TE Vwgh Erkenntnis 2000/5/19 96/21/0825

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Veröffentlicht am 19.05.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §67;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des Ö in Wien, geboren am 1. Februar 1977, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland vom 26. Juli 1996, Zl. Fr-331/96, betreffend Ausweisung und Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Ausspruch betreffend die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung in die Türkei wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland (der belangten Behörde) vom 26. Juli 1996 wurde einerseits die Ausweisung des Beschwerdeführers verfügt und andererseits seinem Antrag auf Feststellung, dass seine Abschiebung in die Türkei und nach Ungarn derzeit nicht zulässig sei, keine Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wurde - soweit für das vorliegende Beschwerdeverfahren von Belang - nach Wiedergabe der wesentlichen Rechtsvorschriften im Wesentlichen damit begründet, dass sich die belangte Behörde "sowohl vom Ergebnis als auch vom Inhalt der Begründung" dem Bescheid der Behörde erster Instanz (der Bezirkshauptmannschaft Mattersburg) vollinhaltlich anschließe. Diese Behörde hatte den Antrag des Beschwerdeführers nach § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, zusammengefasst mit der Begründung abgewiesen, dass der Beschwerdeführer, der die Tötung seines Bruders vor zwei Jahren wegen des Verdachtes der Zugehörigkeit zur PKK sowie seine eigene eintägige Festnahme, während der er geschlagen und verletzt worden wäre (1 cm lange Narbe neben dem rechten Auge), angegeben hätte, keine Bedrohung oder Gefahr im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG habe glaubhaft machen können, weil er keine konkret gegen seine Person auf Grund seiner Abstammung gerichteten Verfolgungshandlungen genannt habe. In der Türkei würde kein Kurde allein wegen seiner Abstammung verfolgt, zumal es sogar kurdische Regierungsmitglieder gebe.

Die belangte Behörde fügte dieser - derart übernommenen - Begründung der Behörde erster Instanz hinzu, dass den Angaben des Beschwerdeführers zur Untermauerung der Verfolgungsgründe jegliche Glaubwürdigkeit abgesprochen werde. In der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Feststellungsbescheid der ersten Instanz fänden sich an konkreten bzw. individuellen Elementen zum einen die angebliche Tötung seines Bruders und zum anderen eine eintägige Haft und Misshandlungen seiner Person. Die Tötung seines Bruders sei laut den Angaben des Beschwerdeführers zwei Jahre vor seiner Abreise aus der Türkei erfolgt und bilde somit nicht den unmittelbaren Grund für das Verlassen seiner Heimat, das erst wenige Wochen vor Erlassung des angefochtenen Bescheides erfolgt sei. Die Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers zeige sich vor allem aus dem Umstand, dass er, sogar noch einmal und ausdrücklich befragt, ob er tatsächlich vor 28 Tagen verhaftet bzw. geschlagen worden wäre, dies bestätigt habe. Es widerspreche allen Denkgesetzen und Erfahrungen des täglichen Lebens, dass jemandem bei einem derart einschneidenden Erlebnis (Verhaftung und Misshandlung), das erst 28 Tage (gehe man von den vom Beschwerdeführer zunächst gemachten Angaben aus) bzw. 73 Tage (gehe man von den vom Beschwerdeführer danach gemachten Angaben aus, Istanbul fünf Tage vor dem Zeitpunkt der Einvernahme verlassen zu haben, wo er sich zuvor 40 Tage aufgehalten hätte und weitere 28 Tage davor misshandelt bzw. verhaftet worden wäre) zurückliege, ein derart gravierender Irrtum unterlaufe, der ihm trotz neuerlicher konkret auf den Zeitpunkt bezogener Befragung nicht auffalle.

Allein gegen diesen, die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei und nach Ungarn bejahenden Teil des Bescheides richtet sich die vorliegende, zunächst beim Verfassungsgerichtshof erhobene, von diesem jedoch abgelehnte und sodann dem Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 10. Oktober 1996, B 2840/96/96-5, zur Entscheidung abgetretene Beschwerde, mit der die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, hilfsweise wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde; eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt durch jene nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen und von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. etwa das Erkenntnis vom 9. September 1999, Zl. 95/21/1034.)

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil auf Grund des im Verfahren anhand allgemein zugänglicher Quellen ausführlich beschriebenen Bedrohungsmusters feststehe, dass er durch die erfolgte Tötung seines Bruders und durch seine eigene Festnahme wegen des Vorwurfs der Mitarbeit bei der PKK bereits die Aufmerksamkeit der Behörden seines Heimatlandes erregt habe. Dass er "infolge" seiner eintägigen Haft keinen weiteren konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sei, rechtfertige ohne weiteres noch nicht den Schluss, er werde dies auch weiterhin nicht sein. Hätte die belangte Behörde notwendige weitere Ermittlungen dahingehend, ob der Beschwerdeführer in der Folgezeit der Inhaftierung bis zu seiner Ausreise etwa durch entsprechendes Auftreten in der Öffentlichkeit den Behörden überhaupt die Möglichkeit dazu geboten habe, wiederum gegen ihn einzuschreiten, getätigt, so hätte die Behörde festgestellt, dass dies nicht der Fall gewesen sei, weil sich der Beschwerdeführer bereits so sehr in Angst vor weiteren Übergriffen befunden hätte, dass er sich dem Zugriff der Behörden nicht offen habe aussetzen wollen und "versteckt seine Flucht außer Landes vor weiteren Übergriffen" geplant habe.

Gerade wenn man jedoch die im Feststellungsverfahren gemäß § 54 FrG unabdingbare Zukunftsprognose anstelle, nämlich frage, was dem Beschwerdeführer absehbarerweise bei seiner Rückkehr in die Türkei widerfahren würde, zeige sich die Mangelhaftigkeit des angefochtenen Bescheides, der sich mit dem diesbezüglichen Berufungsvorbringen überhaupt nicht auseinander setze. Der Beschwerdeführer verfüge über kein Reisedokument, eine Abschiebung sei deshalb nur mittels eines Passersatzes möglich. Nicht zuletzt auf Grund eingehender Dokumentationen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sowie auf Grund von Gutachten, die von der deutschen Sektion von Amnesty International in Verfahren vor deutschen Verwaltungsgerichten erstellt worden seien, sei es als gesichert anzusehen, dass Rückkehrer ohne gültigen Reisepass bei ihrer Einreise über einen türkischen Flughafen festgenommen würden, dass ihre Personalien und insbesondere allfällige Vormerkungen von Polizeibehörden überprüft würden und dass sie zum Grund befragt würden, warum sie ohne Reisepass außer Landes aufhältig gewesen seien. Stelle sich bei dieser Befragung und Überprüfung - etwa im Fall des Beschwerdeführers - heraus, dass er Kurde sei und aus Diyarbakir stamme, und stelle sich bei weiteren Erhebungen der Polizei heraus, dass der Beschwerdeführer bereits einmal wegen des Vorwurfes, die PKK zu unterstützen, festgenommen worden sei und dass sein Bruder wegen desselben Vorwurfes erschossen worden wäre, so könne der Beschwerdeführer sicher sein, dass diese Umstände zu neuerlichen Misshandlungen, Folterungen, Verhören etc. führen würden, weil genug Anlass bestehe, die Flucht außer Landes als Flucht vor (weiterer) Strafverfolgung in Zusammenhang mit der ihm angelasteten PKK-Unterstützung zu sehen, und bereits dies ein ausreichender Vorwand dafür sei, den Beschwerdeführer dem für Kurden aus den Unruheprovinzen landesweit üblichen Muster an Überziehung staatlicher Gewalt auszusetzen.

Zu dem von der belangten Behörde angenommenen Widerspruch in seiner Darstellung des zeitlichen Ablaufes der Ereignisse bringt der Beschwerdeführer vor, dass dieser Widerspruch konstruiert sei. Es sei aus den Unterlagen des Verfahrens im Zusammenhalt mit seinem Vorbringen im Asylverfahren offenkundig, dass seine Angaben sehr wohl exakt gewesen seien, nämlich dass er ca. 28 Tage bevor er sich nach Istanbul begeben habe, festgenommen und gefoltert worden sei. Diese 28 Tage ergäben zusammen mit den rund 40 Tagen seines Aufenthaltes in Istanbul exakt jenen Zeitraum von etwa zwei Monaten vor der Ausreise aus der Türkei, den der Beschwerdeführer in gleichem Zusammenhang vor dem Bundesasylamt wie auch vor der Behörde erster Instanz geltend gemacht hätte. Der von der belangten Behörde angenommene Widerspruch sei offensichtlich auf ein Missverständnis entweder des Beschwerdeführers bei der Einvernahme oder seitens des zugezogenen Dolmetschers zurückzuführen, zumal erkennbar sei, dass die besagten 28 Tage nicht einfach aus der Luft gegriffen worden seien, wie dies im vorliegenden Bescheid unterstellt werde, sondern dass entweder der Beschwerdeführer oder der Dolmetscher einem Irrtum hinsichtlich des Gegenstandes der konkreten Frage unterlegen sei. Es sei jedenfalls anzunehmen, dass eine Konfrontation des Beschwerdeführers mit diesem "Widerspruch" in der vorliegenden Deutlichkeit entsprechende Aufklärung erbracht hätte, sodass dann, wenn die belangte Behörde dem Beschwerdeführer noch vor Erlassung des angefochtenen Bescheides zu dem von ihr erstmals im Feststellungsverfahren aufgegriffenen "Widerspruch" rechtliches Gehör eingeräumt hätte, der Beschwerdeführer jedenfalls dazu in der Lage gewesen wäre, diesen "Widerspruch" aufzuklären und damit die Unrichtigkeit der Protokollierung in diesem von der belangten Behörde als wesentlich aufgegriffenen Punkt aufzuzeigen.

Die Beschwerde rügt schließlich, dass die belangte Behörde auf Grund der Verletzung des Parteiengehörs vorschnell zu dem Schluss gelangt sei, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen sei, und meint, dass die Behörde, wäre sie korrekt vorgegangen, zu dem Schluss gekommen wäre, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers durchaus glaubwürdig sei und sie sich dementsprechend dann auch mit der vom Beschwerdeführer im Verfahren geltend gemachten Gefährdung anlässlich seiner Rückkehr in die Türkei hätte auseinander setzen müssen, wobei sie zu einer Feststellung im Sinn des Antrags des Beschwerdeführers hätte gelangen können.

Nach den §§ 58 Abs. 2 und 60 i.V.m. § 67 AVG haben Berufungsbescheide eine Begründung zu enthalten, in der die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen sind. In der Bescheidbegründung ist daher in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise darzutun, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zur Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, unter E 8. zu § 67 AVG und E 1. bis 9. zu § 60 AVG nachgewiesene Rechtsprechung). Sind die einen tragenden Teil der Begründung darstellenden Ausführungen für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar und somit nicht überprüfbar, so liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung des Bescheides führt. (Vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. April 1999, Zl. 97/21/0446.)

Im vorliegenden Fall schließt sich die belangte Behörde einerseits der Entscheidung der Behörde erster Instanz "sowohl vom Ergebnis als auch vom Inhalt der Begründung vollinhaltlich an". Diese Behörde hatte den Antrag des Beschwerdeführers zusammengefasst mit der Begründung abgewiesen, dass der Beschwerdeführer, der die Tötung seines Bruders vor zwei Jahren wegen des Verdachtes der Zugehörigkeit zur PKK sowie seine eigene eintägige Festnahme, während der er geschlagen und verletzt worden sei (1 cm lange Narbe neben dem rechten Auge), als Gründe angegeben hätte, keine Bedrohung oder Gefahr im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG habe glaubhaft machen können, weil er keine konkret gegen seine Person auf Grund seiner Abstammung gerichteten Verfolgungshandlungen genannt hätte. In der Türkei würde nämlich kein Kurde allein wegen seiner Abstammung verfolgt, zumal es sogar kurdische Regierungsmitglieder gebe.

Zum anderen begründet die belangte Behörde die Abweisung des Feststellungsantrages des Beschwerdeführers damit, dass seinen "Angaben zur Untermauerung der Verfolgungsgründe ... jegliche Glaubwürdigkeit abgesprochen" werde, weil seine Aussagen betreffend den seit der von ihm behaupteten Inhaftierung und Misshandlung vergangenen Zeitraum widersprüchlich seien.

Der angefochtene Bescheid entbehrt angesichts dieser miteinander nicht in Einklang zu bringenden Argumentationslinien einer schlüssigen Begründung, weil offen bleibt, ob die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer behauptete Festnahme und Misshandlung ihrer Entscheidung zugrundelegt.

Auch wenn man die im angefochtenen Bescheid enthaltenen Begründungsvarianten als alternative Begründungen für die Abweisung des Feststellungsantrages versteht, hält keine der beiden Begründungslinien für sich allein genommen einer Überprüfung des Verwaltungsgerichtshofes stand. Aus dem von der belangten Behörde ins Treffen geführten Umstand, dass Angehörige der kurdischen Volksgruppe der türkischen Regierung angehörten, lässt sich nämlich nicht zwingend der Schluss ziehen, dass in der Türkei kein Kurde allein wegen seiner Abstammung verfolgt werde. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer nicht vorgebracht, allein wegen seiner kurdischen Abstammung verfolgt zu werden, sondern wegen des Verdachtes der Zusammenarbeit mit der PKK und vor dem Hintergrund der Ermordung seines Bruders. Legt man die Inhaftierung des Beschwerdeführers sowie seine Misshandlung zu Grunde, so kann das Vorliegen einer Gefährdung oder Bedrohung des Beschwerdeführers im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG im Fall seiner Rückkehr in die Türkei nicht ohne weiteres verneint werden.

Soweit die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers wegen widersprüchlicher Aussagen betreffend den seit der von ihm behaupteten Inhaftierung und Misshandlung vergangenen Zeitraum für insgesamt unglaubwürdig hält, trifft es zwar zu, dass der Beschwerdeführer bei seiner Aussage vor der Bezirkshauptmannschaft Mattersburg am 11. Juni 1996 ausgeführt hatte, vor fünf Tagen Istanbul verlassen zu haben, wo er sich 40 Tage aufgehalten hätte. In Diyarbakir wäre er vor 28 Tagen festgenommen und geschlagen worden. Auch über ausdrückliche Befragung des Dolmetschers hatte er angegeben, 28 Tage vor der Einvernahme festgenommen worden zu sein, und erst auf neuerliches Befragen geantwortet, dass sich der Vorfall 28 Tage vor seiner Ankunft in Istanbul ereignet habe.

Daraus jedoch - und dies tut die belangte Behörde im Unterschied zur Behörde erster Instanz wie auch zu den mit dem Fall des Beschwerdeführers befassten Asylbehörden - zu folgern, das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Festnahme und Misshandlung in Diyarbakir sei zur Gänze unglaubwürdig, basiert nicht auf einer schlüssigen Beweiswürdigung. Der Beschwerdeführer, der seine Flucht nach seinem eigenen Vorbringen in Etappen durchführte, hat nämlich nach der Aktenlage die auf die einzelnen Etappen entfallenden Zeitspannen anlässlich mehrerer Vernehmungen immer in gleicher Weise angegeben. Seine bei der Einvernahme am 11. Juni 1996 gemachten unterschiedlichen Angaben, von welchem Zeitpunkt an die 28 Tage zu rechnen seien, erscheint deshalb nicht wesentlich, weil der Beschwerdeführer, sobald auf den Widerspruch aufmerksam gemacht, diesen sofort beseitigt hat. Anzumerken ist, dass mit der schlichten Hinterfragung durch den Dolmetscher, ob sich dieser Vorfall tatsächlich "vor 28 Tagen" ereignet habe, der Beschwerdeführer noch nicht auf einen Widerspruch aufmerksam gemacht wurde. Dies wurde er erst im nächsten Schritt der Erstbefragung mit dem Vorhalt, dass das nicht stimmen könne, da er zunächst angegeben habe, die letzten 40 Tage in der Türkei in Istanbul zugebracht zu haben. Auf diesen Vorhalt eines Widerspruchs reagierte der Beschwerdeführer indes sofort mit der Erklärung, dass die 28 Tage von dem Zeitpunkt seiner Ankunft in Istanbul rückzurechnen seien.

Im Übrigen hat der Beschwerdeführer in seiner Berufung vorgebracht, über kein Reisedokument zu verfügen. Es sei auf Grund eingehender Dokumentationen der Schweizerischen Flüchlingshilfe sowie auf Grund von Gutachten, die die deutsche Sektion von Amnesty International in Verfahren vor deutschen Verwaltungsgerichten erstellt habe, als gesichert anzusehen, dass Rückkehrer ohne gültigen Reisepass bei ihrer Einreise über einen türkischen Flughafen festgenommen und zum Grund befragt würden, warum sie ohne Reisepass außer Landes aufhältig gewesen seien. Stelle sich bei dieser - im Fall des Beschwerdeführers zu erwartenden - Befragung heraus, dass er Kurde sei und aus Diyarbakir stamme, und stelle sich bei weiteren Erhebungen heraus, dass der Beschwerdeführer bereits einmal wegen des Vorwurfes, die PKK zu unterstützen, festgenommen worden sei, und dass sein Bruder wegen desselben Vorwurfes erschossen worden sei, so könne der Beschwerdeführer sicher sein, dass diese Umstände zu neuerlichen Misshandlungen, Folterungen, Verhören etc. führten, weil genügend Anlass bestehe, seine Flucht als Flucht vor Strafverfolgung im Zusammenhang mit der ihm angelasteten PKK-Unterstützung zu sehen, und bereits dies ein ausreichender Vorwand dafür sei, ihn dem für Kurden üblichen Muster an Überziehung staatlicher Gewalt auszusetzen.

Durch das Versäumnis der belangten Behörde, sich mit diesem Vorbringen auseinander zu setzen und entsprechende Ermittlungen durchzuführen, ist der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben.

Da nach dem Gesagten nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Unterbleiben der aufgezeigten Verfahrensmängel zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigen Bescheid gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid in seinem Ausspruch betreffend die Zulässigkeit der Abschiebung in die Türkei gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass die Beschwerde ungeachtet des den gesamten Feststellungsausspruch umfassenden Aufhebungsantrages keine Ausführungen bezüglich Ungarn enthält, weshalb der Verwaltungsgerichtshof nicht gehalten war, sich insoweit mit dem angefochtenen Bescheid zu befassen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Beschwerde nur eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides anzuschließen war.

Wien, am 19. Mai 2000

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1996210825.X00

Im RIS seit

22.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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