TE Bvwg Beschluss 2018/2/8 W124 2134123-1

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Veröffentlicht am 08.02.2018
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Entscheidungsdatum

08.02.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W124 2134121-1/8E

W124 2134118-1/7E

W124 2134120-1/5E

W124 2134123-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen als Einzelrichter über die Beschwerden von (1.) XXXX , geb. XXXX ,

(2.) XXXX , geb. XXXX , (3.) XXXX , geb. XXXX und (4.) XXXX , geb. XXXX , alle afghanische Staatsbürger, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zlen. (1.) XXXX ,

(2.) XXXX , (3.) XXXX , (4.) XXXX beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde werden die angefochtenen Bescheide

behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz

B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Am XXXX erging von Seiten des BFA an das BMI Abt. III/5 im Wege der Amtshilfe gemäß § 35 Abs. 4 Z 2 AsylG 2005 das Ersuchen mitzuteilen, ob die Einreise der BF den öffentlichen Interessen nach Art 8 Abs. 2 EMRK widersprechen würde.

Die Verfahrensparteien hätten im Wege der Österreichischen Botschaft XXXX einen Einreiseantrag eingebracht, da der Bezugsperson ein Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei.

Hinsichtlich der Verfahrensparteien würden im Bundesamt Verfahren anhängig sein und ergehe das Ersuchen dem BFA mitzuteilen, ob Anhaltspunkte vorliegen würden, welche auf eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich (§9 Abs. 2 Z 2 AsylG) darstellen oder der Aufenthalt sonst den öffentlichen Interessen (§ 60 Abs. 3 AsylG) widerstreite.

In der Folge wurde dem BFA am XXXX mitgeteilt, dass keine für das gegenständliche Verfahren verwertbaren nachteiligen Erkenntnisse zu den angefragten Personen vorliegen würden.

Am XXXX teilte das BFA, Regionaldirektion XXXX , der österreichischen Botschaft XXXX mit, dass die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten oder Asylberechtigten wahrscheinlich sei und daher gemäß § 26 FPG ein Visum D mit einer Gültigkeitsdauer von 4 Monaten auszustellen sei, um die Einreise zu ermöglichen, sofern die Vertretungsbehörde keine Zweifel an der Identität der BF hegen würde.

In der Erstbefragung gab der BF 1 am XXXX , in der mit ihm aufgenommenen Niederschrift vor der Polizeiinspektion XXXX als Fluchtgründe seiner Familienangehörigen an, dass er als Zahnarzt in einem Gefängnis gearbeitet habe und von den Taliban bedroht worden sei. Man habe von BF 1 die Zusammenarbeit verlangt. Auf Grund dessen würde für ihn Lebensgefahr bestehen.

Der BF 1 würde den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz deswegen stellen, weil sein Sohn XXXX , geb. XXXX , in Österreich den Schutz des Asylberechtigten erlangt habe und er in Österreich denselben Schutz wie sein Sohn beantrage. Er sei mit einer Entscheidung des Bundesamtes auf Basis dieser Angaben einverstanden und würde auf eine weitere Einvernahme verzichten.

BF 2 führte in der mit ihr am 28.06.2016 aufgenommen Niederschrift vor der Polizeiinspektion Traiskirchen aus, dass sie keine eigenen Fluchtgründe haben würden. Sie würden den Antrag auf internationalen Schutz deshalb stellen, weil ihr Sohn XXXX , geb. XXXX , in Österreich den Status des Asylberechtigten erlangt habe und sie in Österreich denselben Schutz wie ihr Sohn beantrage. Als Erziehungsberechtigte würde sie für BF 3 und BF 4 ebenfalls den Antrag auf internationalen Schutz stellen.

Sie sie mit einer Entscheidung des BFA auf Basis dieser Angaben einverstanden und verzichte auf eine weitere Einvernahme.

1.2. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom XXXX , XXXX , (2) XXXX ,

(3) XXXX , (4) XXXX wurden die Anträge der BF vom XXXX auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF abgewiesen. (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG wurde den BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. (Spruchpunkt II.). Die befristete Aufenthaltsberechtigung werde dem BF 1 gem. § 8 Abs. 4 AsylG bis zum XXXX erteilt.

Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass die BF keinerlei Flucht-, oder Ausreisegründe geltend gemacht haben. Da im Falle der BF keinen der Familienmitglieder der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei, komme auch für die BF die Zuerkennung auf Grund des vorliegenden Familienverfahrens nicht in Betracht.

Dem Sohn des BF 1 und der BF 2 sei mit Erkenntnis vom XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden, sodass auch die BF den gleichen Schutz erhalten würde. In einem Familienverfahren würde gem. § 8 Abs. 5 AsylG, § 8 Abs. 4 AsylG mit der Maßgabe gelten, dass die zu erteilende Aufenthaltsberechtigung mit der des Familienangehörigen, von welchen das Recht abgleitet werden würde, enden würde. Die Dauer der mit diesem Bescheid erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigung habe sich somit aus obiger Gesetzesbestimmung ergeben.

1.3. In der dagegen eingebrachten Beschwerde wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die BF auf Grund einer Familienzusammenführung legal nach Österreich eingereist seien und einen Asylantrag gestellt hätten. Entgegen der gesetzlichen Verpflichtungen habe die belangte Behörde keine inhaltlichen Einvernahmen durchgeführt, da sich im Bescheid die Angabe befunden habe, dass die BF auf eine weitere Einvernahme vor dem BFA verzichtet hätten. Dies sei aber nicht richtig und hätten die BF zu keinem Zeitpunkt eine Rechtsberatung in Anspruch nehmen können. Sollte eine derartige Verzichtserklärung unterzeichnet worden sein, so sei ihnen dies nicht bewusst gewesen. Die Behörde gehe offensichtlich davon aus, dass die BF keine eigenen Fluchtgründe haben würden. Dies würde aber nicht den Tatsachen entsprechen, da die BF in Afghanistan bedroht und verfolgt worden seien. Der Erstbeschwerdeführer sei als Zahnarzt in einem Gefängnis in Kabul tätig gewesen und sei von den Taliban entsprechend unter Druck gesetzt worden, bestimmte Gegenstände in das Gefängnis zu schmuggeln. Bei einer Weigerung von seiner Seite, sei ihm angedroht worden, seine Familie zu töten. Nachdem sein Vater bereits von den Taliban ermordet worden sei, habe der Erstbeschwerdeführer gewusst, wie ernst die Lage gewesen sei und mit seiner Familie das Land verlassen habe müssen.

Hinsichtlich des mangelhaften Ermittlungsverfahren wurde von Seiten der Vertreter des BF ausgeführt, dass das BFA zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die BF keine eigenen Fluchtgründe haben würden und habe nicht einmal eine gesetzlich vorgesehene Einvernahme stattgefunden. Alleine aus diesem Grunde sei das Verfahren grob mangelhaft und rechtswidrig.

Die Erstbefragung sei nicht ausreichend, um Spruchpunkt I. abzuweisen, als bei Erstbefragungen kein inhaltliches Vorbringen verlangt werde und die BF nicht über ihre Rechte Bescheid gewusst hätten. Die BF seien noch unter dem Eindruck der langen und anstrengenden Reise gewesen. Die BF seien sich nicht im Klaren gewesen, dass sie auf eine weitere Einvernahme vor dem BFA verzichtet hätten. Dies sei von den BF zu keinem Zeitpunkt gewünscht und beabsichtigt gewesen.

Bezüglich der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass die BF Verfolgung bzw. unmenschliche Behandlung und Bedrohung ihres Lebens zu befürchten hätten. Der afghanische Staat sei nicht willens oder fähig diese davor zu schützen. Es würde für die BF die Definition der GFK vorliegen.

Hätte die belangte Behörde umfassend ermittelt und das Vorbringen der BF ausreichend gewürdigt, hätte die Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung zur Feststellung gelangen müssen, dass den BF Asyl zu gewähren sei.

Beantragt wurde ausdrücklich, dass die BF in einer mündlichen Verhandlung persönlich einvernommen werden, darüber hinaus die Bestellung eines länderkundigen Sachverständigen zum Beweis für die Richtigkeit der Angaben und des Vorliegens eines asylrelevanten Sachverhalts.

Von Seiten der BF wurde beantragt den angefochtenen Bescheid-allenfalls nach Verfahrensergänzung-in Bezug auf Spruchpunkt I. zu beheben und ihnen den Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zu zuerkennen.

1.4. Am XXXX fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, welche folgenden Verlauf nahm: BF 1 erklärte bei der österreichischen Botschaft in XXXX einen Antrag gestellt zu haben. Dort hätten sie die Einreisebewilligung nach Österreich erhalten und in XXXX einen Antrag auf Asyl gestellt. Seine eigenen Fluchtgründe habe der BF 1 ein wenig geltend gemacht. Auf eine weitere Einvernahme habe der BF 1 nicht verzichtet. Auf Vorhalt, dass dem BF 1 die Niederschrift in einer für ihn verständlichen Sprache übersetzt worden sei und er angegeben habe alles verstanden zu haben, gab dieser an, dass ihm dieser Satz bei der Rückübersetzung nicht übersetzt worden sei, er ansonsten Einwände erhoben hätte.

Die Entscheidung, dass die BF eine Beschwerde gemacht hätten, sei von BF 1 ausgegangen. BF 2 sei damit einverstanden gewesen. Sie selbst sei nach Österreich gekommen, weil sie Angst gehabt habe in Afghanistan getötet zu werden. Aus diesem Grunde habe sie um Asyl angesucht. Mit dem subsidiären würde sich BF 2 nicht sicher fühlen, als sie Angst davor habe abgeschoben und getötet zu werden. Sie würde sich mit dem System hier nicht auskennen. Sie sei nach Österreich gekommen, weil sie hier bleiben wolle und mit ihrer Familie in Sicherheit leben wolle. Sie könne nach Afghanistan nicht zurückgehen, da ihr erster Ehemann vor ihren Augen getötet und ihre Tochter entführt worden sei.

Auf die Frage zu wissen, wann die BF 2 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, gab diese an dies nicht genau zu wissen. Sie gehe davon aus, dass sie zuerst bei der Botschaft einen Antrag gestellt hätten. Als sie nach Österreich gekommen seien, hätten sie einen solchen Antrag bei der Polizei gestellt. Sie wolle darauf hinweisen, dass sie Analphabetin sei und sich nicht auskennen würde, als dies ihr Mann organisiert habe.

Zu den Fluchtgründen, die sie haben würden, seien sie nicht befragt worden. Man habe ihnen dazu keine Fragen gestellt.

Auf Vorhalt bei der Polizei gesagt zu haben keine eigenen Fluchtgründe zu haben bzw. ihr das Protokoll rückübersetzt worden sei und sie keine Gründe gegen die Richtigkeit der Protokollierung angegeben zu haben, gab diese an, dass ihr diese Frage nicht gestellt worden sei. Wenn man ihr die Frage gestellt hätte, hätte diese geantwortet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchteil A):

2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend wie folgt festgehalten (VwGH vom 06.07.2016, Ra 2015/01/0123):

"In § 28 VwGVG 2014 ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs 3 zweiter Satz leg cit vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (Hinweis E vom 17. Dezember 2014, Ro 2014/03/0066, mwN). Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Hinweis E vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/22/0087, mwN). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (Hinweis E vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, mwN)."

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer- Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).

Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 10.04.2013 zu Zl. 2011/08/0169 sowie dazu Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren Band I2, E 84 zu § 39 AVG).

2.2. Im gegenständlichen Fall liegt eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor.

2.2.1. Das BVwG hat in der Verhandlung vom XXXX in Zusammenschau mit dem Verfahrens-, bzw. Gerichtsakt den persönlichen Eindruck gewonnen, dass BF 1 entsprechend den Vorgaben nach § 19 AsylG vom BFA nicht entsprechedn einvernommen worden ist. Aus den Schriftstücken geht vielmehr hervor, dass der BF im Rahmen der Erstbefragung ausdrücklich angegeben hat eigene Fluchtgründe zu haben und diese auf seine Arbeit als Zahnarzt in einem Gefängnis zurückführt, in welchem er von den Taliban bedroht worden sei.

Zwar geht aus den Unterlagen hervor, dass der BF ausführt mit der Entscheidung auf Basis seiner Angaben einverstanden zu sein und auf eine weitere Einvernahme verzichten zu wollen, allerdings ergibt sich gleichzeitig aus der mit BF 1 aufgenommenen Niederschrift vom XXXX , dass unter der Rubrik, weshalb dieser den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellen will, dass als Begründung im Protokoll angekreuzt wurde, dass sein Sohn XXXX , in Österreich den Status des Asylberechtigten erlangt habe und er in Österreich denselben Schutz wie sein Sohn beantrage.

Das BVwG nimmt zwar entgegen der Behauptung des BF 1 in der Verhandlung vor diesem am XXXX an, dass diesem das Protokoll vollständig übersetzt wurde, geht allerdings auf Grund des sich in der Verhandlung persönlich gemachten Eindrucks und den in diesem Zusammenhang gemachten Angaben davon aus, dass dieser nicht auf seinen Antrag auf internationalen Schutz verzichten haben wolle, als dieser in der Verhandlung, wie bereits in der Niederschrift vom XXXX , neuerlich auf seine individuellen Verfolgungsgründe verwies. Der Niederschrift vom XXXX ist zu entnehmen, dass BF 1 offenbar davon ausging, dass sein bereits in Österreich befindlicher Sohn über den Status des internationalen Schutzes verfügen würde und er deshalb denselben Schutz wie sein Sohn beantragen würde, wobei in diesem Zusammenhang davon auszugehen, dass dem BF die volle rechtliche Tragweite der Bedeutung der beiden juristischen Begriffe "Asylberechtigter" bzw. "subsidiär Schutzberechtiger" nicht in vollem Umfang bekannt gewesen ist.

Abgesehen von der Frage, inwieweit der Verzicht des BF 1 im Hinblick eventueller Folgen unter den vorliegenden Umständen rechtswirksam erfolgt ist, ist im gegenständlichen Fall davon auszugehen, dass der BF 1 deshalb auf eine weitere Einvernahme verzichtete, als dieser davon ausging, das sein in Österreich befindlicher Sohne bereits über den Status eines Asylberechtigten verfügen würde.

Im Übrigen wurden die BF, wie in der Beschwerde entsprechend moniert, nicht nach § 19 Abs. 2 AsylG einvernommen. Nach § 19 Abs. 2 AsylG ist ein Asylwerber vielmehr vom Bundesamt, soweit er nicht auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen in der Lage ist, durch Aussagen des zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, zumindest einmal im Zulassungsverfahren und- soweit nicht bereits im Zulassungsverfahren über den Antrag entschieden wurde- zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen. Eine Einvernahme kann unterbleiben, wenn dem Asylwerber, ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt (§ 12a Abs. 1 oder 3). Weiters kann die Einvernahme im Zulassungsverfahren unterbleiben, wenn das Verfahren zugelassen wird.

Da keine dieser Umstände im gegenständlichen Fall vorgelegen sind, wäre jedenfalls BF 1 und BF 2 zur Abklärung des tatsächlichen Vorliegens individueller Fluchtvorbringen vom BFA einzuvernehmen gewesen, als aus § 19 Abs. 1 AsylG klar hervorgeht, dass sich die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat, sodass im gegenständlichen Fall eine ausführliche Befragung der Fluchtgründe des BF 1 und der BF 2 von Seiten des BFA aussteht, als der BF 1 in der Niederschrift der Erstbefragung in den Raum stellt, wegen seiner Tätigkeit als Zahnarzt in einem Gefängnis von den Taliban verfolgt zu werden. Von einer ausführlichen Erörterung der näheren Hintergründe des Fluchtvorbringens mit den BF 1 und BF 2 wurde bisher, gegebenenfalls unter Heranziehung eines länderkundlichen Sachverständigen für Afghanistan, Abstand genommen. Dies wiederum wird im gegenständlichen Fall allerdings als für notwendig erachtet, um die entsprechende Relevanz nach § 3 AsylG abschließend beurteilen zu können.

2.2.2. Die persönliche Einvernahme erscheint daher unerlässlich, als der Bescheid entsprechende gravierende Ermittlungslücken enthält. Die Durchführung einer weiteren Einvernahme erscheint unvermeidlich. Der maßgebliche Sachverhalt stellt sich mangels entsprechender Ermittlungen – auch in Verbindung mit der Beschwerde - als ungeklärt dar. Das Verfahren vor dem BFA ist - wie oben dargestellt – mit massiven Mängeln behaftet. Zentrale Ermittlungsschritte, welche grundsätzlich von der belangten Behörde durchzuführen sind, wären demnach erstmals durch das Verwaltungsgericht zu tätigen. Indem das Bundesamt keine Einvernahme des BF durchgeführt hat, um sich einen persönlichen Eindruck des BF zu verschaffen und nötige Ermittlungen betreffend das Privat- und Familienleben nicht unternommen hat, erweist sich das Ermittlungsverfahren als völlig unzureichend. Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten konnte in Summe nur der Eindruck entstehen, dass das Bundesamt völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt bzw. bloß ansatzweise ermittelt hat, sodass vom Vorliegen besonders gravierender Ermittlungslücken auszugehen ist.

Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Verwaltungsgerichtes gegen eine Kassation des angefochtenen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar. So können keine Anhaltspunkte dafür erkannt werden, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in der Sache im Interesse der Raschheit gelegen wäre. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren, zumal das BFA als asyl- und fremdenrechtliche Spezialbehörde anzusehen ist und wesentlich rascher und effizienter mit den geeigneten Mitteln die notwendigen Ermittlungen bzw. entsprechenden Recherchen nachholen kann. Aus der Aktenlage ergeben sich des weiteres auch keine Hinweise, wonach die Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Vielmehr ist angesichts der Einrichtung und Ausstattung des Bundesamtes als asyl- und fremdenrechtliche Spezialbehörde vom Gegenteil auszugehen.

Unter Zugrundelegung des unter Punkt II.2.2. im Detail Ausgeführten wird das BFA die BF zur Einvernahme zu laden haben, um sich einerseits den nötigen persönlichen Eindruck hinsichtlich der Fluchtvorbringens der BF zu verschaffen und anderseits mit den BF eine entsprechende Erörterung derer Fluchtvorbringen vorzunehmen

2.4. Im gegebenen Zusammenhang handelt es sich sohin um einen wesentlichen Verfahrensmangel, der mit besonders gravierenden Ermittlungslücken einhergeht, deren Behebung nur durch Befragung der BF und einer Nachholung der verabsäumten Ermittlungen zu bewirken ist. Auch vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen und den Effizienzkriterien des § 39 Abs. 2 AVG macht das Bundesverwaltungsgericht von dem ihm in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumten Ermessen Gebrauch.

Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit an das Bundesamt zurückzuverweisen.

2.5. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 leg. cit. kann eine Verhandlung entfallen, wenn u.a. bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W124.2134123.1.00

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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