TE Vwgh Erkenntnis 2000/5/19 96/21/0783

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Veröffentlicht am 19.05.2000
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des N in Linz, geboren am 7. Dezember 1933, vertreten durch Dr. Georg Maxwald, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Schmidtorstraße 4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 19. April 1996, Zl. St 142/96, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 25. April 1995 eingereiste Beschwerdeführer, ein albanischer Staatsangehöriger, gab vor dem Bundesasylamt zu seinen Fluchtgründen befragt an, er sei bis Ende 1988 stellvertretender Direktor einer Volksschule gewesen. Weiters sei er bis zum Jahr 1985 für den Bereich eines namentlich genannten Dorfes Sekretär der Kommunistischen Partei für die Teilorganisation Gesundheitswesen gewesen. Ab Ende des Jahres 1990 bzw. Anfang des Jahres 1991 habe er mit der demokratischen Partei Albaniens sympathisiert. Mitglieder und Sympathisanten dieser Partei hätten im Jahr 1991 Demonstrationen abgehalten, an welchen der Beschwerdeführer nicht teilgenommen habe. In den Monaten März, April und Mai 1991 sei er wiederholt von Parteifunktionären aufgefordert worden, Mitglied der Demokratischen Partei zu werden. Er habe die Mitgliedschaft abgelehnt, weil er sich für politische Aktivitäten zu alt gefühlt habe. Wegen der Kündigung qualifizierter Arbeitnehmer und der Aufnahme ehemaliger Krimineller in den Polizeidienst habe sich der Beschwerdeführer sodann bis April 1995 in der Öffentlichkeit kritisch geäußert. Im Jahr 1992 sei er als ehemaliger Lehrer zweimal und Anfang April 1995 einmal in seiner Heimatstadt Tirana von Funktionären der Demokratischen Partei aufgefordert worden, in Schulen Vorträge zu Gunsten der Demokratischen Partei zu halten. Dies habe der Beschwerdeführer unter Hinweis auf sein Alter und wegen der erwähnten Missstände abgelehnt. Im September 1992 hätten zwei Polizisten seine Wohnung durchsucht, weil er zu Unrecht beschuldigt worden sei, eine verbotene Versammlung abgehalten zu haben. Die Polizisten hätten seine Bibel zu Boden geworfen, ebenso ein Bild des Beschwerdeführers mit seiner Gattin, und seien darauf getreten. Im Anschluss an eine im Juli 1993 friedlich verlaufene Demonstration hätten einige Personen jener Gruppe, der der Beschwerdeführer angehörte, lautstark den Rücktritt der Regierung und die Abhaltung von Wahlen gefordert. Polizisten seien unter Einsatz von Schlagstöcken eingeschritten und es sei im Zug dieses Einsatzes auch der Beschwerdeführer durch Schläge mit Gummiknüppeln getroffen worden. Er sei gemeinsam mit anderen Personen zur Polizeistelle eskortiert und nach zwei Stunden freigelassen worden. Im Lauf des Jahres 1994 habe sich der Beschwerdeführer fallweise in Gesprächen mit Bekannten kritisch über den Entwurf einer Verfassung geäußert. Im November 1994 seien Polizisten in seiner Wohnung erschienen und hätten ihn der Verbreitung von Flugblättern beschuldigt. Die Polizisten hätten seine Wohnung durchsucht und ein Exemplar eines Flugblattes gefunden, welches ein Unbekannter durch den Türspalt in seine Wohnung geschoben gehabt habe, um den Beschwerdeführer zu beschuldigen. Der Beschwerdeführer sei auf die Polizeistelle eskortiert und nach zwei Stunden freigelassen worden.

An dem Referendum über die Verfassung im November 1994 hätten der Beschwerdeführer und seine Ehegattin nicht teilnehmen können, weil er wegen der angeführten kritischen Äußerungen und des Verdachts, Flugblätter verbreitet zu haben, nicht in die behördliche Namensevidenz aufgenommen worden sei. Am 10. April 1995 sei er von zwei Polizisten auf die Polizeistelle gebracht, dort gestoßen, mit Händen geschlagen, bespuckt und beschimpft worden. Man habe ihn beschimpft, Kommunist und "unkorrigierbar" zu sein und ihm gedroht, er müsse im Gefängnis sterben. Man habe ihn beschuldigt, den Staatspräsidenten mehrmals als Mörder bezeichnet zu haben. Dies habe der Beschwerdeführer verneint. Ein Polizist habe ihm einen Fußtritt versetzt; nach vier Stunden sei er mit dem Auftrag entlassen worden, Tirana nicht zu verlassen. Am späten Nachmittag des 11. April 1995 sei an seine Ehegattin in seiner Wohnung für ihn eine Ladung zugestellt worden, wonach er am 12. April 1995 beim Untersuchungsrichter in Tirana zu erscheinen habe. Dieser Ladung habe er keine Folge geleistet, weil er Angst gehabt habe, zu Unrecht eines Delikts beschuldigt und angeklagt zu werden. Er habe sich zu seinem Schwager begeben und dort bis zum 24. April 1995 aufgehalten. Sollte er nach Albanien zurückkehren, würde er zu Unrecht der Beleidigung des Staatspräsidenten und der staatsfeindlichen Propaganda angeklagt und zu einer Freiheitsstrafe von etwa zwei Jahren verurteilt werden. Er würde von der Polizei schwer misshandelt werden und hätte dauernde körperliche Schäden oder sogar den Tod zu befürchten.

In Ergänzung zu seinem am 3. Mai 1995 ohne Angabe von Gründen gestellten Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Albanien verwies der Beschwerdeführer im Schriftsatz vom 12. Jänner 1995 (richtig: 1996) vorerst auf die oben wiedergegebenen Angaben und weiters darauf, dass laut amnesty international im Jahr 1994 mindestens 16 gewaltlose politische Gefangene in Haft gewesen und im Jahr 1995 mindestens zwölf politische Gefangene nach unfairen Prozessen zu Freiheitsstrafen verurteilt worden seien. Trotz Ratifizierung internationaler Abkommen sei es in den letzten Jahren zu Übergriffen der Polizei gekommen, sodass allein 1994 drei und 1995 mindestens fünf Menschen an den Folgen der im Gewahrsam der Polizei erlittenen Misshandlungen gestorben seien.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 19. April 1996 stellte die belangte Behörde gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer in Albanien gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei. Nach Wiedergabe seiner Aussage im Verwaltungsverfahren und der maßgeblichen Gesetzesstellen verwies die belangte Behörde auf die rechtskräftige Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers und meinte, sie könne auch keine Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG feststellen, zumal die vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfälle (Hausdurchsuchung, Polizeiverhör) doch eher der Aufklärung von Strafrechtsdelikten zuzuordnen seien. Der Beschwerdeführer sei nach kurzfristigen Anhaltungen jeweils wieder freigelassen worden. Wenngleich Misshandlungen durch Polizeiorgane nicht gut zu heißen und aufs Schärfste zu verurteilen seien, so stellten sich diese Misshandlungen doch bloß als Übergriffe einzelner Beamter dar. Seine Befürchtung, zu Unrecht verurteilt zu werden, sei eine bloße Vermutung, weil er sich gar nicht der Vernehmung beim Untersuchungsrichter in Tirana gestellt habe und somit nicht wissen könne, wie das Gerichtsverfahren enden würde. Die Vorladung zum Untersuchungsrichter weise auf eine gewisse Rechtsstaatlichkeit dieses Verfahrens hin. Der Beschwerdeführer habe selbst angegeben, dass er im Anschluss an eine zuerst friedlich verlaufene Demonstration an einer verbotenen (lautstarken) Demonstration teilgenommen habe. Bei derartigen Handlungen habe der Beschwerdeführer auch in Staaten westlicher Prägung mit einer Reaktion seitens der Ordnungskräfte zu rechnen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.

Die belangte Behörde legte unter Verzicht auf die Erstattung

einer Gegenschrift die Verwaltungsakten vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung iS des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 5. November 1999, Zl. 97/21/0911.)

Wenn auch die im angefochtenen Bescheid vorgenommene Verweisung auf die Ergebnisse des Asylverfahrens ins Leere geht, weil der Asylantrag des Beschwerdeführers wegen Drittstaatssicherheit abgewiesen worden war, wertete die belangte Behörde, wie der Begründung des angefochtenen Bescheids in ihrer Gesamtheit zu entnehmen ist, die vom Beschwerdeführer dargestellten Verfolgungshandlungen seitens der albanischen Behörden als nicht ausreichend, um auf eine Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinn des § 37 FrG schließen zu können.

Dieser Ansicht vermag sich der Gerichtshof nicht anzuschließen. Die Ladung zum Untersuchungsrichter und die daraus resultierende Befürchtung von (weiteren) Repressionen durch die Polizeibehörden einschließlich nachhaltiger schwerer Misshandlungen waren das vom Beschwerdeführer geschilderte Hauptmotiv für seine Flucht. Da der Beschwerdeführer vorher mehrmals von der Polizei festgenommen worden und auch Gewaltakten ausgesetzt gewesen war, ist diese Befürchtung des Beschwerdeführers keineswegs grundlos. Nicht tragfähig ist das Argument der belangten Behörde, der Beschwerdeführer könne nicht wissen, wie das Verfahren geendet hätte, liefe doch eine derartige Begründung darauf hinaus, vom Antragsteller zu verlangen, sich drohenden Verfolgungsmaßnahmen vorerst stellen zu müssen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1998, Zl. 95/21/0399). Soweit die belangte Behörde eine "gewisse Rechtsstaatlichkeit" der Maßnahmen der Behörden des Heimatlandes des Beschwerdeführers anspricht, ist dies mit den auf Grund eines unterschobenen Flugblatts vorgenommenen polizeilichen Handlungen nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen. Letztlich vermag der Hinweis der belangten Behörde, die Festnahme des Beschwerdeführers sei wegen der Teilnahme an einer verbotenen Demonstration erfolgt, ihre Rechtsansicht schon deswegen nicht zu stützen, weil andere gegen ihn gesetzte polizeiliche Maßnahmen keinen Zusammenhang mit der Demonstration aufweisen.

Zusammenfassend unterlag die belangte Behörde mit ihrer Ansicht, der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft gemacht, dass er im Fall der Abschiebung in sein Heimatland iSd § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG gefährdet oder bedroht wäre, einem Rechtsirrtum, weshalb der angefochtenen Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 19. Mai 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1996210783.X00

Im RIS seit

22.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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