TE Bvwg Beschluss 2018/2/9 W258 2142789-2

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Veröffentlicht am 09.02.2018
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Entscheidungsdatum

09.02.2018

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
BFA-VG §22
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W258 2142789-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2018, AZ 1075525809 / 180043485, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, den Beschluss:

A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs 2 und § 22 Abs 10 AsylG 2005 iVm § 22 BFA-Verfahrensgesetz rechtmäßig.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Der Fremde (in Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 28.06.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. In seiner Ersteinvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 29.06.2015 gab der BF ua an, er habe Afghanistan verlassen, weil er wegen seiner Tätigkeit als Eisenbieger für eine ausländische Firma Probleme mit den Taliban gehabt hätte.

In seiner Einvernahme vor der belangten Behörde brachte der BF am 15.11.2016 vor, er habe in Afghanistan von seiner eigenen Landwirtschaft gelebt und habe nebenbei einen Job bei "XXXX" als Schweißer und Metallarbeiter gehabt. Männer hätten bei seiner Frau nach ihm gesucht und gemeint, er solle aufhören für die Amerikaner zu arbeiten und sich ihnen anschließen, während er gerade nicht anwesend war. Er sei danach von drei Männern zusammengeschlagen worden, wobei er nicht wisse, ob es sich bei den Angreifern um Taliban oder um Mitglieder der Hezb-e-Islami gehandelt habe. Nach einem Krankenhausaufenthalt sei er dann schleppergestützt aus Afghanistan geflohen.

Die belangte Behörde wies den Antrag mit Bescheid vom 30.11.2016, AZ 1075525809-150754342 ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gemäß § 52 FPG eine Rückkehrentscheidung und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen fest.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF zur hg AZ W220 2142789-1 Beschwerde. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 03.10.2017 brachte der BF im Wesentlichen vor wie bisher.

Mit Erkenntnis vom 17.10.2017 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Das Vorbringen des BF sei in vielen (näher ausgeführten) Punkten widersprüchlich und unplausibel und somit nicht glaubhaft. Dem BF sei eine Rückkehr ua auf Grund seines sozialen Netzes (auch) nach Kabul möglich und zumutbar. Dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.

Am 12.01.2018 stellte der BF einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz und brachte in seiner Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.01.2018 vor, sechs vermummte und bewaffnete Männer hätten am 10.09.1396 (entspricht dem 01.12.2017 nach gregorianischem Kalender) seine Frau vergewaltigt und seinen Onkel getötet. Ein Schreiben würde den Vorfall bestätigen. Auch das Leben des BF sei durch diesen Vorfall in Gefahr. Seine Frau sei zu ihrer Familie nach Kabul geflohen und sie wollte gemeinsam mit seinem Sohn, seiner Schwiegermutter, seinem Schwager und seinen zwei Schwägerinnen nach Pakistan flüchten. Seit eineinhalb Monaten habe er nichts mehr von ihnen gehört.

In der durch die belangte Behörde am 25.01.2018 durchgeführten Einvernahme gab der BF ergänzend an, im März 2016 sei seine Mutter verstorben. Seither hätten seine Frau und sein Sohn eigentlich alleine in Afghanistan gewohnt. Als einer der Onkel des BF seine Frau mitnehmen wollte, sei es zu dem geschilderten Überfall gekommen. Die sechs Männer hätten offenbar den Onkel des BF verfolgt. Bevor die Männer die Frau des BF vergewaltigt haben, hätten sie die Frau des BF nach dem Verbleib des BF befragt. Er glaube, es handle sich bei den Angreifern um jene Leute, die ihn in Afghanistan bedroht hätten, weil er für eine amerikanische Firma gearbeitet habe. Fünf Tage nach dem Vorfall habe seine Frau ihn über den Vorfall telefonisch informiert. Die Frau des BF habe ihm einen Brief eines Nachbarn geschickt, in dem der Vorfall bestätigt werde. Auch der Dorfvorsteher habe den Vorfall bestätigt. Das Originalkuvert des Briefes könne er nicht vorlegen.

Der BF legte der belangten Behörde ein Schreiben in persischen Schriftzeichen, bei dem es sich um den genannten Brief handeln solle (OZ 1 S 113 ff), sowie diverse medizinische Unterlagen und diverse Urkunden zum Nachweis seiner Integration in Österreich vor.

In seiner Einvernahme durch die belangte Behörde am 05.02.2018 brachte der BF vor wie bisher und er legte das Originalkuvert vor, mit dem er das Schreiben seiner Frau erhalten habe (OZ 1 S 221).

Mit mündlich verkündetem Bescheid hob die belangte Behörde am 05.02.2018 den faktischen Abschiebeschutz des BF auf. Der Antrag werde voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden. Das neue Vorbringen baue auf das bereits zu Recht als unglaubwürdig erkannte Vorbringen auf und sei daher ebenfalls unglaubwürdig.

Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt von Amts wegen am 07.02.2018 dem Bundesverwaltungsgericht zur Überprüfung des Bescheids vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang steht fest.

Der BF führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Er ist Afghanischer Staatsbürger, männlich, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist sunnitischer Moslem. Er stammt aus einem Dorf im Distrikt XXXX in der Provinz Kapisa und hat dort den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht. Er hat elf Jahre eine öffentliche Schule besucht, hat mehrjährige Berufserfahrung als Arbeiter im Bau- und Landwirtschaftsbereich und ist arbeitsfähig. Der BF ist verheiratet und hat einen Sohn. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten Afghanistans und mit den örtlichen Gegebenheiten Kabuls vertraut.

Der BF wird in Kabul individuell weder bedroht noch verfolgt, insbesondere nicht durch die Taliban oder die Gruppierung "Hezb-e-Islami".

Die Schwiegermutter, ein Schwager und zwei Schwägerinnen des BF leben nach wie vor in Kabul.

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des BF sind gegenüber den im rechtskräftig negativ abgeschlossenen Vorverfahren getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten.

Dem BF droht bei einer Überstellung nach Afghanistan kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere in die Stadt Kabul, liefe er nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF leidet unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen, nämlich an einer im Jahr 2016 diagnostizierte Lactoseintoleranz, mykrozytärer hypochromer Anämie (eine häufig auftretende und meist durch Eisenmangel bedingte Blutarmut), leichter Gastritis und einer Refluxösophagitis ersten Grades und einer Anpassungsstörung mit Insomnie (OZ 1 S 149). Am 11.08.2016 hatte der BF (einmalig) einen Krampfanfall.

Der BF hat - abgesehen von einem Cousin und zwei Großcousins - in Österreich keine familiären Bindungen (OZ 1 S 83). Der Kontakt zu diesen Verwandten beschränkt sich auf Telefonate und gelegentliche Besuche (OZ 1 S 83).

Der BF hat am 11.12.2017 das ÖSD-Sprachzertifikat A1 Deutsch bestanden. Er hat im Jahr 2017 an diversen Workshops des Diakonie Flüchtlingsdienstes, wie Poolbillard und Tischtennis, teilgenommen und arbeitet regelmäßig im Ausmaß von etwa drei Wochenstunden ehrenamtlich für das Rote Kreuz als Reinigungskraft und für die Friedhofsverwaltung der römisch katholischen Stadtpfarre Oberwart in der Grünlandpflege.

2. Beweiswürdigung:

Beweise wurden erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 02.03.2017, letzte Aktualisierung am 30.01.2018 und in die zur hg AZ W119 2006001-1 erstatteten gutachterlichen Stellungnahme des Ländersachverständigen Dr. RASULY vom 23.10.2015 zur Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul.

Die Feststellungen zum Verfahrensgang und zu den persönlichen Daten des BF gründen sich auf den unbedenklichen Verwaltungsakt.

Die Feststellung, wonach der BF in Kabul nicht verfolgt werde, beruht auf der Überlegung, dass auf Grund der im ersten Asylverfahren des BF vorgebrachten untergeordneten Tätigkeit des BF als Bauarbeiter für eine westliche Firma vor etwa zweieinhalb Jahren und weil der BF bereits vor seinen Verfolgern bei seiner Schwiegermutter in Kabul sicher Unterkunft finden konnte (siehe dazu auch BvWG 17.10.2017 W220 2142789-1/12E S 67) nicht davon auszugehen ist, dass der BF von seinen angeblichen Verfolgern auch in der Großstadt Kabul verfolgt wird. Der geschilderte Überfall kann an dieser Einschätzung nichts ändern, weil er in Kapisa und nicht in Kabul stattgefunden hat.

Die Feststellung zum Aufenthalt der Schwiegermutter des BF in Kabul ergibt sich aus den Aussagen des BF im ersten Asylverfahren. Dem Vorbringen des BF, seine Verwandten hätten Kabul verlassen wollen und er habe keinen Kontakt mehr zu ihnen (und sie lebten damit wohl nicht mehr in Kabul) konnte nicht gefolgt werden. So ist es unglaubwürdig, dass der BF trotzt einer geplanten Flucht nicht über Telefon oder Internet mit seiner Familie bzw. seinen Verwandten in Kontakt bleiben können soll. Auch kam es zu keinerlei Übergriffen auf die in Kabul lebenden Verwandten des BF, weshalb nicht nachvollziehbar ist, warum sie Kabul verlassen sollten.

Soweit festgestellt wird, dass hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Fremden gegenüber den im rechtskräftig negativ abgeschlossenen Vorverfahren getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten sind, ist auszuführen, dass sich das hg Erkenntnis zur AZ 2142789-1 auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 25.09.2017, stützt. Insoweit diesen Feststellungen Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums (so insbesondere das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 30.01.2018) für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation fallrelevant nicht wesentlich geändert haben. Die zugrunde liegenden Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung in Afghanistan, insbesondere in der Stadt Kabul, ergeben sich - unter Berücksichtigung der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan - insbesondere aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017 und aus einer gutachterlichen Stellungnahme des Ländersachverständigen Dr. RASULY vom 23.10.2015 zur Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul im Verfahren betreffend einen anderen Asylwerber vor dem Bundesverwaltungsgericht im zur AZ W119 2006001-1 protokollierten Verfahren in Zusammenschau mit den persönlichen Umständen, insbesondere den familiären Anknüpfungspunkten des Fremden in Kabul.

Die Feststellung zum Gesundheitszustand beruht auf den Angaben des Fremden in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 25.01.2018 und den von ihm vorgelegten medizinischen Befunden und Gutachten, die - abgesehen von der Anpassungsstörung mit Insomie - aus der Zeit vor Beendigung des ersten Asylverfahrens datieren.

Die Feststellung zur Integrationsverfestigung, ie zum Familienleben und zur gemeinnützigen Arbeit, im Bundesgebiet gründet auf den Angaben des Fremden in den Verfahren über den ersten und den zweiten Antrag auf internationalen Schutz und den von ihm vorgelegten Bestätigungen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1 Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Rechtsgrundlagen lauten wie folgt:

Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 leg cit die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 dieser Bestimmung findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

§ 12 Abs 1 AsylG 2005 ("Faktischer Abschiebeschutz") lautet:

"Ein Fremder, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, kann, außer in den Fällen des § 12a, bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung, bis zur Gegenstandslosigkeit des Verfahrens oder nach einer Einstellung bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 24 Abs. 2 nicht mehr zulässig ist, weder zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben werden (faktischer Abschiebeschutz); § 32 bleibt unberührt. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet ist zulässig. Ein auf Grund anderer Bundesgesetze bestehendes Aufenthaltsrecht bleibt unberührt. § 16 Abs. 4 BFA-VG gilt."

Der mit "Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen" überschriebene § 12a AsylG 2005 lautet (auszugsweise):

"(1) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG gestellt, kommt ihm ein faktischer Abschiebeschutz nicht zu, wenn

1.-4. [...]

(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn

1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,

2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(3) - (6) [...]"

§ 22 BFA-VG, der die Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes regelt, lautet:

"(1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.

(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.

(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden."

3.2 Zur Anwendbarkeit des § 12a Abs 2 AsylG 2005

Die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 ist den Fällen des Abs 1 leg cit subsidiär, in welchen Fremden dieser Schutz schon ex lege nicht zukommt. Hier liegt schon deswegen kein Fall des Abs 1 leg cit vor, weil der erste Asylantrag des BF in der Sache rechtskräftig erledigt wurde.

Zu prüfen ist daher, ob die Voraussetzungen für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 vorliegen:

3.2.1 Zum Vorliegen einer aufrechten Rückkehrentscheidung (Z1)

Das Vorliegen einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, einer Ausweisung gemäß § 66 FPG oder eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG ist notwendiges Tatbestandselement des § 12a Abs 2 AsylG 2005. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2016 wurde gegen den BF rechtskräftig eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG getroffen.

3.2.2 Zum Vorliegen einer entschiedenen Sache (Z2)

Eine weitere Voraussetzung für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes ist, dass "der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist". Es ist also eine Prognose darüber zu treffen, ob der Antrag voraussichtlich (insbesondere wegen entschiedener Sache) zurückzuweisen sein wird (§ 12a Abs 2 Z 2 AsylG 2005).

Nach der Rechtsprechung zu § 68 Abs 1 AVG liegen verschiedene "Sachen" im Sinne des vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (siehe zB VwGH 17.09.2008 2008/23/0684).

Selbst bei Wahrunterstellung des neuen Vorbringens, wonach die Ehefrau, der Sohn und der Onkel des BF von Männern in ihrem Haus in Kapisa überfallen, dabei die Frau vergewaltigt sowie der Onkel getötet worden seien, wäre die Änderung des Sachverhalts nicht entscheidungswesentlich. Im ersten Asylverfahren des BF ging das erkennende Gericht nämlich ua (auch) davon aus, dass dem BF eine innerstaatliche Fluchtalternative nach Kabul offen stehe und zumutbar sei. Etwaige Verfolger würden den BF nicht nach Kabul verfolgen.

Das Vorbringen des BF kann an dieser Einschätzung nichts ändern. Es ist auf Grund der vorgebrachten untergeordneten Tätigkeit des BF als Bauarbeiter für eine westliche Firma vor etwa zweieinhalb Jahren und weil der BF bereits vor seinen Verfolgern bei seiner Schwiegermutter in Kabul sicher Unterkunft finden konnte (BvWG 17.10.2017 W220 2142789-1/12E S 67) nach wie vor nicht davon auszugehen, dass der BF von seinen angeblichen Verfolgern auch in der Großstadt Kabul verfolgt wird. Der geschilderte Überfall kann an dieser Einschätzung nichts ändern, weil er in Kapisa und nicht in Kabul stattgefunden hat.

Dem BF ist eine Neuansiedlung in Kabul (nach wie vor) zumutbar. Er ist männlich, mit 35 Jahre Jahren relativ jung, leidet zwar unter gewissen gesundheitliche Beeinträchtigungen, nämlich einer im Jahr 2016 diagnostizierten Lactoseintoleranz, mykrozytärer hypochromer Anämie (eine häufig auftretende und meist durch Eisenmangel bedinge Blutarmut), leichter Gastritis, einer Refluxösophagitis ersten Grades und einer Anpassungsstörung mit Insomnie (OZ 1 S 149) und er hatte einen einmaligen Krampfanfall am 11.08.2016, er ist aber grundsätzlich gesund und arbeitsfähig, hat eine elfjährige Schulbildung, mehrjährige Berufserfahrung im Bereich der Land- und Bauwirtschaft und ist mit den Gebräuchen Afghanistans sowie auf Grund seiner Verwandten bzw seines Aufenthalts in Kabul mit den besonderen Gegebenheiten in Kabul vertraut. Selbst wenn (entgegen den Feststellungen) alle Verwandten des BF Kabul verlassen hätten, lägen somit nach wie vor keine exzeptionellen Umstände vor, die dem BF eine Ansiedlung in Kabul unzumutbar machen würden.

Die Lage im Herkunftsstaat hat sich seit der rechtskräftigen Entscheidung über den ersten Antrag auf internationalen Schutz nicht entscheidungswesentlich geändert; eine solche Änderung wurde vom BF auch nicht vorgebracht (vgl dazu die Ausführungen in der Beweiswürdigung).

Folglich steht dem zweiten Antrag auf internationalen Schutz die Rechtskraft des über den ersten Antrag absprechenden Bescheides entgegen.

3.2.3 Prüfung auf Verletzung von Rechten nach der EMRK (Z3)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutz ist zulässig, wenn die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung für den Asylwerber keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeutet und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringt (§ 12a Abs 2 Z 3 AsylG 2005).

Bereits im ersten Verfahren hat das BFA rechtskräftig ausgesprochen, dass der BF bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keiner derartigen Gefahr und Bedrohung ausgesetzt sei.

Auch im gegenständlichen Verfahren konnte keine Feststellungen getroffen werden, die gegen die Abschiebung des BF in seinen Heimatstaat Afghanistan sprächen:

3.2.3.1 Eingriff in die Rechte nach Art 2 und 3 EMRK

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063 mwN). Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl etwa VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479, und 23.09.2009, 2007/01/0515, mwN).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

Es obliegt dabei grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl VwGH 05.10.2016, Ra 2016/19/0158, mit Verweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Appl. 61.204/09, mwH).

Es wurden im vorliegenden Fall keine Umstände festgestellt, die dem BF ein "reales Risiko" einer gegen Art 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw der Todesstrafe droht.

Auch der festgestellte aktuelle Gesundheitszustand des Fremden gibt in Zusammenschau mit den Länderfeststellungen zur medizinischen Versorgung in Afghanistan und gemessen an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art 3 EMRK keinen Anlass dazu, zu einem anderen Ergebnis zu kommen:

Im Allgemeinen hat ein Fremder nämlich kein Recht darauf, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben; dennoch könnte der Transport vorübergehend oder dauernd eine Verletzung des Art 3 EMRK darstellen, etwa bei fortgeschrittener Schwangerschaft oder der Erforderlichkeit eines ununterbrochenen stationären Aufenthalts (VfGH 06.03.2008, B 2400/07).

Zwar ist im Zuge des durchgeführten Ermittlungsverfahrens hervorgekommen, dass der BF an diversen gesundheitlichen Problemen leidet, sie schränken aber wie unter Punkt 3.2.2 aufgezeigt wurde seine Arbeitsfähigkeit nicht ein und sind nicht lebensbedrohlich.

Unbeschadet des Umstandes, dass in Afghanistan eine mit der österreichischen Behandlung vergleichbare medizinische Behandlung nicht zu erwarten ist, konnte auch jenes sehr außergewöhnliche Ausmaß an Leidenszuständen, wie es in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für das Vorliegen eines Abschiebehindernisses nach Art 3 EMRK gefordert wird, nicht festgestellt werden.

3.2.3.2 Eingriff in die Rechte nach Art 8 EMRK

Der Fremde hat - abgesehen von einen Cousin und zwei Großcousins, zu denen er lediglich telefonische und ab und zu persönliche Kontakte pflegt - in Österreich keine familiären Bindungen. Der Fremde führt daher in Österreich kein iSd Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben und verfügt in Österreich über keine maßgeblichen privaten Anknüpfungspunkte (vgl dazu VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479, mwN). Auch das zwischenzeitlich erlangte ÖSD-Sprachzertifikat A1 und diverse ehrenamtliche Tätigkeiten für die evangelische Kirche und das Rote Kreuz im Ausmaß von etwa 3 Wochenstunden stellen keine sprachliche und soziale Verfestigung iSd Art 8 EMRK des BF dar. Eine Abschiebung des Fremden bedeutet demnach keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 8 EMRK.

Die Abschiebung des BF nach Afghanistan stellt daher keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK dar bzw ist ein Eingriff in allfällig bestehende Rechte nach Art 8 EMRK gerechtfertigt. Es besteht für ihn als Zivilperson auch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens und seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

aufrechte Rückkehrentscheidung, faktischer Abschiebeschutz -
Aufhebung rechtmäßig, innerstaatliche Fluchtalternative,
Rückkehrsituation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W258.2142789.2.00

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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