TE Bvwg Beschluss 2018/2/6 L516 1235334-2

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Veröffentlicht am 06.02.2018
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Entscheidungsdatum

06.02.2018

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

L516 1235334-2/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX auch XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem GmbH – ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.10.2017, XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, reiste am 23.09.2002 im Alter von elf Jahren in Österreich ein. Seine Mutter stellte für ihn als gesetzliche Vertreterin am 07.09.2006 einen Antrag auf internationalen Schutz und das Bundesasylamt erkannte dem Beschwerdeführer im Zuge eines Familienverfahrens mit Bescheid vom 25.09.2006 gem §§ 3 iVm 34 Abs 2 AsylG den Status des Asylberechtigten zu.

2. Mit Schreiben vom 12.06.2017 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem – in der Justizanstalt XXXX untergebrachten – Beschwerdeführer mit, dass ein Aberkennungsverfahrens gegen ihn eingeleitet worden sei und eine Rückkehrentscheidung in den Iran zu prüfen sei, da er drei rechtskräftige Verurteilung in Österreich aufweise, insbesondere eine wegen des Verbrechens des versuchten Mordes gem §§ 15, 75 StGB mit Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gem § 21 Abs 2 StGB. Das BFA forderte den Beschwerdeführer auf, Fragen zu seinem Privat- und Familienleben, zu seiner Gesundheit, zu seinem Glauben sowie zu einer allenfalls bestehenden Bedrohungssituation bei Rückkehr in den Iran zu beantworten und übermittelte ihm Länderfeststellungen zum Iran mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme (AS 1-25).

2.1. Der Beschwerdeführer gab hinsichtlich der gestellten Fragen mit E-Mail vom 26.06.2017 unter anderem an, dass er seit seinem elften Lebensjahr in Österreich lebe, er hier ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zu seinen Eltern und Geschwistern, er als Mormone christlich getauft sei und für die Konvertierung im Iran die Todesstrafe drohe (AS 17 ff).

3. Das BFA erkannte dem Beschwerdeführer ohne weiteres Ermittlungsverfahren mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs 1 Z 1 AsylG ab, stellte gemäß § 7 Abs 4 AsylG fest, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I) und erkannte dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 Z 2 AsylG nicht zu (Spruchpunkt II). Das BFA erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 3 FPG und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III). Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG erließ das BFA gegen den Beschwerdeführer ein zehnjähriges Einreiseverbot (Spruchpunkt VI) und sprach aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt V).

4. Der Beschwerdeführer hat gegen den am 22.10.2017 zugestellten Bescheid des BFA am 13.11.2017 Beschwerde erhoben und diesen zur Gänze angefochten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhaltsfeststellungen

1.1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, reiste am 23.09.2002 im Alter von elf Jahren in Österreich ein und befindet sich seither im Bundesgebiet. Das Bundesasylamt hatte dem Beschwerdeführer im Zuge eines Familienverfahrens mit Bescheid vom 25.09.2006 gem §§ 3 iVm 34 Abs 2 AsylG den Status des Asylberechtigten zuerkannt.

1.2. Der Beschwerdeführer wurde von einem österreichischen Bezirksgericht mit seit 10.02.2012 rechtskräftigem Urteil vom 06.02.2012 gemäß §§ 27 (1) Z 1 1. Fall, 27 (1) Z 1 2. Fall SMG als junger Erwachsener zu einer Geldstrafe von 40 Tagsätzen zu je 4,00 EUR, im Nichteinbringungsfall 20 Tage Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt. Er wurde des Weiteren mit seit 19.03.2013 rechtskräftigem Urteil eines Bezirksgerichtes vom 14.03.2013 gemäß § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 8 Wochen, bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt. Er wurde zuletzt von einem Landesgericht für Strafsachen mit seit 06.11.2016 rechtskräftigem Urteil vom 04.07.2013 gemäß §§ 15, 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt und in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 2 StGB eingewiesen. Gleichzeitig wurde gemäß §§ 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf das zuvor ergangene Urteil vom 14.03.2013 eine Zusatzstrafe verhängt.

1.3. Das BFA gewährte in dem von ihm eingeleiteten Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten dem Beschwerdeführer ausschließlich mit einem Schreiben vom 12.06.2017 in schriftlicher Form Parteiengehör (AS 1 ff). Eine persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers fand nicht statt.

1.4. Der Beschwerdeführer gab dem BFA im Zuge des Aberkennungsverfahrens schriftlich bekannt, dass er seit seinem elften Lebensjahr in Österreich lebe, er hier ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zu seinen Eltern und Geschwistern habe, er als Mormone christlich getauft sei und für die Konvertierung im Iran die Todesstrafe drohe (AS 17 ff).

1.5. Ohne weitere Ermittlungsschritte zu setzen und ohne sich mit den konkreten Tatumständen und der Urteilsbegründung betreffend die strafrechtliche Verurteilung wegen versuchten Mordes gemäß §§ 15, 75 StGB – das Urteil befindet sich auch nicht im vom BFA vorgelegten Verwaltungsverfahrensakt – konkret auseinanderzusetzen erkannte das BFA dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten ab. Das BFA erkannte dem Beschwerdeführer darüber hinaus auch nicht den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu und erließ eine Rückkehrentscheidung sowie ein 10-jähriges Einreiseverbot.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (oben II.1.1.) beruhen auf dem im Akt einliegenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.09.2006.

2.2. Die festgestellten Verurteilungen (oben II.1.2.) ergeben sich aus dem Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich.

2.3. Die Feststellungen, dass das BFA dem Beschwerdeführer ausschließlich in schriftlicher Form Parteiengehör gewährt und trotz dessen Stellungnahme den gegenständlich angefochtenen Bescheid ohne weiteren Ermittlungen und ohne Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen der Verurteilung wegen versuchten Mordes erlassen hat, ergibt sich aus dem durchnummerierten und unverdächtigen Verwaltungsverfahrensakt der Behörde (oben II.1.3.-5.).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Behebung des bekämpften Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit gemäß § 28 Abs 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl

3.1. Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

3.2. Gemäß § 28 Abs 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG wenn die Voraussetzungen des Abs 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

3.3. Zu § 28 Abs 3 VwGVG hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich meritorisch zu entscheiden haben, eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen jedoch insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

3.4. Zum gegenständlichen Verfahren

3.4.1. Das BFA selbst hat festgestellt, dass der Beschwerdeführer Mormone ist (AS 46). Das BFA verwies jedoch im Rahmen der Beweiswürdigung darauf, dass der Beschwerdeführer wegen versuchten Mordes verurteilt worden sei, was nach Ansicht des BFA einer "religiösen Verfestigung" widerspreche. Würde der Beschwerdeführer aus innerer Überzeugung den Glauben leben, so das BFA, wäre eine derartige Tat nicht vereinbar und da der Beschwerdeführer in Österreich nicht nach den Leitlinien des Christentums gelebt habe, sei es diesem zuzumuten, dies auch im Iran nicht offenkundig zu tun (AS 66 f). Das BFA geht offenbar davon aus, dass (praktizierende) Christen keine Verbrechen begehen. Ein derartiger Erfahrungssatz existiert jedoch nicht.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es gerade bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (VwGH 24.09.2014, Ra 2014/19/0084). Solche Ermittlungen wurden jedoch vom BFA unterlassen und werden diese daher im fortgesetzten Verfahren vom BFA nachzuholen sein.

3.4.2. Das BFA hat sich des Weiteren bei der Aberkennung auf § 7 Abs 1 Z 1 AsylG gestützt (Vorliegen eines Asylausschlussgrundes gem § 6 AsylG) und dies damit begründet, dass gegen den Beschwerdeführer "drei rechtskräftige Verurteilungen" vorliegen, zuletzt die Verurteilung gem § 15 StGB, § 75 StGB zu einer Freiheitstrafe von 15 Jahren und der Beschwerdeführer aufgrund der "mehrmaligen" und zuletzt der rechtskräftigen Verurteilung zu 15 Jahren Strafhaft als gemeingefährlicher Täter und eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit anzusehen sei (AS 47, 66).

Das BFA bezieht sich somit auf den Asylausschließungsgrund nach § 6 Abs 1 Z 4 AsylG, welcher voraussetzt, dass der Fremde wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist "und wegen dieses strafbaren Verhaltens" eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Soweit daher das BFA zu seiner Begründung auch die beiden ersten Verurteilungen des Beschwerdeführers heranzieht, ist festzuhalten, dass diesen keine Verbrechen (vgl § 17 StGB) zugrunde lagen sondern in einem Fall der Erwerb und Besitz von Suchtmittel als junger Erwachsener, wofür eine Geldstrafe von 160 Euro verhängt wurde, und im zweiten Fall eine Sachbeschädigung, für die eine bedingte Haftstrafe von 8 Wochen verhängt wurde. Diese beiden Verurteilungen können somit nicht für die Aberkennung herangezogen werden.

Soweit das BFA die Aberkennung mit der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen versuchten Mordes gem § 15 StGB, § 75 StGB zu einer Freiheitstrafe von 15 Jahren begründete, ist dazu festzustellen, dass das BFA bereits den bloßen Umstand der Verurteilung als ausreichend für die Aberkennung erachtete, sich demgegenüber das BFA mit den konkreten Tatumständen und der Urteilsbegründung in keinster Weise auseinandergesetzt und damit die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes missachtet hat. Nach dieser ist bei der Beurteilung, ob ein "besonders schweres Verbrechen" nach § 6 Abs 1 Z 4 AsylG 2005 vorliegt, eine konkrete fallbezogene Prüfung vorzunehmen und sind insbesondere die Tatumstände zu berücksichtigen. Es genügt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht, wenn – wie auch im vorliegenden Fall – ein abstrakt als "schwer" einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwer wiegend erweisen. Das setzt wiederum eine umfassende Klärung des Sachverhalts voraus. So sind z.B. Milderungsgründe, Schuldausschließungs- und Rechtfertigungsgründe zu berücksichtigen und muss die Tat auch in subjektiver Hinsicht schwer wiegend sein (siehe dazu VwGH 23.09.2009, 2006/01/0626; VwGH 11.11.2008, 2006/19/0352; 21.09.2015, Ra 2015/19/0130). Die so vom Verwaltungsgerichtshof geforderte Vorgehensweise wurde vom BFA im vorliegenden Fall unterlassen und wird dies daher im fortgesetzten Verfahren vom BFA nachzuholen sein, wozu jedenfalls auch die Beischaffung der dafür erforderlich Unterlagen des Strafverfahrens (insb des Urteils mit Begründung) durch das BFA unerlässlich sein wird.

3.4.3. Der Beschwerdeführer beantwortete die schriftliche Frage des BFA nach seinem aktuellen Gesundheitszustand mit "unbekannt". Er gab aber gleichzeitig bekannt, dass er sich in Therapie befinde (AS 19), und wurde zudem gem § 21 Abs 2 StGB (Tatbegehung unter dem Einfluß einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad) in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Das BFA hat es trotz dieser Anhaltspunkte unterlassen, weitere Erhebungen zum aktuellen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers vorzunehmen. Dies wäre jedoch für die Prüfung, ob für den Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr das reale Risiko einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht oder nicht, sowie für die im Falle der Erwägung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes vorzunehmende Interessensabwägung nach Art 8 EMRK (vgl VwGH 21.02.2017, Ro 2016/18/0005) erforderlich gewesen. Auch dies wird im fortgesetzten Verfahren vom BFA nachzuholen sein.

3.4.4. Der Beschwerdeführer gab in seiner Stellungnahme des Weiteren an, ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zu seinen Eltern und Geschwistern zu haben (AS 17). Das BFA wird daher im fortgesetzten Verfahren im Rahmen der ohnehin vorzunehmenden Befragung des Beschwerdeführers noch zu klären haben, wie sich sein Familienleben konkret darstellt.

3.4.5. Schließlich kommt es auch für die Beurteilung der Dauer eines Einreiseverbotes nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (VwGH 10.04.2014, 2013/22/0310 mit Verweis auf 15.12.2011, 2011/21/0237). Wie zuvor dargestellt (siehe oben 3.4.2.) hat sich das BFA mit den konkreten Tatumständen und der Urteilsbegründung jedoch in keinster Weise auseinandergesetzt. Das BFA wird dies daher im fortgesetzten Verfahren auch bei einem allenfalls zu verhängenden Einreiseverbot für die Festsetzung der Dauer nachzuholen haben.

3.4.6. Die bisherigen Versäumnisse des BFA müssen vor dem Hintergrund der hier getroffenen Ausführungen als besonders gravierende Ermittlungslücke angesehen werden, weshalb nicht von einem geklärten Sachverhalt ausgegangen werden kann.

3.4.7. Das BFA wird sich daher im Rahmen des fortgesetzten Verfahren in geeigneter Weise mit der vorgebrachten Konversion, den konkreten Umständen der strafrechtlichen Verurteilung wegen versuchten Mordes, dem Gesundheitszustand sowie dem konkreten Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers, auseinanderzusetzen haben. Nach Durchführung der demnach erforderlichen und geeigneten Ermittlungen, wozu – jedenfalls – die Einvernahme des Beschwerdeführers und die Einholung des Strafurteiles hinsichtlich des versuchten Mordes erforderlich sind, werden dem Beschwerdeführer vom BFA die Ermittlungsergebnisse und entscheidungsrelevante, aktuelle und auf den festgestellten Sachverhalt abgestimmte, jedenfalls die vorgebrachte Konversion umfassende, Länderfeststellungen mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme innerhalb einer angemessenen Frist zur Kenntnis zu bringen sein. In weiterer Folge wird das BFA das Ermittlungsergebnis unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Bescheinigungsmittel einer schlüssigen Beweiswürdigung zu unterziehen und individuelle Feststellungen zu treffen haben, welche als Basis für die rechtliche Beurteilung dienen.

3.4.8. Auch unter Effizienzgesichtspunkten verbietet sich eine Heranziehung des § 28 Abs 2 Z 2 VwGVG, zumal die Verwaltungsbehörde die erforderlichen Ermittlungsschritte und damit die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes im Sinne des Gesetzes zumindest mit der gleichen Raschheit und mit nicht höheren Kosten als das Verwaltungsgericht bewerkstelligen wird können, zumal fallbezogen die Verfahrensführung durch die Regionaldirektion Steiermark erfolgte und sowohl der Beschwerdeführer in Graz inhaftiert ist. Im Gegenteil ist angesichts der erforderlichen Beweisaufnahme und der grundsätzlich gegebenen Verhandlungspflicht nicht anzunehmen, dass die zur Erforschung der materiellen Wahrheit ergänzenden Ermittlungen unter Wahrung des Parteiengehörs durch das Bundesverwaltungsgericht selbst mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Wobei es bei der Beurteilung der Kostenersparnis und Raschheit darüber hinaus nicht auf die Auswirkungen auf das Gesamtverfahren, sondern nur auf die Ersparnis an Zeit und Kosten für die jeweilige konkrete Amtshandlung ankommt. Dass die Zurückverweisung den gesamten Verfahrensverlauf verlängert, ist bei der Zeit- und Kostenersparnis nicht in Rechnung zu stellen, weil ansonsten eine kassatorische Entscheidung nie in Frage käme (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG, § 66 Rz 20 mwN).

3.5. Von diesen Überlegungen ausgehend ist daher im gegenständlichen Fall das dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren spruchgemäß an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.

Entfall der mündlichen Verhandlung

3.6. Aufgrund der Behebung des angefochtenen Bescheides konnte eine Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu B)

Revision

3.7 Da die Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist, ist die ordentliche Revision nicht zulässig.

3.8. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylausschlussgrund, besonders schweres Verbrechen,
Ermittlungspflicht, Kassation, Konversion, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Religion

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L516.1235334.2.00

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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