TE Vfgh Erkenntnis 1997/12/10 B5012/96

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Veröffentlicht am 10.12.1997
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
WohnungseigentumsG 1975 §1
Wr BauO 1930 §129
ABGB §825

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch verfassungswidrige Gesetzesauslegung bei Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Nichtbefolgung eines baupolizeilichen Beseitigungsauftrags über die Miteigentümerin einer Liegenschaft hinsichtlich eines nicht in ihrem Wohnungseigentum stehenden Teils der Liegenschaft; verfassungskonforme Gesetzesauslegung geboten

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Wien ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit ATS 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Die Beschwerdeführerin ist Miteigentümerin der Liegenschaft in 1040 Wien, Argentinierstraße 42, EZ 35, KG Wieden. Mit ihrem Anteil an dieser Liegenschaft ist das Wohnungseigentum an einer bestimmten Wohnung verbunden. Die übrigen Miteigentümer sind eine Gesellschaft mbH als Mehrheitseigentümerin sowie weitere Miteigentümer, mit deren Anteilen an der Liegenschaft das Wohnungseigentum an bestimmten Wohnungen verbunden ist.

Die Mehrheitseigentümerin der Liegenschaft hat ein ihrer Nutzung unterliegendes Geschäftslokal (diesbezüglich besteht kein Wohnungseigentum!) an eine Gesellschaft mbH vermietet, die darin baubewilligungspflichtige Umbauten ohne Baubewilligung vornahm.

Daraufhin wurde sämtlichen Liegenschafts(mit)eigentümern mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 5. Oktober 1994 gemäß §129 Abs10 der Bauordnung für Wien aufgetragen, diese ohne Baubewilligung durchgeführten baulichen Abänderungen zu beseitigen. Gegen diesen Bescheid hat (nur) die genannte Mehrheitseigentümerin Berufung erhoben, der mit Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 28. April 1995 jedoch keine Folge gegeben wurde.

Ein von der oben erwähnten Mieterin am 19. Jänner 1995 hinsichtlich der in Rede stehenden Bauführungen gestelltes Ansuchen um (nachträgliche) Baubewilligung wurde mangels Vorliegens der Zustimmung der Liegenschaftseigentümer mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 23. Juni 1995 zurückgewiesen.

1.1.2. Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 9. April 1996 wurde über die Beschwerdeführerin wegen Übertretung des §129 Abs10 der Bauordnung für Wien gemäß §135 Abs1 leg.cit. eine Geldstrafe in der Höhe von ATS 21.000,-- sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Höhe von 21 Tagen verhängt. Sie habe es als Haus- und Grundstücksmiteigentümerin der genannten Liegenschaft zu verantworten, daß in der Zeit vom 15. Mai 1995 bis zum 1. September 1995 bestimmte, konkret angeführte Abweichungen von den Bauvorschriften nicht behoben worden seien.

1.2. Der dagegen von der Beschwerdeführerin eingebrachten Berufung gab der Unabhängige Verwaltungssenat Wien mit Bescheid vom 17. Oktober 1996 insoweit Folge, als der Beginn des Tatzeitraums mit dem 5. Juli 1995 festgesetzt wurde, die Bezeichnung der verletzten Rechtsvorschrift im Spruch des Bescheides zu lauten habe: "§129 Abs10 iVm §135 Abs1 und 3 der Bauordnung für Wien, LGBl. 11/1930 idF 2/1995" und die verhängte Geldstrafe auf ATS 10.000,--, die Ersatzfreiheitsstrafe auf 3 Tage herabgesetzt wurde; im übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen.

1.3.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird. Gleichzeitig wird für den Fall einer Abweisung oder Ablehnung der Beschwerde beantragt, sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abzutreten, ob die Beschwerdeführerin in sonstigen Rechten verletzt wurde.

1.3.2. Die belangte Behörde erstattete - unter Vorlage der Verwaltungsakten - eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

2.1.1. Die den bekämpften Bescheid ua. tragenden Rechtsvorschriften der Bauordnung für Wien (BO), LGBl. 11/1930 - §129 Abs10 idF 18/1976, §135 Abs1 idF 48/1992 - lauten samt Überschriften wie folgt:

"Benützung und Erhaltung der Gebäude; vorschriftswidrige Bauten

§129

...

(10) Abweichungen von den Bauvorschriften sind zu beheben(,) und es ist der vorschriftswidrige Bau, für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt worden ist, zu beseitigen. ...".

"Baustrafen

§135 (1) Übertretungen dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen werden mit Geld bis zu 300 000 S oder mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen bestraft".

2.1.2. Im vorliegenden Zusammenhang sind ferner auch die Bestimmungen des §129 Abs1 und 2 BO bedeutsam. Diese lauten wie folgt:

"(1) Für die bewilligungsgemäße Benützung der Räume ist der Eigentümer (jeder Miteigentümer) des Gebäudes oder der baulichen Anlage verantwortlich. Im Falle der Benützung der Räume durch einen anderen geht die Haftung auf diesen über, wenn er vom Eigentümer über die bewilligte Benützungsart in Kenntnis gesetzt worden ist.

(2) Der Eigentümer (jeder Miteigentümer) hat dafür zu sorgen, daß die Gebäude und die baulichen Anlagen (Gärten, Hofanlagen, Einfriedungen u.dgl.) in gutem, der Baubewilligung und den Vorschriften dieser Bauordnung entsprechendem Zustand erhalten werden. Für Gebäude in Schutzzonen besteht darüber hinaus die Verpflichtung, das Gebäude, die dazugehörigen Anlagen und die baulichen Ziergegenstände in stilgerechtem Zustand und nach den Bestimmungen des Bebauungsplanes zu erhalten."

2.1.3. Lediglich zur Illustration soll schließlich auch noch auf die mit ArtI Z62 der - diesbezüglich mit 19. September 1996 in Kraft getretenen - Verfahrensnovelle LGBl. 42/1996 bewirkte Änderung des §129 Abs10 BO hingewiesen werden:

"Im §129 Abs10 treten folgende Sätze an die Stelle des ersten Satzes:

'Jede Abweichung von den Bauvorschriften einschließlich der Bebauungsvorschriften ist zu beheben. Ein vorschriftswidriger Bau, für den eine nachträgliche Bewilligung oder Kenntnisnahme einer Bauanzeige nicht erwirkt worden ist, ist zu beseitigen. Gegebenenfalls kann die Behörde Aufträge erteilen; solche Aufträge müssen erteilt werden, wenn augenscheinlich eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen besteht. Aufträge sind an den Eigentümer (jeden Miteigentümer) des Gebäudes oder der baulichen Anlage zu richten; im Falle des Wohnungseigentums sind sie gegebenenfalls an den Wohnungseigentümer der betroffenen Nutzungseinheit zu richten.'"

2.2.1. Die Beschwerdeführerin erachtet die Vorschrift des §129 Abs10 erster Satz (iVm §135 Abs1) BO - als dem Art7 Abs1 B-VG widersprechend - für verfassungswidrig.

Sie geht dabei davon aus, daß die Einbeziehung von Wohnungseigentümern in die Pflicht zur Beseitigung fremdverursachter Konsenswidrigkeiten im Text des §129 Abs10 erster Satz BO zwar keinen ausdrücklichen Niederschlag finde, aus dem Zusammenhalt mit den Abs1 und 2 leg.cit. aber klar werde, daß sich die erstgenannte Bestimmung auch gegen Wohnungseigentümer richtet.

Der Rechtsbegriff des Miteigentums im Sinne der BO umfasse demgemäß das schlichte ideelle Miteigentum im Sinne der §§825ff ABGB ebenso wie das Wohnungseigentum im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes 1975. Die Rechtsbeziehungen unter den Miteigentümern, die mit den Erscheinungsformen des Miteigentums einhergehen, seien allerdings unterschiedlich.

Das schlichte Miteigentum, das die gemeinsame Sache in bloß ideelle Anteile zergliedere, gehe ungeachtet der Möglichkeit, Benützungsregelungen zu treffen, seinem Grundprinzip nach davon aus, daß kein realer Teil einem Miteigentümer gehöre, daß somit kein abgegrenzter Teil der ausschließlichen Sachherrschaft eines Miteigentümers unterliege und daß Veränderungen an welchem Teil der Liegenschaft immer eines gemeinschaftlichen Vorgehens der Miteigentümer bedürften. Auf Grund dessen sei es gerechtfertigt, alle Miteigentümer gemäß §129 Abs10 BO zur Behebung von Abweichungen von den Bauvorschriften und zur Beseitigung eines vorschriftswidrigen Baues, für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt worden ist, heranzuziehen. Anders verhalte es sich im Falle des Wohnungseigentums. Zwar sei auch der Wohnungseigentümer Miteigentümer eines ideellen Liegenschaftsanteils. Durch das gemäß §1 Abs1 WEG vorgesehene ausschließliche Nutzungs- und Verfügungsrecht werde ihm jedoch in Wahrheit kein bloßes Quotenrecht am Ganzen, sondern eine dingliche Sachherrschaft über einen abgegrenzten Gebäudeteil eingeräumt. An den übrigen Wohnungen oder sonstigen Räumlichkeiten des Gebäudes kämen ihm aber keinerlei Nutzungs-, Verfügungs- oder Verwaltungsrechte zu.

Eine sachliche Rechtfertigung dafür, den Wohnungseigentümer für Verstöße Dritter ebenso haften zu lassen wie den schlichten Miteigentümer, bestehe daher nicht. Bei Gebäuden, die sich ganz oder teilweise im Wohnungseigentum befinden, sei die Zuordnung von Bauordnungswidrigkeiten zu einzelnen Miteigentümern leicht möglich, weil der betroffene Gebäudeteil und die Person des verantwortlichen Eigentümers, soferne es sich nicht um allgemeine Flächen handle, bereits aus dem Grundbuch ersichtlich seien. Eine Solidarhaftung von Wohnungseigentümern für Bauordnungswidrigkeiten in fremden Räumlichkeiten sei daher für die Zwecke einer wirkungsvollen Durchsetzung der Bauvorschriften nicht unerläßlich. Die in bezug auf seine eigene Wohnung zwar gestärkte, hinsichtlich aller anderen Wohnungen oder sonstigen Räumlichkeiten eines Hauses indessen geschwächte Rechtsstellung des Wohnungseigentümers erfordere es, ihn aus der Solidarhaftung für Bauordnungswidrigkeiten anderer Wohnungs- oder Miteigentümer zu entlassen.

2.2.2. Der Beschwerdeführerin ist insoweit Recht zu geben, als §129 Abs10 erster Satz BO, hätte er den von der Beschwerdeführerin unterstellten Inhalt, in der Tat verfassungsrechtlich bedenklich wäre. Der Verfassungsgerichtshof ist jedoch der Auffassung, daß die Bestimmung nicht in diesem Sinn zu verstehen ist. Bei verfassungskonformer Auslegung läßt sie vielmehr die Deutung zu, daß bei bestehendem Wohnungseigentum dem jeweiligen Wohnungseigentümer keine baupolizeilichen Aufträge erteilt werden dürfen, die sich nicht auf das seinem Wohnungseigentum unterliegende Objekt beziehen. Dazu wird auf folgendes hingewiesen:

Gemäß §1 WEG ist das Wohnungseigentum das dem Miteigentümer einer Liegenschaft eingeräumte dingliche Recht, eine selbständige Wohnung oder eine sonstige selbständige Räumlichkeit ausschließlich zu nutzen und hierüber allein zu verfügen. Nach §12 Abs1 WEG wird das Wohnungseigentum durch die Einverleibung im Grundbuch erworben; es ist im Eigentumsblatt auf dem Mindestanteil einzutragen; in der Aufschrift des Gutsbestandsblattes ist das Wort "Wohnungseigentum" einzutragen.

Im Hinblick darauf erschiene es aber aus der Sicht des Gleichheitssatzes des Art7 Abs1 B-VG unzulässig, hinsichtlich der Verpflichtung, einem baupolizeilichen Beseitigungsauftrag Rechnung zu tragen, den Wohnungseigentümer wie einen sonstigen (Allein- oder Mit-)Eigentümer zu behandeln, der einer derartigen Beschränkung seiner Nutzungs- und Verfügungsbefugnis auf eine bestimmte "selbständige Wohnung oder eine sonstige selbständige Räumlichkeit" nicht unterliegt, sondern - jedenfalls von Gesetzes wegen - über die Sache insgesamt (sei es auch im Falle des Miteigentums iSd §825 ABGB gemeinsam mit anderen) verfügen und sie "nach Willkür" benützen kann (§362 ABGB). Es ist nämlich evident, daß es einem solchen Eigentümer allein schon vermöge dieser Sachherrschaft möglich ist, einem behördlichen Auftrag der hier in Rede stehenden Art zu entsprechen, während der Wohnungseigentümer außerhalb des Objektes, auf das sich sein Wohnungseigentum bezieht, diese Möglichkeit nicht hat. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß diesem rechtliche Instrumente zur Verfügung stehen, ggf. den oder die anderen Wohnungs- bzw. Miteigentümer zu veranlassen, dem Beseitigungsauftrag zu entsprechen, und er in dieser Hinsicht nicht schlechter gestellt ist als ein sonstiger Miteigentümer (vgl. insbes. §13 Abs2 Z1 iVm §26 Abs1 Z2 sowie §22 WEG).

Der Verfassungsgerichtshof ist jedoch der Auffassung, daß §129 Abs10 erster Satz BO gar nicht in dem von der Beschwerdeführerin unterstellten Sinn zu verstehen ist. Der Wortlaut dieser Regelung - u.zw. auch im Zusammenhang mit den Abs1 und 2 leg.cit. - läßt vielmehr durchaus die - nach dem oben Gesagten dem Gebot der im Zweifel verfassungskonformen Auslegung (VfSlg. 11466/1987) entsprechende - Deutung zu, daß bei bestehendem Wohnungseigentum dem jeweiligen Wohnungseigentümer keine baupolizeilichen Aufträge erteilt werden dürfen, die sich - wenn man von jenen Teilen der Liegenschaft, die der allgemeinen Benützung dienen oder deren Zweckbestimmung einer ausschließlichen Benützung entgegensteht (§1 Abs4 WEG), einmal absieht - nicht auf das seinem ausschließlichen Nutzungs- und Verfügungsrecht unterliegende Objekt beziehen.

2.3. Ausgehend davon, hat die belangte Behörde aber im vorliegenden Fall dem §129 Abs10 erster Satz BO einen verfassungs-, nämlich gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt und dadurch die Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von ATS 3.000,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Auslegung verfassungskonforme, Baurecht, Baupolizei, Wohnungseigentum, Zivilrecht, Eigentum

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B5012.1996

Dokumentnummer

JFT_10028790_96B05012_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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