In der Türkei nahm am 17.7.2017 eine von der Regierung eingerichtete Kommission ihre Arbeit auf, die Beschwerden gegen Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst im Zusammenhang mit dem Putschversuch prüfen soll. Betroffene hätten nun zwei Monate Zeit, ihre Beschwerden einzureichen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat sich bislang nicht mit den Entlassungen beschäftigt, sondern Kläger aus der Türkei aufgefordert, sich zunächst an die neue Kommission zu wenden (Zeit 17.7.2017).

Quellen:

? Bianet (13.7.2017): Ministry of Justice: 50,510 People Arrested in Coup Attempt Investigations,

https://bianet.org/english/politics/188268-ministry-of-justice-50-510-people-arrested-in-coup-attempt-investigations, Zugriff 19.7.2017

? HDN – Hürriyet Daily News (13.7.2017): 50,510 people arrested in Gülen probe since coup attempt: Ministry, http://www.hurriyetdailynews.com/50510-people-arrested-in-gulen-probe-since-coup-attempt-ministry.aspx?pageID=238&nID=115486&NewsCatID=509, Zugriff 19.7.2017

? HDN – Hürriyet Daily News (15.7.2017): Turkey dismisses over 7,000 police, soldiers, ministry officials with new emergency decree, http://www.hurriyetdailynews.com/turkey-dismisses-over-7000-police-soldiers-ministry-officials-with-new-emergency-decree-.aspx?pageID=238&nID=115540&NewsCatID=341, Zugriff 19.7.2017

? TP – TurkeyPurge (19.7.2017): Turkey widens post-coup purge, https://turkeypurge.com/, Zugriff 19.7.2017

? Zeit Online (17.7.2017): Türkei verlängert erneut Ausnahmezustand, http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-07/tuerkei-parlament-ausnahmezustand-verlaengerung, Zugriff 19.7.2017

KI vom 27.4.2017, Massenverhaftungen und Entlassungen innerhalb der Polizei

In der Türkei sind am 26.4.2017 9.103 Polizisten wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung entlassen worden. Bei Razzien gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger in allen 81 Provinzen des Landes war es im Laufe des Tages bereits zu 1.120 Festnahmen gekommen. Ziel der Suspendierungen und der Verhaftungen sei es gewesen, die geheime Struktur der Gülen-Bewegung innerhalb der Polizei zu zerschlagen.

8.500 Sicherheitskräfte unter Beteiligung des Geheimdienstes M?T seien an den Operationen beteiligt gewesen (HDN 26.4.2017; vgl. Zeit 27.4.2017). Wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung hat die Türkei gleichzeitig 9.103 Polizisten entlassen (Zeit 26.4.2017; vgl. HDN 27.4.2017).

Laut "TurkeyPurge" wurden somit (Stand 27.4.2017) seit dem Putschversuch vom 15.7.2016 über 134.000 Personen wegen vermeintlicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung entlassen, knapp über 100.000 festgenommen, und von letzteren 50.000 inhaftiert (TP 27.4.2017).

Quellen:

? Die Zeit (26.4.2017): Mehr als 9.000 Polizisten suspendiert, http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-04/tuerkei-razzia-9000-polizisten-guelen-bewegung-suspendierung-2, Zugriff 27.4.2017

? HDN – Hürriyet Daily News (27.4.2017): Over 9,000 Turkish police officers suspended over suspected links to Gülen, http://www.hurriyetdailynews.com/over-9000-turkish-police-officers-suspended-over-suspected-links-to-gulen.aspx?pageID=238&nID=112475&NewsCatID=509, Zugriff 27.4.2017

? HDN – Hürriyet Daily News (26.4.2017): Police detain 1,120 in operation on Gülen’s ‘secret imams’, http://www.hurriyetdailynews.com/police-detain-1120-in-operation-on-gulens-secret-imams.aspx?PageID=238&NID=112437&NewsCatID=509, Zugriff 27.4.2017

? TP – TurkeyPurge (27.4.2017): Turkey widens post-coup purge, https://turkeypurge.com/, Zugriff 27.4.2017

KI vom 26.4.2017, Aufnahme des Monitoring-Verfahrens durch den Europarat

Die Türkei steht künftig unter der Beobachtung des Europarates, dessen Mitglied es ist. Der Europarat wird das umstrittene Verfassungsreferendum in der Türkei und das Vorgehen von Präsident Erdo?an gegen Oppositionelle genauer untersuchen. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) stimmte mit großer Mehrheit dafür, ein Verfahren gegen die Türkei zu eröffnen und das Land unter Beobachtung zu stellen. Die Wiederaufnahme des sogenannten Monitorings bedeutet, dass zwei Berichterstatter regelmäßig in die Türkei fahren, um die Einhaltung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit in dem Land zu überprüfen. In der Resolution wird der Schritt vor allem mit Blick auf den anhaltenden Ausnahmezustand, kollektive Entlassungen von Staatsbediensteten wie Lehrer, Wissenschaftler und Richter, sowie Festnahmen von Parlamentariern und Journalisten begründet (Zeit 25.4.2017).

Die PACE verlangt u.a. den Ausnahmezustand aufzuheben, die Erlassung von Notstandsverordnungen, außer wenn absolut nötig, einzustellen, und alle inhaftierten Parlamentarier und Journalisten freizulassen. Die Versammlung beschloss das Monitoring solange durchzuführen, bis der ernsthaften Sorge um die Einhaltung der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in einer zufriedenstellenden Art und Weise Rechnung getragen wird. Zudem warnte die PACE vor der Wiedereinführung der Todesstrafe, die mit der Mitgliedschaft der Türkei im Europarat unvereinbar ist. Die PACE bedauert auch den Gesetzesbruch beim Verfassungsreferendum vom 16.4.2017, bei dem Stimmzettel ohne Amtssiegel gezählt wurden, was ernsthafte Fragen hinsichtlich der Legitimität des Ausgangs des Referendums aufwirft (PACE 25.4.2017).

Das türkische Außenministerium bezeichnete die Entscheidung als Schande, hinter der böswillige Kreise innerhalb der PACE stünden, beeinflusst von Islamo- und Xenophobie (DS 25.4.2017). Das türkische Außenministerium kündigte an, die Mitgliedschaft in der Institution überdenken zu wollen (Zeit 25.4.2017).

Quellen:

-

Die Zeit (25.4.2017): Europarat eröffnet Verfahren gegen Türkei, http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-04/verfassungsreferendum-tuerkei-europarat-menschenrechte-beobachtung, Zugriff 26.4.2017

-

DS - Daily Sabah (25.4.2017): Turkey-EU relations hit historic low after controversial PACE decision, https://www.dailysabah.com/eu-affairs/2017/04/26/turkey-eu-relations-hit-historic-low-after-controversial-pace-decision, Zugriff 26.4.2017

-

PACE – Parliamentary Assembly of the Council of Europe (25.4.2017): PACE reopens monitoring procedure in respect of Turkey, http://assembly.coe.int/nw/xml/News/News-View-EN.asp?newsid=6603&lang=2&cat=8, Zugriff 26.4.2017

KI vom 19.4.2017, Verfassungsreferendum

Am 16.4.2017 stimmten nach vorläufigen Ergebnissen bei einer Wahlbeteiligung von 84% 51,3% der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden AKP initiierte und von der rechtsnationalistischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP) unterstützte Verfassungsänderung, welche ein exekutives Präsidialsystem vorsieht (HDN 16.4.2017).

Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte in einer Stellungnahme am 17.4.2017 sowohl die Kampagne als auch die Mängel des Referendums. Das Referendum sei unter ungleichen Wettbewerbsbedingungen von statten gegangen. Der Staat habe nicht garantiert, dass die WählerInnen unparteiisch und ausgewogen informiert wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen konnten an der Beobachtung des Referendums nicht teilhaben. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des bestehenden Ausnahmezustands hätten negative Auswirkungen gehabt (OSCE/PACE 17.4.2017). Cezar Florin Preda, der Leiter der PACE-Delegation sagte, dass das Referendum nicht die Standards des Europarates erfüllte und die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht adäquat für die Durchführung eines genuinen demokratischen Prozesses waren (PACE 17.4.2017). Laut OSZE wurden im Vorfeld des Referendums Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützer des Putschversuchens vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017). Noch während des Referendums entschied die Oberste Wahlbehörde überraschend, auch von ihr nicht gekennzeichnete Stimmzettel und Umschläge gelten zu lassen. Die Beobachtungsmission der OSZE und des Europarates bezeichneten dies als Verstoß gegen das Wahlgesetz, wodurch Schutzvorkehrungen gegen Wahlbetrug beseitigt wurden (Zeit 17.4.2017; vgl. PACE 17.7.2017).

Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) und die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) legten bei der Obersten Wahlkommission Beschwerde ein, wonach 2,5 Millionen Wahlzettel ohne amtliches Siegel verwendet wurden. Die Kommission wies die Beschwerde zurück (AM 17.4.2017). Gegner der Verfassungsänderung demonstrierten in den größeren Städten des Landes gegen die vermeintlichen Manipulationen. Der Vize-Vorsitzende der CHP, Bülent Tezcan bezeichnete das Referendum als "organisierten Diebstahl" und kündigte an, den Fall vor das türkische Verfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen, so nötig (AM 18.7.2017). Die EU-Kommission hat die türkische Regierung aufgefordert, die mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten zu untersuchen (Zeit 18.4.2017). Die OSZE kritisiert eine fehlende Bereitschaft der türkischen Regierung zur Klärung von Manipulationsvorwürfen, denn laut Michael Georg Link, Direktor des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte stand fest, dass die Entscheidung der Wahlkommission, falsch oder gar nicht gestempelte Wahlzettel als gültig zu werten, ein Verstoß gegen türkisches Recht darstellte (FAZ 19.4.2017). Daraufhin kündigte die Oberste Wahlkommission eine Prüfung der Vorwürfe an (Spiegel 19.4.2017).

Quellen:

? AM - Al Monitor (17.4.2017): Where does Erdogan's referendum win leave Turkey?

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/04/turkey-erdogan-referendum-victory-further-uncertainty.html, Zugriff 19.4.2017

? AM - Al Monitor (18.4.2017): Calls for referendum annulment rise in Turkey,

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/04/turkey-referendum-fraud.html, Zugriff 19.4.2017

? Die Zeit (17.4.2017): Beobachter bemängeln Unregelmäßigkeiten im Wahlablauf,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-04/osze-tuerkei-referendum-wahlbeobachter-kritik, Zugriff 19.4.2017

? Die Zeit (18.4.2017): EU fordert Untersuchung von Manipulationsvorwürfen,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-04/tuerkei-eu-kommission-untersuchung-referendum-wahlbeobachter, zugriff 19.4.2017

? FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (19.4.2017): OSZE kritisiert Erdogans Umgang mit Manipulationsvorwürfen, http://www.faz.net/aktuell/tuerkei-referendum-osze-kritisiert-erdogans-umgang-mit-manipulationsvorwuerfen-14977732.html, Zugriff 19.4.2017

? HDN – Hürriyet Daily News (16.4.2017): Turkey approves presidential system in tight referendum, http://www.hurriyetdailynews.com/live-turkey-votes-on-presidential-system-in-key-referendum.aspx?pageID=238&nID=112061&NewsCatID=338, Zugriff 19.4.2017

? OSCE/PACE - Organization for Security and Cooperation in Europe/ Parliamentary Assembly of the Council of Europe (17.4.2017):

INTERNATIONAL REFERENDUM OBSERVATION MISSION, Republic of Turkey – Constitutional Referendum, 16 April 2017 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions,

https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/311721?download=true, Zugriff 19.4.2017.

? PACE – Parliamentary Assembly of the Council of Europe (17.4.2017): Turkey’s constitutional referendum: an unlevel playing field,

http://assembly.coe.int/nw/xml/News/News-View-EN.asp?newsid=6596&lang=2&cat=31, Zugriff 19.4.2017

? Spiegel Online (19.4.2017): Wahlkommission prüft Beschwerden über Manipulationen,

http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-referendum-wahlkommission-prueft-beschwerden-ueber-manipulationen-a-1143822.html, Zugriff 19.4.2017

KI vom 9.3.2017, Parlamentarische Versammlung des Europarates und UN-Hochkommissar für Menschenrechte zur Lage in der Türkei

Das Monitoring-Komitee der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) rief am 8.3.2017 zur Wiederaufnahme des Monitoring-Verfahrens in Bezug auf die Türkei auf. Das Monitoring-Komitee zeigte sich besorgt, dass es im Zuge des Ausnahmezustandes zu einer ernsthaften Verschlechterung der Funktionsfähigkeit der demokratischen Institutionen gekommen ist. Die türkische Regierung hätte überdies unverhältnismäßige Maßnahmen ergriffen, die jenseits dessen gehen, was die türkische Verfassung und das Völkerrecht erlauben. Das Komitee zeigte sich wegen des Ausmaßes der durchgeführten Säuberungen in der Verwaltung, der Armee, der Justiz und des Bildungswesens besorgt. Es zeigte sich angesichts der wiederholten Verletzungen der Medienfreiheit und der Anzahl der inhaftierten Journalisten alarmiert, und bezeichnete dies als "inakzeptabel in einer demokratischen Gesellschaft". Die Aufhebung der parlamentarischen Immunität, insbesondere der Abgeordneten der pro-kurdischen HDP, die mit 93% überproportional betroffen waren, führe laut Komitee zu ernsthaften Einschränkungen der demokratischen Debatte am Vorabend des Verfassungsreferendums, das für den 16. April 2017 vorgesehen ist. Das Komitee fordert die Aufhebung des Ausnahmezustandes, den Stopp der Notstandsverordnungen sowie die Freilassung aller Parlamentarier und Journalisten bis zu deren Prozessende (PACE 8.3.2017).

Am 8.3.2017 zeigte sich der Hochkommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Zeid Ra’ad Al Hussein, in seiner Rede vor dem UN-Menschenrechtsrat besorgt, dass die unter dem Ausnahmezustand ergriffenen Maßnahmen scheinbar die Kritik und nicht den Terrorismus im Visier haben. Die Tatsache, dass Zehntausende nach dem versuchten Putsch entlassen, verhaftet, inhaftiert oder verfolgt worden sind - darunter auch zahlreiche demokratisch gewählte Volksvertreter, Richter und Journalisten – wecken die ernsthafte Besorgnis, ob ordentliche Gerichtsverfahren garantiert werden können. Die Menschenrechtssituation in der Südosttürkei ist laut Hochkommissar nach wie vor zutiefst beunruhigend. Ohne Zugang zum Gebiet hat das Fernüberwachungsverfahren des Büros des Hochkommissars glaubwürdige Hinweise auf hunderte von Todesfällen erhalten, was auf unverhältnismäßige Sicherheitsmaßnahmen als Reaktion auf gewalttätige Angriffe hindeutet (UN-OHCHR 8.3.2017).

Quellen:

-

PACE – Parliamentary Assembly of the Council of Europe / Monitoring Committee (8.3.2017): The Monitoring Committee calls for the monitoring procedure in respect of Turkey to be re-opened, http://assembly.coe.int/nw/xml/News/News-View-EN.asp?newsid=6538&lang=2&cat=3, Zugriff 9.3.2017

-

UN-OHCHR – UN-Office of the High Commissioner for Human Rights (8.3.2017): High Commissioner for Human Rights presents Annual Report to the Human Rights Council, http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=21316&LangID=E, Zugriff 9.3.2017

KI vom 22.2.2017, Verurteilung von Parlamentariern der pro-kurdischen HDP

Am 20.2.2017 hat die Demokratische Partei der Völker (HDP) beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EMRK) eine Beschwerde wegen der andauernden Inhaftierung ihrer beiden Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirta? und Figen Yüksekda? eingereicht. Die HDP begründete dies u.a. mit dem Umstand, dass das Verfassungsgericht seit 95 Tagen keine Untersuchungen durchgeführt habe, und dadurch die beiden Parlamentarier ihren legislativen Aufgaben nicht nachkommen können (HDN 20.2.2017).

Die Staatsanwaltschaft in Diyarbakir fordert seit Jänner 2017 bis zu 142 Jahre Haft für Demirta?. Ihm werden unter anderem die Leitung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und Terrorpropaganda vorgeworfen (TS 17.1.2017). Ein Gericht im osttürkischen Do?ubeyaz?t befand inzwischen am 21.2.2017 Selahattin Demirta? der "Herabwürdigung der türkischen Nation, des türkischen Staates und seiner Institutionen " schuldig und verurteilte ihn zu fünf Monaten Haft. Zudem wurde am 21.2.2017 Figen Yüksekda? ihr Parlamentsmandat aberkannt. Grund ist das Urteil des obersten Verwaltungsgerichts, das eine vorherige Verurteilung der Politikerin zu einer zehnmonatigen Haftstrafe wegen Te

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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