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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
Aufenthaltsrecht Bosnien-Herzegowina 1995/389 §1 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des Z, geboren am 6. Jänner 1970, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Saalbaugasse 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 16. April 1996, Zl. Frb-4250b-1/95, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (der belangten Behörde) wurde der Beschwerdeführer, nach den Feststellungen des angefochtenen Bescheides ein jugoslawischer Staatsangehöriger, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.
Nach Wiedergabe der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen führt die belangte Behörde begründend aus, dass der Beschwerdeführer am 4. April 1995 bei der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn zu Protokoll gegeben habe, am 15. Februar 1992, also etwa zwei Monate bevor in seiner Heimatgemeinde Bozinci, Kreis Doboj, der Krieg ausgebrochen sei, über den Grenzübergang Horgos nach Österreich eingereist zu sein. Er habe sich in der Folge bei der Caritas in Feldkirch gemeldet und sei im Oktober 1992 in Caritas-Betreuung aufgenommen worden. Auf Grund der vorgelegten Caritasbestätigung sei ihm von der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch ein "Flüchtlingsvisum", gültig bis 19. August 1993, erteilt worden. Am 16. August 1993 habe er neuerlich einen Antrag auf "Verlängerung der Bewilligung" gestellt. Am 16. August 1993 sei ihm von der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch eine "Aufenthaltsbewilligung" gemäß § 12 Aufenthaltsgesetz, gültig bis 30. Juni 1994, erteilt worden. Nachdem ihm am 3. Jänner 1994 vom jugoslawischen Generalkonsulat in Salzburg ein serbischer Reisepass mit den Buchstaben "CE" ausgestellt worden sei, sei er aus der Caritas-Betreuung entlassen worden. In seiner Stellungnahme vom 21. Februar 1996 habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er sich den serbischen Reisepass mit den Buchstaben "CE" nur aus religiösen Gründen hätte ausstellen lassen.
Durch die Annahme des jugoslawischen Reisepasses stehe für die belangte Behörde fest, dass sich der Fremde unter den Schutz des völkerrechtlich nicht anerkannten Staates "Bundesrepublik Jugoslawien" begeben hätte. Weiters stehe für die belangte Behörde fest, dass für den Fremden die Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina nicht zutreffe, weil seine Einreise nach Österreich vor Ausbruch des Krieges in seiner Heimat stattgefunden habe, wie er selbst angegeben habe. Weiters sei die genannte Verordnung gemäß § 1 Abs. 3 nicht anzuwenden, weil für den Beschwerdeführer die übrigen Voraussetzungen nach dem Abs. 1 der zitierten Verordnung nicht gegeben seien. § 1 Abs. 3 der Verordnung normiere, dass ungeachtet der Staatsangehörigkeit ein solches Aufenthaltsrecht auch Personen aus Grenzstädten zur ehemaligen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina gewährt werden könne, sofern die übrigen Voraussetzungen nach dem Abs. 1 gegeben seien. Gemäß Abs. 1 hätten Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und deren Ehegatten und minderjährige Kinder, die auf Grund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese hätten verlassen müssen, anderweitig keinen Schutz gefunden hätten und vor dem 1. Juli 1993 eingereist seien, ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht. Da der Beschwerdeführer zu keinem dieser Personenkreise gehöre, träfen auf ihn die Voraussetzungen der oben genannten Verordnung nicht zu. Der Beschwerdeführer halte sich daher seit 1. Juli 1994 nicht mehr rechtmäßig in Österreich auf und sei daher gemäß § 17 Abs. 1 FrG mit Bescheid auszuweisen, wobei allerdings auf § 19 FrG Bedacht zu nehmen gewesen sei. Die öffentliche Ordnung, insbesondere das Interesse an einem geordneten Fremdenwesen, erfordere es, dass Fremde, die nach Österreich einwandern wollten, die dabei zu beachtenden Vorschriften einhielten. Die öffentliche Ordnung werde schwer wiegend beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, sich unerlaubt nach Österreich begäben und damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen stellten. Der eineinhalbjährige unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers, vor allem aber auch sein weiteres Verbleiben nach der "Feststellung" durch die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn, dass ihm eine "Aufenthaltsbewilligung" nach § 12 Aufenthaltsgesetz nicht erteilt werde, würden die öffentliche Ordnung in hohem Maß gefährden. Auf Grund des relativ kurzen und zudem nicht rechtmäßigen Aufenthalts könne von einer sozialen Integration nicht ausgegangen werden. Laut den vorliegenden Aktenunterlagen sei keine enge familiäre Bindung zu Österreich ersichtlich, es finde daher kein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers statt.
Die gegen diesen Bescheid an den Verfassungsgerichtshof erhobene Beschwerde trat dieser nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 17. Juni 1996, B 1852/96, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beantragt der Beschwerdeführer, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 17 Abs. 1 FrG sind Fremde mit Bescheid auszuweisen, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; hiebei ist auf § 19 Bedacht zu nehmen. Nach letzterer Vorschrift ist die Erlassung einer Ausweisung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Die zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides in Kraft gestandene Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina BGBl. Nr. 389/1995 lautet:
"§ 1. (1) Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und deren Ehegatten und minderjährige Kinder, die auf Grund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mussten, anderweitig keinen Schutz fanden und vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, haben ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet.
(2) Dieses Aufenthaltsrecht besteht weiters für die nach dem 1. Juli 1993 eingereisten und einreisenden Personen gemäß Abs. 1, sofern die Einreise über eine Grenzkontrollstelle erfolgte, bei der sich der Fremde der Grenzkontrolle stellte und ihm entsprechend internationaler Gepflogenheiten die Einreise gestattet wurde.
(3) Ungeachtet der Staatsangehörigkeit kann ein solches Aufenthaltsrecht auch Personen aus Grenzstädten zur ehemaligen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina gewährt werden, sofern die übrigen Voraussetzungen nach dem Abs. 1 gegeben sind.
(4) Dieses Aufenthaltsrecht besteht bis zum 30. Juni 1996.
§ 2. Personen, die zum 1. Jänner 1995 gemäß der Verordnung der Bundesregierung, BGBl. 1038/1994, ein Aufenthaltsrecht hatten, können den Antrag auf Erteilung einer Bewilligung gemäß § 1 Abs. 1 AufG ausnahmsweise im Inland stellen.
§ 3. Mit dem Inkrafttreten dieser Verordnung tritt die Verordnung BGBl. Nr. 1038/1994 außer Kraft."
In den Beschwerdeausführungen wird geltend gemacht, dass der Beschwerdeführer sämtliche Voraussetzungen des § 12 AufG und der genannten Verordnung erfülle. Von einem unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich könne nicht gesprochen werden. Wie bereits in seiner Berufung, weist der Beschwerdeführer auch in der Beschwerde darauf hin, dass er sich einen serbischen Reisepass nur aus religiösen Gründen habe ausstellen lassen. In diesem Zusammenhang stelle sich die Frage, ob der Beschwerdeführer überhaupt unter den Schutz von Serbien bzw. des völkerrechtlich nicht anerkannten Staates "Bundesrepublik Jugoslawien" gestellt sei. Diese Frage sei seiner Auffassung nach noch immer nicht geklärt. Eine Rückkehr in sein Heimatdorf Doboj sei auf Grund der derzeitigen Situation unmöglich, weil sein Haus während des Krieges vollkommen zerstört worden sei. Auch verstoße der angefochtene Bescheid gegen § 19 FrG und Art. 8 Abs. 2 EMRK. Eine Abwägung zwischen privaten und öffentlichen Interessen sei überhaupt nicht erfolgt, wobei die privaten Interessen des Beschwerdeführers die öffentlichen Interessen an einer Ausweisung bei weitem überwögen, weil er seit 1992 in Österreich lebe und seine Schwester, die für seinen Unterhalt und seine Unterkunft sorge, und seine Nichte, beide österreichische Staatsbürgerinnen, hier wohnhaft seien. Sämtliche seiner Lebensinteressen lägen in Österreich, zumal seine Eltern bereits verstorben seien.
Die belangte Behörde hat das Vorliegen der Voraussetzungen der genannten Verordnung deswegen verneint, weil seine Einreise nach Österreich vor Ausbruch des Krieges in seiner Heimat stattgefunden habe. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass der Beschwerdeführer nach den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid am 15. Februar 1992 nach Österreich eingereist ist und im Verwaltungsverfahren vorgebracht hat, nach Ausbruch des Krieges aus Bosnien geflohen zu sein, weil er Angst gehabt hätte, zum Militärdienst eingezogen zu werden und in weiterer Folge gegen seine eigenen Landsleute hätte kämpfen müssen (vgl. seine niederschriftliche Einvernahme am 4. April 1995 vor der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn). Sein Heimatdorf liege mitten im Kriegsgebiet, weshalb seine Rückkehr dorthin unmöglich sei (Berufung vom 14. Juli 1995). Bei dieser Sachlage durfte die belangte Behörde nicht ohne Weiteres ausschließen, dass der Beschwerdeführer -dessen Eigenschaft als Kriegsvertriebener nach der genannten Verordnung von der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch bejaht worden war - seine Heimat "auf Grund der bewaffneten Konflikte" im Sinn der genannten Verordnung habe verlassen müssen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen vom 16. Mai 1997, Zl. 95/19/1367 und vom 15. Dezember 1999, Zl. 97/09/0257 ausgeführt hat, ist der Beginn der bewaffneten Konflikte in Bosnien-Herzegowina im Sinn der genannten Verordnung etwa mit dem Ende des Jahres 1991 anzusetzen (Bosnien-Herzegowina hat am 15. Oktober 1991 seine Souveränität erklärt, vgl. Fischer Welt-Almanach 1993, Seite 34 f ). Auch kann ein Grund zum Verlassen der Heimat im Sinn der genannten Verordnungsstelle auch in einer konkret drohenden Ausweitung bewaffneter Konflikte gelegen sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1996, Zl. 95/21/0389).
Soweit die belangte Behörde die Anwendbarkeit der genannten Verordnung auf den Beschwerdeführer mit der Begründung verneint, er habe durch die Ausstellung eines Reisepasses durch die Bundesrepublik Jugoslawien seine - von den Behörden durch die Ausstellung eines "Flüchtlingsvisums" und einer "Aufenthaltsbewilligung nach § 12 Aufenthaltsgesetz" (gemeint sind Bescheinigungen eines Aufenthaltsrechts gemäß § 12 AufG) davor offensichtlich als gegeben erachtete - Staatsbürgerschaft von Bosnien-Herzegowina verloren, hat sie verkannt, dass aus der Tatsache der Ausstellung eines Reisepasses der Bundesrepublik Jugoslawien noch nicht auf den Verlust der Staatsbürgerschaft von Bosnien-Herzegowina geschlossen werden kann. Der belangten Behörde wäre es vielmehr - unter weiterer Mitwirkung des Beschwerdeführers - oblegen, die Frage zu klären, ob nicht ungeachtet der Ausstellung des besagten Reisepasses der Beschwerdeführer, wie von ihm behauptet, weiterhin (allenfalls auch) bosnischer Staatsangehöriger war (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. September 1996, Zl. 95/19/0552, und vom 24. Oktober 1996, Zl. 95/18/0891). Die belangte Behörde konnte somit bereits aus diesem Grund nicht ohne Weiteres von einem unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers gem. § 17 Abs. 1 FrG ausgehen. Auf einen allfälligen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Grund des § 19 leg. cit. brauchte daher nicht eingegangen zu werden.
Der angefochtene Bescheid war nach dem Gesagten gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war im Hinblick darauf abzuweisen, dass nur eine Kopie des angefochtenen Bescheides vorzulegen war.
Wien, am 19. Mai 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1996210610.X00Im RIS seit
02.05.2001