Entscheidungsdatum
07.02.2018Norm
AsylG 2005 §34 Abs3Spruch
L519 1436870-1/54E
L519 1436871-1/57E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
1.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik Bangladesch, vertreten durch RA Mag. LORENZ, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.07.2013, Zl. 1215.192-BAL, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.09.2015 zu Recht erkannt:
A) I. Der Beschwerde vom 26.07.2013 wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX , geb. XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch zuerkannt.
II. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX , geb. XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 08.02.2019 erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz
(B-VG) nicht zulässig.
2.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik Bangladesch, vertreten durch RA Mag. LORENZ, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.07.2013, Zl. 1215.193-BAL, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.09.2015 zu Recht erkannt:
A) I. Der Beschwerde vom 26.07.2013 wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX , geb. XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch zuerkannt.
II. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX , geb. XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 08.02.2019 erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz
(B-VG) nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Die Beschwerdeführer (in weiterer Folge entsprechend der Reihung im Spruch des Erkenntnisses kurz als "BF1" und "BF2" bezeichnet), Staatsangehörige der Volksrepublik Bangladesch, brachten nach illegaler Einreise am 21.10.2012 bei der belangten Behörde Anträge auf internationalen Schutz ein. Für das in Österreich am XXXX geborene, gemeinsame Kind (idF: K) der BF wurde am 17.12.2012 in Österreich ein Antrag gestellt.
Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachten BF1 und BF2 im Wesentlichen Folgendes vor:
Der BF1 und die BF2 hätten aus Liebe zueinander geheiratet. Ihre Familien seien gegen diese Verbindung gewesen und hätten erst davon erfahren, als die BF2 schwanger war. Sie hätten dem BF1 gedroht, die BF2 so lange zu schlagen, bis sie ihr ungeborenes Kind verliert, wenn der BF1 die BF2 nicht verlasse. Die BF2 gab an, dass die Familie des BF1 ihr ungeborenes Kind umbringen wollte und ihre Familie den BF1.
Gegenüber der belangten Behörde gab der BF1 im Wesentlichen an, dass er und die BF2 im Mai 2010 heimlich geheiratet hätten. Als die BF2 schwanger wurde, hätte ihre Familie alles erfahren. Die Familie der BF2 habe dann mit der Familie des BF1 Kontakt aufgenommen. Beide Familien hätten BF1 und BF2 unter Druck gesetzt, ihr Kind abtreiben zu lassen. Im Mai oder Juni 2012 habe die BF2 die Wohnung ihrer Eltern verlassen. BF1 und BF2 hätten in weiterer Folge an verschiedenen Adressen in XXXX gelebt. Die BF seien dort für den Fall, dass sie sich nicht trennen, immer wieder von Fundamentalisten mit dem Umbringen bedroht worden.
Die BF legten erstinstanzlich vor:
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Arbeitsbestätigung BF 1 vom letzten Arbeitgeber in Bangladesch
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Heiratsurkunde
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Hauptschulzeugnis und Zeugnis über Informatikausbildung BF 1 aus Bangladesch
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Schulzeugnisse und Universitätszertifikat BF 2
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Zeitungsartikel
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Arztbrief BF 2
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Teilnahmebestätigung Deutschkurs BF1 und BF 2
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Mutter Kind Paß
Von der belangten Behörde wurde ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten vom 23.05.2013 betreffend der BF 2 eingeholt.
I.2. Der Antrag der BF sowie des gemeinsamen Kindes auf internationalen Schutz wurde mit Bescheiden der belangten Behörde vom 12.07.2013 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status von Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status subsidiär Schutzberechtigter in Bezug auf den Herkunftsstaat Volksrepublik Bangladesch nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Volksrepublik Bangladesch verfügt (Spruchpunkt III.).
I.2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen der BF im Wesentlichen aufgrund der vagen und undetaillierten Schilderung als unglaubwürdig:
Insbesondere seien auch weite Teile des Vorbringens unschlüssig gewesen, wie beispielsweise, dass der BF1 laut eigener Angabe die BF2 am XXXX 2010 geheiratet hat, diese das gemeinsame Kind am XXXX zur Welt brachte, und damit nicht nachvollziehbar ist, dass die Familien geglaubt haben, die BF2 sei vor der Hochzeit schwanger geworden. Zudem sei es zu Divergenzen in den Angaben von BF1 und BF2 gekommen, insbesondere schon betreffend der anwesenden Gäste bei der Hochzeit. Auch der BF 1 selbst verstickte sich in diverse Widersprüche betreffend dem Besitz von Identitätsdokumenten und dem Erhalt von vorgelegten Beweismitteln.
I.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Volksrepublik Bangladesch traf die belangte Behörde ausführliche Feststellungen.
I.2.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Ebenso stelle eine Ausweisung keinen unzulässigen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf ein Privat- und Familienleben der BF dar.
I.3. Gegen diese Bescheide wurde mit in den Akten ersichtlichen Schriftsätzen innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.
Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass die Bescheide der belangten Behörde wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten würden. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Identität der BF1 und BF2 nicht feststehen sollte. Diese hätten Schul-, Arbeits- und Universitätszeugnisse vorgelegt. Es wäre der belangten Behörde leicht möglich gewesen, bei den ausstellenden Stellen Nachforschungen zur Identität der BF anzustellen. Schon deshalb, weil die Behörde dies unterlassen hat, sei das Verfahren mangelhaft.
Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb den BF die Glaubwürdigkeit abgesprochen wurde. Diese hätten ihre Fluchtgeschichte übereinstimmend und vollständig dargelegt. Nachforschungen in Bangladesch seien unterblieben.
Dazu wurden von den BF in der Beschwerde auszugsweise diverse Berichte aus dem Jahr 2013 zu Jamaat –e-Islami bzw. zur politischen Lage und zum Einfluss radikal-islamischer Gruppierungen wiedergegeben.
Der medizinische Gutachter habe sich nur unzureichend mit der Krankengeschichte der BF2 auseinander gesetzt. Der Gutachter habe die BF2 detailliert zu ihren Fluchtgründen befragt, ihre psychische Situation sei nur am Rande gestreift worden.
Die BF könnten im Fall ihrer Rückkehr auch keinen staatlichen Schutz erwarten.
I.4. Die Rechtssachen wurden aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 12.03.2015 der Gerichtsabteilung W 154 abgenommen und der Gerichtsabteilung L 512 zugeteilt, welche sich in weiterer Folge als Befangen erklärte. Am 30.04.2015 wurden die Verfahren der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.
I.5. Den Verfahrensparteien wurden mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.7.2015 Länderberichte zur maßgeblichen asyl- und abschieberelevanten Lage in der Volksrepublik Bangladesch mit der Einladung, dazu bis zur mündlichen Verhandlung schriftlich oder im Rahmen dieser mündlich eine Stellungnahme abzugeben, zur Kenntnis gebracht.
I.6. Am 3.9.2015 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein der BF und ihrer Rechtsvertretung eine öffentliche, mündliche Verhandlung statt.
Die BF legten vor:
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Drei Zeugnisse
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Teilnahmebescheinigung Deutschkurs B1
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Prüfungszeugnis A2
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Bestätigung ASKÖ XXXX vom 27.05.15
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Unterstützungsschreiben vom 13.05.15
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Teilnahmebescheinigung B1 Teil 2
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Arbeitsvorvertrag vom 27.08.15
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Teilnahmebescheinigung B1 Teil 1
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Prüfungszeugnis A2 im Original
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Unterstützungsschreiben vom 20.04.15 und vom 31.08.15.
I.7. Am 17.09.2015 langte eine Mitteilung samt Urkundenvorlage der BF ein. Vorgelegt wurde ein Kurzbrief vom XXXX 2015 des AKH XXXX , eine Stellungnahme einer Gesundheitspsychologin und Psychotherapeutin, ein Bericht der Landes-Nervenklinik XXXX und ein Unterstützungsschreiben eines Österreichers mit bengalischen Wurzeln.
I.8. Das Bundesverwaltungsgericht holte in der Folge noch ein ergänzendes Gutachten (zum GA vom XXXX aus dem Fachgebiet der Neurologie und Psychiatrie, die BF 2 betreffend unter Übermittlung der vorgelegten Befunde ein, welches den Verfahrensparteien samt aktuellem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 1.12.2015 mit der Einladung, dazu binnen 2 Wochen eine Stellungnahme abzugeben, übermittelt wurde.
I.9. Mit Schriftsatz vom 17.12.2015 brachten die BF im Wesentlichen vor, dass ihr Ansuchen um Fristerstreckung zur Abgabe einer Stellungnahme abgelehnt worden sei. Nach der Rechtsprechung müsse den Parteien die Möglichkeit gegeben werden, innerhalb angemessener Frist eine Stellungnahme abzugeben. Dazu gehöre auch die Möglichkeit, sich einer sachkundigen Person zu bedienen, um einem Sachverständigengutachten auf gleicher fachlicher Ebene begegnen zu können, was innerhalb dieser kurzen Zeit aber nicht möglich gewesen sei. Es werde daher eine Verlängerung der Frist bis 11.1.2016 zur Vorlage eines Gegengutachtens beantragt.
Die BF2 sei auf die Unterstützung des BF1 angewiesen und könne nicht alleine bleiben. Vor diesem Hintergrund könne der BF1 in Bangladesch auch nicht arbeiten gehen.
Das eingeholte Ergänzungsgutachten sei unschlüssig. Die vorgelegten Befunde würden ein wesentlich schwereres Krankheitsbild zeigen als die vom Gerichtsgutachter anlässlich der Untersuchung der BF2 am 17.5.2013 gestellte Diagnose. Trotzdem halte dieser in seinem Ergänzungsgutachten sein 2 ¿ Jahre altes Gutachten aufrecht, ohne die BF2 noch einmal untersucht zu haben. Derartige Schlussfolgerungen könnten aber aus einem 2 1/2 Jahre alten Befund nicht gezogen werden.
Die BF hätten seit 2012 keinen Kontakt mehr zu Angehörigen in Bangladesch und sie hätten sich bereits sehr gut in Österreich integriert. Der BF1 sei bemüht, eine legale Beschäftigung zu finden und verkaufe derzeit die Straßenzeitung "Kupfermuckn". Außerdem habe er eine Einstellungszusage. Beide BF sprächen deutsch auf B1-Niveau und haben die A2-Prüfung abgelegt. Der BF1 habe eine Zulassung zum Masterstudium beantragt. In der Freizeit spiele der BF1 Badminton beim ASKÖ, betätige sich ehrenamtlich bei der Lebenshilfe. Auch die BF2 versuche, sich im Rahmen ihrer gesundheitlichen Möglichkeiten ehrenamtlich zu engagieren. Der BF3 besuche den Kindergarten.
I.10. Mit Schriftsatz vom 8.1.2016 wurde ein Patientenbrief die BF2 betreffend vorgelegt.
I.11. Weiter wurden im Verfahren vor dem BVwG bis zu diesem Zeitpunkt vorgelegt:
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Teilnahmebestätigungen und Prüfungszeugnisse Deutsch BF 1 und BF 2
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Mehrere Unterstützungsschreiben Deutschlehrerin der BF
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Einstellungszusage BF 1
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Unterstützungsschreiben für BF 1 vom Badmintonverein
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Unterstützungsschreiben Lokaler Obmann ASKÖ
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Medizinische Unterlagen BF 2 und K
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Meldezettel
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Freiwilligenpass BF1
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3 persönliche Unterstützungsschreiben von Bekannten
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Bestätigung über Krabbelstubenbesuch K
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Ärztliche / Psychologische Stellungnahme Land OÖ betreffend K
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Bestätigung des Vereins Begegnung über die freiwillige Unterstützung durch die BF 1 bei Festen und Veranstaltungen sowie die Teilnahmen an Kursen
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Geburtsurkunde BF 1
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Aufenthaltsbestätigung Krankenhaus
I.12. Mit Erkenntnis des BVwG vom 18.01.2016 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF sowie ihres Kindes gemäß §§ 3 und 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005, BGBl I 2005/100 idgF als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 idgF wurden die Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
I.13. Der Verfassungsgerichtshof hat den Anträgen, den Beschwerden des BF 1 und der BF 2 die aufschiebenden Wirkung zuzuerkennen, mit Beschluss vom 10.03.2016, Zl. E 381-382/2016/5 keine Folge gegeben.
I.14. Mit Entscheidung des VfGH vom 30.06.2016, Zl E 381-382/2016-13 wurden die Erkenntnisse des BVwG betreffend der Nichtzuerkennung von Subsidiären Schutz an BF 1 und BF 2 sowie betreffend der Zurückverweisung der Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG behoben. Im Übrigen wurde die Behandlung der Beschwerden abgelehnt. Demgemäß sei eine hinreichende Auseinandersetzung mit der gesundheitlichen Situation der BF 2 im Hinblick auf eine Rückführung in den Herkunftsstaat nicht erfolgt.
I.15. Mit Beschluss des VfGH vom 16.08.2016, Zl E 381-382/2016-15 wurde die Beschwerde betreffend der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten hinsichtlich BF 1 und BF 2 an den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 144 Abs. 3 B-VG abgetreten.
I.16. Am 07.09.2016 wurde dem BVwG die bei der belangten Behörde eingebrachte Stellungnahme der BF vom 07.07.2016 weitergeleitet. Vorgelegt wurden ein stationärer Patientenbrief betreffend der BF 2 vom 26.01.2016 sowie ein Entwicklungsdiagnostischer Befund vom 28.01.2016 betreffend K.
I.17. Mit Schreiben vom 19.09.2016 wurde die Zulassung des BF 1 zum Bachelorstudium Informatik vorgelegt.
I.18. Am 22.11.2017 wurden weitere medizinische Unterlagen zur BF 2 sowie zum Kind vorgelegt.
I.19. Mit Schreiben des BVwG vom 04.01.2018 wurden den BF aktuelle Länderfeststellungen übermittelt und wurden sie unter einem aufgefordert, etwaige inzwischen erlangte weitere Beweismittel vorzulegen.
I.20. Am 11.01.2018 langte eine Stellungnahme der BF ein und wurden nachstehende Beweismittel vorgelegt:
Hinsichtlich BF 2
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Kurzarztbrief überstationären Aufenthalt vom XXXX (Tagesklinik Psychiatrie XXXX )
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Kurzarztbrief überstationären Aufenthalt vom XXXX (Psychiatrie XXXX )
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psychologischer Bericht von Doktor Cornelia P. vom 20. 6. 2016
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ärztlichen Befundbericht vom 21. 9. 2017
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Bestätigung/Information über das Angebot pro Mente Oberösterreich vom 16. 11. 2017
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Unterstützungsschreiben Privatperson vom 28. 7. 2017
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ÖSD Zertifikat Deutsch B1 vom 12. 10. 2017
Hinsichtlich BF 1
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Bestätigung/Information über das Angebot pro Mente Oberösterreich vom 16. 11. 2017
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Bestätigung über ehrenamtliche Mitarbeit Volkshilfe
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Schreiben der Lektorin beim XXXX Zentrum für Fremdsprachen und interkulturelle Kommunikation vom 13. 7. 2017
Hinsichtlich des gemeinsamen Kindes
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Schreiben Heilpädagogische Frühförderung
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ärztliche Bestätigung ( XXXX Konventionsspital) vom XXXX 2017
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Bestätigung Kindergartenbesuch vom 16. 11. 2017
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1.1. Die Beschwerdeführer:
Bei den BF handelt es sich um im Herkunftsstaat der Mehrheits- und Titularethnie angehörige Bangladescher, welche aus einem überwiegend von Bangladeschern bewohnten Gebiet stammen und sich zum Mehrheitsglauben des Islam bekennen.
Der BF 1 ist ein junger, weitgehend gesunder (er hat nach eigener Angabe lediglich Migräne), arbeitsfähiger Mann. Der BF 1 hat nach der Grund- und Hauptschule einen Diplomkurs abgeschlossen und war im Anschluss in einem Büro tätig.
Die BF haben seit 2012 keinen Kontakt mehr zu ihren in Bangladesch lebenden Verwandten.
Die BF 1 und 2 sind traditionell verheiratet.
XXXX , geb., XXXX in Österreich ist das gemeinsame Kind der BF1 und BF2. Dessen erster Antrag auf internationalen Schutz wurde vollinhaltlich rechtskräftig abgewiesen. Über den zweiten Asylantrag vom 07.09.2016 wurde von der ersten Instanz noch nicht entschieden.
Bei der BF 2 trat eine Eklamsie (unter anderem epileptische Anfälle während der Schwangerschaft) auf, weshalb sie im Zuge der Geburt intubiert, beatmet und notsektioniert werden musste. Sie fiel nach Kaiserschnitt in ein mehrtägiges Koma begleitet von ausgeprägten hirnorganischen Veränderungen (Hirnblutung) und Ausbildung einer schweren Depression. Die BF 2 wurde im Zuge ihres Aufenthalts von der Landes Frauen- und Kinderklinik für einen Tag in eine geschlossene Abteilung transferiert, da sie Suizidgedanken hatte. Die BF 2 wurde mit einer schweren postpartalen Depression am 24.12.2012 entlassen. Die BF 2 begann mit einer psychiatrischen Behandlung aufgrund der Diagnose PTBS, Sozialphobie, Angststörung und schwerer depressiven Störung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung und dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörung. Sie wurde medikamentös eingestellt. Mit November 2013 begann eine zusätzliche psychotherapeutische Behandlung. Die BF 2 leidet aktuell an rezidivierenden depressiven Episoden, gegenwärtig an einer schweren Episode mit psychotischen Symptomen, an einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie an chronischem Tinnitus. Zusätzlich zeigt sie eine körperliche Schmerzsymptomatik (Rücken- und Nackenschmerzen, Migräne, Stechen und Summen im Kopf). Sie wurde bereits mehrmals für mehrere Monate – zuletzt von XXXX - stationär in psychiatrischen Kliniken behandelt. Sie steht in engmaschiger psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung, welche sie auch gewissenhaft wahrnimmt und muss diverse Medikamente (Sertralin, Atarax, Seroquel, Cerebokan, Trental) einnehmen. Die BF 2 ist aufgrund ihrer Erkrankung, insbesondere der sozialen Phobie massiv im Alltag beeinträchtigt und benötigt Unterstützung, welche sie durch den Ehemann erhält. Der BF 1 übernimmt auch vorwiegend die Betreuung des Kindes. Der Wegfall der therapeutischen Vertrauensperson, zu welcher sie langsam Vertrauen aufbaute, könnte eine tiefe Verunsicherung und eine massive Verschlechterung des psychischen Zustandsbildes verursachen. Die BF 2 hat immer wieder Suizidgedanken, weshalb eine kontinuierliche Therapie gewährleistet sein muss.
Das Kind der BF leidet an einer Autismusspektrumsstörung in Verbindung mit einem Entwicklungsrückstand. Es besteht ein Zustand nach Frühgeburt in der 33. Schwangerschaftswoche und Zustand nach peripartaler Asphyxie. Es bedarf einer engmaschigen therapeutischen Begleitung und Entwicklungsförderung. Das Kind besucht seit 2015 einen Heilpädagogischen Kindergarten und nimmt an einer autismusspezifischen Therapie im Krankenhaus teil.
Der BF 1 hat am 12.10.2015 die Deutschprüfung A2 (Hören, Lesen, Schreiben) bzw. B1 (Sprechen), Gesamtergebnis A2 absolviert. Er wurde mit 02.08.2016 zum Bachelorstudium Informatik an einer österreichischen Universität zugelassen.
Die BF 2 hat am 12.10.2015 die Deutschprüfung A2 (Hören, Lesen, Schreiben) bzw. B1 (Sprechen), Gesamtergebnis A2 absolviert.
Die BF haben Kontakte zu Österreichern, der BF 1 spielt Federball beim ASKÖ, wo er auch Mitglied ist. Er verkauft eine Straßenzeitung und ist auch freiwillig in Organisationen tätig, wo er ehrenamtlich arbeitet.
Die Identität der BF steht nicht fest.
II.1.2. Die Lage in der Volksrepublik Bangladesch:
1. Politische Lage
Bangladesch ist eine Volksrepublik (People' s Republic of Bangladesh) mit einer seit 1991 wieder geltenden parlamentarischen Demokratie als Regierungsform (GIZ 5.2017).
Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird, eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt Großteils zeremonielle Funktionen aus, die Macht liegt in den Händen des Premierministers als Regierungschef, der von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt wird. Der Premierminister, ernennt die Regierungsmitglieder, die vom Präsidenten bestätigt werden. Nach Ende der 5-jährigen Legislaturperiode bildet der Präsident unter seiner Führung eine unabhängige "Caretaker"-Regierung, deren verfassungsmäßige Aufgabe es ist, innerhalb von 90 Tagen die Voraussetzungen für Neuwahlen zu schaffen (ÖB New Delhi 12.2016; vgl. GIZ 5.2017). Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 5.2017). Aktuell hat Sheikh Hasina von der Awami League (AL) das Amt der Premierministerin inne (ÖB New Delhi 12.2016)
Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 in Einzelwahlkreisen auf fünf Jahre direkt gewählten Abgeordneten (ÖB New Delhi 12.2016) mit zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (AA 14.1.2016). Das Parlament tagt nicht während der Amtszeit der "Caretaker"-Regierung. Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesch Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Während die konservative BNP Verbündete bei den islamistischen Parteien wie der Jamaat-e-Islami (JI) hat, bekommt die AL traditionell Unterstützung von linken und säkularen Parteien, wie der Arbeiterpartei, der liberaldemokratischen Partei, der national-sozialen Partei Jatiyo Samajtantrik Dal und jüngst auch von der Jatiya Partei unter dem ehemaligen Militärdiktator Hossain Mohammad Ershad (ÖB New Delhi 12.2016).
Das politische Leben wird seit 1991 durch die beiden größten Parteien, die "Awami League" (AL) und "Bangladesh Nationalist Party" (BNP) bestimmt. Klientelismus und Korruption sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind stark politisiert und parteipolitisch durchdrungen (AA 3.2017a). AL und BNP werden quasi-dynastisch von Sheikh Hasina und Begum Khaleda Zia geführt, die das politische Vermächtnis ihrer ermordeten Männer fortführen und eine unangefochtene Machtstellung in ihrer jeweiligen Partei genießen. Sie beeinflussen den Kandidatenauswahlprozess für Partei- und Staatsämter und geben den Takt für die politischen Auseinandersetzungen vor. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potential, durch Generalstreiks (Hartals) großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 5.2017). Nennenswerte parlamentarische Stärke haben in der Vergangenheit sonst nur die Jatiya Party (JP) und die JI erzielt (GIZ 5.2017).
Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteiischen Demokratie hat de facto jedoch die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei nach ihrem Wahlboykott am 5.1.2014 überhaupt nicht mehr im Parlament vertreten ist. Wie schon die Vorgängerregierungen, so baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in der Verwaltung, im Rechtswesen und im Militär aus. Auch im Regierungskabinett folgen Ernennungen und Umbesetzungen meist dem Prinzip der Patronage (GIZ 5.2017).
Bereits am 30.7.2011 hat das Parlament bei nur einer Gegenstimme, die BNP und ihre Verbündeten haben der Parlamentssitzung nicht beigewohnt, in der 15. Verfassungsänderung den Islam als Staatsreligion bestätigt, jedoch den Zusatz "Absolutes Vertrauen und der Glauben an den Allmächtigen Allah soll die Basis allen Handelns sein" aus der Verfassung gestrichen. Ungeachtet der ausgeprägten Leistungsdefizite staatlicher Institutionen, der undemokratischen innerparteilichen? Entscheidungsstrukturen und der in der letzten Dekade verstärkt gewalttätig ausgetragenen Parteienrivalität ist der Glauben an die Demokratie innerhalb der Bevölkerung ungebrochen (GIZ 5.2017; vgl. AA 3.2017a).
Am 5.1.2014 boykottierte die BNP die 10. Parlamentswahlen wodurch die AL eine verfassungsändernde Mehrheit erreichen konnte. Weitere Sitze gingen an Koalitionspartner der AL. Die sehr geringe Wahlbeteiligung von nur ca. 30% bei den Parlamentswahlen 2014 ist auf den Wahlboykott der Opposition zurückzuführen. Es gab Berichte über massive Einschüchterungsversuche wahlbereiter Bürger seitens oppositioneller Gruppen (GIZ 5.2017; vgl. AA 3.2017a). Am Wahltag wurden mindestens 21 Menschen getötet und über 130 Wahllokale in Brand gesetzt. Die Opposition reagierte bereits einen Tag nach den Wahlen mit Generalstreiks und in vielen Distrikten wurde über Attacken gegen ethnische und religiöse Minderheiten, v.a. Hindus, berichtet. Die AL versuchte mit gezielten Verhaftungen von Oppositionspolitikern den Druck auf das Regime zu schwächen (GIZ 5.2017).
Die verfassungsändernde Mehrheit im Parlament führt zu einer enormen Machtkonzentration in den Händen der AL respektive der Regierung. Mit neuen Gesetzen zu Medien, Äußerungen im Internet, Absetzung von obersten Richtern und Förderung von NGOs aus dem Ausland wird diese Konzentration noch weiter verstärkt. Die derzeitige Regierung hat es sich zum Ziel gemacht, Verbrechen des Unabhängigkeitskrieges von 1971 juristisch aufzuarbeiten. Angeklagt sind damalige Kollaborateure der pakistanischen Streitkräfte, von denen viele bis zur letzten innerparteilichen Wahl in führenden Positionen der islamistischen JI waren (AA 3.2017a). Auch die BNP ist dadurch in der Defensive (GIZ 5.2017). Die Prozesse und (häufig Todes-) Urteile öffnen alte Wunden und führen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen säkularen und islamistischen Kräften (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden acht Todesurteile und mehrere lebenslange Haftstrafen ausgesprochen, sechs Hinrichtungen wurden vollstreckt. Dabei hat sich innerhalb der säkularen Zivilgesellschaft mit Blick auf das Kriegsverbrechertribunal ein grundlegender Dissens entwickelt: Während die einen auf rechtstaatliche Standards pochen und die Todesstrafe ablehnen, ist für andere, v.a. aus der urbanen Protestbewegung Shabagh, jedes Urteil unterhalb der Todesstrafe inakzeptabel (GIZ 5.2017).
Bei den am 30.12.2015 in 234 Stadtbezirken durchgeführten Kommunalwahlen in Bangladesch ist die regierende AL als Siegerin hervorgegangen (NETZ 2.1.2016).
Quellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (14.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch
-
AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Bangladesch, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Bangladesch/Innenpolitik_node.html, Zugriff 9.6.2017
-
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (5.2017): Bangladesch, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/#c14332, Zugriff 9.6.2017
-
HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/334685/476437_de.html, Zugriff 9.6.2017
-
NETZ - Partnerschaft für Entwicklung und Gerechtigkeit e.V. (2.1.2016): Bangladesch Aktuell, http://bangladesch.org/bangladesch/aktuell/detailansicht/news/detail/News/kommunalwahlen/cHash/781fa29261a9302cfb84107680f22794.html, Zugriff 9.6.2017
-
ÖB New Delhi (12.2016): Asylländerbericht
2. Sicherheitslage
Es gibt in Bangladesch keine Bürgerkriegsgebiete (AA 3.2017a).
Die Opposition organisierte Proteste und Straßenblockaden, unter denen die Wirtschaft leidet. Die Regierung reagiert mit Verhaftungen und mit Einschränkungen von Grundrechten. Sie will die öffentliche Ruhe mit allen Mitteln wiederherstellen. Die internationale Gemeinschaft verurteilte die Gewalt scharf und hat die Beteiligten zum Dialog aufgerufen (GIZ 5.2017).
Extremistische Gruppen, wie Jamaat-ul-Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansar al-Islam, die ihre Zugehörigkeit zu Daesh und Al Qaida auf dem indischen Subkontinent (AQIS) erklärten, haben Angriffe auf Angehörige religiöser Minderheiten, Akademiker, Ausländer, Menschenrechtsaktivisten und LGBTI-Personen, sowie weitere Gruppen durchgeführt (USDOS 3.3.2017; vgl. AI 22.2.2017). Medienberichten zufolge hat die Terrororganisation IS 2016 für 39 Morde die Verantwortung übernommen, der bengalische Al-Kaida-Ableger soll sich zu acht Taten bekannt haben (GIZ 5.2017). Die Sicherheitsbehörden waren zunächst nicht bereit, angemessene Schutzmaßnahmen zu veranlassen, gewährt aber in vielen Fällen inzwischen Personenschutz (AA 14.1.2016). Darüber hinaus kommt es regelmäßig zu intra- und interreligiöser Gewalt (AA 3.2017a; vgl. AI 22.2.2017). die Polizei tötete laut eigenen Angaben mindestens 45 mutmaßliche Terroristen in Schießereien (AI 22.2.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (14.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch
-
AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Bangladesch, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Bangladesch/Innenpolitik_node.html, Zugriff 9.6.2017
-
AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights – Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/336450/479091_de.html, Zugriff 28.6.2017
-
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (5.2017): Bangladesch, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/#c14332, Zugriff 9.6.2017