TE Bvwg Beschluss 2018/2/7 W124 1404290-2

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Veröffentlicht am 07.02.2018
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Entscheidungsdatum

07.02.2018

Norm

AsylG 2005 §56
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W124 1404290-2/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt II. des

angefochtenen Bescheides behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverweisen

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Vorverfahren

1.1. Der Beschwerdeführer (nunmehr BF) reiste illegal in das Bundesgebiet und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX abgewiesen wurde. Der BF wurde aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom XXXX , XXXX , rechtskräftig am XXXX abgewiesen.

1.2. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion vom XXXX wurde gegen den BF das gelindere Mittel zur Sicherung der Abschiebung angeordnet, wonach sich der BF täglich bei der Polizeiinspektion zu melden habe.

1.3. Mit Schreiben vom XXXX übermittelte die Bundespolizeidirektion Wien das Bundesministerium für Inneres ein Ersuchen um Ausstellung eines Heimreisezertifikates an die indische Botschaft und hielt fest, dass sich der BF geweigert habe, den Fragenkatalog auszufüllen.

In weiterer Folge übermittelte das Bundesministerium für Inneres am XXXX das Ersuchen um Ausstellung eines Heimreisezertifikates an die indische Botschaft.

Mit Verbalnote der indischen Botschaft vom XXXX wurde mitgeteilt, dass die angegeben Adresse nicht korrekt erscheine und ersuchte um Kopie des Reisepasses, die Bekanntgabe der vollen Adresse und des Namens des Vaters des BF sowie um Übermittlung eines Fotos.

Mit E-Mail vom XXXX teilte die Bundespolizeidirektion dem Bundesministerium für Inneres mit, dass der BF zur neuerlichen Befragung hinsichtlich der Ausstellung eines Heimreisezertifikates vorgesprochen habe.

Eine Kopie des Reisepasses sei nicht vorhanden und habe der BF angegeben, noch nie einen solchen besessen zu haben.

Der BF stamme aus dem Dorf XXXX bei XXXX und befinde sich die nächste Poststelle in XXXX . Der Name des Bezirks laute XXXX . Der Name des Vaters laute XXXX . Dieser sei ca. 60 Jahre alt und habe bis zu seinem 55. Lebensjahr im selben Dorf als Farmer/Helfer gearbeitet. Das Geburtsdatum des Vaters bzw. weiterer Angaben über dessen Herkunft hätten nicht genannt werden können.

Mit Schreiben vom XXXX erfolgte eine weitere Urgenz an die indische Botschaft mit dem Ersuchen um Ausstellung eines Heimreisezertifikates.

1.4. Am XXXX wurde der BF aus dem gelinderen Mittel entlassen, da die Ausstellung eines Heimreisezertifikates bis dato erfolglos blieb.

1.5. Mit Schreiben vom XXXX , erfolgten weitere Urgenzen an die indische Botschaft mit dem Ersuchen um Ausstellung eines Heimreisezertifikates.

1.6. In einem Schreiben führte die Bundespolizeidirektion Wien aus, dass der vom BF im Verfahren vorgelegte indische Führerschein einer Originalausfertigung entspreche und Manipulationsspuren nicht festgestellt worden seien.

1.7. Mit Schreiben vom XXXX informierte die Finanzpolizei die Bundespolizeidirektion, dass im Rahmen der Kontrolle eines Lokals in Wien der BF ohne arbeitsmarktrechtliche Dokumente angetroffen worden sei.

1.8. Mit Schreiben vom XXXX regte der BF bei der Bundepolizeidirektion Wien die Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß § 46 Abs. 2 FPG an.

2. Gegenständliches Verfahren

2.1. Am XXXX stellte der BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (nunmehr BFA) gegenständlichen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen " gemäß § 56 Abs. 1 AsylG und gab dabei an, in XXXX geboren zu sein. Der Name seines Vaters laute XXXX . Er sei bei der WGKK versichert und verdiene über einen Werkvertrag mit der Firma XXXX monatlich ca. EUR 880,-. Er verfüge über keine arbeitsmarktrechtliche Bewilligung. Aufgrund des durchgehenden Aufenthalts seit Oktober 2008 habe er ein soziales Leben aufgebaut und verfüge über Deutschkenntnisse auf dem B1-Niveau.

Dem Antrag wurden folgende Unterlagen beigelegt:

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Versicherungsbestätigung der SVA vom 28.04.2014

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Individuelle Ausformulierung seines Antrags gemäß § 56 AsylG

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Mitvertrag vom XXXX zwischen XXXX und XXXX

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Einkommensnachweise vom XXXX

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Deutschzertifikat A2 vom XXXX und B1 vom XXXX

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5 Empfehlungsschreiben von XXXX

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Bericht der Landespolizeidirektion vom XXXX

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Erhebungsblatt des Finanzamtes vom XXXX

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Kopie eines Reisepasses, ausgestellt am XXXX in XXXX

2.2. Mit Schreiben des BFA vom XXXX wurde der BF vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt und zur Urkundenvorlage und Stellungnahme aufgefordert.

Nach Wiedergabe des Verfahrensganges wurde ausgeführt, dass der BF weder die allgemeinen noch die besonderen Erteilungsvoraussetzungen für eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 56 AsylG erfülle und auch nicht sämtliche dafür verpflichtend vorzulegende Unterlagen und Dokumente beigebracht habe.

Der BF habe weder ein gültiges Reisedokument in Original und Kopie noch eine beglaubigte Geburtsurkunde mit Übersetzung oder ein gleichzuhaltendes Dokument vorgelegt. Dem BF werde für die Vorlage eine Frist von 14 Tagen eingeräumt.

Aus dem vorgelegten Mietvertrag könne kein Rechtsanspruch des BF abgelesen werden, da dieser lediglich mit einer anderen Person abgeschlossen worden sei. Der BF habe auch keinen Nachweis des gesicherten Lebensunterhaltes erbracht. Die vorgelegten Unterlagen würden lediglich den Nachweis erbringen, dass der BF zwischen XXXX und XXXX einer unerlaubten Tätigkeit nachgegangen sei. Es sei kein arbeitsrechtlicher Vorvertrag, Vermögensnachweis, keine Haftungserklärung, Patenschaftserklärung oder dergleichen vorgelegt worden.

Der BF sei zwar seit 5 Jahren im Bundesgebiet aufhältig, doch könne er keinen dreijährigen rechtmäßigen Aufenthalt nachweisen. Er wurde belehrt, dass auch eine Umwidmung des Antrages möglich sei.

Weiters wurde der BF aufgefordert eine schriftliche Stellungnahme zur Beantwortung der im Parteiengehör gestellten Fragen zu übermitteln.

Abschließend wurde der BF auf die Möglichkeit eines Heilungsantrages gemäß § 4 AsylG-DV hingewiesen.

2.3. Am XXXX übermittelte der bevollmächtigte Vertreter des BF ein Konvolut an Unterlagen zum Nachweis der sozialen und sprachlichen Integration des BF im Bundesgebiet.

Folgende Unterlagen wurden vorgelegt:

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Englische und deutsche Übersetzung einer Geburtsurkunde

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Versicherungsbestätigung der SVA vom XXXX

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Schreiben des Mitbewohners XXXX

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Gebietsbetreuungsvertrag mit XXXX vom XXXX

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Einkommensnachweise von XXXX

2.4. Mit dem nun angefochtenen Bescheid des BFA vom XXXX wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 AsylG gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Absatz 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 3 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei und wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt II.).

Die Identität des BF stehe nicht fest, da er kein gültiges Reisedokument und keine von der österreichischen Botschaft in Indien beglaubigte oder mit Apostille versehene Geburtsurkunde im Original zur Feststellung seiner Identität vorgelegt habe. Aufgrund der Aktenlage stehe fest, dass der BF nach wie vor über familiäre Beziehungen in Indien verfüge.

Mit Ausnahme der Dauer seines Asylverfahrens in der Zeit vom XXXX bis zum XXXX sei der Aufenthalt des BF in Österreich unrechtmäßig gewesen. Er sei in Österreich, ohne über die dafür notwendige arbeitsmarktrechtliche Bewilligung zu verfügen, unerlaubt einer Beschäftigung nachgegangen, indem er zumindest in der Zeit von Dezember XXXX bis XXXX 2014 und März XXXX bis Juni XXXX in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis bei der Firma XXXX beschäftigt gewesen sei und seit XXXX in einem ebensolchen Beschäftigungsverhältnis mit der XXXX stehe. Der BF habe Sprachzertifikate Deutsch auf Level A2 und B1 vorgelegt. Der BF habe 6 Empfehlungsschreiben, davon 5 von gebürtigen indischen Staatsangehörigen, vorgelegt.

Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass der BF im Laufe der vorhergehenden Verfahren in den niederschriftlichen Einvernahmen vom XXXX und vom XXXX behauptet habe, nicht im Besitz eines Reisepasses zu sein bzw. dass ihm ein solches Reisedokument auch noch nie ausgestellt worden sei. Die vorgelegte Reisepasskopie trage das Ausstellungsdatum XXXX . Entweder müsse die Behörde davon ausgehen, dass der BF in den vorangegangenen Verfahren mehrfach die Unwahrheit behauptet habe und die Behörde vorsätzlich und wissentlich belogen habe, oder dass zur vorgelegten Kopie eines Reisedokumentes kein Original existiere und die Kopie zweifelhaften Ursprungs sei, zumal der Behörde auch zu keinem Zeitpunkt das Original vorgelegt worden sei. Somit gelte die Identität des BF keinesfalls als nachgewiesen, und könne die Behörde nicht zweifelsfrei feststellen, um welche Person es sich beim BF tatsächlich handle.

2.5. Mit fristgerecht erhobener Beschwerde wurde Spruchpunkt II. des im Spruch genannten Bescheides aufgrund Verletzung von Verfahrensvorschriften, mangelhaften Ermittlungsverfahrens, unrichtiger Beweiswürdigung und in der Folge unrichtiger rechtlicher Beurteilung als rechtswidrig angefochten.

Es wurde beantragt, den angefochtenen Bescheid zu beheben und auszusprechen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen und eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Es sei nicht nachzuvollziehen, warum der BF zu keinem Zeitpunkt in einem fast zwei Jahre dauernden Verfahren persönlich einvernommen worden sei. Die Behörde hätte sich einen persönlichen Eindruck verschaffen müssen und stelle die unterlassene Einvernahme einen Verfahrensmangel dar.

Die Beweiswürdigung der Behörde sei unschlüssig. Der BF verfüge unbestritten seit Abschluss seines Asylverfahrens über kein Aufenthaltsrecht und sei die Aufnahme einer legalen Erwerbstätigkeit daher unmöglich gewesen. Der BF habe nicht gewusst, dass er die Tätigkeit als Zeitungskolporteur nicht ausüben dürfe und sei aufgrund seines schriftlichen Vertrags und mangels Kenntnisse über das AuslBG von der Rechtmäßigkeit seiner Tätigkeit ausgegangen.

Jedenfalls wäre der BF in Zukunft selbsterhaltungsfähig und hätte aufgrund seiner Sprachkenntnisse durch die Zuerkennung einer Aufenthaltsberechtigung plus unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Behörde habe das vorgelegte Sprachdiplom B1 nicht gewürdigt.

Auch die vorgelegten Empfehlungsschreiben seien nicht ausreichend gewürdigt worden und habe die Behörde lediglich auf die Namen der Verfasser abgestellt.

2.6. Mit Schreiben vom XXXX übermittelte der BF eine Einstellungszusage des BF bei einem Transportunternehmen als Paketzusteller für ein Beschäftigungsausmaß von 40 Wochenstunden sowie die Kopie eines Hubstaplerscheins.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchteil A):

2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend wie folgt festgehalten (VwGH vom 06.07.2016, Ra 2015/01/0123):

"In § 28 VwGVG 2014 ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs 3 zweiter Satz leg cit vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (Hinweis E vom 17. Dezember 2014, Ro 2014/03/0066, mwN). Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Hinweis E vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/22/0087, mwN). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (Hinweis E vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, mwN)."

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer- Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).

Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 10.04.2013 zu Zl. 2011/08/0169 sowie dazu Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren Band I2, E 84 zu § 39 AVG).

2.2. Im gegenständlichen Fall liegt eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor.

2.2.1. In seiner ständigen Rechtsprechung betont der Verwaltungsgerichtshof, dass die Frage der Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden kann, sondern der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände besondere Bedeutung zukommt (zuletzt Ra 2017/22/0007 vom 27.07.2017 mit Hinweis auf Ra 2014/22/0181 vom 23. Juni 2015).

Entgegen dieser Judikatur hat es das BFA jedoch unterlassen, den BF im gegenständlichen Verfahren zu seinem Privat- und Familienleben persönlich einzuvernehmen. Im gegenständlichen Fall ist die unterlassene Einvernahme insbesondere fragwürdig, als der BF während des Verfahrens nie untergetaucht ist, er anwaltlich vertreten war und sogar zweimal persönlich bei der Behörde vorsprach, um sich nach den Stand des Verfahrens zu erkundigen bzw. weitere Unterlagen vorzulegen.

Der im Rahmen des Parteiengehörs übermittelte Fragenkatalog vermag die Pflicht der Behörde, sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, nicht zu ersetzen.

2.2.2. Die persönliche Einvernahme ist insbesondere hinsichtlich der langen Aufenthaltsdauer von nunmehr über 9 Jahren unerlässlich. Die letzte Einvernahme zum Privat- und Familienleben des BF in Österreich bzw. im Heimatstaat erfolgte laut Behördenakt im Rahmen seines Verfahrens zum Antrag auf internationalen Schutz am XXXX und somit vor 8 Jahren. Danach wurde der BF nur noch am XXXX hinsichtlich der Ausstellung eines Heimreiszertifikates befragt.

2.2.3. Hinzu kommt, dass der Bescheid gravierende Ermittlungslücken hinsichtlich der sozialen Bindungen des BF in Österreich enthält. Wie die Beschwerde ausführte, unterließ es die Behörde weitere Ermittlungen zu den vorgelegten Empfehlungsschreiben zu tätigen, sondern beschränkte ihre Annahme, dass der BF in einer Parallelgesellschaft mit gebürtigen indischen Staatsangehörigen lebe, auf die indisch erscheinenden Namen auf den Empfehlungsschreiben.

2.2.4. Weitere Ermittlungslücken finden sich hinsichtlich des festgestellten familiären Anschlusses des BF im Heimatstaat. Das BFA stellte bloß aufgrund der Aktenlage fest, dass der BF über familiäre Beziehungen in Indien verfügt, da dort nach wie vor seine Eltern, Bruder und Schwester leben würden. Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Behörde hierbei auf Angaben des BF aus dem Jahre XXXX stützt und sich keine weiteren Hinweise hinsichtlich des Aufenthalts der Familie des BF im verfahrensgegenständlichen Behördenakt finden. Hinzu kommt, dass der BF im Rahmen des dem Antrag beigelegten Schreiben anführte, dass er aufgrund des langen Aufenthalts in Österreich in seinem Heimatland sozial entwurzelt sei. Es wäre jedenfalls geboten gewesen, den BF zu seinen Bindungen zum Heimatstaat persönlich zu befragen.

2.3. Angesichts derart gravierender Ermittlungslücken erscheint eine sachgerechte Beurteilung der Beschwerde hinsichtlich der erlassenen Rückkehrentscheidung auf Grundlage der Ermittlungsergebnisse der belangten Behörde als völlig ausgeschlossen, wobei hinsichtlich der Beurteilung ein vom bekämpften Bescheid abweichendes Ergebnis nicht auszuschließen ist.

Die Durchführung einer Einvernahme ist unvermeidlich. Der maßgebliche Sachverhalt stellt sich mangels entsprechender Ermittlungen – auch in Verbindung mit der Beschwerde - als ungeklärt dar. Das Verfahren vor dem BFA ist - wie oben dargestellt – mit massiven Mängeln behaftet. Zentrale Ermittlungsschritte, welche grundsätzlich von der belangten Behörde durchzuführen sind, wären demnach erstmals durch das Verwaltungsgericht zu tätigen. Indem das Bundesamt keine Einvernahme des BF durchgeführt hat, um sich einen persönlichen Eindruck des BF zu verschaffen und nötige Ermittlungen betreffend das Privat- und Familienleben nicht unternommen hat, erweist sich das Ermittlungsverfahren als völlig unzureichend. Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten konnte in Summe nur der Eindruck entstehen, dass das Bundesamt völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt bzw. bloß ansatzweise ermittelt hat, sodass vom Vorliegen besonders gravierender Ermittlungslücken auszugehen ist.

Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Verwaltungsgerichtes gegen eine Kassation des angefochtenen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar. So können keine Anhaltspunkte dafür erkannt werden, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in der Sache im Interesse der Raschheit gelegen wäre. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren, zumal das BFA als asyl- und fremdenrechtliche Spezialbehörde anzusehen ist und wesentlich rascher und effizienter die notwendigen Ermittlungen nachholen kann. Aus der Aktenlage ergeben sich weiters auch keine Hinweise, wonach die Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Vielmehr ist angesichts der Einrichtung und Ausstattung des Bundesamtes als asyl- und fremdenrechtliche Spezialbehörde vom Gegenteil auszugehen.

Unter Zugrundelegung des unter Punkt II.2.2. im Detail Ausgeführten wird das BFA den BF zur Einvernahme zu laden haben, um sich den nötigen persönlichen Eindruck des BF zu verschaffen und um seine persönlichen und aktuellen Verhältnisse in Österreich und gesetzten Integrationsschritte zu erörtern.

2.4. Im gegebenen Zusammenhang handelt es sich sohin um einen wesentlichen Verfahrensmangel, der mit besonders gravierenden Ermittlungslücken einhergeht, deren Behebung nur durch Befragung der BF und einer Nachholung der verabsäumten Ermittlungen zu bewirken ist. Auch vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen und den Effizienzkriterien des § 39 Abs. 2 AVG macht das Bundesverwaltungsgericht von dem ihm in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumten Ermessen Gebrauch.

Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit an das Bundesamt zurückzuverweisen.

Vollständigkeitshalber wird darauf hingewiesen, dass sich die gegenständliche Beschwerde nur gegen Spruchpunkt II. des im Spruch genannten Bescheids richtet und Spruchpunkt I. betreffend die Zurückweisung des Antrags gemäß § 56 AsylG somit in Rechtskraft erwuchs.

2.5. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 leg. cit. kann eine Verhandlung entfallen, wenn u.a. bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, soziale Bindung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W124.1404290.2.00

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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